Walpurgisnacht
Entstehungskontext
Walpurgisnacht gehört zu den öffentlich-rechtlichen Fernsehbeiträgen zum 30. Jahrestag des Mauerfalls im Herbst 2019. Laut Redaktionsleiter Günther van Endert ist ein Genre-Film wie Walpurgisnacht, der Zeitgeschichte erzählt, „im öffentlich-rechtlichen Fernsehen nicht die Regel“. Das deutsch-deutsche Ermittlerpaar stehe dafür, dass Deutschland auf der Arbeitsebene bereits vor dem Mauerfall zusammenwuchs. Der Film führe zurück in ein „langsam verblassendes Stück Geschichte“. (ZDF-Pressemappe zum Film)
Beteiligte
Hans Steinbichler ist ein Regisseur, der sich seit seinen Debütfilmen Hierankl (2003) und Winterreise (2006) mit dem Thema „Identität“ beschäftigt. Dadurch weist Walpurgisnacht über den konkreten Plot hinaus in die Gegenwart, in der über eine gesamtdeutsche Identität diskutiert wird. Steinbichler selbst beschreibt es als logisch und unausweichlich, den Fokus vom „Nebenher und Gegeneinander“ der beiden deutschen Staaten in Richtung Zusammenarbeit und Koexistenz zu verlagern. In Walpurgisnacht kooperiert eine westdeutsche LKA-Kommissarin mit der Volkspolizei. Die filmische Darstellung der DDR wurde sicherlich von Steinbichlers persönlichen Erfahrungen geprägt: Er hat die DDR nach mehreren Besuchen als „Land voller Schönheit und Geheimnisse“ in Erinnerung: „Die DDR erschien mir als eine große Gemeinschaft. Den Westen, aus dem ich stamme, und seine Bewohner hingegen sah ich als Einzelkämpfer.“ (ZDF-Pressemappe zum Film)
Das Drehbuch wurde von den preisgekrönten Krimi-Spezialisten Thorsten Wettcke und Christoph Silber verfasst, aus deren Feder auch zahlreiche Tatort-Folgen stammen. Silber wirkte an den Drehbüchern von Good Bye, Lenin! (2003) und Honigfrauen (2017) mit – er hatte also bereits Erfahrung mit der filmischen Aufarbeitung der DDR.
Walpurgisnacht wurde von Quirin Berg und Max Wiedemann produziert (Wiedemann & Berg Television GmbH & Co. KG), die auch für Das Leben der Anderen (2006) sowie den Fernseh-Mehrteiler Tannbach – Schicksal eines Dorfes (2015 – 2018) verantwortlich zeichnen. Ausführende Produzentin war Susanne Hildebrand.
Das öffentlich-rechtliche Fernsehen hat einen besonderen Status als Erinnerungsort, da durch die Gebührenfinanzierung ein gewisser Legitimitätsdruck entsteht. Walpurgisnacht hat rund 4,5 Millionen Euro gekostet (IMDb).
Neben einer umfangreichen Pressemappe zum Film samt Interviews mit Regisseur Hans Steinbichler, Redaktionsleiter Günther van Endert und den Schauspielern Silke Bodenbender, Ronald Zehrfeld und Jörg Schüttauf, einer Pressemitteilung zum Drehstart sowie den üblichen ZDF-Teasern im Vorfeld der Ausstrahlung gab es keine größere Werbekampagne.
Filminhalt
Handlung
Achtung: Unter der Überschrift „Die Auflösung“ erfahren Sie, wer der Täter ist.
Teil 1
Im abgeschiedenen Dorf Schierke im Harz führt der Tod eines Mädchens aus der BRD im Jahr 1988 zur ersten (und rein fiktiven) deutsch-deutschen Polizeikooperation. Volkspolizist Karl Albers und Hauptmann Lothar Wieditz arbeiten mit Nadja Paulitz vom LKA Wiesbaden zusammen. Nach einem kühlen Empfang ergänzt die Kollegin aus dem Westen die pragmatische Arbeit der Volkspolizei durch modernes Profiling. Heikel ist, dass die tote Westdeutsche eine Beziehung mit dem Sohn des SED-Kreisparteisekretärs Egon Pölz hatte. Dieser versucht, die Ermittlungsarbeit zu unterdrücken und lässt Beweismittel verschwinden. Allerdings hält sich sein Einfluss im Zeichen von Gorbatschows Reformpolitik in Grenzen. Eine Misswahl in der Dorfschenke „Hexenbräu“ sorgt dann für Aufruhr: Erstens sitzt Albers in der Jury, was seine eifersüchtige Frau Doris missbilligt. Zweitens folgt ein heftiger Streit zwischen „Vize-Miss-Harz“ Steffi und ihrem Exfreund, dem Erotikfotografen Alexander. Und drittens wird am nächsten Morgen Steffis Leiche gefunden. Pölz lenkt den Verdacht auf den seltsamen Jörg. Als dieser bei einer Verfolgungsjagd unweit des Todesstreifens an der Grenze zum Opfer wird, ist der vermeintlich Schuldige ausgeschaltet. LKA-Frau Paulitz werden prompt die Ausreisepapiere überreicht. In der folgenden Schlüsselszene stoppt Hauptmann Wieditz mit Blaulicht Paulitz‘ Zug in die BRD und teilt ihr mit: „Wir haben eine neue Leiche.“
Teil 2
Das dritte Opfer, „Miss Harz“ Antje Völker, weist Merkmale auf, die auf einen Ritualmord hindeuten. Unter anderem fehlt der Leiche ein Zeh. Als Paulitz deshalb einen psychopathischen, frauenhassenden Serientäter vermutet, der ein Einsiedlerdasein führt, winkt Hauptmann Wieditz sofort ab: „So was gibt´s bei uns nicht.“ Im Folgenden geraten zwei Personen in Verdacht: Parteileiter Pölz, da Antje von seinem Verhältnis mit Steffi wusste. Und auch Alexander macht sich verdächtig. Nach dem Auffinden des dritten Opfers (Berit Wagner) drängt die Zeit. Während Alexander von Wieditz befragt wird, macht Paulitz eine schockierende Entdeckung.
Die Auflösung
Paulitz durchforstet die Staatssicherheitsakte von Albers. Darin wird von der Republikflucht seiner Frau Doris mit ihrem Liebhaber berichtet. Doris Albers ist jedoch nie in der BRD registriert worden. Um nicht im Gefängnis zu landen, hätte sie zu Karl Albers in die totale Isolation zurückkehren müssen. In diesem Glauben verschafft sich Paulitz über den Keller Zugang zu Albers‘ Haus. Derweil würgt Albers seine Frau im Hausflur wutentbrannt, Paulitz tritt aus dem dunklen Keller ins Licht – und erkennt, dass Doris gar nicht existiert. Karl Albers leidet seit dem Mord an Doris nach der fehlgeschlagenen Republikflucht an einer gespaltenen Persönlichkeit und schlüpft in die Identität seiner eifersüchtigen Frau, um potenzielle Sexualpartnerinnen zu ermorden. Als er/sie Paulitz angreifen will, schießt sie ihn nieder. Sterbend erzählt er, dass seine Mutter ebenfalls Republikflucht beging und ihn seinem grausamen Großvater überließ. Nach diesem Showdown, der an den Hitchcock-Klassiker Psycho angelehnt ist, kehrt Nadja Paulitz in die BRD zurück.
Zentrale Figuren
Nadja Paulitz (Silke Bodenbender) ist Oberkommissarin beim LKA Wiesbaden mit einem nicht verarbeiteten Trauma. Als Einzelkämpferin im Westen sozialisiert, legt sie distanzloses Verhalten an den Tag und fühlt sich durch ihre Profiling-Methoden überlegen. Die DDR-Machtstrukturen gefährden ihrer Meinung nach die Ermittlungsarbeit. „Aber unter diesem Panzer versteckt meine Figur eine Weichheit, die sich allmählich Bahn brechen wird“, erzählt Silke Bodenbender in einem Interview mit der Stuttgarter Zeitung.
Karl Albers (Ronald Zehrfeld) ist ein in Schierke integrierter Volkspolizist, der sich im Privaten bedeckt hält. Eine tiefe Angst vor dem Verlassenwerden wohnt ihm durch Erfahrungen mit Republikflucht inne. Von Skrupeln geplagt widersetzt er sich der Anweisung, den Tod von Juliane aus Westdeutschland als Unfall zu den Akten zu legen.
Lothar Wieditz (Jörg Schüttauf) ist als Polizeihauptmann die schulterzuckende Verkörperung ostdeutscher Beamtenmentalität und fügt sich gleichmütig in den Bürokratieapparat. Nadja Paulitz prallt regelmäßig an seiner Bräsigkeit ab. Er legt großen Wert darauf, dass in der Volkspolizei alles seinen sozialistischen Gang geht und keine schlafenden Hunde geweckt werden. Lange agiert er als mehr oder weniger unbeteiligter Statist – bis zu dem Moment, als sich der über Jahre angestaute Frust in der Verdächtigung von Parteichef Pölz entlädt.
Egon Pölz (Godehard Giese) verkörpert als Kreisparteisekretär einen gefühlskalten, machtbesessenen SED-Funktionär. Als Provinzfürst verweist er die Polizisten auf ihren Platz, spricht Drohungen aus, hält sich für unantastbar – erkennt jedoch gleichzeitig die Zeichen der Zeit nicht: „Noch hab‘ ich hier das Sagen. Gorbatschow hin oder her.“ Letztlich macht ihn seine politische Stellung jedoch nicht immun gegen die Justiz.
Gesellschaftsbild
Walpurgisnacht zeichnet im Mikrokosmos eines abgeschiedenen Dorfes eine von bröckelnden Machtstrukturen durchzogene Gesellschaft voller Opportunisten. Sie bilden nur oberflächlich eine Gemeinschaft, ziehen sich tatsächlich aber in die innere Emigration zurück („Frau Paulitz, es gibt hier viele einsamen Menschen“). Die mögliche Existenz eines psychopathischen, mordenden Einsiedlers in der „sozialistischen Volksgemeinschaft“ wird allerdings kategorisch abgelehnt: „So was gibt es bei uns nicht“ (Wieditz). Dass das Gemeinschaftsdenken eine große Rolle spielt, zeigt auch die ablehnende Haltung zum Thema Republikflucht, die mit Verantwortungslosigkeit assoziiert wird („Sie ist abgehauen“, Albers).
Die Volkspolizei ist in diesem Film bürokratisch und ohne Empathie. Ein Todesfall wird zur bloßen „Angelegenheit“ reduziert. In der DDR läuft augenscheinlich alles gemächlicher. Polizisten radeln grüßend zur Arbeit, um dort den „ganz normalen Ermittlungsweg“ einzuhalten. Deshalb stößt Paulitz‘ Profiling auf Gleichgültigkeit. Erst später kommt es zu Anerkennung und gegenseitiger Wertschätzung.
Im Zeichen von Glasnost und Perestroika ist der Einfluss der SED auf Gesellschaft und Polizeiarbeit bereits geschwunden – der Einzige, der das noch nicht begriffen hat, ist der von Allmachtsfantasien besessene Parteisekretär Pölz. Obwohl die hierarchische Befehlsstruktur mit unbedingtem Gehorsam faktisch noch existiert, wird sie in der Praxis umgangen. Auch die Staatssicherheit tritt nicht aktiv auf.
Es entsteht der Eindruck, dass die „neue Offenheit“ unter Gorbatschow den DDR-Bürgern, die teilweise noch in alten Mustern denken („Die hetzen mir die Bundesrepublik auf den Hals!“, Pölz), ungewollt aufgezwungen wird. Während Kriminalrat Brehms fast schon euphorisch von der Ost-West-Annäherung schwärmt, analysiert Paulitz: „Dann geht’s gar nicht um den Fall. Ihr macht Politik.“ Diese politischen Implikationen treten jedoch schnell in den Hintergrund und dienen letztlich nur als Kulisse.
Die freizügige und schlagfertige Dorfjugend unterscheidet sich derweil fundamental von der konformistischen älteren Generation. Die jungen Erwachsenen versuchen, der allgegenwärtigen Tristesse zu entkommen – einige durch die Teilnahme an der Misswahl in der Dorfschenke „Hexenbräu“, andere als Alexanders Fotomodelle auf der Suche nach Glanz und Glamour sowie einer Karriere in der Hauptstadt („Die wollten alle groß rauskommen“, Alexander).
Ästhetik und Gestaltung
Die Szenerie in Walpurgisnacht ist eher dunkel und verfinstert sich immer mehr. Während die verfallenen Häuser und Wohnungen in DDR-stereotypischem tristen Grün-Grau gehalten sind und eine drückende Atmosphäre erzeugen, erscheint die Landschaft mit ihren Gesteinsformationen übermächtig und ein wenig magisch. Die Musik von Mathias Rehfeldt perfektioniert die bedrohliche Stimmung. So lässt sie zum Beispiel beim Grenzübertritt von Paulitz ahnen, dass in Schierke viele Schrecken lauern werden. Die reduzierte, nüchterne Bildsprache und die bedächtige Narration spiegeln den verschlafenen Ort des Geschehens. Die kontrollierte Dramaturgie wiederum passt gut zur gesellschaftlichen Angepasstheit. Christian Marohl (Kamera) und Wolfgang Weigl (Schnitt) erzählen die Geschichte mit Bildwechseln, Perspektivüberlagerungen, sparsamen Rückblenden und bildlichen Metaphern – zum Beispiel als Nadja Paulitz aus dem dunklen Keller ins Licht tritt und gleichzeitig erkennt, wer für die Taten verantwortlich ist.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Es werden verschiedene Strategien angewandt, um die DDR kurz vor der Wende möglichst authentisch erscheinen zu lassen: Weder Westfernsehen (Die Schwarzwaldklinik) noch Literatur „vom Klassenfeind“ (In Farbe) sind mehr besonders verpönt, auch die zeittypische Sprache ist Änderungsprozessen unterworfen: „Bevor der Genosse aus‘m Westen… also der Kollege hier auftaucht…“ (Wieditz). In puncto Geschlechtergerechtigkeit hat sich allerdings noch nicht viel getan: Nadja Paulitz ist beim LKA Wiesbaden noch „der beste Mann“. Zeittypische Musik (Nena mit ihren 99 Luftballons, Depeche Mode, Black Sabbath), der allgegenwärtige Wodka und Gerichte wie „Kalter Hund“ sollen das Lebensgefühl von damals heraufbeschwören. Vieles wirkt gewollt verstaubt, seien es die Klamotten im Jeanslook, die bröckelnden Fassaden oder altmodische Möbel und Frisuren.
Auf einer wahren Begebenheit beruht Walpurgisnacht zwar nicht, jedoch ist der Film nach Aussage von Hauptdarsteller Ronald Zehrfeld lose an den Fall des Mörders Erwin Hagedorn angelehnt: „Ich habe mich an den Fall Hagedorn erinnert, den einzigen Serienmörder im Osten. Sonst hat die Regierung keinen zugegeben. Das war einmalig.“ (Hamburger Morgenpost) Hagedorn sei der erste Fall gewesen, „bei dem der Osten und der Westen ein wenig zusammenarbeiteten – auch auf der Profiler-Ebene“. Ronald Zehrfeld spielte auch im Fernsehfilm Mord in Eberswalde (2013), in dem es um den Hagedorn-Fall ging (tittelbach.tv).
Regisseur Hans Steinbichler betonte, dass er sich bei der Darstellung von Harz und Volkspolizei beraten ließ – und dass „der gesamte Cast, mit Ausnahme von Silke Bodenbender, ‚original‘ aus Ostdeutschland“ stammt (ZDF-Pressemappe zum Film). Insbesondere Ronald Zehrfeld und Jörg Schüttauf haben in Interviews über ihre Erfahrungen aus dem Jahr 1988 berichtet. Schüttauf, der bereits in einigen Filmen über die DDR mitgespielt hat, prüft Drehbücher nach eigener Aussage sehr genau auf Klischees: „Dieses Schwarz und Weiß, Gut und Böse, das ist zu einfach“ (Südkurier). Er bestätigt auch gleich die Darstellung von Westfernsehen und Popmusik im Film: „Das war wirklich so. Es ist ein großer Trugschluss, wenn man meint, dass es in der DDR unter Todesstrafe verboten war, Westfernsehen zu gucken.“ Auch Ronald Zehrfeld, der in Berlin aufwuchs und sich als Leistungssportler gut mit dem Kampfschwimmer Ronny Pölz im Film identifizieren kann, hat viel zu seiner Wahrnehmung der DDR zu sagen. Er kenne „den Druck, den das DDR-System und ein Vater als Parteifunktionär ausüben können“ (Berliner Morgenpost). Er habe vor allem den Zusammenhalt in einer sozialistischen Volksgemeinschaft zeigen wollen: „Solidarität ist ein typisches Ost-Wort“ (Osnabrücker Zeitung). Außerdem spiegelt die Trägheit der Schierker Volkspolizei seiner Ansicht nach die realen Umstände: „Das Leben in der DDR war generell nicht so hektisch, ausgereizt und vollgefrachtet mit Eindrücken und Impulsen.“ Auch Hauptmann Wieditz‘ Beamtenmentalität und die bürokratische Ermittlungsarbeit legitimiert Zehrfeld: „In der DDR war man bei der Aufklärung von Kriminalfällen sehr pragmatisch. Dort wurde alles nach Protokoll abgearbeitet“ (Goldene Kamera).
Rezeption
Reichweite
Die beiden Folgen von Walpurgisnacht errangen den Quotensieg am jeweiligen Ausstrahlungstag, auch wenn die Reichweite bei Teil zwei etwas sank. Der Film wurde im Nachtprogramm wiederholt. Die GfK-Daten: Montag, 18. Februar 2019, 20.15 Uhr (6,19 Millionen, Marktanteil 19,6 Prozent) und Mittwoch, 20. Februar 2019, 20.15 Uhr (5,51 Millionen, 17,7 Prozent).
Rezensionen
Die Reaktionen der Presse auf Walpurgisnacht fielen unterschiedlich aus. Für die meisten handelt es sich um ein solides, routiniertes Stück Krimiunterhaltung, einen klassischen „Whodunit“ (Jens Müller, Die Tageszeitung), für manche aber auch um einen Fall für die „Kann, aber muss nicht“-Krimischublade (Heike Hupertz, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Das hochspannende Finale sei „harter Tobak“ (Rainer Tittelbach, tittelbach.tv) sowie „eine hübsche Überraschung“ (Jens Müller, Die Tageszeitung). Der Weg dahin sei allerdings teilweise „überzogen“ (Eric Leimann, Prisma) und „arg melodramatisch“ (Jan Freitag, Tagesspiegel). Mike Powelz (Goldene Kamera): „Eindringlicher Mix aus Krimi, Historie und Harz-typischer Hexenmythologie in ruhigem Erzähltempo mit starken Momenten und sorgfältiger Figurenzeichnung. Regisseur Hans Steinbichler vermittelt eine mystisch-verträumte Atmosphäre, ohne in Gruselklischees abzurutschen“.
Für einige Kritiker sind das „läppische Hexenmotiv“ (Jens Müller, Die Tageszeitung) und die „abgegriffenen Gruseleffekte“ (Eric Leimann, Prisma) zu viel des Guten. Der „graubeige Grundton, den man beim Zusehen instinktiv ins bundesrepublikanische Farbbad tauchen will“, werde außerdem dazu benutzt, die planwirtschaftliche Tristesse zu stilisieren (Jan Freitag, Tagesspiegel). Dass die politischen Implikationen unterentwickelt bleiben (Harald Keller, Frankfurter Rundschau) und lediglich das Ambiente geborgt wird, fällt einigen Kritikern negativ auf: „Wenn ein vermeintlicher Republikflüchtling an der Grenze den Tod findet, wirkt die Szene eher wie eine Pflichtübung. Die allgegenwärtige Staatssicherheit (…) tritt gar nicht in Erscheinung. Und es scheint (…) in dieser fiktiven DDR auch keine Probleme zwischen Staat und Kirche zu geben. Wenig plausibel in der beschriebenen Phase“ (Heike Hupertz, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Andererseits wird die stereotype Darstellung von Totalitarismus kritisiert, man bleibe „dem ungeschriebenen TV-Gesetz treu, Totalitarismus von links wie rechts nur mit ein, zwei Tätern und lauter Opfern darzustellen“ (Jan Freitag, Tagesspiegel). Sprachliche Anachronismen wie „Fick dich“ oder „Verlierer“ (damals eher: Versager) und die falsch dargestellte Praxis der analogen Fotografie sind ebenfalls Steine des Anstoßes (Harald Keller, Frankfurter Rundschau).
Erinnerungsdiskurs
Walpurgisnacht enthält einige bekannte narrative Bedeutungsmuster, die auch andere filmische Aufarbeitungen der DDR verwenden. Erstens wird die BRD als Ort des Verbrechens und der Schurkerei gesehen, in der DDR hingegen kann es keine psychopathischen Serienmörder geben. Zweitens werden die vermeintliche ostdeutsche „Rückständigkeit“ und Weltfremdheit vielfach angedeutet („Telefone haben wir hier schon“). So steht die unaufgeregte Ermittlungsarbeit der Volkspolizei dem fallanalytischen Ansatz der Westkollegin um einiges nach. Das dritte dominante Bedeutungsmuster ist die sozialistische Volksgemeinschaft: Republikflucht ist in diesem Film nicht bloß eine traumatische Erfahrung und Verrat, sondern wird sogar zum Mordmotiv. Viertens kommt auch das altbekannte Feindnarrativ in Walpurgisnacht nicht zu kurz: „Ich will nicht mit leeren Händen dastehen, wenn die BRD hier morgen einmarschiert“ (Wieditz). Im Kontrast zu anderen Filmen handelt es sich bei der in Walpurgisnacht dargestellten DDR aber nicht (mehr) um einen von SED und Staatssicherheit kontrollierten Unterdrückungsstaat, dazu stehen die Zeichen der Zeit bereits zu deutlich auf Glasnost und Perestroika. Angerissen werden außerdem die Erzählmuster der „Liebe mit einer Mauer dazwischen“ (Juliane und Ronny) sowie des Todes auf dem Grenzstreifen (Jörg).
Das Hauptthema des Films, nämlich die grenzüberschreitende Kooperation bei der Ermittlungsarbeit als Grundstein für ein deutsch-deutsches Zusammenwachsen, zielt über die genannten stereotypen Bedeutungsmuster im DDR-Erinnerungsdiskurs hinaus auf eine gesamtdeutsche Identität. Die Genossen von der Volkspolizei erkennen die westdeutsche Kollegin im Verlauf des Films immer mehr an, eine friedliche Koexistenz rückt in greifbare Nähe. So erlaubt sich Walpurgisnacht dann auch in der Schlussszene einen zaghaften Blick in eine vereinigte Zukunft – als Hauptmann Wieditz nämlich ankündigt, Paulitz nach seiner Verrentung im Westen zu besuchen, antwortet diese: „Wer weiß, vielleicht dauert‘s ja gar nicht so lang.“
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Empfehlung der Autorin
Walpurgisnacht bietet solide, mystisch angehauchte Fernsehunterhaltung für Krimi- und Thriller-Fans, angesiedelt in der Tristesse einer grauen ostdeutschen Kleinstadt. Die grenzüberschreitende Ermittlungsarbeit lässt Ansätze eines deutsch-deutschen Zusammenwachsens bereits vor der Wende erkennen. An trennenden Klischees wird dennoch nicht gespart.
Empfohlene Zitierweise