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Sat.1/Dirk Plamböck

Wir sind das Volk

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Wir sind das Volk
Erscheinungsjahr
2008
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
184 Minuten

Kurzbeschreibung

Eine Mutter versucht, zusammen mit ihrem Sohn zu ihrem Lebensgefährten in den Westen zu fliehen. Während der Sohn entkommt, wird sie von der Stasi verhaftet und in Hohenschönhausen festgesetzt.

Schlagworte

Zeit
Schauplatz
Genre

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Thomas Berger

Regisseur Thomas Berger wurde am 31. Dezember 1959 in Dortmund geboren. Er hat an der Hochschule für Fernsehen und Film in München studiert und 1997 mit dem Film Dicke Freunde sein Regiedebüt gefeiert. Seine Komödie Busenfreunde 2 – Alles wird gut bekam 1999 den Bayerischen Fernsehpreis. Es gibt einen zweiten DDR-Film von Berger: Zeugin der Toten (2013), ebenfalls ein Stasi-Drama.

Drehbuch

Silke Zertz

Drehbuchautorin Silke Zertz kam 1966 in Lemgo zur Welt, wuchs aber im Harz auf. Ihr Studium (Geschichte, Nordamerikastudien) absolvierte sie in Berlin und den USA. Anschließend arbeitete sie als Journalistin für Print und Radio und ist seit 1995 Drehbuchautorin. Für Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen bekam Zertz sowohl den Bayerischen als auch den Deutschen Fernsehpreis. Sie schrieb auch die Drehbücher für Jedes Jahr im Juni (2013) sowie für drei Episoden der Serie Tannbach (2018).

Produktion

Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen wurde von der Olga Film GmbH produziert. Verantwortlich waren Viola Jäger, Harald Kügler und Molly von Fürstenberg. Viola Jäger wurde 1970 in Hagen geboren, hat an der Hochschule für Fernsehen und Film in München Produktions- und Medienwirtschaft studiert und stieg dann als Gesellschafterin und Produzentin bei der Münchner Produktionsfirma Olga Film ein, einer Tochter von Constantin Film. Seit 2009 ist Jäger Geschäftsführerin der Olga Film. Zu ihren Produktionen gehören unter anderem Dieses bescheuerte Herz (2017) und Vincent will Meer (2010). Harald Kügler studierte Wirtschaft und Betriebstechnik, wurde 1971 Produktionsleiter in der Filmbranche und stieg 1986 als Gesellschafter und Produzent in die Olga Film ein, in deren Geschäftsführung er bis 2016 war. Seine Werke wurden mehrfach ausgezeichnet: Für Die Einsamkeit der Krokodile (2000) und Kirschblüten – Hanami (2008) gab es zum Beispiel den Bayerischen Filmpreis. Molly von Fürstenberg wurde 1942 als Kerstin Dobbertin in Staßfurt in Sachsen-Anhalt geboren. Mit zehn Jahren zogen sie und ihre Familie nach Essen. Von Fürstenberg sprach in einem Interview von „Flüchtlingen“. Sie hat zunächst als Filmschauspielerin gearbeitet, ist dann in die Produktion gewechselt und hat 1974 Olga Film gegründet.

Finanzierung

Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen bekam mindestens 2,4 Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln. Das Gesamtbudget lag nach Angaben von crew-united.com bei acht Millionen Euro.

FilmFernsehFonds Bayern (FFF)

500.000 Euro (unter dem Arbeitstitel Der Untergang der DDR)

Medienboard Berlin-Brandenburg

1.900.000 Euro

MEDIA-Programm der Europäischen Union

Höhe der Förderung unbekannt

Werbung

Zwei Tage nach Erstausstrahlung auf Sat.1. wurde der Film auch auf DVD veröffentlicht. Außerdem gibt es eine CD mit der Filmmusik von Dieter Schleip und eine 90 Minuten lange Kinofassung, die am 24. September 2008 Weltpremiere in Berlin feierte. In die deutschen Kinos kam diese Fassung allerdings nicht.

Filminhalt

Handlung

Andreas Wagner flieht über die Mauer. Dabei wird Mathis, der Bruder seiner Lebensgefährtin Katja Schell, erschossen. Im Westen arbeitet Wagner für das Fernsehen und versucht dort, auf die Lage in der DDR aufmerksam zu machen. Sechs Jahre später unternimmt Katja mit dem gemeinsamen Sohn Sven einen Fluchtversuch über Ungarn. Während der Sechsjährige nach Österreich gelangt, verletzt sich Katja am Kopf, wird in ein ungarisches Krankenhaus gebracht und muss anschließend in Untersuchungshaft nach Hohenschönhausen. Dort versucht Stasi-Offizier Bert Schäfer sie unter Druck zu setzen, um an Informationen über Andreas zu gelangen. Als die Schikanen der Haft unerträglich werden, unternimmt Katja einen Suizidversuch, überlebt und wird kurz vor dem Mauerfall entlassen. Endlich kann sie zu Andreas und Sven.

Nebenhandlungen des Films drehen sich um andere Formen des Widerstands: Micha, Katjas zweiter Bruder, schmuggelt Videoaufnahmen in den Westen, Jule schließt sich den Straßenprotesten an, obwohl ihr Bruder und ihr Vater Polizisten sind.

Zentrale Figuren

Katja Schell (Anja Kling) – Die Kindergärtnerin versucht 1989 mit ihrem sechsjährigen Sohn Sven über Ungarn in den Westen zu gelangen. Andreas, ihr Lebensgefährte, war sechs Jahre zuvor aus der DDR geflohen. Katja lehnt die DDR ab. Nach dem Scheitern der Flucht wird sie von der Stasi verhört und gefoltert. Anja Kling ist in der DDR groß geworden. Fünf Tage vor der Maueröffnung floh sie über die Tschechoslowakei nach Bayern.

Andreas Wagner (Hans-Werner Meyer) – Der Lebensgefährte von Katja wird bei seiner Flucht aus der DDR mehrfach angeschossen. In West-Berlin berichtet er für das Fernsehen über die DDR, was die Staatssicherheit auf ihn aufmerksam werden lässt. Als sein sechsjähriger Sohn Sven im Westen ankommt, will er Katjas Geschichte einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen.

Bert Schäfer (Heiner Lauterbach) – Der Stasi-Offizier verhört Katja während ihrer Haft in Hohenschönhausen. Dabei versucht er, ihren Widerstand mit psychologisch-manipulativen Verhörmethoden zu brechen und das Vertrauensverhältnis zu Andreas zu untergraben. Außerdem droht er mit dem Entzug des Sorgerechts für ihren Sohn. Heiner Lauterbach ist auch in Traumfabrik (2019) und Tannbach (2015) zu sehen.

Micha Schell (Matthias Koeberlin) – Katjas zweiter Bruder engagiert sich nach der Erschießung seines Bruders Mathis bei einem Fluchtversuch gegen das politische System der DDR und versorgt Andreas beim West-Fernsehen mit Bildmaterial, unter anderem von den Montagsdemonstrationen in Leipzig.

Jule Hoffmann (Anna Fischer) – Die Arbeitskollegin von Katja protestiert gegen das System und damit auch gegen die Männer in ihrer Familie: Bruder Götz (Oliver Bröcker) und Vater Bernd (Jörg Schüttauf) sind Polizisten. Einzig die Mutter (Kirsten Block) zeigt Verständnis. Jule verlässt ihr Elternhaus.

Anna Fischer kommt aus dem Osten Berlins. Ihre Mutter war genau wie ihre Figur im Film Kindergärtnerin.

Gesellschaftsbild

In Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen wird die DDR von der Stasi dominiert. Der Geheimdienst ist in der Haupt- und in einer der Nebenhandlungen allgegenwärtig. Katjas Erwartung, dass es in Ungarn vor Agenten wimmelt, bestätigt sich, als sich eine ältere Miturlauberin als Stasi-Frau entpuppt. Auch Katjas Bruder Micha versucht immer wieder herauszufinden, wer der Informant in seinem Kamerateam ist. Die Omnipräsenz der Überwacher wird besonders bei Katjas Verhören deutlich. Offizier Schäfer zeigt Bilder von ihrer ersten Begegnung mit Andreas und weiß genau, wann sie etwas gegen den Staat gesagt hat, weil auch im Kindergarten eine Informantin arbeitete. In Hohenschönhausen kommt Katja in Einzelhaft, wird nicht mit ihrem Namen angesprochen und so dehumanisiert. Außerdem foltert man sie mit Schlafentzug. Als Katja es wagt, sich gegen die Offiziere zu stemmen, wird sie medikamentös ruhiggestellt. Katja unternimmt einen Suizidversuch.

Neben der Stasi gibt es ein weiteres wichtiges Thema im Film: Welchen Anteil haben die Westmedien am Fall der Mauer? Andreas informiert als Fernsehjournalist über die Zustände in der DDR, kann so die Proteststimmung im Land anheizen und die Menschen mobilisieren. Als am Ende des Films die Grenze geöffnet wird, glauben die Offiziere, gegen die Medien verloren zu haben: „Heute entscheidet das Fernsehen.“ Damit wird der Protest mündiger DDR-Bürger einer kleinen Gruppe von westdeutschen Journalisten zugeschrieben.

Die DDR ist in Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen ein Propagandastaat. Gleich zu Beginn des Films regt sich Katja darüber auf, dass ihr Sohn im Kindergarten mit einem Panzer spielt, obwohl sie ausdrücklich gewünscht habe, dass dies nicht geschehe. Die Kindergärtnerin sagt, dass es zu ihren Aufgaben gehöre, den Kindern den „Klassenkampf“ nahezubringen. Positive Facetten der DDR werden nur in einer Szene erwähnt: Mandy, eine Arbeitskollegin Jules und Katjas, erzählt beiläufig, dass es doch gut sei, dass sie ihr Kind in die Krippe abgeben und so den ganzen Tag arbeiten gehen könne. Sonst sind alle ostdeutschen Figuren entweder Opfer des Systems oder Mittäter. Dazwischen gibt es nichts.

Ästhetik und Gestaltung

Die Einstellung der Figuren zur DDR ist auf den ersten Blick erkennbar. West- und Ost-Deutsche unterscheiden sich schon in Sachen Mode. Stasi-Offizier Schäfer tritt stets im Anzug auf. Die Männer der Familie Hoffmann tragen auch daheim ihre Polizeiuniform. Die Kostümierung von Katja verändert sich nach ihrer Festnahme. War sie vorher stets schick gekleidet, so nimmt ihr die Uniform in Hohenschönhausen jede Möglichkeit, ihre Individualität durch ihren Kleidungsstil zu zeigen.

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen erzählt eine fiktive Geschichte. Historischer Fachberater war Hans-Hermann Hertle, damals wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Zeithistorische Forschung in Potsdam. Ein weiterer wichtiger Berater war Matthias Melster, der selbst für fünf Monate in Hohenschönhausen inhaftiert war. „Seine Erzählungen waren sehr erschütternd. Ich habe ihn durchgehend gefragt, ob alles authentisch ist. Andernfalls haben wir die jeweilige Szene entweder gestrichen oder entsprechend verändert“, sagte Hauptdarstellerin Anja Kling der Mainpost. Ein Teil der Szenen sei in der echten Gummizelle gedreht worden.

Der Stern hat den Aufwand und das Bemühen um Authentizität ausdrücklich gelobt: „Ein halbes Jahr lang hat die Drehbuchautorin Silke Zertz recherchiert, Verhörprotokolle gelesen, mit zahlreichen Zeitzeugen gesprochen, ehe sie das Drehbuch geschrieben hat. Beim Dreh wurde akribisch darauf geachtet, mit Originalrequisiten an Originalschauplätzen zu drehen: Zwei Drittel des Films sind in Berlin entstanden. Für die Szenen an der Berliner Mauer ist man nach Prag ausgewichen und hat dort hundert Meter Mauer bis ins kleinste Graffiti detailgetreu wieder aufgebaut – eine perfekte optische Täuschung.“

Zur Authentizität des Films tragen zudem Schauspieler und Schauspielerinnen bei, die in der DDR aufgewachsen sind – etwa Anja Kling oder Jörg Schüttauf. Kling sagte der Mainpost: „Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie brutal die Polizei vorgegangen ist. Ich war mit Leuten von der Staatsoper auf einer Demo. Plötzlich wurden Wasserwerfer von allen Seiten eingesetzt. Wir sind nur noch gerannt. Ich habe auch erlebt, wie viele Leute auf LKW verladen wurden. Das, was sie am nächsten Morgen berichtet haben, entspricht genau dem, was im Film zu sehen ist.“

Nach der Erstausstrahlung von Teil eins zeigte Sat.1 die Begleitdokumentation Freiheit! Das Ende der DDR, in der Zeitzeugen und Berater sprachen.

Rezeption

Reichweite

Die Erstausstrahlung des TV-Zweiteilers auf Sat.1 erfolgte am 6. und 7. Oktober 2008 um 20:15 Uhr. Die GfK-Zahlen: 3,97 Millionen und 12,8 Prozent (Teil 1) sowie 4,41 Millionen und 14,6 Prozent (Teil 2).

Rezensionen

Die Kritiken für Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen loben vor allem Bildsprache, Recherche und Authentizität. So schreibt Peter Zander (Welt): „Wir sind das Volk ist keine schmalzige Soap, sondern ein TV-Event, das diesen Namen einmal wirklich verdient. (…) Was die Gefängnissequenzen angeht, zeigt Berger schonungslose Bilder, die wir bei der Frau am Checkpoint Charlie schmerzlich vermisst haben. Und auch vom Wunder der Gewaltlosigkeit am 9. November wird hier mehr deutlich als im Wunder von Berlin. (…) Wir sind das Volk ist ein packendes, aufwühlendes Drama, wie es auch den öffentlich-rechtlichen Sendern gut angestanden hätte (die aber haben dieses Reizdatum geflissentlich übersehen). Ein TV-Ereignis, das eigentlich nur einen Makel hat: dass es nicht direkt zum Tag der Einheit gesendet wird.“

Auch Rainer Tittelbach (tittelbach.tv) fand positive Worte: „Die Kraft des hoch emotionalen Films gipfelt in den Ereignissen des 9. und 10. Oktober. (...) Einen Monat später fällt die Mauer. Auch das zeigt der Film authentisch: die legendäre Reiseregelungs-PK, die nervenaufreibenden Minuten vor der Maueröffnung, die Angst vor Panik und Schüssen. Schließlich der Sieg des Fernsehens (Schabowskis „Das gilt ab sofort meines Wissens“) über die Bedenken der Betonköpfe am Schlagbaum.“

Christian Buß (Spiegel) hebt vor allem die Emotionalität heraus: „Gerade durch die Knast-Szenen entwickelt Wir sind das Volk seine nachhaltige verstörende Wirkung: Anders als in Polit-Schmonzetten wie Die Frau vom Checkpoint Charlie gibt es in diesem Stasi-Keller keinen Raum fürs Martyrium, das Leiden wird nicht sinnstiftend überhöht.“

Kritisiert wurde allenfalls die Komplexität. Annabell von Gemmingen (Stern): „Trotz überzeugender Darsteller und einem um Authentizität bemühten Drehbuch haben sich die Macher mit der Handlung übernommen. (…) Drei Nebenhandlungsstränge weniger hätten dem Film sicherlich gut getan, seine ganze Komplexität ein wenig entzerrt und den einzelnen Charakteren mehr Entfaltungsspielraum gegeben. So wirkt Wir sind das Volk beizeiten arg konstruiert. Alles in allem ein 180-minütiger Marathonfilm, der zwar gut besetzt und vorbildlich recherchiert ist, dem irgendwo zwischen Anfang und Ende aber leider die Puste ausgeht – weil er sich zu viel vorgenommen hat.“

Auszeichnungen

Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen bekam sechs Auszeichnungen – unter anderem den Deutschen Fernsehpreis und die Goldene Kamera.

Auszeichnung

Kategorie

Deutscher Fernsehpreis 2009

Bester Mehrteiler

Deutscher Fernsehpreis 2009

Beste Schauspielerin Nebenrolle (Anna Fischer)

Goldene Kamera 2009

Beste deutsche Schauspielerin (Anja Kling)

Bayerischer Fernsehpreis 2009

Beste Schauspielerin – Fernsehfilm (Anja Kling)

Bayerischer Fernsehpreis 2009

Buch (Silke Zertz)

Jupiter-Award 2009

Beste deutsche TV-Darstellerin (Anja Kling)

Erinnerungsdiskurs

Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen gehört zum Diktaturgedächtnis. Die DDR ist hier ein Stasi- und Propagandastaat, in dem es nur Täter und Opfer gibt und kein Alltag ohne staatliche Überwachung möglich scheint (vgl. Mascha 2012).

Empfehlung

Empfehlung des Autors

Wer Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen für eine schnulzige Romanze hält, liegt daneben. Die guten Schauspielleistungen sorgen trotzdem für Emotionen. Einige Nebenstränge ziehen den Film allerdings in die Länge.

Empfohlene Zitierweise

Wir sind das Volk. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2024, https://ddr-im-film.de/index.php/de/film/wir-sind-das-volk