Heimweh nach drüben

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Heimweh nach drüben
Erscheinungsjahr
2007
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
89 Minuten

Kurzbeschreibung

Stephan Busemann ist ein DDR-Bürger, der nach einer Familienfeier im Westen nicht mehr zurückdarf. Er gilt als Fluchthelfer und gerät zwischen die Geheimdienste. Stephan versucht alles Mögliche, um in seine Heimat und zu seiner Verlobten zu kommen.

Schlagworte

Schauplatz

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Hajo Gies wurde 1945 in Lüdenscheid geboren. Er studierte erst Soziologie und ab 1967 dann an der gerade gegründeten Filmhochschule München. Seine Abschlussarbeit hieß Nocturno (1972) und lief bei den Filmfestspielen in Locarno. Gies drehte einige Tatort-Folgen, die vereinzelt Bezüge zur DDR aufweisen – wie Gebrochene Blüten (1988). Heimweh nach drüben ist sein erstes Werk, das die deutsch-deutsche Geschichte in den Fokus rückt.

Drehbuch

Das Drehbuch wurde von Uwe Wilhelm, Peter Gust und Hans-Werner Honert entwickelt. Alle drei haben bei den TV-Krimis Tatort oder Polizeiruf 110 mitgewirkt. Wilhelm ist Drehbuchautor und Schriftsteller. Werke wie Die Tote im Wannsee (2018) oder Teufelsberg (2020) erzählen von Kommissar Wolf Heller, der in den 1960er Jahren in Westberlin Morde aufdeckt – mit einer Verbindung zur DDR.

Produktion

Gust und Honert sind auch Produzenten von Heimweh nach drüben. Honert wurde in Leipzig geboren, hat in Moskau studiert, war in der SED und ab 1976 Regisseur beim DDR-Fernsehen. 1995 bis 2012 war er Geschäftsführer der Saxonia Media Filmproduktion, die auch diese Geschichte produzierte.

Finanzierung

Es handelt sich um einen MDR-Auftrag. Das Budget wurde nicht veröffentlicht.

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Der Verleih Kinowelt Home Entertainment brachte Jahr 2007 eine DVD in den Handel. Auf dem DVD-Cover blickt Stephan Busemann nach „drüben“. Mit dem Ballon (im Hintergrund) möchte er zurück in die DDR. Es gibt einen Trailer. Erstausstrahlung im Ersten war am Tag der Deutschen Einheit (3. Oktober 2007). Der Film kann inzwischen auch gestreamt werden.

Filminhalt

Handlung

Heimweh nach drüben erzählt vom DDR-Bürger Stephan Busemann, der ein paar Tage vor seiner Hochzeit zum 50. Geburtstag seines Bruders in den Westen reist. Stephan weiß nicht, dass Sohn und Schwiegertochter das Land mit einem Heißluftballon verlassen wollen. Er gilt trotzdem als Fluchthelfer und darf nicht zurück in den Osten. Im Westen können die Menschen nicht nachvollziehen, warum Stephan in die DDR möchte. Sein Sohn schreibt zwar an Honecker, aber auch das hilft nicht: Jetzt hält ihn der BND für einen Spion. Also nutzt Stephan den alten Ballon für die Rückfahrt. Doch damit nicht genug der Irrungen und Wirrungen: Seine Braut hat mittlerweile einen Weg gefunden, in den Westen einzureisen. Sie sagt im Fernsehen, dass sie bleiben wird. Für ein Happy End braucht es den Fall der Berliner Mauer.

Zentrale Figuren

Stephan Busemann (Wolfgang Stumph) ist ein Lebemann, der alles besorgen kann. Er ist in der DDR verwurzelt – im Gegensatz zu seinem Bruder Hubert. Der Osten ist seine Heimat und Eva seine große Liebe. Ein Sachse, der nicht in den Westen will.

Eva Linde (Katrin Sass), Bürgermeisterin und Parteimitglied, ist die Verlobte von Stephan. Zuerst linientreu und überzeugt, will sie später nicht mehr zurück in die DDR.

Hubert Busemann (Jürgen Tarrach) ist der Bruder von Stephan und schon lange im Westen. Kann nicht verstehen, warum Stephan zurück in seine Heimat möchte. Mitglied der Christlichen Partei Deutschlands (CPD) und Bürgermeisterkandidat in Bad Hersberg. Nutzt Stephans „Flucht“ für seine Werbekampagne.

Gesellschaftsbild

Heimweh nach drüben zeigt zwei deutsche Staaten, in denen die Familien einigermaßen intakt sind und in denen die ganz persönlichen und privaten Interessen nicht von der Politik zu trennen sind. Die innerdeutsche Grenze kann weder Stephans Verhältnis zu Bruder und Sohn etwas anhaben (obwohl der Vater einerseits nichts von den Fluchtplänen weiß, aber andererseits auch nichts von seiner Hochzeit erzählt hat) noch der Liebe zu Eva. Die Brüder halten zwar zusammen, Hubert ist am Ende aber doch sein Wahlkampf wichtiger als Stephans Wunsch nach Rückkehr. 

Auch sonst fühlen sich die Westdeutschen in dieser Filmgesellschaft überlegen. „Wir sind ein freies Land, bei uns geht’s nicht so zu wie bei euch“, sagt Silvia, Huberts Lebensgefährtin. Und in einer anderen Szene: „Und diesen Schrott aus dem Supermarkt kaufe ich ja schon lange nicht mehr. Weißt du was? Die sollen den ganzen Mist packen und rüberschicken in die DDR. Jaja, die freuen sich auch noch über den Dreck, das garantiere ich dir“. Menschen wie Silvia halten die DDR für kleinbürgerlich und etwas seltsam und nehmen so eine Wahrnehmung vorweg, die nach der Euphorie von 1989 schnell hegemonial wurde: „Wenn irgendwann mal die Grenze aufgeht, hast du hier nur Verrückte.“

Die DDR wird in diesem Film von der SED und der Stasi dominiert. Stephans Verlobte ist Genossin, Bürgermeisterin und zuständig für den Jugendclub. Trotzdem soll sie Stephan nicht mehr sehen, nachdem er als Landesverräter gilt, und kann nicht einfach so in den Westen fahren. Die Politik ist allerdings auch in der BRD allgegenwärtig: Der BND befürchtet, Stephan sei ein Spitzel aus dem Osten, und versucht selbst, ihn als Spion zu gewinnen. CPD-Mitglied Hubert wirbt mit dem Slogan „Zwei Brüder, ein Deutschland“. Als Stephan beschließt, mit dem Heißluftballon in den Osten zu fliegen („Mit der CPD ganz nach oben“), sagt er: „Zwei Brüder, ein Deutschland – das werden wir nicht mehr erleben“.

In beiden deutschen Staaten werden die Medien instrumentalisiert. „Ich guck doch kein Wessi-Fernsehen“, sagt Eva – und weiß, dass sie sich und anderen damit etwas vorflunkert. Der Westen zeigt auf dem Bildschirm eine DDR, aus der alle Menschen wegzuwollen scheinen.

Ästhetik und Gestaltung

Der Mix von Nahaufnahmen und Totalen betont einerseits Emotionen und Beziehungsgeflechte und zeigt andererseits die kulturellen und ästhetischen Unterschiede zwischen BRD und DDR. Mit solchen Kontrasten spielt und provoziert Gies auch bei der Kleidung (bunt und modern versus gedeckte Trenchcoats) und bei der Musik (Abba versus FDJ-Lieder). Als die Berliner Mauer fällt, wird Original-Fernsehmaterial eingeblendet – mit dem Lied Berührung (1980) von DDR-Sängerin Gaby Rückert und diesem Vers:

Dann gehören Sie zusammen diese Nacht.

Und Sie öffnen alle Türen.

Dann gehören Sie zusammen diese Nacht.

Und Sie gehen wie durch ein unbekanntes Haus.

Dann gehören Sie zusammen diese Nacht.

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Die Figuren sind streng nach geografischer Herkunft besetzt worden: DDR-Rollen an Stars aus dem Osten, BRD-Rollen an Stars aus dem Westen. Wolfgang Stumph bleibt dabei der Sachse, den wir aus Good Bye, Lenin! (2003) kennen. Bei diesem Klassiker war auch Katrin Sass dabei – auch dort eine scheinbar überzeugte Genossin, die sich am Ende als gute Schauspielerin entpuppt. Die Filmemacher spielen zudem mit der Sprache. Der sächsische Dialekt (Wolfgang Stumph!) steht hier für die DDR. Stumph soll auch darauf geachtet haben, dass authentische DDR-Dekoration verwendet wird.

Der Stern hat trotzdem Fehler gefunden. So habe es 1987 in Hessen noch keinen Privatsender gegeben, der auch in der DDR zu empfangen gewesen wäre, und auch keine durchgehend farbigen Lokalzeitungen. Wolfgang Stumph sagt in diesem Text, dass es während der Dreharbeiten einen „heftigen gegenseitigen Meinungsaustausch über hüben und drüben“ gegeben habe.

Rezeption

Reichweite

Die Erstausstrahlung von Heimweh nach drüben am 3. Oktober 2007 (Tag der Deutschen Einheit) im Ersten war ein Quotenerfolg (Publikum: 7,15 Millionen, Marktanteil von 21,5 Prozent).

Rezensionen

Wenn Heimweh nach drüben von den großen Medien aufgegriffen wurde, ging es vor allem um Wolfgang Stumph. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung und das Neues Deutschland fragten ihn nach dem Film und nach der DDR-Sehnsucht. Stumph sagte, dass er weniger den Staat, sondern eher die Mentalität der Menschen vermisse – genauer gesagt „die gewachsene Kultur einer Region, ihre Sprachmelodie und Landschaft“. Mit der Bezeichnung „drüben“ kann er dabei nicht viel anfangen, denn „drüben war überall“.

Peter Zander hat in der Welt auf einen semantischen Unterschied hingewiesen: Während „Rübermachen“ für den Weg in den Westen gestanden habe, sei „Rübergehen“ im Westen als Schimpfwort verwendet worden. Dass die Figur Stephan Busemann „gleich beide Wege beschreitet, ist eine absolute Ausnahme“. Zander hat das DDR-Bild des Films kritisiert: Stephan Busemann „schlawinert sich so durch in seinem Provinzstädtchen, in dem die Häuschen alle schön rausgeputzt sind, mit neuen, weißen Fenstern. Ja, wenn die DDR so ausgesehen hätte, dann wäre man vielleicht gern geblieben.“

Ähnlich sah das Kerstin Decker im Tagesspiegel, die den Film zu „brav“ fand und das „Tauschen, verwechseln“-Prinzip als „die ewige Grundlage aller Komödienharmlosigkeit“ bezeichnete. Nach Decker „kommt (alles) hier so beiläufig wie diese Liebe: deutsch, bieder, vorsätzlich und dabei keinem wehtun wollen – das ist keine gute Mischung, nicht mal zum 3. Oktober. Dann lieber noch einmal Good bye, Lenin! sehen. Und der ist immer noch lustig, selbst beim dritten Mal“. Dass Katrin Sass hier mehr oder weniger die gleiche Rolle hat, sei ein „nerviger Wiederholungsfall“.  

Tilmann P. Gangloff bezeichnete die Rolle von Stephan Busemann als „Fish out of water“ – ein Sachse (und damit kein DDR-Bürger, Genosse oder Mitläufer), der sich nach seiner Heimat sehnt. Die Rollenbesetzung sei „gut“, aber „etwas stereotyp“. Das Herkunftsprinzip fördere zwar die Authentizität, allerdings nach den üblichen Klischees: Michael Brandner spiele „einen windigen Import/Export-Händler, Udo Schenk einen Stasi-Mann, Paul Faßnacht einen schmierigen BND-Agenten“.

Wissenschaftliche Aufarbeitung

Es gibt einen Aufsatz von Rosemarie Stott (2011), der Heimweh nach Drüben mit dem Dresen-Film So schnell es geht nach Istanbul (1990) vergleicht. Dort geht es um einen Türken, der nach dem Fall der Mauer wieder zurück in seine Heimat möchte. Stott zufolge ist der Ton in Heimweh nach drüben tendenziell weicher, „was auf eine optimistischere Akzeptanz der schmerzlichen Erinnerungen an die Trennung hindeutet“. Allerdings bleibe das Werk von Gies filmästhetisch hinter Dresen zurück.

Erinnerungsdiskurs

Heimweh nach drüben war ein Versuch, im Fernsehen an den Kassenschlager Good Bye, Lenin! (2003) anzuknüpfen. Tilmann P. Gangloff hat von einer „komödiantischen DDR-Flucht(helfer)geschichte“ gesprochen, in der es nicht darum geht, das ostdeutsche Unrechtsregime anzuprangern. Der Film von Hajo Gies ist eine Bitte um Verständnis: In ihrem Kern erzählt die Geschichte, warum jemand seine Heimat liebt, auch wenn und obwohl er weiß, dass sie ihre Fehler hat.“ Die Ostalgiewelle auf der Leinwand war aber spätestens mit dem Oscar für Das Leben der Anderen (2006) vorbei.  

Während Hauptdarsteller Wolfgang Stumph im Stern an der Idee festhielt, „ein Stück Geschichtsunterricht“ in „komödiantischer Form“ liefern zu können, nutzte Peter Zander den Film in der Welt gleich für eine Abrechnung mit dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen. „Die überraschendste Bilanz: dass die Privaten inzwischen die packenderen, überzeugenderen Gedenkfilme bieten“. Zander nannte den RTL-Film Prager Botschaft (2007), der mehr zu sagen habe als die MDR-Werke Heimweh nach drüben (2007) und Die Frau vom Checkpoint Charlie (2007). Sich positiv an die DDR erinnern, vielleicht sogar auf Augenhöhe mit den Westdeutschen über die eigene Vergangenheit reden und lachen zu können: Das widersprach anderthalb Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung endgültig dem hegemonialen Zeitgeist.

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Wer einen witzigen und leichten Film über eine deutsch-deutsche Geschichte sehen möchte, für den ist Heimweh nach drüben geeignet. Mit der Figur Stephan Busemann, der nicht im Westen bleiben möchte, spielt der Film mit Klischees.

Literatur

Rosemarie Stott: An Early Challenge to the Construction of Cross-Border Romance in Post-1989 Film: Andreas Dresen’s So schnell geht es nach Istanbul. In: Renate Rechtien, Dennis Tate (Hrsg.): Twenty Years On. Competing Memories of the GDR in Postunification German Culture. New York: Camden House 2011, S. 85-100

Empfohlene Zitierweise

Heimweh nach drüben. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2023, https://ddr-im-film.de/index.php/de/film/heimweh-nach-drueben