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ZDF/Christine Schroeder

Die Todesautomatik

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Die Todesautomatik
Erscheinungsjahr
2007
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
90 Minuten

Kurzbeschreibung

Die Todesautomatik handelt von den Erfahrungen regimekritischer ehemaliger DDR-Häftlinge, die sich in der Bundesrepublik zur Zeit der Entspannungspolitik während des Kalten Krieges als Fluchthelfer betätigen und Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze demontieren. Das Drama basiert auf dem Leben Michael Gartenschlägers, der 1976 von Grenzern erschossen wurde.

Schlagworte

Zeit
Schauplatz
Genre

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Nikolaus Stein von Kamienski wurde 1961 in Essen geboren und studierte sowohl Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Hochschule der Künste Berlin als auch Filmregie an der Universität Hamburg und der Hamburg Media School. Bekannt ist er vor allem für zahlreiche Tatort-Inszenierungen. Der Regisseur von so unterschiedlichen Filmen wie Bis nichts mehr bleibt (2010), Rommel (2012) oder Morgen musst du sterben (2010) und Nachkriegsdramen wie Liebe deinen Feind (2010) und Wiedersehen mit einem Fremden (2010) hat sich nach Die Todesautomatik (2007) in seiner Mockumentary Öl – die wahre Geschichte über den Untergang der DDR (2015) ein weiteres Mal mit der DDR beschäftigt. Die Todesautomatik sieht er als „Beitrag gegen Geschichtsvergessenheit“ (Kino.de). Wer einmal versucht habe, seinen Kindern von der deutschen-deutschen Grenze und der Mauer zu erzählen, werde ein „Monument des Erinnerns“ vermissen (Niki Stein, tittelbach.tv). Er selbst erinnert sich offenbar gut an die Entspannungspolitik im Ost-West-Konflikt: Er habe sich damals bei „einem gewissen Unbehagen“ gegen die „Störenfriede der friedlichen Koexistenz“ – wie sein Fluchthelfer Manfred Brettschneider in Die Todesautomatik – ertappt (Welt Online).

Drehbuch

Das Drehbuch verfassten Wieland Bauder und Nikolaus Stein von Kamienski.

Vorlage

Die Vorlage für den Film lieferte das Buch „Todesautomatik“ (Hamburg, 2001) von Lothar Lienicke und Franz Bludau, das von Drehbuchautor Wieland Bauder adaptiert und fiktionalisiert wurde. Das Buch erzählt das Leben von Michael Gartenschläger und bettet seine Geschichte in den politischen Kontext ein. Im Film heißt die Figur Manfred Brettschneider. Die Figur Lutz Lenarth wiederum wurde dem Buchautor Lothar Lienicke nachempfunden, der selbst als Freund Gartenschlägers an rund 30 Fluchten aus der DDR und an der Demontage von Selbstschussanlagen beteiligt war.

Produktion

Produziert wurde Die Todesautomatik von der Polyphon Film- und Fernsehgesellschaft mbH in Hamburg für das ZDF. Producer war Johannes Pollmann. Die Redaktion im ZDF verantwortete Sophie Venga Fitz.

Finanzierung

Details zur Finanzierung von Die Todesautomatik sind nicht bekannt.

Werbung

Neben einer Pressemitteilung und den üblichen Teasern im Vorfeld von Fernsehausstrahlungen gab es keine nennenswerte Werbekampagne.

Filminhalt

Handlung

Achtung: Der Text enthält Details, die die Spannung verringern könnten.

Aus Protest gegen den Mauerbau beschmieren die Rock-'n'-Roll-Fans Lutz, Manfred, Bernd und Philip in Strausberg Wände mit antikommunistischen Parolen und setzen eine Scheune in Brand. In einem Schauprozess werden sie wegen „staatsgefährdender Propaganda“ zu langen Haftstrafen verurteilt. 13 Jahre später wird Lutz von der Bundesrepublik freigekauft und trifft in Hamburg seinen alten Freund Manfred, der – unterstützt von einem Kreis gutsituierter DDR-Kritiker – als Fluchthelfer aktiv ist, sehr zum Missfallen seiner Freundin Sigrid, die sich in Lutz’ Arme flüchtet. Lutz unterstützt Manfred bei seinen Fluchthilfeaktionen. Als die beiden schließlich Bernd über die Grenze schmuggeln, ist die Strausberger Clique beinahe wieder vollständig. Manfred und Lutz gehen noch einen Schritt weiter und demontieren eine der Selbstschussanlagen, die von der Genfer Konvention geächtet sind und deren Existenz von der DDR-Führung bestritten wird. Unzufrieden mit der Platzierung des Berichts im Spiegel – eigentlich sollte der „Todesautomat“ auf die Titelseite kommen – versuchen Manfred und Lutz, eine weitere Selbstschussanlage zu demontieren, obwohl ihr alter Freund Philip, mittlerweile Stasi-Mitarbeiter, ausdrücklich vor weiteren Aktionen warnt. Manfred wird von einem MfS-Spezialkommando entdeckt und erschossen.

Zentrale Figuren

Lutz Lenarth (Stephan Kampwirth) wurde nach 13 Jahren Zuchthaus von der Bundesrepublik freigekauft und hat Arbeit auf einer Hamburger Werft gefunden. Seine Hafterfahrungen haben ihn „zugleich hart und weich gemacht“ (Der Tagesspiegel), er ist „vom wilden Rock-'n'-Roll-Fan zu einem zwanghaften Menschen geworden, der sich sein eigenes geistiges Gefängnis baut“ (tittelbach.tv). In seiner ernsten Bedachtsamkeit dient er als Identifikationsfigur und „typischer bester Freund“ (Kino.de) des hitzigen und „in seiner unstillbaren Konsequenz nicht immer ganz nachvollziehbaren“ Helden Manfred (Produzent Johannes Pollmann, tittelbach.tv). Lutz funktioniert gleichsam wie ein „Abstandhalter. Er sorgt dafür, dass der Film nicht mit seinem Protagonisten verklebt. Er verhindert ein öliges Heldengemälde“ (Welt Online). Lutz wird überrollt von den Ereignissen und mitgerissen von Manfreds Besessenheit, seine eigene Einstellung wird dabei nicht deutlich. Er wird „mit niemandem – ob links, liberal oder konservativ – so richtig warm. Lutz ist in beiden Teilen Deutschlands ein Fremder und fühlt sich nirgends richtig heimisch“ (tittelbach.tv).

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ZDF/Christine Schroeder
Manfred  (Misel Maticevic , l.),
Lutz (Stephan Kampwirth, r.)
 

Der charismatische Manfred Brettschneider (Mišel Matičević) betreibt nach einer mehrjährigen Haftstrafe und dem Freikauf durch die Bundesrepublik eine Kfz-Werkstatt in Hamburg. Neben diesem scheinbar bürgerlichen Leben ist er als Fluchthelfer aktiv und schmuggelt Ausreiswillige in einem umgebauten Auto über die Grenze. Er ist bekennender Verächter der Entspannungspolitik, geprägt von einem unstillbaren Freiheitsdrang („Freie Autowerkstatt M. Brettschneider“) und handelt aus „Rochus auf die DDR“ (Der Spiegel, 1976).

„Von welchen Erleichterungen reden wir denn hier? Die Oma darf ein bisschen früher in den Westen. Der Sohn zur Beerdigung der Mutter fahren, aber nur, wenn er die Familie zurücklässt. Aber ist der Schießbefehl an der Grenze abgeschafft? Hat das Honecker-Regime die Minen weggeräumt? Nein, im Gegenteil. Während wir hier sprechen, wird die deutsch-deutsche Grenze von den Brüdern immer undurchlässiger gemacht.“ […] „Die Unterschrift von Honecker und Genossen unter die UN-Menschenrechtskonvention ist die Tinte nicht wert, mit der sie geschrieben wurde.“ (Manfred)

Seine technischen Fähigkeiten, eine gewisse Routine im Gefährlichen gepaart mit „kaltblütiger Clownerie“ (Der Tagesspiegel) befähigen ihn zu den wahnwitzigen Fluchthilfeaktionen und den lebensgefährlichen Demontagen der Selbstschussanlagen. Er ist „zwar hitzig, aber auch abgebrüht“ (Welt Online), wirkt in seiner Besessenheit streckenweise gar „physisch (ver)brennend“ (tittelbach.tv). Unberechenbar und wohl nie ganz erwachsen geworden gibt er mit seiner „obsessiven Geradlinigkeit dem Titel Todesautomatik eine Bedeutung, die über die konkrete Wirkung einer Selbstschussanlage hinausgeht. Lutz mahnt seinen Freund zur Vernunft, aber der ist und bleibt Rock-'n'-Roller“ (Welt Online). Dabei schwankt Manfred dem Freund gegenüber zwischen leiser Verachtung („Hast dich ja gut eingelebt.“) und Dankbarkeit für seine Treue: „Eines Tages heben wir die Welt noch aus den Angeln! Wirst sehen, Lutze.“

Gesellschaftsbild

Die vier Rock-'n'-Roll-Rebellen im Prolog lassen sich dem hedonistischen Gesellschaftsmilieu zuordnen. Sie handeln weniger aus politischer Überzeugung als vielmehr aus einem Lebensgefühl heraus – Ungebundenheit an ideologische Vorgaben („Lieber tot als rot!“), Freiheit und Eigenständigkeit zählen zu ihren Lebenszielen. Vom Staat werden sie „in die oppositionelle Rolle gedrängt, weil sie nicht in dessen ideologisches System passen“ (tittelbach.tv). Sie sind ebenso tollkühn wie leichtfertig und halten zusammen wie Pech und Schwefel. In den Augen der Medien sind sie „Banditen“, für die Justiz „Volksverräter“ und für die FDJ „Halbaffen“. Neben der Liebe zum Rock 'n' Roll eint sie die Verachtung ihrer Altersgenossen, deren blaue Uniformen sie in der zweiten Filmszene mit Schlamm bespritzen. Und so sehr sich die FDJler auch beim Staatssekretär anbiedern, eine funktionierende Lautsprecheranlage und hübsche Mädchen sind nur im „Ersten Rock-'n'-Roll-Fanclub“ von Strausberg zu finden.

Gegensätze werden in Die Todesautomatik nicht nur zwischen jungen Rebellen und FDJ-Mitgliedern konstruiert – auch die Bundesrepublik wirkt oberflächlich betrachtet wie eine bunte Kontrastfolie zur grauen DDR. Die westdeutsche Freizügigkeit zeigt sich nicht nur in Sigrids unverblümter Aufforderung zu einem Dreier. Lutz’ erster Blick in Hamburg fällt auf ein Pornokino. In der Bundesrepublik tanzt und raucht man unentwegt und hat für ehemalige DDR-Bürger viel herablassendes Mitgefühl übrig („Auberginen und Zucchini kennen Sie ja, glaube ich, nicht aus der DDR“). Als die Heuchelei bei Lutz’ erster Gastfamilie in einem Gebet zu seinen Ehren gipfelt, verlässt Lutz die Szene. Auch die Arbeitswelt wird augenzwinkernd als betont tolerant im Gegensatz zur DDR-Arbeitswut dargestellt. So gibt Lutz’ Chef ihm einmal gern frei: „Dein Kollege hat mir erzählt, dass du unbedingt arbeiten wolltest. Aber das versteht doch jeder. Ist eben der Westen, Junge!“ Aber ganz so einseitig wird die Schwarz-Weiß-Malerei in Die Todesautomatik dann eben doch nicht betrieben: Lutz merkt sehr schnell, dass es auch im Westen brutale Polizisten und überzeugte Marxisten gibt („Jeder, der die Rübe macht, spielt den Ausbeutern in die Hände! Nur weil ihr keine Orangen habt, verraten Typen wie du die Revolution!“).

Die durch ihre Hafterfahrungen politisierten ehemaligen DDR-Bürger, zu denen Manfred zählt, gelten in Zeiten der „friedlichen Koexistenz“ in beiden Teilen Deutschlands als Störenfriede (tittelbach.tv). Die Bundesrepublik will das „politische Tauwetter im Kalten Krieg nicht gefährden“ (Kino.de). Und „mit dem West-Finger auf die Selbstschussanlagen Ost zu zeigen, passt nicht ins neuentspannte Ost-West-Verhältnis“ (Der Tagesspiegel). Dagegen steht eine kleine Gruppe intellektueller, gutsituierter Bürger, die die Menschenrechtsverletzungen der DDR nicht hinnehmen wollen und die Entspannungspolitik kritisieren: „In dem Moment, in dem man sich zu Gesprächen mit Vertretern Mitteldeutschlands an einen Tisch setzt, hat man doch die DDR salonfähig gemacht“ (Frau Hansen). Der bürgerlich-konservative Kreis (hauptsächlich) feiner Damen hat allerdings nicht, wie von Manfred behauptet, „Verbindungen bis ganz nach oben“, sondern zieht schnell den Kopf ein, als er bei einer Fluchthilfeaktion in der DDR festgesetzt wird: „Unser Kuratorium ist ein gemeinnütziger Verein und keine Geheimorganisation. Wissen Sie, was passiert, wenn man uns mit irgendwelchen Fluchthilfeaktionen in Verbindung bringt? Man wird uns in der Luft zerreißen. Die meisten Feinde sitzen uns leider in diesem Teil Deutschlands im Nacken.“ (Frau Hansen)

Dass gerade die BRD kein Interesse an einem Feldzug gegen die Entspannungspolitik zu haben scheint, wird vor allem an Spiegel-Redakteur Berg deutlich, der humanitäre Bedenken als „völkerrechtliche Prinzipienreiterei“ abtut und die Politik der kleinen Schritte in der deutschen Frage „ganz entschieden“ befürwortet. Wie seine Kollegen beim Spiegel hat er sich mit der politischen Situation abgefunden und glaubt nicht an eine baldige Öffnung des Eisernen Vorhangs. Der linientreue Herausgeber bringt lieber seinen Parteifreund Hans-Dietrich Genscher auf die Titelseite als, wie eigentlich vereinbart, die Story über Manfred und den „Todesautomaten“, die sich zu allem Übel auch noch liest, „als wär ich irgend so ein kleiner Dreher aus der Zone, der mehr Glück als Verstand hatte“ (Manfred). Die Spiegel-Belegschaft reagiert nicht nur süffisant herablassend auf Manfreds Wutausbruch in der Redaktionskonferenz („Und, wie nennt man das, Zonenkoller?“), sondern gibt sich auch obrigkeitshörig – hat man doch die Selbstschussanlage bereits „pflichtgemäß dem BND“ übergeben. Andere Medienhäuser wie Springer seien laut Manfred jedoch (noch) nicht so konformistisch:

Manfred zum Spiegel-Herausgeber: „Dass Ihnen Ihr Parteigenosse wichtiger ist als unschuldige Menschen, die von Selbstschussanlagen zerfetzt werden, das hätte ich mir ja gleich denken können! […] Wir hätten gleich zu Springer gehen sollen. Die leisten sich wenigstens ab und zu mal noch 'ne unabhängige Meinung.“

Herausgeber: „Wenn die Bild-Zeitung gegen die Entspannungspolitik polarisieren will, dann ist sie nicht darauf angewiesen, dass Sie oder Ihr Freund auf irgendwelchen Zäunen rumklettern.“

Ästhetik und Gestaltung

Die Todesautomatik ködert die Zuschauer mit „Zeitgeist-Folklore der 1970er-Jahre“ (tittelbach.tv). Manfreds Wohnung lädt mit ihren schreiend bunten Tapeten, der Musikbox, dem Billardtisch und der Hausbar zum nostalgischen Schwelgen in Erinnerungen ein. Von der DDR der 1970er bekommt der Zuschauer hingegen wenig mit, ihre Darstellung beschränkt sich fast ausschließlich auf die triste Mitropa-Transitgaststätte in Senfgelb. Im Prolog, also 13 Jahre früher, wird Strausberg bei Berlin ein ländlicher Charme verliehen, trotz Militärpräsenz und heruntergekommenen Hausfassaden.

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ZDF/Christine Schroeder

V.l.n.r.: Bernd (Jannik Büddig), Lutz (Robert Gwisdek),
​​Philip (Maximilian Mauff), Regine (Katrin Bühring),
Manfred (Philipp Danne)

Die wohl größte Rolle bei der cineastischen Darstellung der Lebenswelt von Lutz und Manfred spielt aber der Rock 'n' Roll. Jacki Engelken und Ulrik Spies untermalen die Filmhandlung mit zahlreichen Klassikern (Jailhouse Rock, Crazy Boy, Waterloo, Long Tall Sally, Moonlight), unterbrechen jedoch das FDJ-Lied „Vorwärts, Freie Deutsche Jugend“ bedeutungsschwanger mit einem disharmonischen Ton.

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Das Lokalkolorit vom Strausberg der 1960er-Jahre wird in Die Todesautomatik durch zahlreiche Requisiten und kulturelle Bezüge konstruiert. So ist in einigen Filmszenen ein rotes Banner mit der Aufschrift „Gegen Faschismus und Krieg, für Arbeit und Sozialismus“ zu sehen. Die jugendlichen Rock-'n'-Roll-Fans tragen T-Shirts mit Elvis-Konterfei, und Manfreds Mutter näht an einer Maschine der Marke Knoch. Man ernährt sich von Bockwurst mit dünnem Kaffee und fährt ab und zu in den Westen, weil „grad so 'n Streifen mit Hotte Buchholz“ im Kino läuft (Fanny oder Eins, Zwei, Drei). Auch zeitgenössische Sprache wird zur Authentizitätskonstruktion verwendet, beispielsweise „mufft“ der Gefangene „wie 'ne Babuschka nach'm Bodenturnen“ und die Mauer wird als „Erichs Gartenzaun“ bezeichnet.

Über solche filmspezifischen Strategien hinaus ist die Orientierung an der Buchvorlage, am Spiegel-Artikel von 1976 (Der Spiegel) und an Originalfotos deutlich zu erkennen. Im Intro wird das Buch „Todesautomatik“ als „Tatsachenbericht von Lothar Lienicke und Franz Bludau“ bezeichnet. In der ZDF-Pressemitteilung zur Erstausstrahlung heißt es außerdem, der Film beruhe „in weiten Teilen auf wahren Begebenheiten“ und sei an Originalschauplätzen gedreht worden. Wo sich der Film sonst bis ins Detail an der Buchvorlage orientiert, nimmt er sich gerade bei den Geschehnissen an der Mauer einige künstlerische Freiheiten. So sind die Gesichter der beiden zwar „mit Schuhcreme geschwärzt“, aber die Anzahl der Beteiligten stimmt nicht: Tatsächlich wurde Michael Gartenschläger von Lothar Lienicke und Wolf-Dieter Uebe begleitet, als die tödlichen Schüsse fielen. Auch entscheiden sich die Filmemacher für eine Version, in der Gartenschläger zwar eine Pistole mitnimmt, aber nicht schießt. Im Prozess gegen die Todesschützen 1999 billigte das Schweriner Landgericht den Mitgliedern der MfS-Einsatzkompanie aufgrund widerstreitender Zeugenaussagen dagegen Notwehr zu (Forschungsverbund SED-Staat, FU Berlin).

Neben der Anlehnung des Films an das Buch ist die Orientierung am Spiegel-Artikel „Schnell das Ding vom Zaun“ (Der Spiegel, Nr. 16/1976 vom 12. April 1976) offensichtlich: Nicht nur wurde die Filmfigur Manfred Brettschneider an die im Artikel beschriebenen Charakterzüge von Gartenschläger angepasst, auch Details der Filmhandlung entstammen ihm augenscheinlich. So lässt sich die SM-70-Selbstschussanlage entschärfen, indem die beiden Zündkabel nacheinander, aber in beliebiger Reihenfolge durchtrennt werden, was Gartenschläger aber zum Zeitpunkt der Demontage nicht wusste: „Aber welches jetzt als erstes durchkneifen?“ (Der Spiegel) Außerdem sei es ihm laut Artikel „rätselhaft“, wieso der Auslösedraht der Nachbaranlage beim Durchtrennen nicht explodierte – auch Manfred ist im Film von dieser Fehlfunktion überrascht. Nicht nur Buch und Artikel dienten den Filmemachern als Orientierungshilfe, sondern offenkundig auch Originalfotos.

Rezeption

Reichweite

Seine Premiere feierte der Film auf dem Filmfest Hamburg am 3. Oktober 2007. Im Fernsehen erreichte Die Todesautomatik bei der Erstausstrahlung im ZDF am 26. November 2007 rund 3,4 Millionen Zuschauer, was einem Marktanteil von 10,1 Prozent entsprach (ZDF Programmchronik 2007). Der Film ist auf Youtube in acht Teilen verfügbar.

Rezensionen

Von der Presse wurde Die Todesautomatik kaum beachtet. Die wenigen Kritiker fanden den Film jedoch einhellig „fesselnd“ (TV Spielfilm, Der Standard). Das „packende Stück deutsch-deutscher Zeitgeschichte“ (Prisma) „mit unverblümten Anleihen beim Agentenfilm“ (Kino.de) wirkte für Andre Mielke (Welt Online) „rundum überzeugend“, weil die Inszenierung schnörkellos, das Drehbuch facettenreich und die Schauspieler authentisch seien. Es handele sich um ein Drama „gegen das Vergessen“ (TV Spielfilm, tittelbach.tv), eine Erinnerung an die „Schattenseiten der sogenannten friedlichen Koexistenz und deren Opfer“ (tittelbach.tv) und um einen Beitrag des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens „im Kampf gegen Geschichtsvergessenheit“ (Welt Online). Die Todesautomatik ersetzt für Kerstin Decker (Der Tagesspiegel) gar Geschichtsbücher.

Andere gehen nicht so weit: Es handele sich lediglich um einen weiteren Fernsehfilm über die DDR nach dem Motto „Nichts wie weg!“ – wie zum Beispiel Prager Botschaft oder Die Frau vom Checkpoint Charlie aus demselben Jahr (Morgenpost). Die Todesautomatik schwanke „zwischen zeitkritischer Satire und den Anforderungen an einen populär-emotionalen Film“ (Filmdienst). Es gehe im Kern nämlich gar nicht um den Kalten Krieg und das Tauwetter, „sondern genregerecht um das Große im Kleinen, darum, welche Belastungen eine Freundschaft auszuhalten vermag und wie viele Verlustängste man seiner Liebsten zumuten kann, bis sie zum besten Freund desertiert“ (Welt Online). Diese „Details am Rande“ würden den Film zum Sehvergnügen machen, während die politische Ebene weniger elegant und eher didaktisch ausfalle, wenn Manfred beispielsweise seinen Diavortrag über verblutende Maueropfer hält (Kino.de).

Auszeichnungen

Die Todesautomatik wurde 2008 als bester Fernsehfilm für die Goldene Kamera nominiert.

Erinnerungsdiskurs

Die DDR ist in Die Todesautomatik aus westdeutscher Sicht ein „ferngerückter deutscher Parallelstaat mit gemeinsamer Grenze, aber begrenzter Gemeinsamkeit“ (Sabrow 2009, S. 17). Die Empörung über politische Inhaftierungen und den Schießbefehl an der Grenze hat im Zuge der Entspannungspolitik ihre Geltungskraft verloren. Lediglich eine intellektuelle Minderheit regt sich noch auf, für den Rest – große Medienhäuser eingeschlossen – kommt die Äußerung humanitärer Bedenken „völkerrechtlicher Prinzipienreiterei“ und unnötiger Polemik gegen die friedliche Koexistenz gleich. Politisierte DDR-Häftlinge wie der „verrückte“ Manfred gelten in beiden Teilen Deutschlands als Störenfriede, die niemand wirklich ernst nimmt.

Im Erinnerungsdiskurs ist Die Todesautomatik dem Diktaturgedächtnis zuzuordnen, da der Film den Unterdrückungscharakter des DDR-Staates betont. Die DDR wird als „negatives Kontrastbild vor der Folie rechtsstaatlicher Normen und Freiheitstraditionen“ dargestellt – als ein Staat, der seine Bürger wegen unbedeutender Vergehen in Schauprozessen zu lebenslanger Folter-Haft verurteilt und Menschen an der Grenze von „Todesautomaten“ zerfetzen lässt. Drei weitere klassische narrative Bedeutungsmuster in diesem Zusammenhang sind die allgegenwärtige Bespitzelung („Haben sie dich jetzt auch schon umgedreht, ja?“), die Allmacht der Staatssicherheit und die Flucht als letzter Ausweg. Die Errungenschaften der Entspannungspolitik – wie die Möglichkeit des Freikaufs politischer Häftlinge oder das Transitabkommen – werden zwar erwähnt, jedoch der Delegitimierung des Unrechtsstaates untergeordnet.

Losgelöst von der politischen Ebene zeichnet der Film die Leben zweier Menschen, die von der DDR in die oppositionelle Rolle gedrängt wurden und auf je eigene Weise mit ihren Haft-Traumata zurechtkommen – Lutz durch innere Emigration und Anpassung, Manfred durch obsessiven Widerstand gegen das verantwortliche System. Zwei Wege also, mit der deutsch-deutschen Teilung umzugehen. Einer davon endet tödlich.

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Die Todesautomatik ist eine intensive Charakterstudie eines Besessenen, dessen persönlicher Rachefeldzug gegen die DDR ein tragisches Ende nimmt. Der Film brilliert in den leisen Tönen – und weniger auf der zwar fesselnden, aber didaktisch wirkenden politischen Ebene, auf der die Menschenrechtsverletzungen in den DDR-Haftanstalten und an der Grenze kritisiert werden.

Empfohlene Zitierweise

Die Todesautomatik. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2024, https://ddr-im-film.de/de/film/die-todesautomatik