Helden wie wir
Inhalt
- Kurzinformationen
- Filmdaten
- Kurzbeschreibung
- Schlagworte
- Entstehungskontext
- Beteiligte
- Filminhalt
- Handlung
- Figuren
- Gesellschaftsbild
- Ästhetik und Gestaltung
- Strategien der Authentizitätskonstruktion
- Rezeption
- Reichweite
- Rezensionen
- Wissenschaftliche Aufarbeitung
- Einordnung in den Erinnerungsdiskurs
-
Empfehlung der Autorin
- Literatur
Entstehungskontext
Beteiligte
Sebastian Peterson, 1967 in Hamburg geboren, Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Regisseur, Drehbuchautor und Produzent. Schwerpunkt: Kurz- und Animationsfilm. Helden wie wir ist sein erster Film mit DDR-Bezug. Er hat auch am Drehbuch mitgearbeitet.
Thomas Brussig, 1964 in Berlin geboren, 1993 bis 2000 Dramaturgie-Studium an der Filmhochschule „Konrad Wolf“ in Potsdam-Babelsberg. Schriftsteller und Drehbuchautor. Romanautor von Helden wie wir (1995). Viele Werke mit DDR-Bezug: Wasserfarben (1991), Leben bis Männer (2001), Wie es leuchtet (2004), Das gibts in keinem Russenfilm (2015), Beste Absichten (2017), Am kürzeren Ende der Sonnenallee (1999), Heimsuchung (Theaterstück, 2000). Drehbücher: Sonnenallee (1999), NVA (2005), Stankowskis Millionen (2011). In einem Interview sagte Brussig, dass sich die DDR gut anhand ihrer Profanitäten und Lächerlichkeiten erzählen lasse: „Die DDR hatte einen Alltag, und sie hatte ein konkretes Interieur, und darin stecken jede Menge guter, bislang vernachlässigter Geschichten. Und komischerweise werden gerade die überall auf der Welt verstanden.“ Den Roman Helden wie wir habe er aus Wut und Enttäuschung über die fehlende Vergangenheitsbewältigung geschrieben und daher eine Figur gewählt, die sich mit ihrem Versagen auseinandersetzt, sagte er der taz. Und in der Wochenpost: Das Thema der Sexualität trage dazu bei, die sozialistische Perversion aufzuzeigen.
Markus Dittrich, 1962 in Hamburg geboren. Studium Drehbuch und Dramaturgie in Potsdam. Redakteur, Lektor sowie freier Drehbuch- und Hörspielautor. Schwerpunkt Kinderunterhaltung.
Helden wie wir ist eine Literaturverfilmung und beruht auf dem gleichnamigen Bestseller von Thomas Brussig (1995), der auch am Drehbuch beteiligt war. Dank seiner Romane gilt Brussig als „Ostexperte“ (Hollmer 2000) und ostdeutscher „Heimatsachverständiger“ (Hollmer 2018). Die ironisch-satirische Auseinandersetzung mit dem Mauerfall brachte Helden wie wir den Stempel des „heiß ersehnten Wende-Romans“ ein (Dieckmann 1995). In der DDR geboren und aufgewachsen, identifiziert sich Brussig keineswegs mit dem Aufbaupathos der Gründergeneration und kritisiert in seinem Roman das politische System der DDR mit seinen normativen Hierarchien und gesellschaftlichen Tabus (Hollmer 2018, Leier 2010).
Helden wie wir ist eine Produktion der Senator Film Produktion und der CINEX Leipzig Film-und Fernsehproduktion in Zusammenarbeit mit ProSieben Media.
Gerhard von Halem, Jahrgang 1942. Studium der Theaterwissenschaften und Germanistik sowie Schauspielausbildung. Regie- und Dramaturgieassistent am Theater, Nachrichtensprecher, Produktionsleiter. 1990 bis 1994 Business Affairs Manager der Scriba Film Holding Hamburg, 1994 bis 1996 Geschäftsführer der Filmfest Hamburg GmbH, 1996 bis 2001 Geschäftsführer der Senator Film Produktions GmbH. Der Zimmerspringbrunnen (2001) ist eine weitere Filmproduktion mit DDR-Bezug.
Alfred Holighaus, 1959 in Dillenburg geboren. Journalist mit den Schwerpunkten Kultur und Film. 1986 bis 1995 Redaktionsleiter des Berliner Stadtmagazins TIP, ab 1995 Projektentwicklung für die Senator Film Produktion, 2000/2001 Geschäftsführer der Senator Film Verleih GmbH, danach Akquise und Präsentation deutscher Filme für die Berlinale, Gründung der Sektion Perspektive Deutsches Kino (Leitung bis 2010), 2010 bis 2015 Ko-Geschäftsführer der Deutschen Filmakademie, 2015 bis 2019 Präsident der Spitzenorganisation der Filmwirtschaft. Helden wie wir ist seine einzige Produktion zur DDR.
Hanno Huth, 1953 in Essen geboren, Jura-Studium, Volontär bei United Artists. 1983 bis 2003 Vorstandsvorsitzender der Senator Entertainment AG. Helden wie wir ist seine einzige Filmproduktion mit DDR-Bezug.
Der Film erhielt eine Förderung von der Filmboard Berlin-Brandenburg GmbH. Außerdem gab es 664.679 Euro von der Mitteldeutschen Medienförderung.
Vom deutschen Filminstitut (DIF) stammen Vorankündigungsplakat (links) und Filmplakat (rechts). Auf Youtube gibt es einen Kinotrailer. Die DVD erschien am 18. Dezember 2000. Bonusmaterial: Audiokommentare des Regisseurs und des Drehbuchautors, Blick hinter die Kulissen sowie Informationen zum Cast. Pädagogisches Begleitmaterial für den Schulunterricht gibt es nur zum literarischen Werk (Leier 2010).
Filminhalt
Handlung
Helden wie wir ist eine Komödie und erzählt die Lebensgeschichte des Antihelden und DDR-Bürgers Klaus, der von Kind auf verbissen um Anerkennung ringt und gerne ein Held wäre. Gleichzeitig leidet er unter Minderwertigkeitskomplexen und versagt häufig. Zu seinem Leben gehören die Stasi, eine Blutspende für Erich Honecker und der Mauerfall als wichtigste Errungenschaft.
Zentrale Figuren
Klaus Uhltzscht (Adrian Heidenreich, Daniel Borgwardt): als Kind etwa zehn und als Erwachsener 20 Jahre alt. Ein Träumer und Außenseiter, der Bestätigung sucht, unter Minderwertigkeitsgefühlen leidet und vom Wunsch getrieben wird, aus seiner Rolle auszubrechen und als Held bekannt zu sein. Trotz NVA und Stasimitarbeit bleibt er seiner Jugendliebe Yvonne treu, die für den Widerstand arbeitet.
Yvonne Anders (Luca Lentz, Xenia Snagowski): kommt als Zehnjährige zu Klaus in die Klasse und verliebt sich in ihn. Sie ist lebhaft, kritisch, mutig und kunstaffin und träumt davon, wie Vincent van Gogh inmitten wunderschöner Tulpenfelder in Holland zu leben. Als 20-Jährige schließt sie sich mit ihrem Vater der Oppositionsbewegung an und druckt Flugblätter.
Frau Uhltzscht (Kirsten Block) und Herr Uhltzscht (Udo Kroschwald): Eltern von Klaus. Die Mutter ist Hygieneinspektorin, der Vater offiziell im Außenhandel, eigentlich Stasi-Mitarbeiter und bei den Kampfgruppen der Arbeiterklasse. Die Eltern sind streng, prüde, einfältig und engstirnig. Dem System stehen sie unkritisch gegenüber. Aus ihrem Sohn machen sie sich nichts.
Gesellschaftsbild
Klaus Uhltzscht, 1968 mitten im Kalten Krieg in der DDR geboren, beschreibt seine Kindheit und Jugend im Kontext politischer Verhältnisse. „Die Welt, auf die ich kam, war eine politische Welt“, verkündet er gleich zu Beginn. Was folgt, wird unreflektiert und mit kindlich-naiver Einfachheit wiedergegeben. Globale Konflikte wie die Niederschlagung des Prager Frühlings können diesem Klaus nichts anhaben: „Aber bei uns war es gut. Bei uns gab es keine Kriege und keine Attentate... Wir wohnten in neuen Häusern, und für alle gab es Arbeit und genug zu essen.“ Er sieht zwar, wie der Unterricht überwacht wird, wie die Stasi arbeitet und wie die Opposition wächst, bleibt aber Mitläufer ohne einen politischen Standpunkt. Klaus nimmt die Realität so, wie sie ihm präsentiert wird, und ist passiv. Politik und Alltag gehen für ihn ineinander über.
Vom Westen weiß Klaus nur das, was die Ideologie erzählt: „Kapitalismus, das heißt Verbrechen und Armut.“ Er akzeptiert, dass die nicht-kommunistischen Länder konvertiert werden müssen, bevor er dorthin fahren kann. Reizvoll findet er nur die Frauen, die er aus einem Unterwäschekatalog kennt. Der Film übernimmt diesen Blick und stellt politische Ereignisse und Personen zusammenhangslos, im Zeitraffer und wie in einem Bilderbuch dar.
Ästhetik und Gestaltung
Die Geschichte von Klaus Uhltzscht wird aus der Perspektive des Ich-Erzählers geschildert. Der Film beginnt in Schwarz-Weiß und geht in eine verblasste Farbe mit teilweise körnigen Bildern über.
Tagträume von Klaus werden als Schwarzweiß- oder Trickaufnahmen gezeigt, beispielsweise wenn er sich Ernst Thälmann, auch „Teddy“ genannt, als echten Bären vorstellt. Außerdem wird der Protagonist in Originaldokumente hineinmontiert. So kann er Egon Krenz die Hand schütteln oder im Trailer der Krimireihe Polizeiruf 110 auftauchen. An vielen Stellen wird Dokumentarmaterial verarbeitet. In einer Szene sitzen Stasi-Leute in einem Observationsauto, während echte Straßenbilder an ihnen vorüberziehen. Durch das Wohnzimmerfenster der Familie Uhltzscht sieht man ein Gemälde aus Wolken, Kränen und Betonplatten.
Eine Besonderheit ist die Musik. Die Grenzöffnung 1989 wird von dem Lied What a wonderful world von Louis Armstrong (1967) begleitet, das durch Stimmung und Botschaft die Naivität, den Idealismus und den Optimismus des Protagonisten unterstreicht. Rockmusik von Karat (Schwanenkönig, 1980), Sputnik (Gitarrentwist, 1964) oder Klaus Renft (Gänselieschen, 1973) sowie Schlager und politische Lieder vom Oktoberclub (Sag mir wo du stehst, 1967), von Helga Brauer (Heute tanzen die jungen Leute im Lipsischritt, 1959), vom Chor des Wachregiments „Feliks Dzierzynski“ (Ich trage die Fahne, 1960; Wir tragen die roten Spiegel, 1962), vom Pionierchor des Zentralhauses der jungen Pioniere „German Titow“ (Der kleine Trompeter, 1972) oder vom Pionierchor des Gewerkschaftsensembles „Ernst Moritz Arndt“ (Blaue Wimpel im Sommerwind 1968) transportieren die zeitgenössische Atmosphäre und Nostalgie.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Wiedererkennungswert hat nicht nur die musikalische Untermalung. Alltags- und kulturelle Gegenstände werden im Film stark akzentuiert und mit symbolischer Bedeutung aufgeladen. Man sieht Jungpioniere, den Sportler-Gruß aus der Arbeitersportbewegung, Trabis, Plattenbauten, eine typische Neubauwohnung mit einer Durchreiche sowie den Medienalltag der DDR (die Neue Berliner Illustrierte und das Neue Deutschland, die Aktuelle Kamera mit Renate Krawielicki, das Sandmännchen, Polizeiruf 110 sowie eine Fernsehreklame für MZ-Motorräder). Dazu kommen politische Ereignisse und wichtige Persönlichkeiten: die Befreiung Berlins durch die Rote Armee 1945 und die Sicherung der DDR-Grenze in Berlin inklusive Kampfgruppen am Brandenburger, die Niederschlagung des Prager Frühlings 1968, Helmut Kohl und Ronald Reagan („We begin bombing in five minutes“, 1984), Erich Honecker, Egon Krenz und das Jahr der drei KPdSU-Generalsekretäre. KPD-Führer Ernst Thälmann, der kleine Trompeter Fritz Weineck und Adolf Hennecke tauchen als Helden im Unterricht auf, und die Sängerin und Moderatorin Dagmar Frederic wird gleich mehrfach im Fernsehen gezeigt.
Auch geografische Orte wie die Stasi-Zentrale in Berlin-Lichtenberg oder DDR-Stars spielen eine besondere Rolle. So kann man hier Gojko Mitic (bekannt aus DEFA-Indianerfilmen), Renate Krößner (Solo Sunny, 1980) und TV-Moderator Achim Mentzel sehen.
Rezeption
Reichweite
Helden wie wir startete zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls am 9. November 1999 in den Kinos und kam dort auf 195.621 verkaufte Tickets. Die Videokassette erschien am 16. Mai 2000 und die DVD am 18. Dezember 2000.
Rezensionen
Alexander Osang, ein Generationsgefährte von Autor Brussig, lobte im Spiegel die detailgetreue und stimmungsvolle Nachbildung der DDR, fand den Film aber trotzdem langatmig. In Kurzform: zu wenig Handlung und ein Ende ohne Pointe. Auch Christiane Peitz von Zeit Online meinte, dass eine innere Logik fehle. Beide kritisierten den Film als bilderbuchhaft und irreführend. Peitz: ein „Märchen im versöhnlichen Tonfall der Ostalgie“, das die DDR verharmlose. Birgit Galle (Berliner Zeitung) und Claus Löser (Filmdienst) waren anderer Meinung. Galle: „Es kann einem auch sehr seltsam zu Mute werden, wenn man wieder mitten im Neubaugebiet steht und der weite Kamerablickwinkel eine ganz besondere Art von Sonntagsstille und Leere einzufangen weiß“. Wie Gunnar Decker (Neues Deutschland) hielt sie die Kindessicht für etwas Besonderes: „die Naivität, ja der Kinderglaube, mit dem die DDR beim Wort genommen wird“. Decker wies auch den Vorwurf der Ostalgie zurück: Der Film sei neuartig und von eigenständiger Qualität. Die satirische Erzählung der DDR unterscheide den Film von vorherigen DDR-Filmen, schrieb Peter Zander in der Berliner Morgenpost.
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Arthur Schlegelmilch (2008: 94) fragt am Beispiel von vier Nachwendefilmen nach dem Potential des Kinos, „den Prozess der kommunikativen Erinnerung maßgeblich zu beeinflussen“. Helden wie wir habe der gängigen kommunikativen Erinnerung, die die DDR als gescheitert und die BRD als Siegerstaat stilisiert, eine eigene Deutung entgegensetzt. Der Film verbinde die (oft ironische und nur selten schonungslose) Abgrenzung vom SED-Staat mit dem Willen, die Handlungszwänge und Alltagskompromisse der DDR-Bürger nachzuvollziehen. Gerhard Lüdeker (2012) sah das ähnlich: Vordergründig gehe es um Adoleszenz und Identitätsbildung. Das Zeitgeschehen sei notgedrungen politisch, jedoch werde die DDR als Unrechtsstaat komödiantisch perspektiviert und der Mauerfall durch die sexuelle Metaphorik grotesk überzeichnet. Helden wie wir markiere den Beginn einer neuen Ära des Wendefilms, meint Ingold Zeisberger (2012). Zu diesem Genre gehören bei ihm alle Filme, die die Wende als Systemwechsel thematisieren. Helden wie wir setze durch einen subversiven Diskurs eigene Akzente.
Erinnerungsdiskurs
Helden wie wir ist eine Wendekomödie, die mithilfe einer fiktiven Geschichte und aus subjektiver Sicht den Mauerfall karikiert und metaphorisch zum persönlichen Reifeprozess umdeutet. Die politischen Ereignisse werden in die Lebenswelt geholt und so entpolitisiert. Handlungsorte, DDR-Symbole und Narrativ sorgten dafür, dass der Film seinerzeit zum Zentrum einer Ostalgie-Debatte wurde.
Empfehlung
Empfehlung der Autorin
Helden wie wir ist ein Film mit hohem Unterhaltungswert, der historische Kenntnisse voraussetzt, obwohl er nur lose mit historisch-politischen Ereignissen verflochten ist. Ein Film, der die Deutungshoheit um das kollektive Gedächtnis subversiv unterläuft und durch Satire den hegemonialen Diskurs provoziert.
Literatur
Thomas Brussig: Helden wie wir. Berlin: Volk & Welt 1995
Christoph Dieckmann: Klaus und wie er die Welt sah. Der junge Ostberliner Autor Thomas Brussig hat den heißersehnten Wenderoman geschrieben. In: Die Zeit vom 8. September 1995
Heide Hollmer: The next generation. Thomas Brussig erzählt Erich Honeckers DDR. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): DDR-Literatur der neunziger Jahre. München: Richard Boomberg 2000, S. 107-121
Heide Hollmer: Thomas Brussig. In: Heinz Ludwig Arnold (Hrsg.): KLG. Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. München: Edition Text + Kritik 2018
Nicole Leier: Wendeliteratur - Literatur der Wende? Der Mauerfall in ausgewählten Werken der deutschen Literatur. In: Informationen Deutsch als Fremdsprache 37. Jg. (2010), S. 494-515
Gerhard Jens Lüdeker: Kollektive Erinnerung und nationale Identität: Nationalsozialismus, DDR und Wiedervereinigung im deutschen Spielfilm nach 1989. München: Edition Text + Kritik 2012
Arthur Schlegelmilch: Der (politische) Spielfilm als historische Quelle. In: BIOS 21. Jg. (2008), S. 93-103
Ingold Zeisberger: „Good Bye, Lenin!”. Die deutsche Wende im Film seit 1989. In: Martin Nies (Hrsg.): Deutsche Selbstbilder in den Medien: Film – 1945 bis zur Gegenwart. Marburg: Schüren 2012, S. 151-166
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