Weissensee

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Weissensee
Erscheinungsjahr
2010, 2013, 2015, 2018
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
1080 Minuten

Kurzbeschreibung

Weissensee handelt von zwei sehr gegensätzlichen Berliner Familien – der künstlerisch intellektuellen Familie Hausmann und der staatstreuen Familie Kupfer, die ein gemeinsames Schicksal verbindet.

Schlagworte

Zeit
Schauplatz
Genre

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Für Tatort-Folgen wie Außer Gefecht (2007) und …es wird Trauer sein und Schmerz (2009) wurde Fromm, 1963 in Stuttgart geboren, unter anderem mit dem Bayerischen Fernsehpreis ausgezeichnet. Vor der Erfolgsserie Weissensee hat er sich auch schon im Dokudrama Die Wölfe (2009) mit der deutsch-deutschen Geschichte beschäftigt.

Drehbuch

Neben Regisseur Fromm war Annette Hess (geboren 1967 in Hannover) für das Drehbuch verantwortlich. Hess schrieb auch das Drehbuch für den Fernsehfilm Die Frau vom Checkpoint Charlie (2007) mit Veronica Ferres in der Hauptrolle. In einem Interview zu Weissensee sprach sie über die Schwierigkeit, historische Stoffe spannend zu erzählen sowie über den Abend vor dem Mauerfall. Außerdem erwähnte sie in diesem Interview eine Reise von Hannover nach Magdeburg, wo sie einen Koffer voller Orangen für „die armen DDR-Bürger“ bei sich hatte.

Produktion

Die Serie wurde von Ziegler Film produziert und dort von Marc Müller-Kaldenberg (1972 im Saarland geboren) und Namensgeberin Regina Ziegler (geboren 1944 in Quedlinburg) betreut. Ziegler Film steht für rund 500 Produktionen. Weissensee hat auf der Webseite der Firma trotzdem einen Ehrenplatz. Regina Ziegler war wichtig, dass die „Erzählperspektive über unsere ‚Stasi-Familie‘ Kupfer einen noch nicht erzählten Zugang zur Geschichte“ bot. Müller-Kaldenberg sagte im gleichen Interview: „Die Serie behandelt ein zentrales Stück deutscher Geschichte, das viele Zuschauer noch selbst miterlebt haben. Und die Personen dieser Geschichte haben allesamt eine Fallhöhe, die man nicht so leicht mit der puren Fiktion schaffen kann.“

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Zu den ersten beiden Staffeln wurden Trailer produziert, die jeweils ein Liebesdrama angekündigt haben. Der erste Trailer zeigt Julia und Martin – und wir hören „Liebe auf den ersten Blick“, „gegen alle Widerstände“ und „eine Liebe, für die es sich zu kämpfen lohnt“. Nach dem Ende hat die ARD auf YouTube eine zehnteilige Webserie veröffentlicht, die auf komödiantische Weise das Leben einiger Figuren aus der Serie nach dem Mauerfall zeigt, darunter Katja, Martin, Görlitz und Nicole. Alle vier Staffeln gibt es auf DVD und Blu-ray sowie als Streaming-Angebot.

Filminhalt

Handlung

Bei Familie Kupfer arbeiten sowohl der Vater Hans als auch der älteste Sohn Falk für die Staatssicherheit. Martin, der jüngere Sohn, ist bei der Volkspolizei. Bei Familie Hausmann verdient die Mutter ihren Lebensunterhalt als Sängerin. Sie geht mit DDR-kritischen Liedern auf Tournee. Ihre Tochter Julia arbeitet in einem Konsum-Geschäft. Martin und Julia verlieben sich, was alle in schwierige Situationen bringt.

Aus der tragischen Liebesgeschichte wird ein Porträt der ostdeutschen Vorwendegesellschaft. Es geht nicht nur um Stasi, Polizei und das Kulturmilieu, sondern auch um Leistungssport und Doping, um die Schule, um die Kirche und oppositionelle Bewegungen, um Gefängnis und Flucht, um den Umgang mit Behinderungen oder um den ganz normalen Alltag, zu dem zum Beispiel eine Datsche gehört. Das alles passiert vor dem Hintergrund dramatischer gesellschaftlicher Veränderungen (Akzeptanzverlust der DDR, Mauerfall, Treuhandanstalt).

Zentrale Figuren

Martin Kupfer (Florian Lukas) – Ende 20, Anfang 30. Erst Volkspolizist, später Tischler. Verzichtet auf die Beziehungen seines Vaters und damit auf eine Karriere im Staat. Sieht die DDR zunehmend kritisch.

Julia Hausmann (Hannah Herzsprung) – Mittzwanzigerin. Als Freigeist erzogen arbeitet sie in einem Konsumgeschäft, möchte in den Westen fliehen, bleibt aber aus Liebe zu Martin und bezahlt dafür erst mit der Freiheit und dann mit ihrem Leben.

Hans Kupfer (Uwe Kockisch) – Anfang 60. Parteikader und Spitzenmann im MfS. Hatte früher eine Beziehung mit Dunja Hausmann und eine Schwäche für progressive Geister. Wünscht sich Reformen in Stasi und Staat.

Falk Kupfer (Jörg Hartmann) – in seinen Dreißigern. Karrierist und linientreuer Mitarbeiter der Stasi. Zeichnet sich durch hartes und repressives Vorgehen gegenüber oppositionellen Kräften und Künstlern aus, hofft auf die Anerkennung des Vaters und möchte Großes für Land und Familie erreichen. Schickt seinen Sohn ins Sport-Internat (Stichwort: Doping).

Dunja Hausmann (Katrin Sass) – Mitte, Ende 50. Sängerin und Intellektuelle. Geht mit DDR-kritischen Liedern auf Tournee und nimmt dafür auch Repressalien in Kauf. Hatte in ihrer Jugend eine Beziehung mit Hans Kupfer. Ist einerseits kritisch gegenüber dem System, auf der anderen Seite aber auch überzeugt von der Idee einer gerechten Gesellschaft.

Vera Kupfer (Anna Loos) – in ihren Dreißigern. (Ex-)Frau von Falk Kupfer. Arbeitet zunächst als Lehrerin. Wird von ihrem Mann als Informantin gegen eine oppositionelle Gruppe um Pfarrer Robert Wolf eingesetzt. Arbeitet nach dem Mauerfall bei der Treuhand.

Katja Wiese (Lisa Wagner) – Mittdreißigerin. West-Journalistin. Beginnt nach dem Mauerfall eine Beziehung mit Martin Kupfer. Recherchiert investigativ zur Treuhand und zur Stasi.

Gesellschaftsbild

Weissensee zeigt eine DDR, in der man sich entscheiden muss: staatstreu oder kritisch. Hier die Stasi-Familie Kupfer, dort die Künstlerfamilie Hausmann und dazwischen Martin, der Held, der mit den Seinen nicht brechen mag und sich doch zur anderen Seite hingezogen fühlt. Dadurch bleibt das Gesellschaftsbild ambivalent und vielschichtig. Hans Kupfer und Dunja Hausmann zum Beispiel sind zwischen der sozialistischen Utopie und dem Honecker-Sozialismus hin- und hergerissen. Wer diesen Konflikt wie Dunja in die Öffentlichkeit trägt, muss mit Repressalien rechnen.

Die 24 Folgen bieten genug Raum, den Grundkonflikt in allen denkbaren Settings auszubuchstabieren. Die Familie bleibt dabei stets wichtig – sicher eine Folge der Serienlogik, die Beziehungen und Dramen braucht. Falk Kupfer zum Beispiel geht gegen Künstlerinnen und Künstler vor, weil er seinen Vater stolz machen will, erntet aber nichts als Unverständnis. Als sein Sohn, ein Turntalent, durch Doping fast das Leben verliert, wankt Falks Glaube an das System. Die Figur des Falk ist dabei als heimlicher Antiheld konzipiert: ein Bösewicht, der buchstäblich über Leichen geht (auch in seinem engsten Umfeld), aber zugleich ein liebender Vater auf der Suche nach Anerkennung. In der DDR von Weissensee haben Menschen wie Falk nur wenig Spielraum. Selbst in Schulen und Universitäten geht es nicht um eigenständiges Denken. Als Hans seine Studenten zu mehr Selbständigkeit auffordert, bekommen beide Seiten Schwierigkeiten.

Staffel vier verlässt die DDR und wechselt von Fragen der Macht zum Geld. Der Kapitalismus funktioniert anders als eine Planwirtschaft. Martins Tischlerbetrieb fällt zum Beispiel einem schmierigen Wirtschaftsberater aus dem Ländle zum Opfer, und die Genossen sorgen sich weniger um das Überleben der Ideologie als um ihre Kontobestände.

Ästhetik und Gestaltung

Das Intro stellt die Hauptfiguren vor und setzt damit den Ton: Wir haben es eher mit einem Familiendrama zu tun als mit einer Geschichtsstunde. Die meisten Szenen leben folglich von Dialogen und Nahaufnahmen. Es wurde allerdings keineswegs nur in geschlossenen Räumen gedreht, sondern auch unter freiem Himmel – und es gibt Action-Szenen, weil das Thema Stasi auch einen Agentenfilm trägt. Diese Szenen zeichnen sich durch Realismus aus (keine heißen Stunts).

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Filmimmanente Strategien

Szenenbildner Frank Godt sagte, dass großer Wert auf ein zeitgemäßes und „eher unaufdringliches und authentisches“ Setting gelegt worden sei. Vor allem Regisseur Friedemann Fromm habe darauf gedrungen. Geholfen hätten der Fundus Adlershof in Berlin, das Fachmuseum für die Alltagskultur und Geschichte der DDR in Eisenhüttenstadt sowie der Fundus auf dem Babelsberger Filmstudiogelände. Andere Requisiten wurden im Internet ersteigert oder von Privatpersonen „manchmal nach langem Zureden“ geliehen.

Filmtranszendente Strategien

Wichtigster wissenschaftlicher Berater für Weissensee war der Historiker Ilko-Sascha Kowalczuk, 1967 in Berlin-Friedrichshagen geboren. Regisseur Friedemann Fromm sagte der Tageszeitung Die Welt, dass außerdem die Robert-Havemann-Stiftung und die Jahn-Behörde wichtig gewesen seien. Nachdem Anette Hess die Idee „Dallas der DDR“ eingebracht habe, sei es vor allem darum gegangen, was in der DDR möglich war. Weiter in diesem Interview: „Wir wollten dabei von Anfang an so präzise wie möglich sein. Weil wir eine Verantwortung haben für alle, die jene Jahre in der DDR nicht erlebt haben. Weil da schon so etwas ist wie ein Bildungsauftrag. Und wir deswegen keinen Blödsinn erzählen.“

Das Erste hat auf einer Themenseite außerdem Gespräche mit vielen beteiligten, Specials sowie Extras zu Drehorten und den geschichtlichen Ereignissen dokumentiert.

Rezeption

Reichweite

 

Ausstrahlung (jeweils um 20.15 Uhr im Ersten)

GfK-Daten (Publikum, Marktanteil)

Staffel 1

Ab 14. September 2010 wöchentlich

4,77 Mio., 14,8 Prozent

 

Staffel 2

Ab 17. September 2013 in drei wöchentlichen Doppelfolgen

4,58 Mio., 14,8 Prozent

Staffel 3

29. September bis 1. Oktober 2015 (drei Doppelfolgen)

4,73 Mio., 15,8 Prozent

Staffel 4

8. bis 10. Mai 2018

(drei Doppelfolgen)

3,81 Mio., 14 Prozent

 

Staffel vier fiel beim Publikum etwas ab. Der Marktanteil von sechs Prozent bei den 14- bis 49-Jährigen war für die Serie ein Negativrekord.

Rezensionen

„Es sei gleich gesagt: Von der ersten bis zur letzten Sequenz ist diese Serie gelungen.“ Mit diesen Worten leitet Heike Kunert in der Zeit ihre Kritik zu Weissensee ein. Besonders hervorgehoben hat sie die differenzierte Betrachtung der DDR: „Spätestens jetzt wird klar, dass die Drehbuchautoren Annette Hess und Friedemann Fromm mehr wollten, als eine düstere Stasi-Serie zu schreiben. Es geht um Vielschichtigkeit und Ambivalenz: Falk Kupfer ist nicht nur der Stasi-Offizier, der dem System willenlos ergeben ist. Er ist auch ein treusorgender Familienvater, der sich rührend um die Tochter kümmert. Hinter dem Amt verbirgt sich der Mensch und nichts ist nur schwarz oder weiß.“

Regina Mönch sprach in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung nach der vierten Staffel von „Stasi-Schurken und andere Katastrophen.“ Ihr Urteil: „Das alles ist hochdramatisch inszeniert, und wäre nicht das familiäre Band, man könnte den Überblick verlieren“. Die vierte Staffel „wäre noch wirkungsvoller, hätte man auf Zitate, die historischen Analogien mit hungerstreikenden Kollegen und den Straßenblockaden der düpierten Bauern samt deren Vieh verzichtet.“ Insgesamt kommt aber auch Mönch zu einer positiven Bewertung: „Es bleibt dabei: Weissensee ist mit das Beste, was deutsches Fernsehen zu bieten hat, herzzerreißend tragisch, ironisch, manchmal umwerfend komisch, rasant erzählt und vor allem grandios gespielt.“

Antje Sirleschtov ging es im Tagesspiegel um die Rolle von Weissensee im Erinnerungs-Diskurs: „Wirkliches Erinnern funktioniert anders. Es braucht Nähe und Emotionen. Aus Geschichten von Menschen, die Geschichte erlebt haben, kann Identifikation entstehen. Zur besten Sendezeit zieht jetzt wieder das Familienepos Weissensee sein Publikum in eine Epoche zurück, die den einen längst fern geworden und den anderen fremd geblieben ist.“

Auszeichnungen

Auszeichnung

Kategorie

Deutscher Fernsehpreis

Beste Serie 2011 und 2014

Bester Schauspieler 2011 (Jörg Hartmann)

Bestes Ensemble in einer Fernsehserie 2014

Bambi

Schauspieler International 2010 (Hannah Herzsprung)

Deutsche Akademie für Fernsehen

Bestes Kostümbild 2014 (Monika Hinz)

Bestes Szenenbild 2014 (Frank Godt)

Adolf-Grimme-Preis

In der Kategorie Spezial/Fiktion 2016

Wissenschaftliche Aufarbeitung

Weissensee spielt auch in der Fachliteratur eine Rolle: So beschreibt Lothar Mikos (2017) den Wandel des Familienbildes in Fernsehserien am Beispiel dieser Serie. Christian Hißnauer (2016) behandelt Weissensee im Kontext der „Suche nach einer gesamtdeutschen Identität“.

Erinnerungsdiskurs

Annette Hess und Friedemann Fromm erzählen deutsch-deutsche Geschichte spannend, differenziert und vielschichtig. Diese Einschätzung wird in den Leitmedien geteilt. Der Spiegel zum Beispiel hat Weissensee als „Dallas in der DDR“ beschrieben und damit die Idee von Annette Hess geadelt. Elmar Krekeler hat Weissensee in der Welt sogar als „Gratmesser für den Umgang mit Zeitgeschichte“ und als „Erinnerungsinstanz“ gelobt.

Empfehlung

Empfehlung des Autors

Wer Lust auf ein Familiendrama im Serienformat hat, das deutsch-deutsche Geschichte in ihrer Komplexität und Ambivalenz zu veranschaulichen weiß, sollte sich Weissensee ansehen. Binge-Watch-Potential inklusive.

Literatur

Christian Hißnauer: Eine neue Heimat? Von den Familienchroniken der 1970er und 1980er Jahre zum Serien-Event-Fernsehen: Weissensee, Tannbach, Deutschland 83 und die Suche nach einer gesamtdeutschen Identität. In: Spiel 2. Jg. (2016), S. 39-52

Lothar Mikos: Die Repräsentation familialer Beziehungsstrukturen in Fernsehserien. In: Pia Bergold, Andrea Buschner, Birgit Mayer-Lewis, Tanja Mühling (Hrsg.): Familien mit multipler Elternschaft. Entstehungszusammenhänge, Herausforderungen und Potentiale. Opladen: Barbara Budrich 2017, S. 195-212

Empfohlene Zitierweise

Weissensee. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2023, https://ddr-im-film.de/index.php/de/film/weissensee