Einzelkämpfer
Entstehungskontext
Beteiligte
Sandra Kaudelka (Jahrgang 1977) wuchs in Leipzig auf und besuchte dort eine Kinder- und Jugendsportschule. 1989 wurde sie DDR-Meisterin im Wasserspringen. Nach einer Ausbildung zur Produktionsassistentin (Deutsche Welle TV) studierte sie Film- und Theaterwissenschaften an der HU Berlin. Einzelkämpfer ist ihre Abschlussarbeit an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Kaudelka sagte der Süddeutschen Zeitung, sie habe einen Film abseits der üblichen eindimensionalen Darstellung und der „Reduktion auf das Thema Doping“ drehen wollen.
Einzelkämpfer ist eine Koproduktion (Lichtfilm Media GmbH, Deutsche Film- und Fernsehakademie, ZDF). Produzent war Martin Heisler (Jahrgang 1977) aus Aachen, Gründer der Lichtblick Media GmbH (inzwischen Flare Film).
Die Produktion wurde vom Medienboard Berlin-Brandenburg mit 50.000 Euro gefördert. Zur Erstausstrahlung 2013 gab es von dort weitere 3.000 Euro (Tätigkeitsbericht 2013).
Die Bundeszentrale für politische Bildung hat 2016 ein Begleitheft zu Einzelkämpfer veröffentlicht. Dort gibt es eine Filmanalyse und didaktisches Begleitmaterial. Einzelkämpfer wird von der Bundesstiftung Aufarbeitung, visionkino.de und kinofenster.de für die Fächer Sport, Geschichte, Sozialkunde/Gemeinschaftskunde, Religion, Ethik, Philosophie, Deutsch und Politik ab der siebten Jahrgangsstufe empfohlen. Seit 2014 gibt es den Film auf DVD (Farbfilm Verleih) – mit einem Trailer, Making-of sowie einem Interview mit Sandra Kaudelka.
Filminhalt
Handlung
Regisseurin Sandra Kaudelka erzählt zu Beginn, dass sie im Alter von fünf Jahren für das Wasserspringen gemustert wurde. Obwohl die Mauer fiel, bevor sie ihre Sportkarriere richtig beginnen konnte, hat sie diese Zeit nie losgelassen. In Einzelkämpfer stellt sie vier ihrer Idole vor: Kugelstoßer Udo Beyer, Wasserspringerin Brita Baldus sowie die Sprintstars Ines Geipel und Marita Koch. Kaudelka fragt, wie die vier zum Sport gekommen sind, was sie dort erlebt haben und wie sie mit dem Ende der DDR umgegangen sind. In diese Geschichten streut die Regisseurin immer wieder eigene Erfahrungen ein. Ein Ergebnis: Auch DDR-Leistungssportler waren Einzelkämpfer – im Wettkampf wie im Umgang mit dem Leistungsdruck.
Zentrale Figuren
Udo Beyer, dreifacher Weltrekordhalter und 1976 Olympiasieger im Kugelstoßen, hat später ein Reisebüro eröffnet. Es sagt, dass ihn die Politik kaum interessiert habe. Es sei um den Wettkampf gegangen und um den Sieg.
Ines Geipel, Staffelsprinterin, hat sich nach 1990 als Dopingaufklärerin einen Namen gemacht – in Büchern, als Dozentin, als Stimme in den Leitmedien. 2011 wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet. In der DDR hatte ein Fluchtplan zu ihrem Ausschluss aus dem System Leistungssport geführt.
Marita Koch, Sprinterin und immer noch (Anfang 2021) Weltrekordhalterin über 400 Meter, hat mit ihrem Partner einen Sportartikelladen eröffnet. Sie war eine der populärsten DDR-Sportlerinnen und hat unter anderem auf dem XI. Parteitag der SED gesprochen. Heute sagt sie, dass der Sport eine Möglichkeit gewesen sei, das westliche Ausland zu bereisen.
Brita Baldus, Europameisterin im Wasserspringen, später Bademeisterin. Heute findet sie Halt im christlichen Glauben.
Gesellschaftsbild
Einzelkämpfer zeigt eine Gesellschaft, in der Leistungssport wichtig ist. Da sich die DDR auf vielen Gebieten nicht mit anderen (vor allem westlichen) Nationen messen konnte, wurde der Sport zu einem ihrer Aushängeschilder. Erfolg in internationalen Wettkämpfen wurde als Erfolg des Sozialismus interpretiert. „Diplomaten in blauen Trainingsanzügen“, sagt Udo Beyer. Regisseurin Sandra Kaudelka: „Und so kam es, dass kein Talent in der DDR unentdeckt blieb.“ Wer Erfolg hatte, wurde gefördert und genoss Privilegien (Auto, Wohnung, Reisen). Der Preis: enormer Leistungsdruck und körperliche Belastung. Udo Beyer: „Leistungssport in der DDR war Kapitalismus im Sozialismus.“ Wer keine Leistung brachte, sei nicht bezahlt worden. Ines Geipel vergleicht die Sprinterinnen mit „hochdressierten Pferden“, und Marita Koch berichtet von einer gewissen Solidarität, da es nach einem 400-Meter-Sprint allen gleich schlecht gegangen sei.
Die Geschichten zum Doping gehen auseinander. Udo Beyer sagt, er habe über alles Bescheid gewusst und ein Mitspracherecht gehabt. Viele andere fanden erst später heraus, was mit ihnen gemacht wurde – Sandra Kaudelka zum Beispiel im Gespräch mit Ines Geipel.
Ästhetik und Gestaltung
Die Bildebene spiegelt die körperliche Belastung verdeutlicht wider. Ausschnitte aus den Gesprächen wechseln sich mit Videoaufnahmen aus dem Training und von Wettkämpfen ab. Der Alltag bestand aus endlosen Übungen und Optimierungshinweisen. Musik nutzt der Film eher spärlich. Als Udo Beyer erzählt, er habe stets der Beste sein wollen und seinen Körper bis an die Extreme gebracht, werden Trainingsbilder mit düsterer Musik unterlegt. Sandra Kaudelka berichtet von ihren erfolglosen Versuchen, sich aus dem Sport zu verabschieden. Gelungen sei ihr das erst durch den Fall der Mauer. Szenen von den Prosteten der Leipziger Bevölkerung und der Maueröffnung werden mit animierender Musik begleitet.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Der Dokumentarfilm Einzelkämpfer legt (wie sollte es in diesem Genre anders sein) Wert auf Authentizität. Die vier Befragten sind Zeitzeugen. Sie haben erlebt, worüber sie hier sprechen. Dass Sandra Kaudelka ebenfalls Erfahrungen im Sportsystem der DDR hat, weist sie als eine kompetente Regisseurin aus, die zudem Originalbilder präsentieren kann (Bilder und Videos aus dem Training und von Wettkämpfen, private Aufnahmen und TV-Nachrichtenschnipsel).
Rezeption
Reichweite
Einzelkämpfer feierte seine Premiere am 15. Februar 2013 auf den 63. Internationalen Filmfestspielen Berlin in der Rubrik „Perspektive Deutsches Kino“. Kinostart in Deutschland war am 10. Oktober 2013, die TV-Premiere folgte am 3. November 2014 im ZDF. Besucherzahlen und Reichweite sind nicht bekannt. 2013 wurde der Film auf zahlreichen Filmfestivals gezeigt:
- 42. Internationales Studentenfilmfestival „Sehsüchte“ in Potsdam
- Filmkunstfest Mecklenburg-Vorpommern in Schwerin
- DOK.fest München
- Filmfestival „Sehenswert“ Budapest
- Biberacher Filmfestspiele
- Kinofest Lünen
- Festival of German Films, Moskau & Nowosibirsk
- Input Festival Hilversum
Rezensionen
Einzelkämpfer hat in den Leitmedien kaum Aufmerksamkeit bekommen. Die wenigen Rezensionen fallen kritisch aus. Sowohl Matthias Dell von edp als auch Holger Gertz in der Süddeutschen Zeitung werfen Sandra Kaudelka vor, zu nah am Thema dran zu sein und vor allem ihre eigenen Erfahrungen verarbeitet zu haben. Dell meinte, dass Kaudelkas Kommentare „den vier interessanten Geschichten“ nichts hinzufügen. Für Gertz war die Vertraulichkeit zwischen der Regisseurin und Befragten „Segen und Verhängnis dieser Dokumentation.“ Die Intimität verhindere kritische Fragen, sodass der Erkenntnisgewinn überschaubar bleibe. Auch Michael Reisch meinte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, dass die vier Geschichten für einen guten Film genügt hätten – doch „nicht einmal dazu reicht es.“
Erinnerungsdiskurs
Einzelkämpfer bedient das Diktaturgedächtnis. Das DDR-Sportsystem besteht hier vor allem aus Leistungsdruck, hoher körperlicher Belastung, Stasi und (Zwangs-)Doping. Besonders deutlich wird dieses Narrativ bei Ines Geipel, die nach der Vereinigung eine Vorreiterrolle in der Aufklärung um Doping in der DDR einnahm und in den Kommentaren von Regisseurin Sandra Kaudelka, die erfolglos versuchte, aus dem Sport auszusteigen. Udo Beyer und Marita Koch bieten allerdings auch Anknüpfungspunkte für das Arrangementgedächtnis. Beyer sagt, er habe Anstrengung und Doping in Kauf genommen, um auf dem Siegertreppchen stehen zu können. Koch wiederum sah im Sport vor allem die Chance, ins westliche Ausland reisen zu können.
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