Wir wollten aufs Meer

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Wir wollten aufs Meer
Erscheinungsjahr
2012
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
116 Minuten

Kurzbeschreibung

Rostock 1982 – Die Freunde Conni und Andi haben ein großes Ziel: Sie wollen aufs Meer, sitzen aber an Land fest. Während Conni über das „Niemandsland“ an der tschechischen Grenze in den Westen geht, wird Andi zum Handlanger der Stasi.

Schlagworte

Zeit
Schauplatz
Genre

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Toke Constantin Hebbeln wurde 1978 in Schleswig-Holstein geboren und studierte zunächst Literaturwissenschaften und Philosophie an der Humboldt-Universität Berlin. 2002 nahm er eine Autoren- und Regieausbildung an der Filmakademie Baden-Württemberg auf. Für Nimmermeer (2006) bekam er den Studentenoscar. Wir wollten aufs Meer (2012), wo Hebbeln auch am Drehbuch mitgeschrieben hat, ist sein zweiter Spielfilm – und sein erster zur DDR.

Drehbuch

Ronny Schalk studierte ebenfallsan der Filmakademie in Ludwigsburg (Film und Drehbuch) und hat zusätzlich einen kommunikationswissenschaftlichen Hintergrund (Erststudium in Göttingen). Schalk war auch bei der zweiten Staffel von Tannbach – Schicksal eines Dorfes (2018) dabei.

Produktion

Der Film wurde von Frisbeefilms und der UFA Cinema produziert, in Koproduktion mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk (BR, Degeto, Südwestrundfunk, Arte, Saarländischer Rundfunk) sowie Hahn Film und CinePostproduction.

Es gab fünf Produzenten. Nico Hofmann und Jürgen Schuster (Geschäftsführer der UFA Cinema) haben bei DDR-Filmen wie Der Tunnel (2001), Wunder von Berlin (2008) oder Schicksalsjahre (2011) mitgewirkt, Ariane Krampe (UFA) bei Die Mauer – Berlin ´61 (2006). Die Brüder Manuel und Alexander Bickenbach (Frisbeefilms) haben schon Nimmermeer (2006) mit Hebbeln realisiert. Zu ihrer Filmografie gehört der DDR-Film Das System – Alles verstehen heißt alles verzeihen (2011).

Finanzierung

Das Budget lag bei rund 2,9 Millionen Euro. Es gab eine ganze Reihe von Fördermitteln:

Produktion

· Medienboard Berlin-Brandenburg (2010)

400.000 Euro

· FilmFernsehFonds Bayern (2010)

200.000 Euro

· Film und Medien Stiftung Nordrhein-Westfalen

190.893 Euro

· Filmförderung Saarland (2020)

50.000 Euro

(Ausfalldarlehen + Serviceleistungen)

· DFFF Deutsche Filmförderung (2010)

465.508,64 Euro

Verleih und Vertrieb

· FilmFernsehFonds Bayern (2012)

40.000 Euro

· Filmförderungsanstalt (FFA), 2012

35.000 Euro

· Medienboard Berlin-Brandenburg, 2012

50.000 Euro

Werbung

Verleihfirma ist Wild Bunch Germany, der Vertrieb erfolgt über Central Film Berlin. Auf dem Filmplakat sind drei zentralen Figuren zu sehen: Die Freunde Conni und Andi sitzen mit dem Vorarbeiter Matze in einem Boot, den sie im Auftrag der Stasi bespitzeln sollen. Es gibt einen Trailer sowie DVD und Blu-ray. In einem Feature sprechen der Regisseur und die Stars über Intention und Figuren. Toke Constantin Hebbeln: „Die beiden wollen nicht die DDR verlassen und flüchten, sondern ferne Länder sehen.“ Außerdem gibt es ein Presseheft und pädagogisches Begleitmaterial vom Institut für Kino- und Filmkultur in der Reihe Film im Fokus (2012). Reinhard Kleber (kinofenster.de) empfahl den Film ab der neunten Klasse für die Fächer Deutsch, Geschichte oder Sozialkunde. Die Deutsche Film und Medienbewertung stufte Wir wollten aufs Meer als „besonders wertvoll“ ein.

Filminhalt

Handlung

Wir wollten aufs Meer spielt in den 1980er Jahren. Die Freunde Cornelis (alias Conni) und Andreas (Andi) arbeiten im Rostocker Hafen und verfolgen nur ein Ziel: Sie wollen als DDR-Matrosen die Welt bereisen. Jahre später sind sie immer noch an Land und lassen sich auf einen Handel mit der Stasi ein: die Bespitzelung des Vorarbeiters Matthias Schönheer (Matze), der mit seiner Familie in den Westen möchte. Conni kommt zwar an die nötigen Informationen heran, ist aber nicht in der Lage, Matze auszuliefern und will stattdessen mit seiner vietnamesischen Freundin Mai nach Hamburg. Andi hingegen wählt den Weg des Verrats. Er sorgt dafür, dass Conni und seine Verlobte an der tschechischen Grenze geschnappt werden. Während Mai es nach Hamburg schafft, kommt Conni ins Gefängnis. Andi fängt Mais Briefe ab, weil er Conni nicht an den Westen verlieren will.

Im Gefängnis trifft Conni den Vorabeiter Matze. Beide werden kurz vor dem Fall der Mauer entlassen und werden Freunde, weil sie sehen, dass Andi sie beide verraten hat. Mais Briefe bekommt Conni erst nach der Wiedervereinigung. Mai ist mittlerweile zurück in Vietnam. Conni sticht endlich in See. Sein erstes Reiseziel: Südostasien.

Zentrale Figuren

Cornelis (Conni) Schmidt (Alexander Fehling) ist ein junger Mann, der von der weiten Welt träumt und Regeln ignoriert. Seine Beziehung zur Vietnamesin Mai ist eigentlich ein No-Go in der DDR. Conni ist allerdings nicht bereit, seine Prinzipien über Bord zu werfen und Kameraden zu verkaufen, selbst für seinen großen Traum nicht. Er lehnt das Angebot der Stasi ab (Infos gegen Marine) und spürt fortan die Macht des Geheimdienstes.

Andreas (Andi) Hornung (August Diehl) arbeitet wie Conni im Hafen und träumt wie er von der hohen See. Nach einem Unfall ist er an den Rollstuhl gebunden. Er verrät nicht nur Conni und Mai, sondern auch sich selbst und wird von einem starken jungen Mann zu einem gebrochenen und einsamen Stasi-Menschen, der seine Gefühle in Alkohol ertränkt.

Matthias (Matze) Schönherr (Ronald Zehrfeld) – ein Vorabeiter, der mit seiner Familie in den Westen will. Er erzählt Conni von seinen Plänen, der allerdings sein Vertrauen missbraucht – auch wenn es dann Andi ist, der die Info an die Stasi weiterreicht. Matze ist ein Mann, der verzeihen kann und für seine Familie kämpft.

Zentrale Nebenfiguren sind Stasi-Oberst Seler (Rolf Hoppe), der sich nicht die Finger schmutzig macht und dennoch auf eine gefährlich-gutmütige Art die Dominanz der Stasi repräsentiert, und die Inhaftierten der Zelle 22, die nach gescheiterten Fluchtversuchen ins Gefängnis kamen und dort zu Freunden werden.

Gesellschaftsbild

Wir wollten aufs Meer zeigt ein Land, in dem die Staatssicherheit bestimmt, was geht und was nicht – vom ganz Privaten (darf man eine vietnamesische Gastarbeiterin lieben und mit ihr Kinder haben) bis zu Job und Karriere. Der Stasi-Oberst hat die Zügel jederzeit in der Hand. Einen Platz bei der Marine gibt es für die beiden Freunde nur, wenn sie bereit sind, ihren Vorarbeiter an den Geheimdienst zu verraten. Einziges Bollwerk ist die Loyalität zu den Menschen in der unmittelbaren Umgebung, die allerdings nicht bei jedem gegen das Aufstiegsversprechen gewinnt, das mit einer Stasi-Mitarbeit verbunden ist. Verweigerung lässt selbst den Oberst kurz stutzen.

Der Preis für das Mitmachen ist in dieser Film-DDR allerdings hoch: Während Conni seine Freunde behält und selbst in der Haftanstalt neue gewinnt, gleitet Andi in Isolation und Alkohol ab. Sinnbild ist der Rollstuhl: Andi lebt zwar vergleichsweise in Luxus (Villa, Farbfernseher), kommt aber nicht mehr weg. Die Kollegen haben kein Interesse an ihm. Die Stasi verformt auch Andis Charakter. Er wird ein Egoist und Verräter, der selbst dann noch Connis Vertrauen missbraucht, als der längst im Gefängnis sitzt.

Ästhetik und Gestaltung

Der Film beginnt mit fiktiven dokumentarischen Aufnahmen und mit diesen Sätzen: „Rostock, DDR 1982: Die Mauer steht grau und fest. Jahr für Jahr zieht es hunderte junge Männer an den einzigen Hafen der DDR – Das ‚Tor‘ zur Welt“. Im Film gibt es keinen Erzähler. Nur beim Verlesen der Briefe hören wir Stimmen aus dem Off (von Andi und Mai). Der Fokus liegt ganz auf den Figuren von Conni und Andi, verstärkt durch Nahaufnahmen und Overshoulder-Einstellungen. Nur bei der Flucht von Mai und Conni durch den Wald ist die Kamera entfesselter und zeigt eher Natur. Die Farben sind am Anfang noch hell und bunt. Später wird es dunkel und trist – und es regnet ziemlich oft.

Die Musik spielt oft auf die Seefahrt an und ist in aller Regel von Raine, einem Briten mit angelsächsischem Pragmatismus (Presseheft), der die Stücke in drei Wochen komponiert haben soll. Daneben hört man Sebastian Blocks Unsere Heimat ist die See sowie Auf Wiedersehen von Hans Tauscheck. Einmal tanzen Conni und die Insassen aus Zelle 22 zu What shall we do with the drunken sailor.

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Hebbeln lässt keinen Zweifel daran, dass es sich um fiktive Figuren handelt. Trotzdem hat er versucht, möglichst nah an der historischen Wirklichkeit zu bleiben, und dabei auch auf Details geachtet. Dies beginnt schon bei der Sprache. Wir wollten aufs Meer war einer der ersten Filme über ein DDR-Gefängnis – einen Kontext, in dem es auch um die „richtigen“ Vokabeln und Ausdrücke geht. Auch deshalb bestand ein Großteil des Filmteams (vor und hinter der Kamera) aus Ostdeutschen (Presseheft). Die Suche nach Drehorten war eine Herausforderung. Die Originalschauplätze gab es so längst nicht mehr. Gedreht wurde zum Beispiel im Hamburger Hafen und in Bayern (für die Grenze zwischen DDR und CSSR). Der Gefängnishof ist aus einem Frauengefängnis in Berlin-Charlottenburg, die Außenansicht aus Dresden und die Zelle aus dem Studio. Regisseur Hebbeln hat unter anderem mit Hohenschönhausen-Insassen und vietnamesischen Gastarbeitern gesprochen.

Rezeption

Reichweite

Uraufführung war beim Filmfest München am 3. Juli 2012. Es folgten Premieren im Astra-Kino Essen (4. September 2012) und beim Toronto International Film Festival (8. September 2012). Hebbeln, Schalk, Fehling und Zehrfeld präsentierten Wir wollten aufs Meer auf einer bundesweiten Kinotour, bevor der Film am 13. September 2012 in die Lichtspielhäuser kam. Der Ticketverkauf (27.035) spiegelt diesen Aufwand nicht. TV-Premiere war am 23. Juli 2014 zur Primetime auf Arte. Es folgten weitere Ausstrahlungen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Der Film ist als DVD und Blu-ray verfügbar und kann gestreamt werden. Der Soundtrack ist als Audio-CD erhältlich.

Rezensionen

Wir wollten aufs Meer hatte ein breites, allerdings geteiltes Medienecho. Für die taz war der Film ein „herausragend besetztes Stasi-Melodram voller Fernweh, Verschlagenheit und Verrat“ – aus der gleichen Liga wie Das Leben der Anderen (2006). Diesen Vergleich zog auch die Deutsche Film- und Medienbewertung, die den Film für „in höchstem Maße gelungen“ hielt. Dem Tagesspiegel zufolge war der Link zum Oscargewinner gewollt. Hebbeln: „‚Ich dachte, man kann vor Herrn von Donnersmarck mit Augenzwinkern auch einmal den Hut ziehen und sagen: Er hat einen außergewöhnlich guten Film gemacht‘“. Jörg Schöning zog im Spiegel zwar die gleiche Parallele, sein Urteil aber war vernichtend. Während Henckel von Donnersmarcks Werk wenigstens „um eine psychologische Ausgestaltung der DDR-Charakter bemüht“ gewesen sei, wirke Hebbelns Film „wie ein Relikt des Kalten Krieges, so selbstverständlich und simpel werden hier kommunistische Funktionäre dämonisiert“. Ähnlich sah das Volker Bergmeister: „Jung-Regisseur Toke Constantin Hebbeln hat kein großes Polit-Drama à la Das Leben der Anderen gedreht, sondern einen kleinen, aufwühlenden Kinofilm über Vertrauen, Verrat und Rache.“

Jörg Schöning (Spiegel) stieß sich auch an (sprachlichen) Ungenauigkeiten. Prisma („einer jener Filme, bei denen gilt: weniger wäre mehr gewesen“) bemängelte, dass Hebbeln sich verzettle und ihm das Gespür für Tempo, Dramatik und Schauspielführung fehle. Ähnlich sah das Matthias Dell in epd-Film: „So ist Wir wollten aufs Meer ein merkwürdiger Hybrid geworden – der Film beginnt als jugendlicher Ausbruch, will sich um theatergroßen Verrat gruppieren und könnte am Ende sogar noch ein Thriller über die Allmacht der Stasi werden. In der Logik solcher Andeutungen läge ein viel freierer Zugriff auf die Geschichte – die Möglichkeit, die DDR mit den Mitteln des Genres einmal fantasievoll anders zu erzählen“. Zeitzeugin Vera Lengsfeld dagegen sagte in der Tagespost, dass Wir wollten aufs Meer die Wirklichkeit abbilde. Die Filmemacher würden das „Kunststück“ vollbringen, „ohne jedes Moralisieren, ohne Schuldzuweisungen, ohne ins Plakative abzugleichen“ ein „eindrückliches Bild des zu Recht untergegangenen Staates“ zu zeichnen.

Auszeichnungen

August Diehl wurde beim Schauspielpreis 2013 als Bester Hauptdarsteller nominiert und Alexander Fehling beim Hessischen Fernsehpreis 2013 als Bester Darsteller.

Erinnerungsdiskurs

Wir wollten aufs Meer ist hoch gesprungen, hat aber bei Weitem nicht die Reichweite und die Wirkung des Oscargewinners Das Leben der Anderen (2006) erreicht. Viele Kritiker sahen hier eher einen dünnen Aufguss des großen Vorbilds. Um Florian Henckel von Donnersmark von seinem Diskurs-Thron zu stoßen, war es einerseits zu früh, andererseits setzte Wir wollten aufs Meer zu wenig neue Akzente. Das Presseheft behauptet zwar, dass es sich hier um den „ersten Film“ handle, „der im Gefängnisvollzug der DDR spielt“, übersieht dabei aber Führer Ex (2002). Das Narrativ, es handele sich um eine universale Geschichte, die nur vor dem Hintergrund der DDR spielt, hat bei den Kritikern offenkundig nicht verfangen. Alexander Fehling in seinem Interview mit filmreporter.de: „Ich glaube, dass sich der Film von den bisherigen Ansätzen durchaus unterscheidet. Er erzählt eine sehr zugespitzte Situation und traut sich an eine dramatische Überhöhung. Ich finde aber, dass Wir wollten aufs Meer kein Film über die ehemalige DDR ist. Er handelt nicht davon, sondern spielt dort. Das ist ein großer Unterschied“.

Wir wollten aufs Meer war nicht viel mehr als ein weiterer Film, der das Diktaturgedächtnis bedient. Im Vordergrund stehen der Unterdrückungscharakter der SED-Herrschaft, das Ministerium für Staatssicherheit, ein Täter-Opfer-Gegensatz und Themen wie Verbrechen, Verrat, Leid und Widerstand.

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Wir wollten aufs Meer ist ein sehenswerter Film, der von Freundschaft, Verrat und Verzeihen erzählt. Ähnlich wie Das Leben der Anderen (2006) rückt auch Hebbeln die Stasi ins Zentrum der Erinnerung an die deutsch-deutsche Geschichte.

Empfohlene Zitierweise

Wir wollten aufs Meer. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2023, https://ddr-im-film.de/index.php/de/film/wir-wollten-aufs-meer