Jana und Jan
Inhalt
- Kurzinformationen
- Filmdaten
- Kurzbeschreibung
- Schlagworte
- Entstehungskontext
- Beteiligte
- Filminhalt
- Handlung
- Figuren
- Gesellschaftsbild
- Ästhetik und Gestaltung
- Strategien der Authentizitätskonstruktion
- Rezeption
- Reichweite
- Rezensionen
- Auszeichnungen
- Wissenschaftliche Aufarbeitung
- Einordnung in den Erinnerungsdiskurs
-
Empfehlung des Autors
- Literatur
Entstehungskontext
Beteiligte
Helmut Dziuba, geboren 1933 in Dresden. Redakteur, politischer Kabarettist und Regie-Student an der Filmhochschule in Moskau. Parallel arbeitete Dziuba beim Moskauer Rundfunk als Journalist und Regisseur von Hörspielen. Seinen ersten Film Iz pepla (Aus der Asche, 1958) drehte er für das sowjetische Fernsehen. Nach dem Abschluss 1962 wurde Dziuba Regieassistent bei der DEFA und arbeitete unter anderem für Frank Beyer und Günter Reisch. Ab 1968 drehte er eigene Filme, vor allem über Kinder und Jugendliche. Erscheinen Pflicht (1984) stand kurz vor einem Verbot (Hanisch 1992: 12). Die Geschichte von Jana und Jan beginnt 1984. Da es unmöglich schien, die Jugendwerkhöfe offen zu kritisieren, schrieb Dzuiba das Drehbuch 1989 um (Hembd 1991: 24).
Regisseur und Drehbuchautor Helmut Dziuba orientierte sich an einer Erzählung von Manfred Haertel, der von 1970 bis 1985 Lehrer am Jugendwerkhof Kloster Lehnin war (DEFA-Stiftung). 2009 erschien Haertels Buch Flucht ohne Wiederkehr: Werkhof-Trilogie III, das eine ähnliche Geschichte erzählt. Die Hauptfiguren heißen dort Dana und Andy. Am Anfang des Buchs steht: „Die Werkhofromane entstanden schon während seiner Tätigkeit als Lehrer im Werkhof. Zwölf IMs sollten verhindern, dass die Manuskripte in den Westen gelangen“ (Haertel 2009: 3).
Der Film Jana und Jan wurde von der DEFA und vom ZDF produziert. Die Deutsche Film Aktiengesellschaft (DEFA), gegründet 1946, hatte in der DDR ein Monopol. Nur hier wurden Kinofilme produziert. 1990 wurde die DEFA in eine Kapitalgesellschaft umgewandelt, zwei Jahre später an den französischen Konzern CGE verkauft und als „Studio Babelsberg“ weitergeführt. Produzent Werner-Uwe Kraft arbeitete seit den späten 1970er Jahren für die DEFA, zunächst als Produktionsleiter und ab Mitte der 1980er Jahre dann auch als Produzent. Vor der Wiedervereinigung produzierte er drei Filme: Rublak – Die Legende vom vermessenen Land (1984), Vorspiel (1987) und Verbotene Liebe (1990, Regie: Helmut Dziuba). Nach 1990 hat Kraft vor allem für das Fernsehen gearbeitet. So war er an mehreren Tatort-Episoden und an der Serie In aller Freundschaft beteiligt. Außerdem gibt es von ihm einen Fernsehfilm, der sich mit der DDR beschäftigt: Heimweh nach drüben (2007).
Das Budget des Films belief sich auf umgerechnet etwa 1,25 Millionen Euro (Hembd 1991: 24). Geld gab es von der Bundesanstalt für Filmförderung sowie von der Filmförderung des Landes Brandenburg.
Filminhalt
Handlung
Kurz vor seinem 16. Geburtstag wird Jan vom geschlossenen Jugendwerkhof Torgau in einen offenen Jugendwerkhof verlegt. Dort trifft er die 17-jährige Jana. Sie wettet mit ihren Zimmergenossinnen, dass sie es schaffe, mit dem Neuen zu schlafen. Jan sieht schnell, dass es eine strenge Hierarchie gibt. Das Sagen haben Sir und Lady. Die Betreuer überlassen die Jugendlichen sich selbst. Aus Janas Wette wird Liebe. Einige Monate später ist Jana schwanger. Während Jan den Sinn seines Lebens gefunden zu haben glaubt, möchte Jana das Kind nicht bekommen. Nach einigem Hin und Her fliehen die beiden – kurz vor der Geburt. Ob es ein Happy End gibt, lässt der Film offen.
Zentrale Figuren
Kurz vor seinem 16. Geburtstag wird Jan vom geschlossenen Jugendwerkhof Torgau in einen offenen Jugendwerkhof verlegt. Dort trifft er die 17-jährige Jana. Sie wettet mit ihren Zimmergenossinnen, dass sie es schaffe, mit dem Neuen zu schlafen. Jan sieht schnell, dass es eine strenge Hierarchie gibt. Das Sagen haben Sir und Lady. Die Betreuer überlassen die Jugendlichen sich selbst. Aus Janas Wette wird Liebe. Einige Monate später ist Jana schwanger. Während Jan den Sinn seines Lebens gefunden zu haben glaubt, möchte Jana das Kind nicht bekommen. Nach einigem Hin und Her fliehen die beiden – kurz vor der Geburt. Ob es ein Happy End gibt, lässt der Film offen.
Jan (René Guß) mag es nicht, wenn andere über ihn entscheiden. Er versucht, die Mauer zu überwinden, widersetzt sich dem Jugendwerkhofleiter, legt sich mit Sir an und flieht schließlich aus dem Heim. Als Jana ihm sagt, dass sie über die Geburt des Kindes entscheiden werde, dreht er durch: „Ich wills, kapiert? Ich, ich, ich!“ Seine Probleme versucht er durch Gewalt und dominantes Auftreten zu lösen. Als kleines Kind wurde er von seiner Mutter verlassen. Erst die Aussicht, Vater zu werden, gibt ihm wieder Hoffnung: „Uns hat keiner beschützt. Alles Heuchelei.“
Aufseherin Natter (Karin Gregorek) will Einfluss auf die Mädchen haben. Sie wirkt unnahbar und dominant. Den Demonstrationen, die zum Mauerfall führen, begegnet sie mit einem Kopfschütteln. Erst als Jana schwanger wird, zeigt sie eine weichere Seite, auch wenn sie eine Abtreibung bevorzugen würde. Sie weist Jan in die Schranken, als er von „seinem“ Kind spricht. Gleichzeitig sagt sie Jana, wie schwer das Leben mit Kind ist. Sie ist die einzige Figur, die versucht, den Kindern und Jugendlichen zu helfen. Allerdings zeigt sie diese Seite erst, als es schon zu spät ist. Später verlässt sie den Werkhof.
Uta und Julia (Corinna Stockmann und Julia Brendler)
Abb. 4: Uta („Lady“) und Julia. Szene aus Jana und Jan (1992).
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sind sich ähnlicher, als es zunächst aussieht. Beide fühlen sich zu Frauen hingezogen, was in ihrer Lebenswelt als abnormal gilt. In der Rangordnung der Mädchen stehen sie für die Extreme – Uta als „Lady“ an der Spitze, Julia ganz unten. Die Anführerin ist an der Wette beteiligt, Julia hingegen empfindet Sex ohne Liebe als sinnlos. Als Jana schwanger wird, führt Lady das Mobbing an. Julia dagegen unterstützt die Schwangere. Als sie erfährt, dass ihre Mutter sie trotz Mauerfall nicht aufnehmen wird, bringt sie sich um.
Gesellschaftsbild
Jana und Jan spielt in Jugendhöfen, die von einer hierarchischen Struktur dominiert werden. Es gibt Anführer, die ihren Titel vererben und Untergebene, die Befehle auszuführen haben. Sprache und Alltag sind militärisch, emotionale und physische Gewalt eingeschlossen. Auch die Welt draußen scheint nicht viel anders zu sein. Die Eltern haben ihre Kinder missbraucht oder im Stich gelassen – genau wie offenbar die Landesväter Honecker und Kohl, die mehrmals gezeigt werden. Der Jugendwerkhof und seine Bewohner sind in dieser Lesart ein Produkt der DDR. Dass Jana und Jan Eltern werden sollen (Problemjugendliche, wenn man so will), deutet einen Zirkel an: Auch diese beiden werden ihrem Kind möglicherweise Schaden zuführen. So stößt Jan Jana die Treppe herunter und zwingt seine Freundin, einen weiten Marsch auf sich zu nehmen. Ob das Baby gesund zur Welt kommt, sagt der Film nicht.
Ästhetik und Gestaltung
Die Ästhetik ähnelt Gefängnisfilmen. Die dominanten Farben sind grau, weiß, schwarz und ein schmutziges gelb-braun. Zeitweise hat das Bild einen leichten Blaustich. Die Wände sind dreckig und haben Risse. Die Kamera zeigt Personen hinter Gittern, filmt durch Eisenstangen und blickt oft in Gesichter. Das Publikum ist so ganz nah an den Protagonisten und ihren Gefühlen. Der Innenhof dagegen wird aus der Vogelperspektive gezeigt.
Jana und Jan schreckt auch nicht davor zurück, explizit zu sein: Es werden Hühner ausgenommen und zerlegt, nackte Körper gezeigt und ein Suizid auf der Toilette inszeniert. Man singt Weihnachtslieder und lauscht der Titelmusik des Sandmännchens: Es handelt sich um Kinder, die alle Hoffnung aufgegeben haben. Häufig verzichtet der Film deshalb auf Musik. Auch als Jana und Jan aus dem Jugendwerkhof entkommen, gibt es nichts Positives. Weite, Menschenleere, Häuser kurz vor dem Verfall. Handwerklich wirkt der Film durch die Laien und einige grobe Schnitte phasenweise etwas grobschlächtig.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Helmut Dziuba war der Meinung, dass Laien Filmen mehr Authentizität geben können als Profis (DEFA Film Library). Bei Jana und Jan setzte er auf eine Mischung. DDR-Stars wie Karin Gregorek, Harald Warmbrunn und Peter Sodann spielen die Erwachsenen. Die Jugendlichen werden dagegen zum großen Teil von Menschen verkörpert, die noch keinerlei Erfahrung vor der Kamera hatten. Einige von ihnen stammten tatsächlich aus Jugendwerkhöfen oder Kinderheimen. René Guß (Jan) beispielsweise lebte seit seinem vierten Lebensjahr in Heimen und empfand die Geschichte als sehr realistisch (Köhler 1991: 13). Kristin Scheffer (Jana) war während der Dreharbeiten 19, nach ihrer Lehre arbeitslos und seit einem Jahr Mutter. Das Filmen, so Dziuba, sei reibungslos abgelaufen – er berichtet jedoch auch von „Zwischenfällen“ (DEFA Film Library). Einer der Drehorte, Schloss Fürstlich Drehna, wurde von 1970 bis 1986 als Jugendwerkhof genutzt (Köhler 1991: 13).
Authentizität wird auch durch den Einsatz von historischen Dokumentarmaterial erzeugt. Über die Fernsehgeräte werden „reale“ politische Entwicklungen verfolgt (die Demos 1989, Kohl, Honecker). Fahnenmast, Wahlplakate oder Banner verändern sich und zeigen so den zeithistorischen Wandel.
Rezeption
Reichweite
Jana und Jan wurde am 26. Mai 1992 im ehemaligen Kino Rio in Berlin uraufgeführt. 2007 erschien eine DVD über Icestorm Entertainment. Das Unternehmen vertreibt zahlreiche DEFA-Filme.
Rezensionen
Abb. 5: Kinoplakat Jana und Jan (eBay) |
Die Leitmedien befassten sich kaum mit Jana und Jan. Nur der Gewinn des Bayerischen Filmpreises 1992 wurde flächendeckend thematisiert. Eine Ausnahme ist Christiane Peitz, die in der Zeit DDR-Filme verglichen hat und dabei feststellte, dass die Figuren stets wehrlose Opfer eines übermächtigen Systems sind. Bei Helmut Dziuba fand Peitz Kontinuität. Er mache das gleiche wie früher. In Jana und Jan jedenfalls sei der Mauerfall nur „eine Kulisse“.
Ähnlich sah das Ralf Schenk in der Kinder- und Jugendfilm Korrespondenz. Schenk lobte die Darstellung des Alltags im Jugendwerkhof und den Blick auf gesellschaftliche Missstände. Auch die Tageszeitung Neue Zeit (3. Juni 1992) hat den „Mikrokosmos“ Jugendwerkhof wiedererkannt. Michael Hanisch fand die Liebesgeschichte zwar ebenfalls überzeugend, kritisierte aber das letzte Viertel des Films. Wie andere „Nach-Wende-Filme der DEFA“ versuche Jana und Jan, über Symbole „den Autoren-Standpunkt“ zu erklären, hier über Wehen im einstigen Todesstreifen. „Mit solchen Symbolismen beseitigt der Film den positiven Eindruck der ganzen ersten Hälfte fast vollständig. Sehr, sehr schade.“ Das Neue Deutschland teilte diesen Eindruck („hart an der Grenze zum Überladen-Symbolischen“), Klaus Renke wollte aber lieber über die Hauptrollen sprechen (Tenor: ein berührender Moment) und über die Subtilität des Films. Regisseur Dziuba schaffe es, feinsinnig „das individuelle Schicksal des jungen Paares mit dem des sich wandelnden Landes“ zu verbinden. Jana und Jan sage durch Andeutungen mehr aus als andere Filme durch „kunstvolle Wortkaskaden“.
Kino.de hob dagegen den Kampf der Liebenden gegen Aufseher und Gleichaltrige hervor. Dziuba schaffe es auch nach der Wende, mit einem „unaufgeregten Jugenddrama“ auf Probleme in der Gesellschaft aufmerksam zu machen.
Auszeichnungen
Preis |
Kategorie |
Ausgezeichnet |
Bayerischer Filmpreis 1992 |
Regie |
Helmut Dziuba |
Prädikat (Deutsche Film- und Medienbewertung (FBW)) 1992 |
„wertvoll“ |
Jana und Jan |
Filmfestival in San Remo 1993 |
Spezialpreis der Jugend |
Jana und Jan |
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Aus einer wissenschaftlichen Perspektive interessiert Jana und Jan vor allem als einer der (letzten) Filme der DEFA. Claudia Breger (2014) beschäftigt sich beispielsweise mit der Intertextualität der „letzten Filme aus Ostdeutschland“. Jana und Jan orientiere sich stilistisch an Filmen von Wolf und Beyer. Inhaltlich kritisiere er nicht nur die DDR-Gesellschaft, sondern auch den Prozess der Wiedervereinigung. Jana und Jan sei eine Liebesgeschichte der Wiedervereinigung, beschrieben durch das „Prisma der DEFA-Filmsprache“ (S. 96).
Frank-Burkhard Habel (2017, S. 425-426) widmet dem Film gut eineinhalb Seiten und fasst prägnant Inhalt, Hintergrund und Reaktionen zusammen. Olivia Landry (2014) hat ein Interview des Regisseurs mit der Jungen Welt sowie die Kritik von Michael Hanisch gefunden. Zu Regisseur Helmut Dziuba hat unter anderem Stefan Röske (2006) gearbeitet. Jana und Jan fordere zwar Selbstbestimmung, habe seine Protagonisten aber in Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs in der Ungewissheit zurückgelassen.
Erinnerungsdiskurs
Jana und Jan spielt in einem Jugendwerkhof – ein Thema, das später nur noch selten aufgegriffen wurde. Im Film gibt es weder die SED noch die Stasi. Im Zentrum stehen die Jugendlichen, ihre Probleme und ihre Bezugspersonen. Der sozialistische Staat hat die jungen Menschen hier erst traumatisiert und dann im Stich gelassen. Dieser frühe DDR-Film von einem DEFA-Regisseur lässt sich so in das Erinnerungsmuster „Diktaturgedächtnis“ einordnen.
Empfehlung
Empfehlung des Autors
Jana und Jan ermöglicht einen Blick in die Jugendwerkhöfe der DDR. Die Laien und das ramponierte Schloss Fürstlich Drehna erzeugen Authentizität. Das muss man allerdings genauso mögen wie einige grobe Schnitte und das symbolbeladene Ende. Dennoch ein sehenswerter Film.
Literatur
Claudia Breger: Competing Archives: Intertextuality and Wende Narrative in the “Last Films from East Germany”. In: Brigitta B. Wagner (Hrsg.): DEFA after East Germany. Rochester, NY: Camden House 2014, S. 80-100
Frank-Burkhard Habel: Das große Lexikon der DEFA-Spielfilme: die vollständige Dokumentation aller DEFA-Spielfilme von 1946 bis 1993. Band 1: A-L. Berlin: Schwarzkopf & Schwarzkopf 2017
Manfred Haertel: Flucht ohne Wiederkehr. Werkhof-Trilogie III. Norderstedt: Books on Demand 2009
Daniela Hembd: Liebe und Leiden im Werkhof. DEFA und ZDF drehen gemeinsam den Spielfilm „Jana und Jan“. In: Berliner Zeitung vom 27./ 28. Juli 1991, S.24.
Olivia Landry: Jana und Jan (1992). In: Brigitta B. Wagner (Hrsg.): DEFA after East Germany. Rochester, NY: Camden House 2014, S. 289-296
Stefan Röske: Der jugendliche Blick. Helmut Dziubas Spielfilme im letzten Jahrzehnt der DEFA. Berlin: DEFA-Stiftung 2006
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