Annette Vowinckel
Annette Vowinckel, geboren 1966 in Hagen, studierte Geschichtswissenschaft, Spanisch und Kunst in Bielefeld und Jerusalem. Sie promovierte 1998 mit einer Arbeit über Hannah Arendt, habilitierte sich 2006 im Fach Kulturwissenschaft an der HU Berlin und lehrt infolge einer Umhabilitierung seit 2013 das Fach Neuere und Neueste Geschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Am Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung leitet sie seit 2014 die Abteilung „Zeitgeschichte der Medien- und Informationsgesellschaft“.
Mein DDR-Bild
Im August 1989 verbrachte ich zusammen mit zwei Freundinnen meinen Sommerurlaub in der DDR. Nach einem Besuch bei Verwandten einer der Mitreisenden in Eisenach übernachteten wir bei Freunden von Freunden in einem besetzten Haus in Erfurt (wo es genauso aussah wie in unserer Bielefelder Wohngemeinschaft), dann besuchten wir Weimar, badeten in der Müritz und in der Ostsee und verließen die DDR in der Ost-Berliner Friedrichstraße. Viele Menschen in der DDR sprachen hinter vorgehaltener Hand, andere recht offen über die Massenfluchten in den Westen. Keiner, und schon gar nicht wir drei Bielefelderinnen, rechnete mit dem Fall der Mauer. Für mich fühlte es sich an wie eine Auslandsreise. Heute bin ich sehr dankbar dafür, dass mir kurz vor dem Verschwinden des Sozialismus von deutschem Boden noch eine Innenansicht vergönnt war. Es sind der Geruch, die Haptik, die Warenwelt der DDR, die sich in der Erinnerung festgesetzt haben. In wissenschaftlicher Perspektive habe ich erst angefangen, mich mit DDR-Geschichte zu beschäftigen, als ich 2006 ans ZZF Potsdam kam. Ich bin sicher, dass die Reise von 1989 meine Sicht auf die DDR mit geformt oder zumindest mit Eindrücken unterfüttert hat.
Für das Handbuch habe ich den Film Good Bye, Lenin! (2003) behandelt, den ich bereits kurz nach dem Kinostart gesehen hatte. Ich war nie eine besondere Freundin der kontrafaktischen Geschichtsschreibung, aber das gedankliche Experiment im Film finde ich sehr anregend. Vor allem aber zeichnet sich der Film dadurch aus, dass er keine Abrechnungen oder Schuldzuschreibungen vornimmt. Er ist eine Tragikomödie im besten Wortsinn: Die Geschichte ist von einer humorvollen Sicht auf das Zeitgeschehen geprägt, ohne die Tragik der erzählten Geschichte zu bestreiten. Enorm überrascht hat mich die Tatsache, dass der Film von Kritiker*innen brutal verrissen wurde. Noch überraschender finde ich, dass einige von ihnen unter dem Eindruck der Begeisterung seitens des Publikums ihre Meinung geändert und zugegeben haben, dass sie die Stärken des Films nicht gesehen haben.