Bianca Kellner-Zotz

Geboren 1975 in München. Abitur 1995, Ausbildung zur Betriebswirtin/VWA, Referentin Öffentlichkeitsarbeit in einem großen europäischen Luft- und Raumfahrtunternehmen. Studium der Kommunikationswissenschaft und Politik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Freie Journalistin, unter anderem im Lokalteil der Süddeutschen Zeitung, Lehrbeauftragte an privaten und öffentlichen Hochschulen. Promotion zur Medialisierung der Familie. Seit Juli 2020 Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Teilprojekt „Medienmenschen“ innerhalb des BMBF-Forschungsverbundes „Das mediale Erbe der DDR“.

Mein DDR-Bild

Meine früheste Erinnerung an die DDR ist die Deutschlandkarte in der Tagesschau. Die Teilung war ein zentrales Diskursthema, auch wenn meine Familie davon persönlich praktisch nicht betroffen war. Der Lebensgefährte meiner Großtante war zwar aus der DDR geflohen, starb aber so früh, dass seine Erlebnisse für mein DDR-Bild keine Rolle spielten. In der Schule war viel von dem anderen Deutschland die Rede, vor allem im Erdkunde- und Wirtschaftsunterricht. Wir lernten, dass dirigistische Systeme weniger effizient seien, dass die Menschen jenseits der Mauer nicht reisen durften, wohin sie wollten, und dass man während einer Autofahrt nach West-Berlin auf keinen Fall stehenbleiben sollte. Filme haben ich natürlich auch gesehen, etwa die amerikanische Version der Ballonflucht zweier DDR-Familien. Letztlich war die deutsche Teilung für meine Generation aber ein Umstand, an den wir uns gewöhnt hatten. Der Mauerfall kam überraschend, wir freuten uns, von Euphorie waren wir jedoch weit entfernt. Die neuen Klassenkameraden aus dem Osten waren erkennbar anders, aber schon nach wenigen Jahren verlor das Ost-West-Schema an Bedeutung. Ich hatte und habe Nachbarn aus dem Osten, Freunde aus dem Osten, Kollegen aus dem Osten. Umso ärgerlicher empfand und empfinde ich den vorherrschenden Ost-Diskurs, die westdeutsche Arroganz, die großen Teilen der Menschen in Sachsen oder Thüringen die Befähigung zu demokratischer Teilhabe abspricht. Wie einseitig die gängigen Narrative sind und wie bereichernd eine ernsthafte Auseinandersetzung mit der Ost-Perspektive für unsere Gesellschaft sein könnte, ist mir aber erst durch meine Arbeit im Forschungsverbund bewusst geworden. Die von uns befragten Medienmenschen sind sich in vielen Punkten erstaunlich einig, in einem aber ganz besonders: Ehemalige DDR-Bürger verfügen über ein Sensorium, eine Art Frühwarnsystem, das sich einschaltet, wenn Meinungsfreiheit und Pluralität gefährdet sind. Ich würde mir wünschen, dass unser Projekt dazu beiträgt, diesen Ost-Blick in den Diskurs einzubringen. Wir könnten alle davon profitieren.

Meine Erfahrung aus der Arbeit am Handbuch

Die MDR/Arte-Produktion Lilly unter den Linden ist die durchaus kindgerecht aufbereitete Geschichte eines Mädchens, das sich nicht um Politik schert, sondern auf der Suche nach Liebe und Geborgenheit ist. Dieser Ansatz hat mir sehr gut gefallen. Die Unterschiede zwischen Ost und West werden behutsam thematisiert, zudem wird leise Kritik am westlichen Lebensmodell geäußert. In Hamburg sind die Wohnungen zwar größer, moderner, schicker, aber ein echtes Familienleben kann das nicht ersetzen. Der Zuschauer entwickelt große Sympathien für Lillys Tante in Jena, während der Lebensgefährte ihrer verstorbenen Mutter vor allem am Anfang eher schlecht wegkommt. Ein Egoist, der keine Verantwortung übernehmen will. Der kindliche Blick ist das große Plus dieses Films, der leider in Teilen in gängigen Stereotypen gefangen bleibt, gerade bei der Charakterisierung der DDR-Staatsdiener. Das mag der Zielgruppe geschuldet sein. Um Kinder und Jugendliche an das Thema heranzuführen, ihnen eine klare Einordnung zu ermöglichen, wird auf Kontraste gesetzt, Zwischentöne sind hier nur schwer zu verwirklichen. Letztlich soll eine zentrale Botschaft vermittelt werden: Die DDR war ein Überwachungsstaat, der den Menschen ihre Freiheit nahm und ganze Familien auseinanderriss. Diese Botschaft kommt an und macht kleine Zuschauer – das konnte ich an meinen Kindern beobachten – betroffen. Lilly unter den Linden ist für mich ein sehenswerter Beitrag zum DDR-Diskurs – auch wenn es nicht gelingt, das Täter-Opfer-Schema aufzubrechen.

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