23956-b-2_0.jpg
ZDF/Erika Hauri

Romeo

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Romeo
Erscheinungsjahr
2001
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
88 Minuten

Kurzbeschreibung

München 1996: Eine bayerische Agentin aus Liebe muss sich vor Gericht verantworten. Dabei kommt die Wahrheit ans Licht – sie ist Opfer einer Romeo-Spionage der DDR. 

Schlagworte

Genre

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Hermine Huntgeburth wurde 1957 in Paderborn geboren. Sie studierte Film an der Hochschule für bildende Künste in Hamburg. Im Kreise der Lieben (1991), ihr erster Film, bekam den goldenen Bundesfilmpreis für die beste Nachwuchsregie. Zu ihrer Filmografie gehören Gefährliche Freundin (1996), Die weiße Massai (2005) und Teufelsbraten (2007). Oft geht es dabei um das Wechselspiel zwischen Liebe, Hass und Gleichgültigkeit – wie in Romeo. Dieser Film ist ihr erstes Werk mit klarem DDR-Bezug. 

Drehbuch

Ruth Toma wurde 1956 in Bad Kötzting geboren. Sie studierte an der Akademie der bildenden Künste in München und an der Universität Hamburg (Aufbaustudiengang Film). Für Solino (2002) bekam sie beim Bayerischen Filmpreis 2003 den Drehbuchpreis. Zu ihrer Filmografie gehören Der Junge muss an die frische Luft (2018), Die letzten 30 Jahre (2010) und der DDR-Film Dessau Dancers (2014).  

Produktion

Romeo wurde im Auftrag des ZDF von der Bavaria Film unter der Leitung von Martin Bach produziert. Die Bavaria Film steht für TV-Klassiker wie Die Rosenheim-Cops oder den Tatort sowie Filme wie Das Boot (1981) oder Brecht (2019). Martin Bach wurde in Eichstätt geboren. Romeo ist sein erstes Werk zur Ost-West-Thematik.  

Finanzierung

Das Budget wurde nicht veröffentlicht.

Werbung

Es gibt weder einen Trailer noch Filmplakate oder Bonusmaterialien, sondern nur eine Pressemitteilung zur Erstausstrahlung. 

Filminhalt

Handlung

Lotte Zimmermann, Sekretärin im bayerischen Innenministerium, wird 1996 wegen Spionage verhaftet. Im Prozess kommt ihre dunkle Vergangenheit ans Licht: In den frühen 1970er Jahren verliebte sie sich in Hermann Weber (Deckname) – obwohl sie wusste, dass er ein DDR-Spitzel ist. Es bleibt nicht bei der Weitergabe von Informationen. Die beiden heiraten in der DDR, ihr Mann verlässt sie aber, als sie schwanger wird, und interessiert sich erst wieder für sie, als sie wieder im Innenministerium arbeitet. Tochter Julia kommt Lotte erst näher, als sie sich umbringen will, und sieht nun auch erstmals ihren Vater, der eigentlich Klaus Weingarten heißt. 

Zentrale Figuren

23956-b-2_0.jpg
ZDF/Erika Hauri
Lotte Zimmermann (Martina Gedeck), 
Klaus Weingarten alias Hermann Weber (Sylvester Groth)
 

Lotte Zimmermann (Martina Gedeck) – eine Frau mittleren Alters, die mit ihrer Tochter in Bayern lebt, für das Innenministerium arbeitet und wegen DDR-Spionage vor Gericht gestellt wird. Die junge Lotte hatte sich in einen DDR-Spitzel verliebt. Beide Versionen dieser Frau sind psychisch instabil. Sie wurde streng katholisch erzogen, ist gutgläubig, naiv und hat einen Minderwertigkeitskomplex. In DDR-Spion Hermann sieht sie ihre große Liebe, für die sie ihre Gewissensbisse überwindet. „Ich bin doch von hier, ich bin keine Verräterin“. Lotte sieht nicht, dass Hermann sie manipuliert und hätte sogar ihr Kind für ihn zurückgelassen. Später ergibt sie sich dem Alkohol und versucht, sich umzubringen. 

Klaus Weingarten alias Hermann Weber (Sylvester Groth) – ein Mann mit zwei Gesichtern. Klaus Weingarten ist ein liebevoller und fürsorglicher Vater, der mit seiner DDR-Familie in einem idyllischen Häuschen lebt. Unter seinem Decknamen Hermann Weber wird er zum Spitzel, führt eine Schein-Ehe und verlässt die Schein-Ehefrau sowie das ungeborene Kind, als die Quelle an Wert verloren hat. Im Prozess berichtet er abgeklärt und kühl von den Machenschaften des Ministeriums für Staatssicherheit. Verhaftet wird er trotzdem nicht. 

Julia Zimmermann (Katrin Bühring) – Tochter von Lotte. Hat zu ihrer Mutter ein schwieriges Verhältnis. Eine junge Rebellin, die scheinbar nichts auf die Reihe bekommt, flirtet viel und verliebt sich in einen Mann, den Lotte für unwürdig hält. Julia möchte ihren verschollenen Vater kennenlernen und zieht auf Bitte von Lottes Anwalt bei ihrer Mutter ein, um nach dem Selbstmordversuch auf sie aufzupassen. Jetzt ist Julia die Mutter, die auf das pflegebedürftige „Kind“ aufpassen muss, aber doch immer Lottes Lebenslüge repräsentiert. 

Gesellschaftsbild

23956-b-14.jpg
ZDF/Erika Hauri

Romeo zeigt die DDR durch die Stasi-Brille. Der lange Arm des Geheimdienstes hat nicht nur bis tief in die Bundesrepublik gereicht, sondern wirkt auch nach der Vereinigung weiter. Alles, was passiert, ist am Reißbrett der Stasi geplant worden. Die Menschen sind dabei nur Marionetten einer übermächtigen Bürokratie. In der DDR gibt es zwar Privatleben und Glück (in der echten Familie des Agenten), beides baut jedoch auf einer Lüge auf, die spätestens mit dem Mauerfall und der Aufarbeitung der Vergangenheit durch (bundesdeutsche) Behörden (durch den Rechtsstaat) auffliegen musste. Die Menschen in der Bundesrepublik sind für die Stasi ein Zielobjekt – und nicht mehr. In der Lesart dieses Films heißt das auch: Wenn Menschen wie Lotte das anders gesehen haben, dann haben sie sich täuschen lassen. Tochter Julia ist das Kind dieser Ost-West-Verhältnisse: hineingeboren in zerrüttete Familienverhältnisse, mit einer labilen Mutter und einem Vater, der ihr immer etwas vorgespielt hat. Diese Julia soll nun das kitten, was ihre Eltern verbockt haben.

Ästhetik und Gestaltung

23956-b-6.jpg
ZDF/Erika Hauri

Hermine Huntgeburth spielt in Romeo filmästhetisch mit der Zeit. Lottes Geschichte wird durch Rückblicke und über eine Gegenwart erzählt. So lässt sich ein langer Zeitraum abdecken (von den frühen 1970ern bis nach dem Fall der Mauer). Die Kamera blickt vor allem in Lebenswelten (Haus, Garten, Arbeitsstelle) und in einen Münchner Gerichtssaal. 

Einen Erzähler hat Romeo nicht. Der Fokus ist bei Lotte und ihrer Tochter und nur selten beim Romeo. Viele halbnahe Kameraeinstellungen zeigen die Körpersprache. Mit der Zeit ändern sich Kleidung, Frisuren und Einrichtung. Konstante ist nur die Hollywood-Schaukel in Lottes Garten, die Vergangenheit und Gegenwart verbindet. Im bayerischen Innenministerium wird Dialekt gesprochen. 

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Der Film erhebt nicht den Anspruch, eine wahre Begebenheit zu erzählen. Dem Spiegel zufolge hat Hermine Huntgeburth rund „40 authentische Fälle“ recherchiert (Agentenberichte). Romeo ist deshalb als „fiktionalisierte Zeitgeschichte“ gesehen worden (taz), die durch „einige Momente aus den realen Schicksalen“ angeregt wurde (tittelbach.tv). 

23956-b-15.jpg
ZDF/Erika Hauri

Da vorwiegend in Bayern gedreht wurde, gibt es kaum einen Eindruck vom Leben in der DDR. Nur die Hochzeitsszene lässt in die ostdeutsche Welt blicken. Authentizität soll der Wandel erzeugen (Kleidung, Einrichtung, Frisuren). Am Ende des Films heißt es: „Lotte Zimmermann wurde zu zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Um die hohen Prozesskosten bezahlen zu können, musste sie das Haus aufgeben“. Die Botschaft ist klar: Romeo-Spionage hat auch für die Opfer Folge – vom Verlust des Eigenheims über Haftstrafen bis zum Suizid. 

Der Cast kann als Teil der Authentizitätsstrategie verstanden werden: Martina Gedeck hat in DDR-Werken wie Hunger auf Leben (2004) oder Das Leben der Anderen (2006) mitgespielt. Sylvester Groth war schon in der DDR ein Star, etwa in den DEFA-Filmen Der Aufenthalt (1983) oder Das Haus am Fuße (1985), und ist heute ein „DDR“-Gesicht: Wir wollten aufs Meer (2012), Deutschland 83, 89 (2015, 2020), In Zeiten des abnehmenden Lichts (2017).

Rezeption

Reichweite

Der Film hatte am 29. Januar 2001 im ZDF Premiere und kann heute auf YouTube (bei allerdings schlechter Tonspur) gesehen werden.

Rezensionen

Romeo wurde in den (Leit-)Medien weitgehend ignoriert. TV Spielfilm: „Das von Hermine Huntgeburth (…) in Rückblenden erzählte Drama zeigt, wie der lange Arm der Stasi ins Private reichte – im Osten wie im Westen“. Fazit: „Starkes Stück deutsch-deutscher Wirklichkeit“. Auch Christian Behls vom Spiegel fällte ein positives Urteil: Bei Romeo handle es sich um einen Film, „der es wagt, sich auf komplexe Emotionen einzulassen, ohne sie zu zerreden. Der es sich erlaubt, Blicke wirken zu lassen und Schlüsselszenen aus unterschiedlichen Perspektiven zu zeigen, ohne sie zu kommentieren“. Und Prisma: „Mit diesem Drama erzählen (sie) anrührend und tragi-komisch das Schicksal einer betrogenen Frau und ein Stück jüngster deutsch-deutsche Zeitgeschichte“.

Spiegel-Autor Behls war besonders von Martina Gedeck und Sylvester Groth angetan: „Mit (ihr) muss man einfach mitfühlen, so wie sie die Frau spielt, die dem totalen Zusammenbruch ihres Lebensentwurfs zusieht. Sylvester Groth verkörpert einen Unsympathen, der so eiskalt ins Leere guckt“. Die Leistung von Martina Gedeck betonte auch Viktoria Urmersbach in der taz: „Martina Gedeck spielt diese Lotte (…) und sie spielt sie ganz fantastisch: Verlegen zupft sie ihre Nylonbluse zurecht, hinreißend unterwürfig kullern ihre Rehaugen, als sie Hermann (…) trifft“. Zu Sylvester Groth sagte Urmersbach: Seine Rolle „als ,Romeo‘ ist komplex, hervorragend. Auch er ist ein Verlierer, das Doppelleben hat sein Leben halbiert. Und der Darsteller nimmt seine Figur in Schutz vor Klischees“. Klaudia Brunst schrieb in der Berliner Zeitung: „,Romeo‘ ist ein von Hermine Huntgeburth brillant inszeniertes Fernsehspiel mit einer hervorragenden Martina Gedeck als Lotte und einem nicht minder sehenswerten Sylvester Groth als ihr ,Romeo‘ Hermann.“ Nicht nur Gedeck und Groth erhalten medialen Zuspruch. Rainer Tittelbach bezeichnete auch Katrin Bühring als „großes Talent“, die „in nichts der namhaften Kollegin (nachsteht)“. 

Klaudia Brunst (Berliner Zeitung) schlug außerdem einen Bogen zur Geschichte: „Denn es gab sie ja wirklich, diese ,Agentinnen aus Liebe‘, die von den Romeos der Stasi zum Landesverrat verführt wurden. Mindestens 40 Frauen haben dieses Schicksal tatsächlich erlitten, und Lotte ist prototypisch aus ihren Biografien zusammengesetzt“. Rainer Tittelbach zu diesem Thema: „Die Biographien der realen ,Agentinnen aus Liebe‘ verliefen tragischer: Einige wurden zu hohen Haftstrafen verurteilt, andere begingen Selbstmord. Das ZDF aber wollte keinen allzu deprimierenden Film machen, ohne dabei die Geschichte hinter der Geschichte zu verraten“. 

Kritisiert wurde lediglich die Kulisse, die für Urmersbach (taz) „fast schon zu perfekt“ war. Dabei verwies sie unter anderem auf ein Preisschild an einer Sofa-Häkelrolle, auf die Furnierholzküche und die Hollywoodschaukel und deren „seltsam zeitlose“ Wirkung.

Einige große Medien haben immerhin das Thema aufgegriffen. Im Tagesspiegel erzählte ein Stasi-Romeo seine Geschichte, und im MDR berichtete Markus Wolf, lange Chef dieser Agenten, von seiner Tätigkeit. Das ZDF griff das Thema in Terra X auf und der Spiegel illustrierte die Geschichte von Karl Laurenz, einem der ersten deutsch-deutschen Liebesspione, mit einer Fotostrecke. 

Auszeichnungen

Für Romeo bekam Ruth Toma den ver.di Fernsehpreis für das Beste Drehbuch sowie den Deutschen Fernsehpreis 2001 in der Kategorie Bestes Buch Fernsehfilm/Mehrteiler. Beim Adolf Grimme Preis 2002 gab es gleich mehrere Auszeichnungen: für den Film, für das Drehbuch, für die Regie und für die Schauspielleistung. Katrin Bühring wurde zudem der Sonderpreis der Deutschen Akademie der Darstellenden Künste 2001 verliehen.

Erinnerungsdiskurs

Romeo ist ein erster Höhepunkt der Welle an Stasi-Filmen, die Deutschland spätestens nach dem Oscar für Das Leben der Anderen(2006) überrollt hat. Hermine Huntgeburth wird hier auch in Sachen Romeo zur Vorreiterin. Es folgten Werke wie Romeo und Jutta (2009) oder die ZDF-Serien Deutschland 83 (2015) und Der gleiche Himmel (2017). Drehbuchautorin Ruth Toma: „Es ist schon eine perfide Idee, Staatsgeheimnisse mit Liebe zu erkaufen“ – und „(trotzdem) entbehrt es nicht grotesker Komik, wenn Stasi-Offiziere nicht mit Panzern und Granaten, sondern mit Charme und Potenz angerückt kommen“.

Der DDR-Geheimdienst wird in Romeo trotzdem zu einem Sündenbock und zum Hauptverantwortlichen für alle Übel der Geschichte – bis ins Private und bis in die Gegenwart. Rettung verspricht erst die nächste Generation – Julia, ein Vereinigungskind, das gar nicht wusste, wer seine Eltern eigentlich sind.   

Das letzte Wort sei Rainer Tittelbach überlassen: „Ein Film, der in politische Abgründe blicken lässt und der die Absurdität, wie Staatsräson mit der Banalität des Alltags verkuppelt wurde, verdeutlicht“.

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Ein ernster Blick auf das Thema Romeo-Agenten. Die Geschichte um Lotte hinterlässt ein Gefühl zwischen Verständnislosigkeit und Empathie und wirft zugleich die Frage auf, welchen Einfluss die Liebe auf das Handeln und Denken haben darf. 

Empfohlene Zitierweise

Romeo. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2024, https://ddr-im-film.de/de/film/romeo