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BR/Günther Reisp

Sedwitz

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Sedwitz
Erscheinungsjahr
2015
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
180 Minuten

Kurzbeschreibung

DDR-Grenzsoldat Ralle Pietzsch bekommt von einem sterbenden Genossen 1988 den Schlüssel für einen hoch geheimen Grenztunnel zum Westen. Anstatt den Schlüssel zu übergeben, nutzt er ihn fortan in eigener Sache.

Schlagworte

Zeit
Schauplatz
Genre

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Paul Harather wurde am 3. März 1965 in Mödling in der Nähe von Wien geboren, studierte an der Wiener Hochschule für Musik und darstellende Kunst, Abteilung Film und Fernsehen und arbeitet seit 1992 als Regisseur, Drehbuchautor und Produzent für Fernsehen und Kino. Sein Debütfilm war die schwarzhumorige Tragikomödie Indien (1993). Es folgten unter anderem Die Gottesanbeterin (2001), Adam & Eva (2003) und Fernsehserien wie Schlawiner (ab 2011). Auch Sedwitz (2015) ist makaber und humorvoll. Das beginnt schon beim Titel. Harather in der tz: „Sedwitz ist der einzige Ort, den man während der Herrschaft der SED nicht buchstabieren durfte. Sonst hätte man ja sagen müssen: SED-Witz“.

Drehbuch

Stefan Schwarz wurde am 26. Februar 1965 in Potsdam geboren. Sein Vater, Josef Schwarz, war Generalmajor im Ministerium für Staatssicherheit und Leiter der Bezirksverwaltung Erfurt. Sohn Stefan wollte ihm folgen, als „Offizier im besonderen Einsatz“ für die Hauptverwaltung Aufklärung. Er studierte auf einem MfS-Ticket Journalistik in Leipzig und arbeitete in den Wendemonaten für die DAZ (Die Leipziger Andere Zeitung) sowie für die taz. Seit der Enttarnung ist er freier Journalist und Autor mit einem Faible für Komödien. Über Sedwitz sagt Schwarz in der Zeit: „Ich hätte diese Serie kein einziges Jahr früher angehen können. Dass ich jetzt Sedwitz machen darf und dass es so eine Serie geben kann, zeigt, dass dieses Thema emotional niemanden mehr zum Kochen bringt. Diese historische Kühle ist eine Chance. Das ist schön und traurig zugleich“. Zeit-Autor Martin Machowecz: „Schön ist es, weil in der Kühle die Möglichkeit zur rationalen Betrachtung liegt. Und traurig, weil das Weichen der Wut zeigt, dass auch das Vergessen der DDR beginnt“.

Produktion

Die Miniserie wurde im Auftrag von MDR und Bayerischem Rundfunk von der Firma NSA (Neue System Agentur) produziert. NSA wurde 2014 von Regisseur Harather gegründet. Neben Sedwitz hat die NSA zwei kurze Werbefilme für Pralinen produziert. Harather in der tz: „Die Produktionsfirma heißt Neue System Agentur. Wer denkt, die Abkürzung NSA könnte ironisch gemeint sein, dem ist nicht zu helfen“.

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Das Erste (Screenshot): https://www.daserste.de/unterhaltung/serie/sedwitz/index.html

Themenseite der ARD zu Sedwitz

Es gibt Themenseiten vom Ersten sowie von BR und MDR. Dort finden sich Interviews mit den Hauptdarstellern, Pressestimmen, ein Gespräch mit Regisseur und Drehbuchautor sowie weitere Informationen. Das Paradoxe: Aufgrund der Rechtslage ist Sedwitz online nicht abrufbar und auch auf DVD oder Blu-ray nicht erhältlich.

Filminhalt

Handlung

DDR-Grenzoffizier Ralf „Ralle“ Pietsch bekommt von einem sterbenden Genossen den Schlüssel für einen geheimen Grenztunnel zum Westen. Anstatt den Schlüssel abzugeben, nutzt er ihn, um seinem Sohn einen Zauberwürfel zu beschaffen. Dabei lernt er den neunmalklugen Bundesgrenzschutzbeamten Hubert „Hubsi“ Weisspfennig kennen, die Lehrerin Astrid Hillebrand und den Wirt Franz Haueisen. Es entwickelt sich ein Reigen an Intrigen, Schmuggel-Aktionen und anderen kuriosen Begebenheiten.

Zentrale Figuren

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Astrid Hillebrand (Judith Richter) und
Ralf „Ralle“ Pietsch (Thorsten Merten)

Ralf „Ralle“ Pietsch (Thorsten Merten): In seinen 50ern. Hat mit seiner Frau Kerstin zwei Kinder und ist DDR-Grenzoffizier an der thüringisch-fränkischen Grenze. Will für seinen Sohn einen Zauberwürfel.

Astrid Hillebrand (Judith Richter):

Mitte 30. Lehrerin in Coburg. Wirft mit ihren Schulkindern „Friedensflieger“ über die Grenze. Verliebt sich in Ralle, der sich im Westen als schwerreicher Unternehmer ausgibt.

Hubert „Hubsi“ Weisspfennig (Stephan Zinner):

Beamter beim Bundesgrenzschutz. Ende 30, Anfang 40. Ledig. Experte für alles. Hilft Ralle bei seinen Grenzgängen, nachdem er auf das Grundgesetz eingeschworen wurde.

Kerstin Pietsch (Natalie Hünig):

Ende 40, Anfang 50. Ralles Frau. Mutter und Angestellte bei der LPG „Freie Scholle“. Gerät in Schwierigkeiten, als ihr vorgeworfen wird, 10.000 Mark veruntreut zu haben.

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Major Neubert (Olaf Burmeister, re.)

Major Neubert (Olaf Burmeister):

Mitte 50. Ralles Vorgesetzter. Treuherzig, naiv und fürsorglich gegenüber seinen Untergebenen. Führt Ralle Zaubertricks vor. Leistet einem Genossen vom Fernsehen unfreiwillig Fluchthilfe.

Gesellschaftsbild

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Sedwitz ist eine Posse, die zeigt, dass es auch in der DDR individuelle Freiräume gab. Major Neubert benutzt Begriffe wie „antifaschistischer Schutzwall“, „imperialistische Provokateure und Saboteure“ oder „Klassenfeind“ – und führt dabei Zauberkunststücke vor. Außerdem hilft er einem Kameramann unfreiwillig bei der Flucht. Bei den Grenzern wird längst nicht alles so heiß gegessen, wie es gekocht wurde. Ralle kann durch den Tunnel in den Westen. Wenn ihn seine Genossen ertappen, nimmt er sie einfach mit. Kurz: naive Vorgesetzte und „kleine Leute“ mit Ideen und Bauernschläue. In Dorf Sedwitz nutzt man Westmedien und grillt im Wachturm mit dem Bügeleisen ein Steak. Vom Unrechtsstaat DDR ist in Sedwitz nicht viel zu sehen. Für Ralle ist die Familie am wichtigsten – und ihre Versorgung in einem Mangelstaat. Das ist nah am Erinnerungsmodus Arrangementgedächtnis. Auch im Westen ist nicht alles Gold: Einmal erklärt Hubsi Ralle, wie man die Nationalität über Gesichtsform und Körpermerkmale bestimmen kann. Das ist nicht nur rassistisch, sondern vor allem: ziemlich dämlich. 

Ästhetik und Gestaltung

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Die Grenzkulisse ist perfekt – von den Uniformen auf beiden Seiten über die Bewaffnung bis zum Fuhrpark. Und: Sedwitzhat Farben. Allein das unterscheidet diese Produktion von der grauen DDR, die sonst in den Filmen über die Vergangenheit dominiert.  

Im Intro erzählt eine ernste Stimme aus dem Off zu anschwellender Musik vom Kalten Krieg. Im Hintergrund sind Originalaufnahmen von Atomwaffen und Militärparaden zu sehen. Spätestens wenn sich zwei fiktive Militärs und Geheimdienstler als vermeintliche Zeitzeugen äußern und die ersten Töne von Rammsteins Amerika erklingen, weiß man, worum es sich bei Sedwitz handelt – und zwar um eine bissige Posse.

Der Rammstein-Song Amerika ist zu Beginn und am Ende jeder Folge zu hören. Im Song geht es um die kulturelle Hegemonie der USA: Wir alle leben in Amerika, essen Fast Food, trinken Coca-Cola, mögen Mickey Mouse und Santa Claus. 1988 war das noch nicht ganz so deutlich sichtbar, zumindest nicht in Sedwitz. Übersetzt: Der Fall der Mauer hat Schattenseiten. Ein Auszug aus Amerika:

Wenn getanzt wird, will ich führen

Auch wenn ihr euch alleine dreht

Lasst euch ein wenig kontrollieren

Ich zeige euch, wie's richtig geht

Wir bilden einen lieben Reigen

Die Freiheit spielt auf allen Geigen

Musik kommt aus dem Weißen Haus

Und vor Paris steht Mickey Mouse

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Sedwitz bietet einen unkonventionellen Blick auf DDR, BRD und Grenze. Drehbuchautor Stefan Schwarz: „In unserer Serie ermöglichen wir es mit einem kleinen Trick, dass sich Ost und West vor der Wende wie in einem Laboratorium begegnen, ganz ohne Sektregen und Trabikolonnen. Wir machen die Mauer im Jahr 1988 einen Spalt auf, sodass nur wenige durchschlüpfen können, damit wir besser sehen können, was die Mauer für den Normalbürger war“.

Filmimmanente Strategien

Harather und Schwarz war es wichtig, Menschen und Kulisse möglichst authentisch zu gestalten. Paul Harather in der tz: „Wir hatten eine ganze Abteilung, die sich nur darum kümmerte. Es gab rauchende Köpfe und glühende Telefone. Manches war einfach nicht erhältlich. Dann musste genial improvisiert werden.“ 

Das Intro mit den beiden „Pseudoexperten“ und Rammsteins Amerika lassen allerdings den Schluss zu, dass die Macher um typische DDR-Darstellungen wissen und diese absichtlich ad absurdum führen wollten.

Filmtranszendente Strategien

Die Stasi-Vergangenheit von Drehbuchautor Stefan Schwarz spielte bei dessen Verpflichtung eine – positive – Rolle. Schwarz in der Zeit: Ich wurde gefragt, „weil ich die Sprache beherrsche, die in diesem System gesprochen wurde. Und ich wollte so eine Serie immer schon mal machen: NVA-Soldaten und Stasi-Leute waren bislang in allen Komödien immer nur die Hasskappen, böse Offiziere, fiese Abschnittsbevollmächtigte, die nur in Parolen sprechen und überhaupt keine menschliche Seite zeigen. Die nur Fratzen sind. Das hat mich geärgert.“

Natürlich lässt sich die Verpflichtung von Schwarz als filmtranszendente Maßnahme zur Authentizitätssteigerung interpretieren: Einer, der selbst dabei war, schreibt das Drehbuch. Zeit-Autor Martin Machowecz: „Es hat so eine Comedy-Serie noch nicht gegeben. Stasi-Leute und Grenzsoldaten als Menschen mit Humor. Geschrieben von einem, der darin, irgendwie, sein eigenes Leben verarbeitet. […] Und man möchte gleich fragen: Geht’s denn noch? Ein Stasi-Mann hat eine Serie fürs öffentlich-rechtliche Fernsehen geschrieben, die aus dem Todesstreifen eine Spaßzone macht? Darf uns der Teufel jetzt schon Witze über die Hölle erzählen? Aber vielleicht stellt Stefan Schwarz mit Sedwitz ja eine Frage an uns, seine Zuschauer – die Frage, ob wir bereit sind, uns die DDR auch von einem wie ihm erzählen zu lassen. Einem Mann, der selbst ein Teil des DDR-Unrechtssystems gewesen ist. Damit fragt er uns auch: Wie lange darf einer wie er für das, was er vor 1990 getan hat, ausgeschlossen werden? Indem Schwarz uns Witze über die DDR erzählt, pikst er uns an: Na, wie weit seid ihr?“ 

Rezeption

Reichweite

Sedwitz wurde ab September 2015 im Ersten ausgestrahlt, auf einem Sendeplatz am sehr späten Donnerstag-Abend. Das hatte Folgen für die Reichweite. Der Marktanteil lag deutlich unter dem damaligen Durchschnitt von 11,6 Prozent.

Erstausstrahlung 2015

Zuschauerzahl und Marktanteil

Sedwitz, 3. September, 23.50 Uhr

570.000, 5,6 Prozent

Zauberwürfel, 10. September, 23.35 Uhr

940.000, 8,2 Prozent 

Echtgeld, 17. September, 23.30 Uhr

730.000, 5,7 Prozent 

Der Mond ist aufgegangen, 24. September, 23.55 Uhr

690.000, 7,2 Prozent 

 

Kaiserwalzer, 1. Oktober, 00.15 Uhr

660.000, 8,0 Prozent 

Trick 17, 8. Oktober, 23.30 Uhr

1,28 Mio., 9,4 Prozent 

Quotenmeter bilanzierte: „Es ist immer wieder erfreulich, wenn ein deutscher Sender den Mut besitzt, trotz der vielen Fiction-Flops im Free-TV auf neue Stoffe zu setzen. Dennoch kann man die von Kritikern gelobte Serie (…) nach Ablauf der sechs Folgen wohl nicht mal als Teilerfolg bezeichnen – dafür kam Sedwitz der Sendernorm letztendlich nicht nahe genug. Durchschnittlich 810.000 Zuschauer schalteten ein, 240.000 davon waren im Alter zwischen 14 und 49 Jahren. Über vier Prozent trennten Sedwitz beim Gesamtpublikum vom Senderschnitt des Ersten, im Mittel verfolgten 7,4 Prozent aller Fernsehenden die Serie am späten Donnerstagabend. 5,4 Prozent verbuchte Sedwitz im Schnitt beim jungen Publikum.“

Paul Harather hatte ursprünglich eine zweite Staffel geplant. Möglicherweise ist das auch an den schlechten Quoten gescheitert.

Rezensionen

Sedwitz wurde in Medien und Fachpresse positiv aufgenommen. So schrieb Ursula Scheer in der FAZ: „Hier gibt es keine Belehrungen und Lehren, hier schlawinert sich einer durch eine durchgedrehte Welt, die sich in zwei durchgedrehte Hemisphären mit lauter verschrobenen Charakteren teilt. Jede Figur ist eine Karikatur, aber eine sympathische.“

Für Barbara Möller von der Welt ist Sedwitz „eine liebevoll inszenierte Provinzkomödie. Ein spielerisches Was-wäre-wenn, angelegt im Jahr 1988, in dem an Trabbikolonnen, Sektduschen und Soli noch nicht zu denken war. Ein Grenzexperiment mit liebenswürdigen Deppen auf beiden Seiten.“

Die dpa schrieb: „Die ARD hat eine grandiose Posse über Ossis, Wessis und die Absurditäten der deutschen Teilung entwickelt.“ Für Ulrike Klode von DWDL.de war Sedwitz eine „Perle“ und „Serienkunst“, sie monierte aber den Sendeplatz. Auch Julian Miller von Quotenmeter schätzte die Serie: Sedwitz schafft gekonnt den Spagat zwischen einer feingeistig beobachteten Komödie und der Möglichkeit zu einer ernsthaften Begegnung mit den beiden Deutschlands, aus denen bald eines wurde. Eine Serie, die Mauern einreist. Im wahrsten Sinne des Wortes genauso wie im übertragenen. Blühende Landschaften zu später Stunde.“

Als „humorvolle Provinzkomödie mit eher märchenhaft surrealen Zügen“ charakterisierte Rainer Tittelbach die Serie und lobte dabei besonders Hauptdarsteller Thorsten Merten und die Figur des Ralle als „vielschichtigen Helden“ und „feinsinnigen Komödianten“. Auch Stephan Zinner und sein Hubsi sind für Tittelbach ein „komödiantisches Pfund“.

Lediglich Cornelius Pollmer, ein gebürtiger Dresdner, schien mit der Serie nichts anfangen zu können. Er kritisierte in der Süddeutschen Zeitung den derben und politisch nicht korrekten West-Humor sowie die „oberflächliche Charakterstudie vom tapsigen Ossi“.

Erinnerungsdiskurs

Als Posse über die „liebenswürdigen Deppen auf beiden Seiten“ hat Sedwitz Seltenheitswert. Barbara Möller sprach in der Tageszeitung Die Welt sogar von einem „Grenzexperiment“. Im Diskurs hat die Serie ein ähnliches Schicksal ereilt wie Go Trabi Go (1991). Offenbar haben es Komödien hier besonders schwer. Bei Sedwitz taten ein später Sendeplatz und die Rechtslage für öffentlich-rechtliche Produktionen ein Übriges. So versank die Serie in der Bedeutungslosigkeit. Publikumsreaktionen und Kritiken zeigen aber, dass Humor das Zeug hat, DDR (und BRD) aus einer anderen Perspektive zu zeigen – wenn er sich von der Unrechtsstaat-Didaktik entfernt und unterhalten will.

Empfehlung

Empfehlung des Autors

Liebenswürdige Posse mit viel Bauernschläue über ein geteiltes Dorf an der innerdeutschen Grenze. Schade nur, dass Sedwitz – abgesehen von sporadischen Wiederholungen im linearen Fernsehen – nicht zu sehen ist.

Empfohlene Zitierweise

Sedwitz. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2024, https://ddr-im-film.de/index.php/de/film/sedwitz