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DEFA-Stiftung/Dieter Chill

Das Mädchen aus dem Fahrstuhl

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Das Mädchen aus dem Fahrstuhl
Erscheinungsjahr
1991
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
96 Minuten

Kurzbeschreibung

Der DEFA-Film Das Mädchen aus dem Fahrstuhl erzählt eine Geschichte über Jugendliebe und Erwachsenwerden in der späten DDR.

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der DEFA-Stiftung.

Schlagworte

Zeit
Schauplatz
Genre
Ereignisse

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Herrmann Zschoche wurde 1934 in Dresden geboren und begann seine Karriere als Assistent und Kameramann beim Fernsehen der DDR. Nach einem Regie-Studium in Babelsberg wurde er Regieassistent im DEFA-Spielfilmstudio. Der Name Zschoche steht für Kinder- und Jugendfilme sowie Alltagsgeschichten, die auch über die DDR hinaus Aufmerksamkeit erlangten. Zu seiner frühen Filmografie gehören Die Igelfreundschaft (1961) oder KARLA (1965). Dieser Spielfilm erzählt von einer Lehrerin, die Jugendliche dazu animiert, sich eine eigene Meinung zu bilden. Er wurde verboten und erlebte erst im Juni 1990 seine Uraufführung. Trotz seiner kritischen, ehrlichen und „schonungslosen“ Erzählweise (DEFA-Stiftung) kam Herrmann Zschoche in der DDR auf knapp 20 Filme. Bekannt geworden sind vor allem Insel der Schwäne (1982) und Sieben Sommersprossen (1978). Das Mädchen aus dem Fahrstuhl war sein letzter Film für die DEFA. Nach dem Fall der Mauer arbeitete er für öffentlich-rechtliche und private Fernsehsender und als Schriftsteller.

Drehbuch

Der Film Das Mädchen aus dem Fahrstuhl basiert auf dem gleichnamigen Roman von Gabriele Herzog aus dem Jahr 1985. Herzog wurde 1948 in Leipzig geboren, studierte Theaterwissenschaften und arbeitete als Dramaturgin für das Landestheater Halle, bevor sie eine Anstellung im DEFA-Studio für Spielfilme erhielt, wo sie auch Drehbücher realisierte. Ähnlich wie Zschoche produzierte sie Werke, die in der DDR auf Widerstand stießen. Als Beispiel ist hier ihr Roman Keine Zeit für Beifall (1990) zu nennen, in dem sie den Widerstand gegen den Abriss der Paulinerkirche am Leipziger Karl-Marx-Platz behandelt. Herzog schrieb auch Hörspiele, etwa Der Elefant im Krankenhaus (1989), für das sie den DDR-Kinderhörspielpreis 1990 erhielt.

Produktion

Produziert wurde Das Mädchen aus dem Fahrstuhl vom DEFA-Studio für Spielfilme. Zugeordnet werden kann das Werk der Künstlerischen Arbeitsgruppe Roter Kreis unter der Leitung von Konrad Wolf. Aufgrund fehlender Drehgenehmigungen konnte das Werk erst nach dem Fall der Berliner Mauer beendet werden.

Finanzierung

Die Kosten für Das Mädchen aus dem Fahrstuhl wurden vollständig von der DEFA gedeckt. Das Budget wurde nicht veröffentlicht. Die Digitalisierung wurde 2016 durch die Filmförderungsanstalt gefördert. Der Progress Film Verleih bekam hier für zehn Filme 150.000,00 Euro.

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DEFA-Stiftung

Der Erstverleih wurde vom Progress Film Verleih übernommen. Für den Weltvertrieb ist die Stiftung Deutsche Kinemathek zuständig. Es gab einen offiziellen Trailer. Filmplakat und DVD-Cover zeigen Regine (das Mädchen aus dem Fahrstuhl) mit ihrer ersten Liebe Frank, der durch sie beginnt, die DDR zu hinterfragen. Bonusmaterial wurde nicht veröffentlicht. Die SchulKinoWochen Berlin empfehlen den Film ab der neunten Klasse. Der Filmdienst sieht das ähnlich: ab 14 Jahren.

Filminhalt

Handlung

Frank besucht die zehnte Klasse. Die Schule fällt ihm leicht (er ist ein Mathe-Ass) und er wird als FDJ-Sekretär von seinen Mitschülern geschätzt. Auch das Verhältnis zu seinen Eltern ist gut. Als ein neues Mädchen in die Klasse kommt, die sogar im gleichen Haus auf der Berliner Fischerinsel wohnt, gerät sein Leben ins Wanken. Die beiden verlieben sich. Da Regine sich um eine alkoholkranke Mutter und um ihre Geschwister kümmern muss, fehlt sie oft in der Schule. Frank hilft ihr bei den Hausaufgaben. Regine möchte Kindergärtnerin werden, aber ihre Schulleistungen sind zu schlecht. Frank empfindet das als ungerecht und beginnt, das Bildungssystem der DDR zu hinterfragen. Als er aus der FDJ ausgeschlossen wird, riskiert er seine eigene Zukunft. Frank entscheidet sich dann doch für einen Platz an der TU Dresden und damit gegen Regine.

Zentrale Figuren

Frank (Rolf Lukoschek) – ein 16-jähriger Teenager, der ein konventionelles, mustergültiges Leben führt. Er hat ein Talent für Mathematik und ist technisch affin (repariert Computer, interessiert sich für das Programmieren). Als er Regine kennenlernt, verändert sich seine Welt. Er will ihr gefallen, ist großzügig (verkauft seine Uhr, um ihr eine neue Jacke zu schenken) und entdeckt seine männliche, erwachsene Seite: Frank macht sich für Regine stark, ist hilfsbereit und unterstützt sie bei den Hausaufgaben sowie in der Kinderbetreuung. Durch Regine beginnt er, das Bildungssystem der DDR zu hinterfragen, und gerät dabei selbst in eine Schieflage. Ein junger Mann, der sich am Ende für die Karriere in der DDR und gegen seine erste große Liebe entscheidet.

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DEFA-Stiftung/Dieter Chill
Frank (Rolf Lukoschek) und Regine (Barbara Sommer)

Regine (Barbara Sommer) – das Mädchen aus dem Fahrstuhl ist klug und schüchtern. Sie lebt in ärmlicheren Verhältnissen als Frank, obwohl sie im gleichen Haus wohnen. Regines Mutter ist alkoholkrank und liegt im Krankenhaus. Regine muss deshalb die Mutterrolle für ihre drei Geschwister übernehmen. Neben Haushalt, Kinderbetreuung und der ersten Liebe bleibt wenig Zeit und Ehrgeiz zum Lernen. Regine ist verletzlich, einsam und wirkt zerbrechlich. Mit Frank bekommt sie einen Beschützer. Im Gegensatz zu ihrem Freund ist sie jedoch pragmatisch veranlagt und weniger auf Status fokussiert (nimmt einen Job als Küchenhilfe an). Regine wird als eine junge Frau gezeigt, die für ihre Geschwister Verantwortung übernimmt und damit die Familie über ihre eigenen Wünsche stellt. Eine, die mit wenig zufrieden ist und trotzdem ein zufriedenes Leben in der DDR führt.

Gesellschaftsbild

Das Mädchen aus dem Fahrstuhl zeigt eine DDR, die aus unterschiedlichen sozialen Schichten besteht. Oben stehen dabei diejenigen, die das System stützen. Zum Dank gibt es Aufstiegschancen (Frank als FDJ-Sekretär und EOS-Anwärter), finanzielle Spielräume (Urlaub!) und Zugang zu Konsumgütern (teure Uhr, Essen im Restaurant). Frank steht für diese gut bürgerlichen Verhältnisse, beginnt aber, das System zu hinterfragen, als er Regine kennenlernt, die in ganz anderen Verhältnissen zurechtkommen muss. In Zschoches Film-DDR wird eine eigenständige Meinung durchaus geschätzt. „Eigentlich gefällt er mir so“, sagt Franks Mutter.

Unten stehen in dieser DDR die, die den sozialistischen Normen nicht entsprechen und so entweder in eine Sucht abdriften oder schlechte Zensuren haben und keinen Ehrgeiz. Es gibt zwar ein Recht auf Arbeit, der Beruf aber hängt von den Leistungen in der Schule ab oder von einer Parteimitgliedschaft. Regine ist durch ihre Familiengeschichte unmittelbar betroffen: Sie darf keine Ausbildung zur Kindergärtnerin absolvieren. Dass ihre Mutter vier Kinder von vier Männern hat und einer von ihnen Regine mit Gewalt begegnet, spricht für soziale Probleme.

Die Schule ist bei Herrmann Zschoche ein hierarchischer Ort, der keinen Raum für Kritik bietet, auch wenn sich das Franks Mutter wünscht. Außerdem wird eine allgemeine Frage aufgeworfen: Wie relevant ist der Schulstoff für das Leben und was erzählen die Bewertungen über Stärken und Schwächen junger Menschen? „Zensuren sagen nicht, ob man eine gute Kindergärtnerin ist“. Den Staat verkörpert in diese Schule die Jugendorganisation FDJ. Wer dort ausgeschlossen wird, verliert Freundschaften und Zukunft.

In dieser DDR steht der Mangel (Frank schenkt Regine aufgrund der Knappheit „nur eine einzige (kleine)“ Blume) neben dem Fortschritt (Computer, Technik). Der Fahrstuhl ist dabei eine Metapher: Er verbindet die Welten, materiell und sozial. Der Westen spielt für Zschoche keine Rolle – ein markanter Unterschied zu den Filmen der Nach-DEFA-Zeit.

Ästhetik und Gestaltung

Es gibt viele nahe und halbnahe Aufnahmen, die das Innenleben der Protagonisten abbilden, die Vielschichtigkeit der Beziehungen herausarbeiten und den Einzelnen aus der Gesellschaft herausheben.

Dominierende Farben sind gedeckte und braune Töne, die die Einfachheit der Zeit spiegeln. Die Uniformen der FDJ heben sich nicht von diesem Farbschema ab – im Gegensatz zur bunten (wenn auch farblich gedämpften) Alltagskleidung, die ebenfalls im Schulkontext getragen wird. Das heißt: Es gibt Individualität abseits der Uniformen. Die Einrichtungen stehen für die sozialen Milieus. Obwohl Frank und Regine in einem Haus leben (in der DDR!), unterscheiden sich die Wohnungen erheblich. Während bei Frank alles gut bürgerlich und hell eingerichtet ist (beige-weiße Tapete, Musik-Rekorder), ist bei Regine alles einfacher und mit gedeckten Farben (braun) ausgestattet.

Filmästhetisch standen die Macher vor einer Herausforderung, da Das Mädchen aus dem Fahrstuhl rund um den Fall der Mauer gedreht wurde: „Das gestürzte Land verschwand optisch rasant, täglich drehten wir gegen ein sich veränderndes Stadtbild an“ (Autos, Kleidung, Werbung) (Der Freitag).

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Die Drehzeit hatte Folgen für die Authentizität. Kameramann Dieter Chill im Freitag: Wie „erzählt man Vergangenheit, wenn sie noch eine unvollendete Gegenwart ist?“ Und: „Den Film zu machen, hieß auch, sich der eigenen Geschichte zu stellen, abzubilden, was man gerade loswurde, und dabei zugleich eine unwissende Erzählperspektive einzunehmen – wodurch wir immer wieder in surreale Drehsituationen gerieten“.

Dieter Chill vermutete in diesem Text, dass Herrmann Zschoche sich zum Teil selbst in der Rolle des Frank gesehen habe und seine eigene Geschichte damit verarbeiten wollte – als „unelitärer Künstler, der sich als Teil der Gesellschaft sah, in der er lebte“. Bei den vielen Beteiligten aus der DDR mag es auch so nicht verwundern, dass der Film authentisch wirkt und direkt aus dem Leben der Figuren entsprungen zu sein scheint. Das zeigt sich besonders bei der Darstellung der Alltagswelten und der überzeugenden Ensembleleistung, etwa im Schulkontext oder bei der produktiven Arbeit im Verpackungsmittelwerk Berlin.

Rezeption

Reichweite

Die Uraufführung fand am 10. Januar 1991 im Berliner Progress-Clubkino Felix statt, Anlaufdatum in den Kinos war dann der nächste Tag. Im Fernsehen scheint der Film auch 30 Jahre später noch nicht gezeigt worden zu sein. Immerhin wurde er nach der Verleihung der Berlinale Kamera am 10. Februar 2019 als Berlinale Special gezeigt. Das Mädchen aus dem Fahrstuhl gibt es auf DVD und auf YouTube.

Rezensionen

Die Leitmedien haben Das Mädchen aus dem Fahrstuhl weitgehend ignoriert. Für den Filmdienst handelt es sich um eine „durch gelegentlichen Wortwitz auffallende, inszenatorisch behäbige Alltagsgeschichte, die westlichen Zuschauern Einblick in die Gleichschaltungsmaschinerie in der DDR gibt“. In der Wochenzeitung Freitag berichtete Dieter Chill, Kameramann bei Das Mädchen aus dem Fahrstuhl, von den Dreharbeiten. „Kaum, dass wir im Auto saßen, verkündete der Produktionsfahrer – aufgewühlt und noch im Zweifel, richtig verstanden zu haben – die Neuigkeit des Tages“: die Grenzöffnung. Chill zufolge hat sich das Team vor allem um die Legitimation des Films Sorgen gemacht. „Offene Kritik, Diskussionen und Demonstrationen waren auf einmal an der Tagesordnung, sodass die gesellschaftskritische Grundidee unseres Films (…) mit jedem Tag an Brisanz verlor.“ Chill berichtete zugleich über die Sonderrolle Zschoches als kritischer DDR-Regisseur: Obwohl er „eher Unruhe stiftende als explizit systemkritische Stoffe realisiert hatte, bekam er immer wieder Probleme mit seinen Filmen. Dabei war es ihm um Offenheit gegangen und nicht um Subversion“. Das Mädchen aus dem Fahrstuhl sei ein Beispiel für die „kafkaesken Winkelzüge der DDR-Kulturpolitik“, da der Film aufgrund einer fehlenden Drehgenehmigung im Wortsinn zu spät produziert worden sei.

Dieses Thema hat auch Heinz Kersten vom Verein Kinderkino München in der Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz beschäftigt: Nach Gegenstimmen aus der DEFA-Direktion hätte der Regisseur Mühe gehabt, „milieuecht zu bleiben und keine neuen West-Reklamen vor die Kamera“ zu kriegen. Kersten erwähnt zudem die unterschiedlichen sozialen Milieus in der DDR, die in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl aufgegriffen werden: „Wie schon manch früherer DEFA-Film macht auch dieser noch einmal deutlich, dass es auch in der DDR ein Oben und Unten gab“.

Auf der Website der SchulKinoWochen Berlin kann man lesen, dass der Film zwei Perspektiven verknüpft: den „historischen Blick auf ein Land und seine Strukturen, das sich zur Entstehungszeit des Films im Umbruch befand“, und „im Brückenschlag zu Heute den gegenwärtigen Blick auf unsere Gesellschaft, in der wir lehren, lernen und leben“.

Wissenschaftliche Aufarbeitung

Wissenschaftlich wurde Das Mädchen aus dem Fahrstuhl nur vereinzelt aufgegriffen. So erwähnen Peter Glass (1999: 281), Renate Holland-Moritz (2005) und das Defa-Lexikon von Frank-Burkhard Habel (2017) den Film. Herrmann Zschoche (2002: 180) hat sich allerdings selbst geäußert – auch zur Kritik.

Erinnerungsdiskurs

Herrmann Zschoche spricht mit Das Mädchen aus dem Fahrstuhl gesellschafts- und bildungspolitische Themen an, die in der DDR als kontrovers galten. Da der Film rund um den Mauerfall gedreht wurde und erst nach der Wiedervereinigung in die Kinos kam, erhielt er jedoch kaum (mediale) Aufmerksamkeit. Kameramann Dieter Chill im Freitag: Das Werk sei zwar „zur Veröffentlichung zugelassen, gesehen hat den Film (aber) – wie Karla, der verboten worden war – niemand“.

Das Mädchen aus dem Fahrstuhl liefert einen Zugang zur DDR, der quer zum hegemonialen Diktaturgedächtnis und den klassischen Stereotypen liegt. Der Westen spielt in diesem Film keine Rolle – weder als Sehnsuchtsort und Fluchtziel noch als Befreier. Herrmann Zschoche zeigt, wie in diesem Land um Rede- und Meinungsfreiheit gerungen wurde und um eine Wirklichkeit, die längst nicht immer den sozialistischen Idealen entsprach. Zugleich sehen wir, dass in diesem Land durchaus gut gelebt werden konnte. Es gab Bildung, berufliche Chancen und Freundschaften.

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Das Mädchen aus dem Fahrstuhl ist ein Jugendfilm, der einen kritischen Blick auf das Bildungssystem der DDR wirft und dabei von einer ersten großen Liebe erzählt, ohne in Kitsch abzudriften. Es geht um Toleranz und Mut, um Stärke und Schwäche. Zschoches Werk ist sehenswert und fesselnd.

Literatur

Frank-Burkhard Habel: Das große Lexikon der DEFA-Spielfilme. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017

Herrmann Zschoche: Sieben Sommersprossen und andere Erinnerungen. Berlin: Das Neue Berlin 2002

Peter Glass: Kino ist mehr als Film: die Jahre 1976-1990. Berlin: AG Verlag 1999

Renate Holland-Moritz: Die Eule im Kino: neue Filmkritiken 1991 bis 2005. Berlin: Karl Dietz 2005

Empfohlene Zitierweise

Das Mädchen aus dem Fahrstuhl. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2024, https://ddr-im-film.de/index.php/de/film/das-maedchen-aus-dem-fahrstuhl