Das Wunder von Berlin
Inhalt
- Kurzinformationen
- Filmdaten
- Kurzbeschreibung
- Schlagworte
- Entstehungskontext
- Beteiligte
- Filminhalt
- Handlung
- Figuren
- Gesellschaftsbild
- Ästhetik und Gestaltung
- Strategien der Authentizitätskonstruktion
- Rezeption
- Reichweite
- Auszeichnungen
- Einordnung in den Erinnerungsdiskurs
-
Empfehlung der Autorin
- Literatur
Entstehungskontext
Beteiligte
Regisseur Roland Suso Richter, geboren 1961 in Marburg, hat eine westdeutsche Biografie. Er war Schauspieler, Aufnahmeleiter, Redakteur, Produktionsleiter und führt seit Mitte der 1980er Jahre auch Regie. Zu seinen Arbeiten mit DDR-Bezug gehören Der Tunnel (2001) und Dresden (2006). Zum Wunder von Berlin sagte er, der Film sei „ein schnell erzählter Ensemblefilm, der mit der Kamera und dem Schnitt dicht an den Figuren bleibt. Wenig Ostalgie – eher ein moderner Film, der ins Herz trifft“ (Lüdeker 2015: 67).
Drehbuchautor Thomas Kirchner wurde ebenfalls 1961 geboren – aber im Osten Berlins. Nach einer kaufmännischen Ausbildung arbeitete er ab 1981 als Bühnentechniker im Maxim-Gorki-Theater und wurde dort später Regieassistent. Als Drehbuchautor ist er seit 1995 tätig.
Die ZDF-Produktion beruht auf dem Erinnerungsmanuskript von Tilo Koch aus Karl-Marx-Stadt, einst Punk. Kochs Vater war ein hochrangiger Stasi-Offizier und er selbst hatte am 9. November 1989 Dienst am Checkpoint Charlie.
Das Wunder von Berlin ist eine teamWorx-Produktion im Auftrag des ZDF.
Die Kosten lagen dem Sender zufolge bei vier Millionen Euro.
Noch vor der Filmpremiere verfasste Alexandra Decker (2007) einen gleichnamigen Roman, basierend auf dem Drehbuch von Thomas Kirchner, mit einem Beitrag des Historikers Rainer Eckert und einer Zeittafel.
Das Wunder von Berlin gibt es seit 2016 auf DVD.
Filminhalt
Handlung
Der Film spielt in den letzten 17 Monaten der DDR und blickt dabei auf eine zerrüttete Berliner Familie, die von den gesellschaftlichen Gegensätzen geprägt ist. Sohn Marco lehnt sich als Punk gegen den Staat und die Regeln seines Vaters auf, der hochrangiger Stasi-Offiziers ist. Im Haushalt leben auch der Vater des Offiziers, der sich kritisch zur DDR äußert, und die Mutter, die den Sohn versteht. Die Polizei nimmt Marco nach einem Konzert fest und bedroht ihn als Wehrdienst-Verweigerer mit Haft. Unter der Bedingung, nicht an die Grenze zu müssen und seine Freundin Anja freizubekommen, geht Marco einen Deal mit dem Vater ein und verpflichtet sich zu drei Jahren Wehrdienst, auch um sich einen Studienplatz zu sichern. Die NVA ist zwar zunächst hart für ihn, Marco bewährt sich jedoch und arrangiert sich auch sonst mit der Staatsmacht, was zu Konflikten mit seinen alten Freunden und Anja führt. In der Kaserne lebt er abgeschottet von gesellschaftlichen Entwicklungen wie Bürgerbewegung und Ausreisewelle. Die Handlung kulminiert, als Marco am 9. November 1989 am Grenzübergang Bornholmer Straße zum Schutz der Berliner Mauer eingesetzt wird.
Zentrale Figuren
Vater Jürgen Kaiser (Heino Ferch) ist ein karrierebewusster Oberstleutnant im Ministerium für Staatssicherheit und gehört zur regimetreuen Elite des Landes. Loyalität gegenüber der DDR fordert er auch von seiner Familie, die ihm allerdings nicht (mehr) folgt. Er handelt weniger aus Überzeugung als vielmehr aus Angst, Prestige, Privilegien und Lebensstandard zu verlieren. Mit seinem eigenen Vater ist er zerstritten, weil er Wehrmachtssoldat war.
Sohn Marco Kaiser (Kostja Ullmann) wächst behütet auf, war Leistungsschwimmer und wurde von der Mutter wegen Dopings von der Sportschule genommen. Während die Mutter fast bedingungslos zu ihm steht, wird Marco vom Vater ständig attackiert. Der Junge gehört zu einer Punk-Gruppe, in der auch seine Freundin, Krankenschwesternschülerin Anja, verkehrt. Marco hat zwar eine alternative und kritische Haltung zum Staat, wirkt aber zunächst unbedarft und naiv.
Mutter Hanna Kaiser (Veronica Ferres) ist gelernte Krankenschwester, arbeitet aber in der Karl-Marx-Buchhandlung und hat über die Literaturszene Kontakt zu oppositionellen Kreisen. Sie ist eine moralisch integre, behütende Mutter, die sich loyal zu ihrem Sohn, nicht aber zu ihrem Mann verhält, unter anderem weil dieser eine Geliebte im Ministerium hat. Sie freundet sich mit Anja an und wird Teil der Bürgerbewegung und des Neuen Forums.
Großvater Walter (Michael Gwisdek) ist ein traumatisierter Wehrmachtssoldat, der in sibirischer Kriegsgefangenschaft war. Er hat sich deswegen mit seinem Sohn überworfen (auch weil der beim MfS arbeitet), lebt aber im gleichen Haushalt. Den anderen Familienmitgliedern – besonders Anja – steht er aufgeschlossen gegenüber. Seine Haltung zur DDR ist kritisch und sehr distanziert.
Freundin Anja (Karoline Herfurth) ist Krankenschwesternschülerin und kommt mit Marco als Punk zusammen, hält aber auch in seiner NVA-Zeit zu ihm. Durch ihre Aktivitäten in der Bürgerbewegung entfremdet sie sich zunehmend von ihm. Sie selbst hat eine bewegte Vergangenheit: Sie glaubt, Waise zu sein, doch dem Vater wurde die Tochter vom Staat wegen Spionageverdachts entzogen. Zufällig ist dieser Vater der Vorgesetzte von Marco in der NVA.
Gesellschaftsbild
Die Familie ist von der Sorge um die Zukunft und die Ausbildung des Sohnes Marco geprägt, der zunächst nur Punk ist (allerdings mit Abitur) und sich scheinbar ziellos treiben lässt. Seine beruflichen Ambitionen (Heizer im Kindergarten) weichen stark von den Vorstellungen der Eltern ab (Studium, davor Wehrdienst). Während die Mutter besonders auf das Wohl des Sohnes bedacht ist, soll er aus Sicht des Vaters vor allem „funktionieren“ und Ehrgeiz entwickeln. Die unbedingte Loyalität des Vaters zum Staat verschränkt sich mit dem Wunsch nach einem beruflich erfolgreichen „traditionellen“ Weg für seinen Sohn, dessen erster Schritt ein dreijähriger Wehrdienst als Voraussetzung für das Studium ist. Die Dienststelle übt Druck auf den Vater aus.
Der Konflikt um den Sohn hat sich schon länger auch zu einem Konflikt in der Ehe entwickelt, gleichzeitig hat der Vater eine Geliebte im MfS. Während die Mutter durch familiäre Werte wie Fürsorge geprägt ist, steht für den Vater die Loyalität zum Sozialismus an erster Stelle. Nach eigenem Selbstverständnis gehört er zur „Aufbaugeneration“ der DDR. Die Mutter interessiert und engagiert sich immer stärker für Veränderungen in der DDR, arrangiert sich jedoch (noch) im Alltag ihrer Ehe. Marco ist zunächst scheinbar nur an seinen eigenen Bedürfnissen interessiert, kann jedoch letztlich durch den Wehrdienst dem häuslichen Konflikt entgehen und findet selbst zu einer grundsätzlich bejahenden Haltung zum sozialistischen Staat, den er zu schützen beauftragt ist.
Sozialer Aufstieg, Erziehung und Erfolg in seiner traditionellen Form werden angesichts der untergehenden DDR von den Figuren in Frage gestellt. Während der Vater unflexibel und starrköpfig bleibt und von der Familie Gehorsam erwartet, hinterfragt die Mutter ihre Rolle in der Ehe, aber auch die Ordnung der DDR. Mehrfach werden die Menschen als zweigeteilt dargestellt, mit einer staatskonformen Haltung, die öffentlich zu zeigen ist, und einer anderen Meinung im Privatleben. Kontrolle und Bespitzelung oder Abhörwanzen der Staatssicherheit tauchen an verschiedenen Stellen im Film auf (Punk-Freund ist IM, Akte über Geschichte der Freundin). Man bekommt den Eindruck, der Staat könne jederzeit in das Privatleben der Bürger eingreifen. Die Stasi ist eine allgegenwärtige drohende Gefahr, die den Filmfiguren auch jederzeit bewusst zu sein scheint. Mitarbeiter der Stasi wirken kühl, berechnend und verbissen, auch in ihrer Kommunikation untereinander.
Marco befindet sich im Prozess des Erwachsen-Werdens. Er lässt die häusliche Konfliktsituation bei der NVA hinter sich und findet eine eigene, eher loyale Haltung zum Staat. Seine Arbeit an sich selbst wird in der NVA belohnt, er erhält Personalverantwortung, Ausbildungsaufgaben und findet in Major Wolf ein Vorbild – bis er zufällig herausfindet, dass dieser Mann der Vater seiner Freundin ist.
Ästhetik und Gestaltung
Eine Besonderheit des Familiendramas sind die dokumentarischen Sequenzen, die zwischen die Spielfilmhandlungen geschnitten wurden, um dem Film Authentizität zu verleihen. So ist beispielsweise audiovisuelles Material der Pressekonferenz von Günther Schabowski vom 9. November 1989 zu sehen, als er die neuen Reiseregelungen bekanntgibt. Außerhalb der Familie zeigt der Film eher wenig Szenen aus dem DDR-Alltag. Ausstattung, Licht und Farben wirken reduziert und der späten DDR angemessen.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Der Film basiert auf der Geschichte des Karl-Marx-Städters Tilo Koch (Jahrgang 1968), der am 9. November 1989 am Checkpoint Charlie als NVA-Soldat Dienst tat. Er hatte 1994 als Student seine Geschichte aufgeschrieben und etwa zehn Kopien an Freunde verteilt. Ein Exemplar gelangte nach München zur Filmproduktion, die sich entschloss, daraus ein Drehbuch zu erstellen. Die familiäre Konstellation Kochs ist ähnlich angelegt, auch er spielte in einer Punk-Band. Der Ort des Geschehens wurde jedoch vom Checkpoint Charlie an die Bornholmer Straße verlegt. Der Dreh fand aber nicht auf der Bösebrücke statt, sondern auf der nahezu baugleichen benachbarten Swinemünder Brücke. Dokumentarische Filmausschnitte, die zwischen die Spielfilmszenen montiert sind, sollen den authentischen Charakter des Films unterstreichen und wecken Erinnerungen bei denen, die beispielsweise die Maueröffnung im Fernsehen verfolgt haben. Darüber hinaus hat man den Eindruck, dass bestimmte Szenen der Maueröffnung historische Fotos nachstellen.
Vor dem Dreh gab es offenbar Gespräche mit Tilo Koch. Wichtige Rollen sind zwar mit Westdeutschen besetzt worden (Veronica Ferres, Heino Ferch), viele der Stars sind aber auf deutsche Themen festgelegt. Ferres hatte im Jahr zuvor die Hauptrolle der Fernsehproduktion Die Frau vom Checkpoint Charlie (2007) übernommen. Ausnahmen in Sachen Herkunft sind Michael Gwisdek (Jahrgang 1942) und Karoline Herfurth (Jahrgang 1984).
Rezeption
Reichweite
Die Erstausstrahlung am 27. Januar 2008 im ZDF-Abendprogramm sahen 8,03 Millionen Menschen.
Auszeichnungen
- Deutscher Fernsehpreis für Michael Gwisdek (Bester Schauspieler in einer Nebenrolle)
- Golden Chest Grand Prix (goldener Preis erster Kategorie) der Sparte TV-Filme und Mini-Serien auf dem 33. Golden Chest International TV Festival in Sofia
- Preis für das beste Drehbuch (Thomas Kirchner) auf dem 33. Golden Chest International TV Festival in Sofia
Erinnerungsdiskurs
Der Film zeigt die untergehende DDR über die krassen Gegensätze in einer Familie. Im Zentrum stehen persönliche Konflikte und unterschiedliche Lebensentwürfe sowie die ständige Überwachung und Kontrolle durch das MfS. Der Film lässt sich damit sowohl dem Diktaturgedächtnis als auch dem Arrangementgedächtnis zuordnen (vgl. Sabrow 2009) und gehört in einer Reihe mit anderen Produktionen vor dem 20-jährigen Mauerfall-Jubiläum wie Die Frau vom Checkpoint Charlie (2007), wo Veronica Ferres ebenfalls eine mütterliche DDR-Figur spielt.
Die Leitmedien haben das Familiendrama seinerzeit als ersten Film wahrgenommen, der die Öffnung der Mauer aus ostdeutscher Sicht erzählt – und zwar ohne Klamauk und ohne Ostalgie wie in Sonnenallee (1999) oder Good bye, Lenin! (2003). Diese Einordnung dürfte sich so nicht halten lassen. Ausstattung und Dialoge wurden als authentisch und präzise beschrieben, kritische Stimmen sind mir nicht bekannt geworden. Wie in vielen anderen Filmen wird die Maueröffnung als Erlösung inszeniert. Dokumentarische Sequenzen zeigen in der Schlusssequenz die Freude der Menschen am 9. November 1989.
Empfehlung
Empfehlung der Autorin
Figuren und Ereignisse sind schwarzweiß und klischeehaft geraten. Wer Spannung und Überraschung schätzt und ambivalente Filmfiguren interessant findet, ist hier schlecht beraten. Die Entwicklung des Protagonisten Marco vom kritischen Punk zum loyalen Soldaten ist kaum nachvollziehbar. Der Film will zu viel und bietet zu wenig und ist allenfalls für Jugendliche als Einführung in ein komplexes Thema akzeptabel.
Literatur
Alexandra Decker: Das Wunder von Berlin. Roman. Das Buch zum großen ZDF-Highlight. Berlin: VGS 2007
Martin Sabrow: Erinnerungsorte der DDR. München: C.H. Beck 2009
Gerhard Jens Lüdeker: DDR-Erinnerung in gegenwärtigen deutschen Spielfilmen: Vom Dissens zum Konsens. In: Hans-Joachim Veen (Hrsg.): Das Bild der DDR in Literatur, Film und Internet: 25 Jahre Erinnerung und Deutung. Köln: Böhlau 2015, S. 59-79
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