Die Stille nach dem Schuss
Inhalt
- Kurzinformationen
- Filmdaten
- Kurzbeschreibung
- Schlagworte
- Entstehungskontext
- Beteiligte
- Filminhalt
- Handlung
- Figuren
- Gesellschaftsbild
- Ästhetik und Gestaltung
- Strategien der Authentizitätskonstruktion
- Rezeption
- Reichweite
- Rezensionen
- Auszeichnungen
- Wissenschaftliche Aufarbeitung
- Einordnung in den Erinnerungsdiskurs
-
Empfehlung des Autors
- Literatur
Entstehungskontext
Beteiligte
Volker Schlöndorff, geboren 1939 in Wiesbaden. 1980 ausgezeichnet mit dem Oscar für Die Blechtrommel (1979). Nach dem Fall der Mauer zog er in den Osten und leitete von 1992 bis 1997 die Filmstudios Babelsberg. Als er 2008 im Tagesspiegel seine Vorgänger kritisierte („Die DEFA-Filme waren furchtbar.“), gab es Protest. Auch die Ostalgie hat Schlöndorff kritisiert (Deutsche Welle). Die DDR ist für ihn ein „Unrechtsstaat“. Spiegel Online sagte er zum Film Die Stille nach dem Schuss: „Eine linke Anarchistin, die sich in einem ‚Unrechtsstaat‘ wohlfühlt, das ist das Paradox und das Thema des Films.“ Er selbst hegte einst Sympathien für die linke Studentenbewegung 1968 (Spiegel) und setzte sich für bessere Haftbedingungen der RAF-Mitglieder ein (Süddeutsche Zeitung).
Wolfgang Kohlhaase (Drehbuch mit Volker Schlöndorff), geboren 1931 in Berlin. Hat in der DDR gelebt und gearbeitet. Als Drehbuchautor war er für die DEFA tätig und realisierte dabei unter anderem mit Regisseur Konrad Wolf bedeutende Filme wie Ich war Neunzehn (1968). Mit Frank Beyer arbeitete er am Film Der Bruch (1989), die erste Koproduktion zwischen Ost- und West-Deutschland. 2018 beklagte er in einem Interview mit dem MDR die „törichte Omnipotenz der Politik“ als enormes Problem für die Kunst der DDR. Er selbst war in den 1960er Jahren bei den Arbeiten am Projekt Berlin um die Ecke (1965/1990) von Zensurmaßnahmen betroffen. Nach der Wende, die er für sein Schaffen nicht nur positiv sieht („Die Wende war auch eine Krise“, MDR-Interview), blieb er Drehbuchautor. Erwähnenswert ist die Zusammenarbeit mit Andreas Dresen, aus der unter anderem die Komödie Sommer vorm Balkon (2005) hervorging.
Die fiktive Figur Rita Vogt ist an drei Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) angelehnt: Inge Viett, Silke Maier-Witt und Susanne Albrecht. Dies führte zu einem Urheberrechtsstreit mit Inge Viett, die viele Elemente aus ihrer Autobiografie zu erkennen meinte. Regisseur Schlöndorff hat die Nähe zu den drei Biografien in einem Interview mit Margret Köhler bestätigt. Gleichzeitig sagte er dem Tagesspiegel, dass es nicht das Ziel gewesen sei, eine „‚wahre Geschichte‘“ zu erzählen: „Ein Spielfilm ist immer eine Fiktion, und wenn ich zehnmal behaupte, so ist es gewesen.“
Die Produktion wurde von Babelsberg Film übernommen, einem der größten Studiokomplexe Europas und historisch mit der DDR verknüpft. Hier entstanden Filme wie Sonnenallee (1999), Bridge of Spies (2015) oder Traumfabrik (2019). In einem Interview mit Margret Köhler hob Schlöndorff das Engagement des MDR hervor, der mit seiner Tochter Mitteldeutsches Filmkontor als Koproduzent fungierte: Erst durch die öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt habe das Projekt, das seit 1993 in Arbeit war, umgesetzt werden können.
Produzenten: Friedrich-Carl Wachs, Arthur Hofer, Emmo Lempert
Volker Schlöndorff sagt auf der Website des Deutschen Filminstituts: „Zwei Tabus [Stasi und Terrorismus] in einem Film: Das war dem Fernsehen, den Verleihern und den Förderern zu viel. Es sollte sechs Jahre dauern, bis meine Nachfolger im Studio [Babelsberg], Friedrich-Carl Wachs und Andreas Hofer, sich des Projektes annahmen und es ausgerechnet mit dem MDR in Leipzig produzierten.“ Emmo Lempert, der dritte Produzent, arbeitet vor allem für das Fernsehen.
Erschienen im Arthaus Filmverleih, wurde Die Stille nach dem Schuss von zwei öffentlichen Förderinstitutionen mit insgesamt 1,1 Millionen Euro unterstützt. Das Filmbudget belief sich laut Spiegel auf knapp fünf Millionen Deutsche Mark (rund 2,5 Millionen Euro).
Mitteldeutsche Medienförderung |
|
766.938 € |
|
102.258 € |
|
10.226 € |
|
Filmboard Berlin-Brandenburg (heute Medienboard Berlin-Brandenburg) |
|
Gesamtsumme |
200.000 € |
Für die Digitalisierung gab es 2013 von der Filmförderungsanstalt (FFA) 14.016 Euro.
Zur Berlinale-Premiere 2000 wurde vom Arthaus Filmverleih ein Presseheft bereitgestellt. Auf filmportal.de kann man den Trailer von damals sehen. Das Motiv vom Filmplakat ziert auch die Erstausgabe der DVD/VHS.
Filminhalt
Handlung
„Das waren die heiteren Jahre“, kommentiert Protagonistin Rita Vogt den beinahe komödiantisch inszenierten Banküberfall, dem wir in der Anfangssequenz von Die Stille nach dem Schuss beiwohnen. Weiter geht es in den 1980ern. Die Gruppe um Andreas Klein schreckt auch vor Mord nicht mehr zurück. Als ein Ausbruch misslingt, bleibt nur die Flucht in die DDR. Man wehrt sich noch ein bisschen, aber Rita bleibt nach einem Polizisten-Mord in Paris keine Wahl. Sie bleibt als „Susanne Schmidt“ in der DDR und arbeitet beim Modedruck. Die Stimmung im Betrieb ist allerdings schlecht und von Streit geprägt. Rita freundet sich mit Tatjana an und hilft ihr, den Frust nicht weiter in Alkohol zu ertränken. Als die Tarnung der Terroristin aufzufliegen droht, wird Rita in eine andere Stadt verlegt und heißt jetzt „Sabine Walter“. Tatjana wird als Mitwisserin von der Stasi eingesperrt. Beim Kinderferiensommer an der Ostsee beginnt Rita eine Affäre mit Jochen und trifft zufällig auch Frederike wieder, eine zweite Ex-Terroristin aus dem Westen. Frederike hat Familie, aber glücklich ist sie nicht. Auch Rita bleibt die private Erfüllung verwehrt. Die Stasi verbietet ihr, mit Jochen in die Sowjetunion zu gehen. Dann kommt die Wende und alles fliegt auf.
Zentrale Figuren
Rita Vogt (Bibiana Beglau). Ursprünglich aus Liebe zu Anführer Andreas Klein in die Gruppe eingetreten, hat Rita die Grundsätze der „antiimperialistischen Bewegung“ verinnerlicht. Nach der Flucht wird allerdings deutlich, dass sich ihre Träume von der DDR-Realität unterscheiden. Rita sah dieses Land als „einen großen Versuch, eine Revolution“ und merkt nun, dass dieser Versuch gescheitert ist.
Andreas Klein (Harald Schrott). Klischee des kompromisslosen, gewalttätigen und egoistischen Anführers einer Terrorzelle, dessen Überzeugungen nur noch als Alibi fungieren. Wenn man so will: die Antithese zu Rita und ihrem Idealismus. Aus Spaß schießt Klein mit einer Panzerfaust auf ein Auto, in dem ein Spürhund sitzt. Geldbündel und Designeranzüge passen nicht mehr zu Rita und den Idealen von einst. Klein lehnt es ab, als Arbeiter in der DDR zu leben.
Erwin Hull (Martin Wuttke). Charmant und diplomatisch versucht Erwin Hull, der DDR durch seine Arbeit bei der Staatssicherheit zu dienen. Mit großem Aufwand unterstützt er die in der BRD gesuchten Terroristen. Dabei schreckt er nicht davor zurück, Menschen einzusperren, die Ritas Identität kennen. Die Ideologie eint die beiden. Am Ende liefert er Rita nicht aus, sondern verhilft ihr zur Flucht. Privat wird der mächtige Hull als Witzfigur und Ja-Sager inszeniert.
Tatjana (Nadja Uhl). Tatjana fühlt sich in der DDR unwohl und trinkt deshalb. In der „exotischen“ Rita findet sie eine Person, die sie vermeintlich versteht und sich um sie kümmert. Tatjana verwechselt Zuneigung mit Liebe. Als Ritas neue Identität auffliegt, werden die beiden Frauen getrennt. Ihre Mitwisserschaft bringt Tatjana in eine Gefängniszelle.
Frederike Adebach (Jenny Schily). Als Referendarin hat Frederike beste Aussichten in der BRD. Sie wird trotzdem Terroristin, um das kapitalistische System zu verändern. Schockiert muss sie feststellen, dass auch Mord dazugehört. Wie Rita geht sie mit einer neuen Identität in die DDR. Ihr fröhliches Familienleben ist allerdings nur eine Fassade, in Wirklichkeit ist sie von Stasi und Ehemann abhängig und unglücklich. Frederike wird doppelt enttäuscht: vom skrupellosen Vorgehen der Gruppe in der BRD und von der Realität der DDR.
Gesellschaftsbild
Die Film-DDR ist kein Land, in dem man leben möchte. Schon früh steht die Vermutung im Raum, dass „die Luft ein bisschen raus“ sei aus dem sozialistischen Projekt. Mädchen wie Rita und Frederike gebe es dort gar nicht. Rita verkörpert dann das Ideal – und scheitert an der Realität. Ihre Großzügigkeit (zehn Mark für Nicaragua), ihre Zuneigung für Menschen in Problemsituationen (die Alkoholsucht Tatjanas) und ihr Einsatz (ein ambitionierter Plan für den Kinderferiensommer) werden mit Argwohn bedacht. Die Frauen sind feindselig und eifersüchtig – auf Ritas Westvergangenheit, auf ihre Beziehung zu Jochen. Sie hingegen applaudiert freudig, als Kolleginnen ausgezeichnet werden. Auch Tatjana, die sich die Haare färbt und Rockmusik mag, wird Häme entgegengebracht. Man mag die DDR und ihre Institutionen nicht und würde das Land lieber heute als morgen verlassen. Freude gibt es nur im Privaten. Auch mit der Emanzipation der Frau ist es nicht weit her. Jochen macht Rita einen Heiratsantrag, weil er eine berufliche Chance wahrnehmen möchte. Sie hingegen soll vor allem eine Aufgabe erfüllen: Die Mutter seiner Kinder sein.
Ästhetik und Gestaltung
Grün und Grau – das sind die Farben der Film-DDR (Lüdeker 2015: 70). Das gilt auch für Die Stille nach dem Schuss, ergänzt durch Brauntöne. Das fällt besonders auf, wenn plötzlich doch einmal Farbe ins Spiel kommt – Rita im roten Kleid auf der Tanzfläche (Abb. 3) oder Tatjana in einem roten Oberteil beim Verhör (Abb. 2). Die Farbe ist in diesen Szenen Programm. Rita hebt sich durch Energie und Zuversicht ab und Tatjana durch ihre Weigerung, mit der Staatssicherheit zusammenzuarbeiten.
Auffallend ist auch, dass die Terrorristen bei ihrem Gefängnisausbruch graue und braune Mäntel tragen. Sie haben also schon im Raum „Bundesrepublik“ ihren eigenen DDR-Raum geschaffen. Ihr Wagen trägt die Farben der DDR-S-Bahn. Oben weiß, unten rot: In diesen Farben fährt Frederike in die DDR und später im Reisebus des Kulturensembles unglücklich durch das Land.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Schlöndorff erläuterte im Spiegel: „Wir erzählen Emotionen und mussten daher etwas erfinden, das möglichst viel Wahrheit enthält.“ Die Stille nach dem Schuss hat ein ambivalentes Verhältnis zur Authentizität. Es gibt Alltags-Token wie Thüringer Rostbratwurst und Radeberger Bier. Gleichzeitig sind alle Figuren fiktiv und Institutionen sowie Gruppierungen namenlos. Dadurch ist es nötig, wenigstens authentisch zu wirken. Es gibt deshalb zahlreiche Hinweise, was und wer geeint ist. Der Film bombardiert uns gleich zu Beginn im Sekundentakt mit historischer Bedeutsamkeit: Zeitungsausschnitte über die Ermordung Benno Ohnesorgs 1967, (linke) Musik aus der Zeit, eine Büste von Marx. Die RAF, natürlich. Die Abhörgeräte lenken uns dann zum DDR-Geheimdienst. Dass es um dieses Land geht, wird durch Plattenbauten deutlich. Genannt wird allerdings nur Berlin. Eine Szene an der Ostsee spielt zum Beispiel in Göhren auf Rügen (am Kurpavillon und am Strand). Um das zu sehen, muss man den Ort jedoch kennen. Auch die Zeit bleibt vage. Tatjana hört zum Beispiel das Lied EKG der Band Silly, das 1986 veröffentlicht wurde.
Rezeption
Reichweite
Weltpremiere feierte Die Stille nach dem Schuss am 16. Februar 2000 auf der Berlinale. Am 14. September 2000 kam der Film dann in die deutschen Kinos. Verkauft wurden 137.532 Tickets – Platz 131 der Jahrescharts. Die Erstausgabe der DVD/VHS wurde am 5. Juni 2001 veröffentlicht. Es folgten eine DVD 2009 im Rahmen der Spiegel-Reihe „Edition Deutscher Film“, eine DVD-Version von Zweitausendeins und eine Director’s Edition auf Amazon. Die deutsche TV-Erstausstrahlung erfolgte am 8. September 2003 auf Arte.
Rezensionen
In der Zeit sah Georg Seeßlen nach enttäuschenden dreißig Minuten „einiges vom Besten (…), was der deutsche Film derzeit zu leisten imstande ist“. Seeßlen fand aber auch dort Klischees und eine vertane Chance (auf eine Gemeinschaftserzählung aus Ost und West). Hanns-Georg Rodek (Welt) dagegen kann der emotionalen Distanz etwas abgewinnen: „Das wäre normalerweise ein schlimmes Defizit, doch in diesem Fall muss man sich die Alternative überlegen (…). Wenn ein Film sich so vollständig auf eine Protagonistin konzentriert, gerät sie leicht zur Identifikationsfigur.“ Rodek selbst erinnert sich anders an RAF und DDR: „Das heißt nicht notwendigerweise, dass es falsch ist; vielleicht nur, dass wir unsere Erinnerung korrigieren sollten.“ Eine Möglichkeit also, sich nochmals mit der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Ähnlich argumentiert Christian Bartels im Spiegel, der Die Stille nach dem Schuss zwar hinsichtlich Drehbuch und Produktion kritisiert, dem Film aber hoch anrechnet, dass er Diskussionsstoff biete.
H.G. Pflaum schreibt in der Süddeutschen Zeitung (18. Februar 2000, S. 16), dass Kohlhaase und Schlöndorff es schaffen würden, die notwendige Diskussion über die deutsche Geschichte anzuregen. RAF und DDR würden nicht offensichtlich verurteilt, Rita gar sympathisch dargestellt. Erst bei genauerer Betrachtung würden die Widersprüche der Ideologien sichtbar. Auch Martin Mund vom Neuen Deutschland würdigt die offene Herangehensweise an die Charaktere, die Figuren würden differenziert betrachtet. Der Hauptfigur mangele es allerdings an Tiefe.
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung (Andreas Kilb, 14. September 2000, S. 49) sah die Stärken des Films in den DDR-Phasen, weil es hier um eine Figur gehe, die sich selbst verleugnen muss und damit auch um eine Abrechnung mit der RAF: „Der sozialistische Kleingarten, der seine Bewohner mit Grenztruppen und Stacheldraht vor der Außenwelt abschirmte, sieht bei Schlöndorff aus wie die albtraumhafte Verwirklichung jener utopischen Plattheiten, die Klatte, Klein und Genossen in ihren konspirativen Wohnungen herunterleiern.“
Ralf Blau (cinema) würdigte die Ästhetik. Er sieht in dem Film die „cineastische Wiedervereinigung“, da er BRD- als auch DDR-Tradition vereine: „den gesellschaftspolitischen Anspruch des westdeutschen Autorenfilms und die lebensnahe Atmosphäre der ostdeutschen Defa-Produktionen.“ Gleichzeitig kritisiert Blau die geringe psychologische Tiefe der Figuren. Marie Anderson (Kino-Zeit) lobt hingegen, dass Schlöndorff „Augenblicke von bewegender Emotionalität und Zerrissenheit“ gelingen würden. Die Stille nach dem Schuss konzentriere sich vor allem auf das private Leben der Terroristin. Dabei verzichte er „bewusst“ auf eine direkte „Auseinandersetzung seiner Protagonisten mit der Verantwortung für ihre Haltungen und Handlungen“.
Auszeichnungen
Preis |
Kategorie |
Ausgezeichnet |
Silberner Bär (Berlinale 2000) |
Beste Darstellerin |
Bibiana Beglau und Nadja Uhl |
Der Blaue Engel (Berlinale 2000) |
Bester europäischer Film |
Die Stille nach dem Schuss |
Golden Camera 300 (Manaki Brothers Film Festival 2000) |
Kamera |
Andreas Höfer |
Prädikat (Deutsche Film- und Medienbewertung) |
Die Stille nach dem Schuss |
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Texte, in denen Die Stille nach dem Schuss im Zentrum der Analyse steht, sind selten (beispielsweise Thesz 2010 und William 2005). In Überblickstexten wird der Film jedoch erwähnt (vgl. Dell 2005 und Lüdeker 2015). Auch die Bedeutung Volker Schlöndorffs für den deutschen Film (vgl. Jacobsen et al. 2004, S. 350-352) sowie die Parallelen zum Film Die verlorene Ehre der Katharina Blum (1975) werden diskutiert (vgl. Renner 2010).
Erinnerungsdiskurs
Die Stille nach dem Schuss zeigt eine DDR, die ausgebrannt ist. Trotz charismatischer Figuren und Ritas Idealismus bedient der Film klassische Kriterien einer Diktaturerzählung: Die Bürger sind unglücklich und wollen mehr Freiheit. Die Stasi verhaftet Unschuldige und schwankt zwischen Überheblichkeit und Inkompetenz. Rita nimmt die Unzufriedenheit ihrer Mitmenschen zwar wahr, kann sie aber nicht verstehen. Ihr Leben ist dabei eine Parabel auf die DDR-Geschichte: Rita wird von der guten Samariterin (das von der Bank erbeutete Geld verschenkt Rita am Anfang des Films an einen Obdachlosen) zur Mörderin. Auch die wiedervereinigte Bundesrepublik kommt allerdings nicht gut weg. Rita spricht in der Betriebskantine von Unbarmherzigkeit. Und als sie erschossen wird, hören wir die Nationalhymne.
Empfehlung
Empfehlung des Autors
Die Stille nach dem Schuss wagt einiges: zwei sensible Themen (RAF und DDR), sympathische Stasi-Leute und eine Terroristin als Protagonistin. Schlöndorff schafft es, nicht zu verurteilen und trotzdem die Widersprüche der Ideologien zu zeigen. Der Film lebt allerdings auch von Klischees und Komplexitätsreduktion und wirkt zeitweise etwas hölzern und emotionslos.
Literatur
Matthias Dell: Der filmische Osten. Das Bild der DDR im deutschen Kino nach ihrem Ende. In: Ralf Schenk, Erika Richter und Claus Löser (Hrsg.): apropos: Film 2005. Das Jahrbuch der DEFA-Stiftung. Berlin: Bertz und Fischer 2005, S. 65-76
Fritz Göttler: Das Tor war nie offen. Volker Schlöndorff und Wolfgang Kohlhaase über Kartoffeln, Ideen und Terroristinnen. In: Süddeutsche Zeitung vom 14. September 2000, S. 18
Wolfgang Jacobsen, Anton Kaes, Hans Helmut Prinzler (Hrsg.): Geschichte des deutschen Films. 2. Auflage. Stuttgart: Metzler 2004
Gerhard Jens Lüdeker: DDR-Erinnerung in gegenwärtigen deutschen Spielfilmen: Vom Dissens zum Konsens. In: Hans-Joachim Veen (Hrsg.): Das Bild der DDR in Literatur, Film und Internet: 25 Jahre Erinnerung und Deutung. Wien: Böhlau 2015, S. 59-80
Rolf G. Renner: 1989 und die Folgen. Deutsche Gegenwartsgeschichte im Nachwendefilm. In: Pandaemonium germanicum 2010, S. 22-52
Nicole Thesz: From Jugendbewegung to RAF: Youth, Friendship, and Protest in Post-Wall German Cinema. In: Studies in 20th & 21st Century Literature 34. Jg. (2010), S. 23-46
Jennifer Marston William: When West Meets East and Decides to Stay: Shared Historical Experience in Volker Schlöndorff's Die Stille nach dem Schuss (The Legend of Rita, 2000). In: German Studies Review 28. Jg. (2005), Nr. 1, S. 127-140
Empfohlene Zitierweise