DDR-Schule in Filmen
Welches Bild der DDR-Schule zeichnen Filme?
Welches Bild der Schule in der DDR zeichnen Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilme, die nach 1990 in Deutschland erschienen sind? Welche Geschichten erzählen diese Filme, wie stellen sie Kinder und Jugendliche, Lehrerinnen und Direktoren dar? Welche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt es? Der folgende Beitrag analysiert die Rekonstruktion des Schulsystems in der DDR anhand von fünf Produktionen: den Spielfilmen Sputnik (2013), Fritzi – Eine Wendewundergeschichte (2019), Das schweigende Klassenzimmer (2018) und Das Mädchen aus dem Fahrstuhl (1991) sowie der Dokumentation Heimatkunde (2021). Auch die Zielgruppe wird für die Betrachtung eine Rolle spielen: So finden sich in der Auswahl Filme, die explizit für Kinder konzipiert wurden, aber auch solche, die ein erwachsenes Publikum ansprechen.
Inhalt
Filmauswahl
Im Fokus der Analyse stehen Filme, die in einem schulischen Umfeld spielen und einen Beitrag zum DDR-Diskurs leisten, weil sie entweder bei Kritikern gut ankamen, besonders viele Preise oder ein hohes Budget hatten oder eine namhafte Regie vorweisen konnten. Diese Fallbeispiele werden anhand von einzelnen Teilbereichen des umfassenden Themenkomplexes „Darstellung der DDR-Schule“ untersucht. Dabei werden unter anderem die Darstellung der Schulgebäude, das Verhalten der Lehrkräfte oder der vermittelte Lehrstoff verglichen, um narrative Muster, Gemeinsamkeiten und Unterschiede herauszuarbeiten.
Der Kinderfilm Sputnik (2013) wurde von Kritikern stark hervorgehoben. Die Geschichte beginnt am 3. November 1989 in der DDR, als die zehnjährige Frederike mit ihrem Onkel Mike und ihren Freunden Fabian und Jonathan via Ballon-Satellit einen Friedensgruß an die Raumstation „Mir“ senden will. Am folgenden Tag erfährt sie, dass ihr Onkel die DDR verlässt. Für die kleine Tüftlerin beginnt nun der Bau einer „Beam-Maschine“, um ihren Onkel zurückzuholen.
Ebenfalls im Segment Kinderfilm einzuordnen ist Fritzi – Eine Wendewundergeschichte (2019). Im Gegensatz zu Sputnikhandelt es sich um einen Trickfilm, der mit einer Fördersumme von rund zwei Millionen Euro aufwarten konnte. Zudem gewann er zahlreiche Preise, darunter den Preis der deutschen Filmkritiker in der Kategorie „Bester Kinderfilm“. Der Film war auch für den Deutschen Filmpreis in der Kategorie „Kinderfilm“ nominiert. Die Geschichte: Fritzi soll für die Sommerferien auf Sputnik, den Hund ihrer besten Freundin Sophie, aufpassen. Beide ahnen nicht, dass Sophies Mutter vorhat, aus der DDR nach Westdeutschland zu gehen, was der Familie schließlich gelingt. Fritzi setzt es sich zum Ziel, Sputnik zu Sophie zu bringen, und gerät dabei in Konflikt mit Lehrerin Liesegang, der Stasi und dem Grenzschutz.
Das Mädchen aus dem Fahrstuhl (1991) ist ein von der DEFA produzierter Film, der kurz nach der Wiedervereinigung uraufgeführt wurde. Er erzählt die Geschichte des Musterschülers Franks, der sich in seine neue Mitschülerin Regine verliebt. Dabei wird ihm bewusst, wie ungerecht die Zensuren sind, die über den späteren Beruf entscheiden. Deshalb versucht er, Mitschüler auf seine Seite zu bringen, doch die Schuldirektorin Kreuz sieht es nicht gerne, wenn sich jemand kritisch an ihrer Schule äußert.
Mit Das schweigende Klassenzimmer (2018) ist ein weiterer Film vertreten, der durch Förderungen von rund zwei Millionen Euro finanziert werden konnte. Von den Kritikern wurde der Film schlecht bewertet, dennoch konnte Regisseur Lars Kraume einige Preise gewinnen. Der Film wurde außerdem von der Deutschen Film- und Medienbewertung als „besonders wertvoll“ eingestuft. Die Handlung dreht sich um eine Protestaktion einer Abiturklasse, die mit einer Schweigeminute im Unterricht den Opfern des Ungarn-Aufstandes 1956 gedenken will. Die politische Haltung ruft Kreisschulrätin Kessler und Volksbildungsminister Lange auf den Plan, der den Rädelsführer der „Konterrevolution“ identifizieren möchte.
Heimatkunde (2021) ist eine Dokumentation von Christian Bäucker, der Schüler und Schülerinnen sowie Lehrkräfte in ihrer damaligen Schule Hans Beimler in Brandenburg zu Wort kommen lässt. Die Menschen erinnern sich an ihre gemeinsame Zeit in der Polytechnischen Oberschule.
Ergebnisse und Vergleich
Gestaltung der Schulgebäude und Klassenzimmer
Die Schulgebäude wirken in allen Filmen sehr ähnlich. In Das Mädchen aus dem Fahrstuhl ist quer über die Fenster die Aufschrift „Hohe Leistungen zum Wohle des Volkes“ zu lesen. Die Schule in Fritzi – Eine Wendewundergeschichte ist nach dem sowjetischen Kosmonauten Juri Gagarin benannt. Neben den Haupteingängen (in Das schweigende Klassenzimmer) und in Innenhöfen (in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl und Fritzi) wehen DDR-, Pionier- und FDJ-Flaggen.
Auch die Klassenzimmergestaltung weist starke Ähnlichkeiten auf. Die Unterrichtsräume sind mit großen Fenstern an einer Seite ausgestattet, durch die viel Licht kommt.
- In den beiden Kinderfilmen Sputnik und Fritzi sowie in der Dokumentation Heimatkunde haben alle Räume ein ähnliches Farbschema: Durch die Kleidung der Schüler, Zimmerpflanzen, bunte Gardinen oder von Kindern gemalten Bildern an den Wänden wirken die Klassenzimmer belebt. Die Tische sind immer für zwei Personen ausgelegt. In Heimatkunde fällt einer ehemaligen Schülerin auf, dass sogar noch die Namen eingeritzt sind. Auch in Fritzis Tisch sind die Initialen von ihr und ihrer besten Freundin eingeritzt.
- Ein konträres Bild zeigt Das schweigende Klassenzimmer. Der Raum ist ungeschmückt, kahl und in gräulichen Farben gehalten. Die Tische sind hier auch nur für eine Person ausgelegt. Vergleicht man jedoch die Zeit, in der der Film spielt (1956/1957), kann dies ein Grund für die weniger üppige Ausstattung sein. Zudem sind die Schüler und Schülerinnen deutlich älter und stehen kurz vor dem Abitur – Kindermalereien an den Wänden würden die Atmosphäre zerstören.
Zudem zeigen alle Filme eine Landkarte im Raum. Gemeinsam haben die Karten immer, dass die DDR und Staaten, die östlich der DDR liegen, farbig hervorgehoben sind, wohingegen Westdeutschland gräulich markiert ist.
Ein weiterer optischer Aspekt in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl, Fritzi und Das schweigende Klassenzimmer ist die Wandzeitung, die von Schülerinnen und Schülern gestaltet wird. In Das Mädchen aus dem Fahrstuhl nimmt sie sogar eine tragende Rolle ein: Frank nutzt die Wand, um Kritik an den Zensuren und am Bildungssystem zu äußern. In Heimatkunde wird die Wandzeitung zweimal erwähnt – als Teil der Freizeitgestaltung bei den Pionieren.
Darüber hinaus hängen Fotos von ranghohen SED-Funktionären und Freiheitskämpfern an den Schulwänden – in Fritziund Das Mädchen aus dem Fahrstuhl ziert das Bild von Erich Honecker die Wand im Klassen- beziehungsweise Lehrerzimmer. Beide Male wird dieses durch eine Close-Up-Kameraeinstellung etabliert.
Die Lehrkräfte
Die Darstellung der Lehrer in den Filmen zeigt eine gemeinsame Auffälligkeit: Frauen werden in häufiger gezeigt als Männer. In Heimatkunde erinnern sich sieben ehemalige Lehrkräfte an die vergangene Zeit. Sechs davon sind weiblich. In Fritzi, Sputnik sowie Das Mädchen aus dem Fahrstuhl wird die Klasse von einer Lehrerin geleitet. Und wenngleich Das schweigende Klassenzimmer einen Lehrer präsentiert, steht die Kreisschulrätin Kessler im Vordergrund der Geschichte. Ebenso eine tragende Rolle hat Rektorin Kreuz in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl. Optisch ist in allen Filmen ein vergleichbarer Typ zu erkennen.
- „Achtung und Respekt vor euren Lehrern ist die Grundlage unserer sozialistischen Schule“, lässt Frau Liesegang ihre Schülerinnen und Schüler in Fritzi wissen. Als sie den Raum am zweiten Schultag betritt, setzen sich die Schüler rasch auf ihre Plätze und geben keinen Ton von sich. Die Strenge, die Frau Liesegang – oftmals mit ihrem Zeigestock in der Hand – an den Tag legt, wird auch von Kollegen in anderen Filmen geteilt.
- So schlägt Lehrer Mosel in Das schweigende Klassenzimmer mit der Hand auf den Tisch eines Schülers, um ihn zum Reden zu bewegen, und schreit die Klasse dabei lautstark an. Auch Rektor Schwarz schreit die Schüler an. Im Einzelgespräch mit Theo gibt er sich dennoch verständnisvoll und zuvorkommend, wenngleich diese Art darauf abzielt, Theo Informationen zu entlocken. Auch Kreisschulrätin Kessler, die Untersuchungen zum stillen Protest zu Ende führen möchte, schreit die Schüler häufig an. Selten suggerieren die Filme der Eindruck, als würde es den Lehrern um das Wohl und die Ausbildung ihrer Klassen gehen.
- Auch hier gibt es Ausnahmen. So erzählt die ehemalige Lehrerin Uta M. in Heimatkunde, wie sie einen DDR-kritischen Aufsatz verschwinden ließ, um den Schüler zu schützen. Und auch der Beginn des Dokumentarfilms zeigt, dass das Ziel des Unterrichtens für Karin B. war, „dass die Kinder klug werden und irgendwann später mal einen guten Beruf lernen.“ Auch Rosemarie K. glaubt, dass sich alle „die größte Mühe gegeben“ haben. „Die Kinder sind gerne in die Schule gekommen – die meisten jedenfalls. Niemand von uns tut etwas leid, was er hier gearbeitet hat.“
- Ein differenziertes Bild zeichnet Das Mädchen aus dem Fahrstuhl. Einerseits witzelt der Mathematiklehrer über Schüler, die keine gute Note bekommen haben, und auch Rektorin Kreuz duldet keinen Ungehorsam, wirkt streng und bestraft gerne. Gleichzeitig zeigt der Film aber auch, dass der Mathematiklehrer sehr darauf bedacht ist, Begabungen zu fördern. Er setzt sich für Frank ein, nachdem ihm die Möglichkeit genommen wurde, auf die Erweiterte Oberschule zu gelangen. Auch Franks Klassenlehrerin scheint das Wohl ihrer Klasse am Herzen zu liegen: Sie unterschreibt bei einer Unterschriftensammlung, um den FDJ-Ausschluss von Frank zu verhindern, versucht, auch die Rektorin Kreuz von der drastischen Maßnahme abzuhalten, und auch der Außenseiterin Regine bietet sie mehrfach ihre Hilfe an.
Ob Kreisschulrätin, Schulinspektor, Grenzoffizier oder sogar Volksbildungsminister – alle fünf Filme suggerieren, dass die Lehrkräfte und sogar der Schuldirektor eine Instanz über sich haben, vor der sie Respekt und vielleicht sogar Angst haben müssen. Sie erfahren von „denen da oben“ Kritik an der Führung ihrer Klasse oder Schule.
- In Das schweigende Klassenzimmer werden Ermittlungen durch Kreisschulrätin Kessler durchgeführt, um den Drahtzieher der Klassenzimmerrevolution zu identifizieren. Dabei wird auch Volksbildungsminister Lange eingeschaltet. Nicht nur die Schüler geraten unter Druck, sondern auch Schulrektor Schwarz, der eingeschüchtert wirkt und womöglich sogar um seinen Arbeitsplatz bangen muss.
- Frau Liesegang muss sich in Fritzi vom Grenzoffizier, der als Gast vor der Klasse einen Vortrag über die Mauer hält, belehren lassen, nachdem Fritzi wissen wollte, wie es die Grenztruppen schaffen, dass die Westdeutschen nicht in die DDR kommen könnten. Die Neugier der Schülerin ist Anlass, Frau Liesegang zu maßregeln: Er wirft ihr fehlende ideologische Führung vor.
- In Heimatkunde erzählt die ehemalige Lehrerin Rosemarie K. von einem ähnlichen Erlebnis mit dem Schulamt. Einige Kollegen und Kolleginnen haben sich darüber beschwert, dass eine der Klassen schwer zu unterrichten sei: „Sie kapieren einfach nicht“, sollen sie gesagt haben. Zu dieser Zeit war auch ein Schulinspektor aus Guben vor Ort. Dieser gab – ähnlich wie der Grenzoffizier in Fritzi – zu bedenken: „Die Ideologie in der Klasse stimmt nicht. Sie wissen nicht, wofür sie lernen.“
Die Unterrichtsfächer
Und was bringen die Lehrer und Lehrerinnen den Schülern bei, welche Unterrichtsfächer kommen vor? Zunächst einmal sei angemerkt, dass keiner der Spielfilme einen starken Fokus auf den Unterrichtsstoff legt. Es geschieht nur nebenbei, wobei die eigentliche Filmhandlung zentral bleibt.
- Sowohl Sputnik als auch Das Mädchen aus dem Fahrstuhl zeigen zwei kurze Szenen aus dem Deutschunterricht. Rieke und ihre Mitschüler behandeln das Gedicht „Einkehr“ von Ludwig Uhland, die Klasse um Frank nimmt sich Goethes „Faust“ vor. Dort zieren auch Notizen des Dramas das Tafelbild, während die Lehrerin wissen möchte, warum Faust in den Kerker ging.
- Heimatkunde gibt Einblicke in das titelgebende Fach. Die Schüler und Schülerinnen sollen dabei auf das gesellschaftliche Leben vorbereitet werden, eine Moral entwickeln und sich für die Arbeiterklasse einsetzen. Die Dokumentation zeigt zum Beispiel ein altes Schulheft, in dem der Unterschied zwischen den Kampftruppen und den Grenztruppen der NVA erörtert wird.
- Auch in Fritzi und Sputnik spielt die Armee eine Rolle. Beide Klassen werden von einem Offizier besucht. In Sputnik zeigt er den Kindern ein neues Funkgerät und lässt es sie ausprobieren, in Fritzi erzählt der Soldat von der Grenze und wie sich die DDR vor den Feinden im Westen schützt.
- In Heimatkunde schwelgt eine Gruppe ehemaliger Schulkameraden in Erinnerungen an den Sportunterricht. Auch in Das schweigende Klassenzimmer gibt es eine Szene, die Schüler beim Fußballspiel zeigt. Gemeinsam haben die Szenen, dass sie negativ behaftet sind. In der Dokumentation erinnern sich die Schüler daran, dass ein Mitschüler zur Strafe nackt Sport treiben musste, weil er zum wiederholten Male seine Sportkleidung vergessen hatte – lediglich seine Socken durfte er tragen. Auf dem Fußballplatz im Spielfilm wird Protagonist Kurt brutal von seinem Mitschüler Erik gefoult – als Rache für die Schweigeminute. Außerdem erzählen zwei ehemalige Schülerinnen in Heimatkunde, dass der Weitwurf damals mit Attrappen von F-1-Handgranaten oder (in älteren Klassen) Stabgranaten durchgeführt wurde. Das schweigende Klassenzimmer zeigt Schüler außerdem während der Teilnahme an Schießübungen.
- In Das Mädchen aus dem Fahrstuhl begrüßt die Lehrerin ihre Klasse in einer Unterrichtsstunde auf Russisch. In einer weiteren Szene des Films ist ein Plakat aufgebaut, das mit „Deklination der russischen Substantive und Adjektive mit hartem Stammauslaut“ überschrieben ist. In Heimatkunde spricht eine ehemalige Lehrerin für Russisch über ihre Erfahrungen, das Fach selbst schneidet sie aber nicht an. Die Kinderfilme Sputnik und Fritzi sowie Das schweigende Klassenzimmer erwähnen keinen Russischunterricht.
- Der Fokus liegt bei allen Filmen aber auf den Naturwissenschaften. In Heimatkunde sprechen die ehemaligen Lehrer und Lehrerinnen häufig von Mathematik, Physik, Biologie und Chemie. Der ehemalige Lehrer Uwe K. erzählt, dass Lehrende im Fach Mathematik dazu angehalten wurden, ihre mathematischen Textaufgaben an den militärischen Bereich anzupassen, um die Verteidigungsbereitschaft der DDR zu demonstrieren. So habe er Geschwindigkeitsberechnungen nicht anhand eines PKW erklärt, sondern hierfür einen Panzer oder ein Geschoss genutzt. Die Geschwindigkeit eines solchen Geschosses fanden die Schüler „spektakulär“. Das Tafelbild in Fritzi ist einmal mit „Zueinander proportionale Zahlenfolgen“ betitelt. In Das Mädchen aus dem Fahrstuhl erwartet die Schüler die „Flächenberechnung eines Dreiecks“. Auch in den Persönlichkeiten zweier Protagonisten der Spielfilme hat sich dies festgesetzt: Die wissbegierige Rieke scheint durch die Konstruktion ihrer Maschinen in Sputnik ebenso ein starkes Interesse an Naturwissenschaften zu haben wie Mathematikgenie und Computerfan Frank in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl. Nicht nur in der Schule strahlt er mit seinem Wissen, auch in seiner Freizeit gibt Frank für Regine Nachhilfe in Mathematik. Er misst sich sogar vor dem Supermarkt mit seinem Mathelehrer, indem sie eine Formel mit Kreide auf den Boden kritzeln.
- Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass Lehrer Mosel seine Unterrichtsstunde in Das schweigende Klassenzimmervor der Schweigeminute mit dem geschichtlichen Thema „Die vorrevolutionäre Situation in Deutschland“ eröffnet. In Heimatkunde kommt zudem das Fach Musik kurz zur Sprache.
Die Rolle der Eltern
Die Eltern sollten neben der Schule eine wichtige Rolle bei der Betreuung und Erziehung ihrer Kinder übernehmen. Dennoch wird diese Aufgabe zum großen Teil in die Hände der Schule und damit des Staates gelegt. Ordnung und Disziplin stehen dabei an oberster Stelle.
- „Wir sind ordentlich und diszipliniert. Wir sind hilfsbereit zu Hause und gegenüber älteren Menschen“, schallt eine alte Tonplatte in Heimatkunde durch den Raum. In vielen DDR-Familien waren beide Elternteile voll berufstätig, sie sahen ihre Kinder manchmal nur ein bis zwei Stunden am Tag. Man habe sich damals gefühlt, als hätten die Eltern einen „fallen gelassen“, gibt Tino K. zu bedenken. Dies passt auch zu Erlebnissen von Nicole P. und Kathi K., die für eine Kur bis zu acht Wochen von ihren Eltern getrennt waren. Kein Telefon, keine Briefe. Nicole P. sagt sogar, bei ihrer Rückkehr habe sie ihre Mutter „Tante“ genannt.
- So verwundert es nicht, wenn Frank seine Mutter in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl mit den Worten „Du bist ja schon da“ begrüßt. Seine Mutter hat es aber eilig, ein wichtiges Arbeitstreffen steht noch an. Die Mutter witzelt, sie würde bald ins Gefängnis kommen, weil sie die Aufsichtspflicht vernachlässigt. Und auch Franks Vater kommt erst spät nach Hause – er ist Direktor einer Firma. Frank ist als 16-Jähriger zwar selbstständig genug, dennoch ist er von der knappen Zeit, die seine Eltern für ihn finden, manchmal enttäuscht. So muss er einmal den Eintrag, den er von seinem Lehrer wegen Fehlverhaltens erhalten hat, unterschreiben lassen und die Mutter vertröstet ihn mit den Worten „später“. Ein anderes Mal braucht er die Unterstützung seines Vaters und sucht ihn in der Firma auf – dieser schiebt den Sohn zwischen zwei Meetings und gibt ihm lediglich fünf Minuten.
- Anders verhält es sich bei Fritzi und Sputnik. Fritzis Eltern scheinen immer zu Hause, und auch Riekes Eltern sind daheim oder in ihrer eigenen Kneipe. In beiden Familien wird beim Abendessen über den Schultag und Erlebnisse gesprochen. Das schweigende Klassenzimmer zeigt ein ähnliches Bild. Sowohl bei Kurt als auch bei Theo sind beide Elternteile meist zu Hause. Auch hier wird bei gemeinsamen Abendessen über Probleme geredet – in der einen Familie etwas herzlicher als in der anderen.
Alle vier fiktionalen Geschichten haben gemeinsam, dass die Protagonisten ihre eigene kleine Revolution führen. Diese sorgt für Probleme mit den Lehrkräften oder sogar der Schulleitung , und die Eltern müssen sich einschalten. So werden Franks Eltern in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl bei Rektorin Kreuz vorgeladen und trotzen dabei selbst der Rektorin. Auch Theos Eltern werden in Das schweigende Klassenzimmer zum Rektor zitiert. Nach dem Gespräch sucht Theos Vater sogar den Volksbildungsminister auf, um ihm die Situation zu erklären. Zudem gibt es eine große Elternversammlung in einer Gaststätte, bei der sich die Eltern zur Schweigeminuten-Aktion ihrer Kinder beraten wollen. Und Fritzis Mutter legt sich nach der Klassenfahrt mit Lehrerin Liesegang an.
Eine wichtige Rolle spielen außerdem die Berufe, Herkunft und Beziehungen der Eltern, von denen die Lehrerinnen und Lehrer in den vier Filmen wohl Bescheid wissen.
- Nachdem sich die Lehrerin in Fritzi ihrer neuen Klasse vorgestellt hat, nimmt sie den Schüler Benni Göbel in die Mangel, der hinter ihrem Rücken wild gestikuliert. Sie bezeichnet ihn als Klassenclown und will dies sofort mit einem Eintrag im Klassenbuch honorieren. Doch nachdem er seinen Namen nennt, hält Frau Liesegang kurz inne: „Göbel? Ist dein Vater zufällig der Kreisschulrat?“ Als dieser bejaht, versucht sie peinlich berührt das Thema zu wechseln – der Eintrag ins Klassenbuch ist vergessen.
- Frank in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl ergattert trotz seines Ausschlusses aus der FDJ einen Studienplatz an der Technischen Universität Dresden: Nicht nur weil er im Fach Mathematik hochbegabt ist, sondern auch dank der Position seines Vaters und dessen Beziehungen: „Weil mein Vater Direktor ist und einen Kumpel in Dresden hat.“
- Auch Das schweigende Klassenzimmer greift mehrfach einen Schüler-Eltern-Bezug auf. So wird Theo nach der Protestaktion zu Rektor Schwarz zitiert – dieser will von Theo wissen, ob sein Vater hart arbeitet, und betont mehrfach, dass er selbst aus einer einfachen Arbeiter-Familie kommt. Er möchte sich ihm über eine Ähnlichkeit nähern und so an den Namen des Initiators der Schweigeminute kommen – wenngleich er dies zunächst verneint. Auch Volksbildungsminister Lange ist darüber im Bilde, dass Theos Vater 1953 beim Volksaufstand dabei war. Zu einer Schülerin, die seinen Vortrag über die Freiheit der Arbeitsklasse nicht hören möchte, sagt Lange abschätzig: „Ihr seid die Töchter des Tierarztes Winkler, richtig? Tierärzte sind die schlimmsten. Die haben den Bauern schon immer das letzte Hemd ausgezogen und sich fett gefressen.“ In Lenas Einzelverhör droht die Kreisschulrätin Kessler der Schülerin, dass ihre Großmutter ihre Arbeit als Näherin verlieren würde, sollte Lena die Rädelsführer nicht benennen. Vor allem die politischen Ämter der Schülereltern beeinflussen den Gang der Ermittlungen: Um den Sohn eines Stadtratsvorsitzenden nicht zu belasten, möchte die Kreisschulrätin die Schuld seinem Mitschüler zuschieben.
- In Heimatkunde verrät Regisseur Christian Bäucker, dass die Bäuckers schulbekannt waren als Familie mit dem „gestörten Kind“ (Christians Schwester Carina, die häufig tobte und die die Lehrenden nicht unter Kontrolle bekommen konnten), die draußen im Wald wohnte.
Das Kollektiv und die Pionierorganisationen
Die DDR wollte schon ihre jüngsten Schüler zu guten Sozialisten erziehen. Hierfür war es wichtig, ein Gemeinschaftsgefühl zu schaffen. Das Individuum musste dem Kollektiv weichen. Zusätzlich wurde der „Westen“ zum Feindbild stilisiert, um den Verteidigungswillen des Kollektivs zu formen.
- In Heimatkunde zeigt eine ehemalige Lehrerin auf das rote Pionier-Halstuch und beschreibt die drei Ecken als die drei Säulen der Erziehung: „Alle drei wollen das Gleiche. Gute sozialistische Persönlichkeiten.“ Dazu gehörte, sich dem Kollektiv unterzuordnen, nicht aufzufallen, beschreibt Uta M., denn nur so konnte „das System weiter funktionieren“. Tino K. erinnert sich an eine Übung zu Präpositionen: „Ich turne mit anderen in der Turnhalle. Selbst in einem Ich-Satz wurde eine Wir-Schleife gebildet.“ Aber was macht eine gute sozialistische Persönlichkeit aus? Da haben Tonbänder und Lehrbücher in Heimatkunde die richtigen Begriffe parat: Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Bescheidenheit, Verantwortungsgefühl für sich und andere. Außerdem sollen solides Wissen und Können und eine gesunde Arbeitsvorstellung vorhanden sein. Immer wieder fallen diese Schlagwörter, die den Menschen beschreiben, der in der Schule erzogen werden sollte.
- Für Protest ist in einem stabilen Kollektiv kein Raum. So spricht Frau Liesegang in Fritzi von einer „Zusammenrottung von Unruhestiftern“, die auch noch den feindlichen kapitalistischen Nachrichtensendern helfen würden. Der Grenzoffizier spricht von einem „Schutzwall gegen die bösen imperialistischen Bestrebungen.“
- Auch die Abiturklasse in Das schweigende Klassenzimmer, die einen stummen Protest abgehalten hatte, wird von Edgar als Staatsfeind betitelt.
Wenn sich jemand gegen das „offizielle“, mehrheitlich approbierte Denken auflehnt, wird nach dem Initiator gesucht.
- „Es geht nicht darum, wer mitgemacht hat, sondern wer die Sache angestiftet hat“, sagt ein Lehrer in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl zur Verteilung der kritischen Plakate.
- Auch in Das schweigende Klassenzimmer wird lediglich nach dem Rädelsführer der Schweigeminute gesucht, obwohl die Mehrheit die Idee befürwortet und somit als Kollektiv die Entscheidung und die Verantwortung für die Konsequenzen trägt.
- Frau Liesegang merkt in Fritzi an, dass für „Störenfriede und Besserwisser“ kein Platz in einem Kollektiv ist. Man müsse sich entscheiden, ob man sich fügen möchte und Teil des Kollektivs ist oder für den Rest des Lebens aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird.
Die Pionierorganisationen und die FDJ sind ein wichtiger Bestandteil des Erziehungssystems. Das Zusammensein im Kollektiv steht im Vordergrund, das Gemeinschafts- und Zugehörigkeitsgefühl wird durch gemeinsame Freizeitgestaltung, das Tragen einer Uniform mit aufgenähten Emblemen, eine Grußformel und die Wertevermittlung gefördert. Die Grußformel „Für Frieden und Sozialismus. Seid bereit!“ – „Immer bereit!“ und die Losung „Freundschaft“ finden sich in allen analysierten Filmen, teilweise leicht modifiziert, wieder: bei FDJ-Versammlungen, Fahnenappellen oder der Verabschiedung oder Begrüßung von Lehrkräften.
- Die ehemalige Schülerin Kathi K. erzählt in Heimatkunde von der Einschulung, den Jung- und Thälmannpionieren und FDJ-lern: „Ich war leidenschaftlich gerne Pionier.“ „Für jeden war Platz, egal was man konnte. Wir waren Helden,“ fügt sie hinzu und erinnert sich an Möglichkeiten der gemeinsamen Freizeitgestaltung. Anschließend wird eine Tonbandaufnahme mit dem Lied „Wir sind stolz, Pioniere zu sein“ abgespielt. Ausführlich geht der Film auf Mitgliedsunformen ein. Eine Lehrerin erzählt, dass sie es in ihrer Laufbahn nie erlebt hätte – auch an anderen Schulen nicht –, dass jemand von den Schülern kein Mitglied in der Pionierorganisation gewesen sei.
- Auch Fritzi nimmt sich der Mitgliedschaftsthematik an. Der Schüler Bela Rothkirch ist neu in der Klasse und der Einzige, der am ersten Schultag kein rotes Halstuch trägt. Frau Liesegang konfrontiert ihn nach einem Blick ins Klassenbuch damit und fragt ihn höhnisch, was er denn nach seinem Abschluss gerne machen würde. Als er seinen Wunsch kundtut, erwidert die Lehrerin mit einem abschätzigen Lachen, man werden dies noch sehen. „Denn wer sich heute nicht für diesen Staat einsetzen will, kann nicht erwarten, dass sich der Staat morgen für ihn einsetzen wird.“
- In Das Mädchen aus dem Fahrstuhl wird dem Musterschüler Frank wegen seines Betragens während des Fahnenappells mit einem Ausschluss aus der FDJ gedroht (der schließlich von einer Zweidrittelmehrheit verabschiedet wird). Seine Rektorin warnt: „Was das bedeutet, ist klar. Kein Studium, keine Erweiterte Oberschule.“
In allen Filmen wird die Wichtigkeit eines hohen Amtes in einer der Kinder- und Jugendorganisationen betont, zum Beispiel als FDJ-Sekretär. Die Entscheidungsgewalt, die von Thälmannpionieren und FDJ ausgeht, scheint immens. So dürfen die Vorsitzenden über Fritzis Verbleib an der Schule nach ihrem misslungenen Versuch eines Grenzübertritts entscheiden. Und auch Franks Ausschluss aus der FDJ in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl wurde von FDJ-Mitgliedern der Klasse beschlossen. In Sputnik wird den Jungpionieren bereits Verantwortung übertragen: Der oder die Vorsitzende müssen der Lehrkraft zu Beginn der Stunde mitteilen, welche Schüler oder Schülerinnen fehlen.
Als ein besonders wichtiges Ritual erscheint in allen Filmen der Fahnenappell, der beispielsweise zum 40. Jahrestag der DDR (Fritzi) oder zum FDJ-Geburtstag (Das Mädchen aus dem Fahrstuhl) abgehalten wird – oder als der Rektor einen Tadel gegen Rieke und ihre Freunde ausspricht (Sputnik). Betont wird der militärische Charakter des Fahnenappells: durch Befehle in Das schweigende Klassenzimmer („Stillgestanden!“) oder die Trommel in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl.
Immer wieder taucht das Motiv einer Person auf, die sich dem Kollektiv nicht zugehörig fühlt. Eine ehemalige Lehrerin zeigt in Heimatkunde ein Plakat, das damals in Schulen hing: Darauf zu sehen ist eine Gruppe von Kindern, die sich angeregt unterhalten, während ein Junge einsam an der Seite steht. Auf dem zweiten Plakat steht der gleiche Junge mit Pionieruniform in erster Reihe beim Fahnenapppell: Dies sollte die Aufgabe des Kollektivs symbolisieren, alle zu integrieren. Lediglich in Sputnik kann man keiner Person die Rolle eines „Außenseiters“ zuweisen, wenngleich die Protagonistin Rieke als eigenwillig bezeichnet werden kann.
- Der Klassenneuling Bela Rothkrich in Fritzi trägt als einziger keine Pionier-Uniform und solidarisiert sich außerdem in der Kirche mit den Protestbewegungen. Er schafft es nicht, ein Verhältnis zu seinen Mitschülerinnen und Mitschülern aufzubauen – ausgenommen Fritzi.
-
DEFA-Stiftung/Dieter Chill
- In Das schweigende Klassenzimmer wird die Rolle des Außenseiters von Erik verkörpert. Allerdings ist die Logik dahinter eine andere. Während es sonst darum geht, im Kollektiv Konflikte mit der Schulleitung (und somit auch dem Staat) zu vermeiden, verhält es sich hier umgekehrt. Erik ist der einzige in der Klasse, der sich nicht den Besuchen zu Edgar anschließt, um Westradio zu hören. Auch stellt er sich gegen die Schweigeminute in Gedenken an die Opfer des Ungarn-Aufstandes, bricht das Schweigen und verrät dem Lehrer, dass es sich um eine Protestaktion handelt. Von seinen Mitschülern wird Erik verdächtigt, sie verraten zu haben – aus guten Gründen. Am Ende nennt er der Kreisschulrätin Kurt als Rädelsführer und klärt den Volksbildungsminister über die Westradio-Besuche bei Edgar auf. Erik endet in einer Gefängniszelle, weil er einen Schuss auf einen Lehrer abgibt, nachdem er von der Kreisschulrätin psychisch unter Druck gesetzt wurde.
- In Heimatkunde spricht der ehemalige Schüler Tino K. über seine Rolle als Außenseiter, die ihn bis heute prägt: „Das Außenseiter-Sein zieht sich durch mein Leben.“ Nicht immer sei es ihm dabei gut gegangen, „im Sozialismus gab es hierfür keinen Raum“. Auch das gemeinsame „aufs Töpfchen gehen“ sorgt bei ihm bis heute für ein unwohles Gefühl beim Toilettengang.
Strafen für Fehlverhalten
Verwarnung, Rüge, Tadel oder ein Eintrag ins Klassenbuch sind noch die harmloseren Strafen, die die Schüler und Schülerinnen in den Filmen erwarten. Wenn ihr Verhalten nicht den Erwartungen der Lehrkräfte und der Schulleitung entspricht, kann sich dies in den Noten niederschlagen oder gar zum Verlust des Studienplatzes führen. Die Lehrenden haben freie Hand bei der Wahl ihres Strafmaßes.
- Die ehemalige Schülerin Kathi K. schildert in Heimatkunde, dass sie in den ersten Schuljahren immer sehr temperamentvoll gewesen sei. Was sie heute als eine positive Eigenschaft sieht, wurde während ihrer Schulzeit als negativ gewertet, was sich auch in ihrer Note für Betragen spiegelte. Ehemalige Schüler erinnern sich auch daran, wie ein Mitschüler als Strafe nackt am Sportunterricht teilnehmen musste, weil er seine Turnkleidung vergessen hatte.
- In Sputnik spricht der Direktor während des Fahnenappells einen Tadel aus und warnt vor disziplinarischen Maßnahmen, weil Rieke und ihre Freunde in ihrer Freizeit einen Heißluftballon gebaut haben. Nicht um aus der DDR zu fliehen, sondern weil sie Kosmonauten werden und mit dem Ballon ins Weltall schweben wollten.
- Auch Musterschüler wie Frank in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl bleiben nicht verschont. Nachdem sich Frank für seine Mitschülerin Regine einsetzt, als der Lehrer über ihre misslungene Arbeit witzelt („Lass mal, der hat Komplexe“), hagelt es für Frank einen Eintrag in sein Heft. Später verteilt er in der Schule Plakate, die die Zensuren als Kriterium für die Berufswahl infrage stellen, und verliert daraufhin die Möglichkeit, die Erweiterte Oberschule zu besuchen und somit ein Studium zu absolvieren. Die Rektorin wirft ihm mangelnde politische und persönliche Reife vor.
- Auch Fritzi muss in Fritzi eine Eintragung ins Klassenbuch in Kauf nehmen, während ihr Mitschüler Benni Göbel dieser noch knapp entkommen kann.
- In Das schweigende Klassenzimmer erhält die gesamte Abiturklasse eine Verwarnung wegen der von Kurt angezettelten Schweigeminute. Theo erntet zusätzlich einen Tadel, als er die Befragungen der Schüler und Schülerinnen durch die Kreisschulrätin mit Gestapo-Methoden vergleicht. Am Ende des Films dürfen die Schülerinnen und Schüler ihr Abitur nicht mehr ablegen und werden der Schule verwiesen.
Der Rauswurf von Schülern und Schülerinnen aus den Räumlichkeiten der Schule ist in den Spielfilmen ebenfalls eine Konsequenz von Fehlverhalten. So muss Rieke in Sputnik das Klassenzimmer verlassen, nachdem sie ihrem Mitschüler mutmaßlich das Bein gestellt hat. Frank muss sich in Das Mädchen aus dem Fahrstuhl nach einem Disput mit der Direktorin vom Schulgelände entfernen. Auch Fritzi muss einmal den Klassenraum verlassen. Ihr wird zudem angedroht, dass sie nicht an einer Klassenfahrt teilnehmen darf, wenn sich ihr Betragen nicht bessert.
Fazit
Die vier analysierten Spielfilme haben eine große Gemeinsamkeit: Ihre Protagonistinnen und Protagonisten sind mit ihrer kleinen oder großen Revolution beschäftigt. Dies hat zur Folge, dass sie alle in Konflikt mit der Schule (und somit indirekt mit dem Staat) kommen. Fritzi und Rieke aus den beiden Kinderfilmen sind noch relativ jung und naiv – ihnen ist vielleicht gar nicht richtig bewusst, was sie mit ihrem ungehorsamen Verhalten erreichen wollen. Die Schweigeminute und die Kritik an dem Leistungs- und Notensystem führen die älteren Schüler dagegen in einen gezielten Kampf gegen das (bildungs-)politische System. Ganz unabhängig von den unterschiedlichen Zeiten, zu denen die Handlungen der Filme spielen: Die Proteste verursachen alle einen großen Aufruhr.
Die Härte und Kaltherzigkeit mancher Lehrer und Lehrerinnen sind für den Zuschauer nicht nachvollziehbar. Von der großen Gemeinsamkeit also ein Schwenk zu dem größten Unterschied der Filme. Frau Liesegang lässt am laufenden Band Plattitüden zu Volksfeinden, Rowdys oder Störenfrieden fallen und wirkt stellenweise wie ein Roboter – lediglich der Blick aus ihrer Wohnung, während die Herbstproteste an ihr vorbeiziehen, lässt sie das erste Mal menschlich wirken. Ein ähnliches Bild vermitteln Kreisschulrätin Kessler und Volksbildungsminister Lange, die nicht einen Funken Menschlichkeit zeigen und zu den härtesten Bandagen greifen, um die Untersuchung erfolgreich abzuschließen. Rektor Schwarz hingegen zeigt sich deshalb menschlich, weil ihm die Angst vor dem Jobverlust ins Gesicht geschrieben steht. Durch das Gespräch mit Theo über seine Herkunft entdeckt man hinter absoluter Systemtreue einen Menschen. Auch die Klassenlehrerin oder der Mathematiklehrer in Franks Klasse zeigen, dass nicht alle Lehrer den Schülern etwas Böses wollen, selbst wenn sie sich ihre Scherze über Schüler oder Schülerinnen nicht verkneifen können. Die ehemaligen Lehrerinnen und Lehrer vermitteln in der Dokumentation, dass sie selbstverständlich immer das Wohl der Schüler und Schülerinnen im Kopf hatten. Wenngleich auch niemand leugnet, dass die Erziehung zu einem sozialistischen Menschen auch immer eine große Rolle spielte.
Worin sich die Spielfilme einig sind, ist die große und wichtige Rolle der Pionierorganisationen. Hier dienen sie hauptsächlich als ein von Lehrkräften unabhängiges Gremium für wichtige Entscheidungen und nicht als Freizeitgestaltungsmöglichkeit, wie es in der Dokumentation häufig erwähnt wird. Auch die Rolle der Eltern bei der Erziehung ist in den vier Spielfilmen relativ ähnlich. Wenn es darauf ankommt, sind sie für ihre Kinder stets da.
Alles in allem liefern die Spielfilme sehr ähnliche Bilder der DDR-Schule. Auf eine Formel gebracht: Während der (selbstfinanzierte) Dokumentarfilm Heimatkunde das Arrangement- und an einigen Stellen auch das Fortschrittsgedächtnis bedient, konkretisieren die (teilweise sehr teuren) steuerfinanzierten fiktionalen Entwürfe der DDR-Schule das Diktaturgedächtnis.
Empfohlene Zitierweise