Kleinruppin Forever
Entstehungskontext
Beteiligte
Carsten Fiebeler, geboren 1965 in Zwickau. Regie-Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ in Potsdam. Nach Die Datsche (2003) war Kleinruppin forever Fiebelers zweiter Spielfilm. Auch danach hatte die DDR einen wichtigen Platz in Fiebelers Werk, etwa mit dem Spielfilm Sushi in Suhl (2012) oder mit dem Dokumentarfilm Die Ostdeutschen (2014).
Sowohl für Sebastian Wehlings (geboren 1973 in St. Tönis, Kulturwissenschaftsstudium an der Berliner Humboldt-Universität) als auch für Peer Klehmet (geboren 1973, Jurastudium an der Humboldt-Universität) war Kleinruppin forever ein Debüt. Danach schrieben sie häufig gemeinsam Drehbücher, etwa für Sommer (2008), Gangs (2009), Rock It! (2010) und Fünf Freunde (vier Teile, 2012 bis 2015). Wehlings hatte zuvor für die Süddeutsche Zeitung und das Onlinemagazin Jetzt gearbeitet und ist auch als Songwriter aktiv.
Kleinruppin forever wurde von Dirk Beinhold (geboren 1968 in Berlin) und seiner 2001 gegründeten Produktionsfirma Akkord Film in Kooperation mit SevenPictures produziert. Beinhold hatte zuvor unter anderem als freier Produzent für den ORB, als Kreativer Leiter Filmproduktion bei Studio Babelsberg, für die UFA und als stellvertretender Leiter der Eigenproduktion für die ProSieben Media AG gearbeitet. Für Akkord Film war Kleinruppin forever einer der ersten Spielfilme. Inzwischen hat sich die Firma auf Animationsfilme spezialisiert.
Gefördert wurde der Film vom Filmboard Berlin-Brandenburg, vom Nordmedia Fonds Niedersachsen und Hannover sowie von der Berliner Filmförderungsanstalt.
Filminhalt
Handlung
Tim Winter wächst als Adoptivsohn eines Architekten in Bremen auf. Er gewinnt ein Stipendium an einer Tennisakademie in Florida – sehr zum Missfallen seines Adoptivvaters, der für Tim eine Architektenlaufbahn vorgesehen hat. Bei einem Schulausflug in die fiktive DDR-Kleinstadt Kleinruppin trifft Tim zufällig seinen Zwillingsbruder Ronnie Panzer, von dem er im Säuglingsalter getrennt wurde. Als Ronnie auf die Idee kommt, für eine Zeit die Rollen zu tauschen, gibt es Streit. Ronnie schlägt seinen Bruder mit einer Bierflasche nieder und fährt in dessen Rolle zurück nach Bremen. Tims Behauptung, er komme aus dem Westen, wird von niemandem geglaubt, führt aber zur Überwachung durch den Stasi-Mitarbeiter Koslowski. Tim ist so gezwungen, die Identität seines Bruders anzunehmen. Er arbeitet in einer maroden Fabrik für Schachcomputer, spielt in einer Rockband und lernt die Krankenschwester Jana kennen und lieben.
In einer Schlüsselszene versucht Tim vergeblich, mit dem Schlauchboot über die Grenze zu kommen. „Haben Sie noch nie daran gedacht abzuhauen?“, fragt er den Fischer, der ihn rettet. „Nee, noch nie. Hab doch meine Gisela. Wenn du glücklich bist, ist es egal, wo.“
Als Tim erfährt, dass das Schwimmteam der Stadt zu einem Wettkampf nach Bremen fährt, beginnt er ein hartes Training. Jana unterstützt ihn dabei, obwohl Tim sein neues Leben immer mehr gefällt.
In Bremen sieht er plötzlich seinen Bruder Ronnie wieder. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd kommt es zum Kampf und schließlich zur Versöhnung. Der Architektenvater ist über die Verwechslungsgeschichte gar nicht so unglücklich: „Nimm’s nicht persönlich, Junge. Aber ich brauche einen Architekten in der Firma, keinen Tennisspieler.“ „Das ist kein Problem“, antwortet Tim. „Ich geh ja eh morgen nach Florida.“ Wirklich glücklich wirkt Tim in seinem neuen-alten Luxusleben aber nicht. Als er gefragt wird „Na, wieder zurück aus dem Elend?“, antwortet er: „Quatsch, war urst gut da.“ Nun muss er sich entscheiden: Mit dem Flieger nach Florida oder mit dem Mannschaftsbus für immer zurück nach Kleinruppin?
Dort werden die Mitglieder des Schwimmteams von ihren Eltern und einer Blaskapelle empfangen. Auch Jana, Erwin und Koslowski sind unter den Wartenden. Doch Tim steigt nicht aus. Resigniert teilen sich die drei eine Flasche Schnaps. Am Abend sitzt Jana traurig und allein draußen vor dem Jugendclub. Da hört sie plötzlich Tims Stimme am Mikrophon. Drinnen fallen sich die beiden zum Sound von „Dreams are my reality“ in die Arme.
Kleinruppin forever erschien ein Jahr nach Good Bye, Lenin! und wurde aufgrund der Parallelen (Komödie, Coming-of-Age-Film, Alltagsthematik, Ost-West-Setting) häufig mit diesem Erfolgsfilm verglichen.
Zentrale Figuren
Tim Winter (Tobias Schenke) – „sieht ja aus wie ein Popstar“ (Erwin) und wird zu Beginn des Films als verwöhnter und arroganter Adoptivsohn einer reichen Bremer Architektenfamilie gezeichnet. Beim Schulausflug nach Kleinruppin tragen er und seine Freunde Max und Niklas Polo-Hemden mit der Aufschrift „DDR-Safari“ und verhalten sich entsprechend. In der Rolle als Ronnie Panzer kommt er dadurch schnell in Schwierigkeiten mit der Obrigkeit. Seine aufmüpfige Art verschafft ihm aber auch Respekt in seinem neuen Umfeld. Im Laufe des Films vollzieht Tims Charakter einen Wandel: Will er zuerst nur möglichst schnell zurück in den Westen, ist er am Ende hin- und hergerissen zwischen dem alten Leben im westlichen Luxus und seinem neuen Leben mit Jana in der DDR.
Ronnie Panzer (Tobias Schenke) – Tims Zwillingsbruder (lange Haare, Parka, Peace-Aufnäher) und Sänger der „Panzer-Band“. Schlägt Tim in Kleinruppin mit einer Bierflasche nieder und nimmt seine Identität an. In Bremen beginnt er – sehr zur Freude von Tims Adoptivvater – ein Architekturstudium.
Jana (Anna Brüggemann) – „will glücklich werden“ und arbeitet als Krankenschwester im Kleinruppiner Krankenhaus. Für ihren Freund stellt sie ihre Pläne zurück. Durch die Affäre mit Tim findet sie den Mut, sich gegen die Erwartungen aufzulehnen.
Mathieu (Tobias Kasimirowicz) und Rene (Tino Mewes) – Ronnies beste Freunde und Arbeitskollegen spielen zusammen in der „Panzer-Band“. In der Fabrik werden sie regelmäßig von Heiko, dem Sohn des Stasi-Mitarbeiters Koslowski, schikaniert, gegen den sie sich gegen Ende des Films auflehnen.
Max (Sebastian Kronert) und Niklas (Toni Snétberger) – Tims beste Freunde aus Bremen. Ebenso reich wie dieser, nur nicht so gutaussehend.
Erwin (Michael Gwisdek) – Ronnie Panzers mürrischer Adoptivvater und Hobbyfotograf. Eines Tages fotografiert er zufällig, wie der Sohn des Stasimannes Schachcomputer aus der Fabrik auf dem Schwarzmarkt verkauft. Mit den Fotos erpresst er Koslowski, Tim nach Bremen fahren zu lassen.
Gesellschaftsbild
Am Anfang zeigt der Film die üblichen DDR-Bilder: Grenze, Überwachung, Mangel – als Tim verhaftet wird, besticht Erwin einen Polizisten mit Bananen. Kleinruppin ist heruntergekommen und so grau wie das Wetter. Es wird aber immer sonniger, je besser Tim sich in seine neue Rolle einlebt. Zwar ist der Überwachungsstaat im Film nie weit weg, und auch am Arbeitsplatz zeigt sich, dass die DDR keineswegs ein egalitärer Staat ist – Heiko, der Sohn des Stasi-Mitarbeiters Koslowski, genießt Privilegien. Doch insgesamt wirkt das Leben in Kleinruppin relativ sorglos, bisweilen geradezu idyllisch. Die Stadt ist zwar marode, die Arbeit stupide und reichlich unproduktiv („Gute Neuigkeiten Genossen: In zwei Stunden gibt's wieder Material.“), aber die Menschen wissen sich zu helfen und echte Probleme hat eigentlich niemand. Jeder kennt jeden, und selbst der staatliche Repressionsapparat (Koslowski) scheint keine ernsthafte Bedrohung, sondern einfach Teil des alltäglichen Lebens, mit dem man sich eben arrangiert. Und als Heiko Tim ein Betäubungsmittel ins Wasser kippt, um an seiner Stelle zum Schwimmwettkampf nach Bremen zu fahren, wird er kurzerhand aus dem Team geworfen. „Ist das Leben drüben denn so viel besser?“ fragt Jana Tim. Kleinruppin forever gibt auf diese Frage keine eindeutige Antwort. Vielleicht ist gerade das eine der großen Stärken des Films.
Ästhetik und Gestaltung
In Kleinruppin forever ist der Westen „reich, aber kalt wie eine Neonreklame“, so Andreas Borcholte im Spiegel. Die ersten Szenen sind geprägt von knalligen Farben, schnellen Schnitten und Menschen, die Lacoste tragen. Kleinruppin sieht dagegen aus „wie nach dem Krieg“ (Max). Das ändert sich erst, als Tim Jana kennenlernt. Ab diesem Zeitpunkt wird die DDR immer sonniger und bunter. Tim fällt in Kleinruppin nicht zuletzt wegen seiner ins Gesicht hängenden Haare auf. „Mann, du siehst aus wie’n Popper“, sagt Rene, als er Tim alias Ronnie zum ersten Mal wiedersieht. Überhaupt lebt der Film mindestens ebenso sehr von seiner Achtziger-Jahre-„Westalgie“ wie von seinen Ost-Klischees. Insbesondere die „Kleiderordnung“ sei stark „an den modischen Vorgaben des Trendfilms La Boum“ ausgerichtet, so Harald Peters in der taz.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
„Das muss eine dieser berühmten Schlangen sein. Komm, stell dich mal rein“, fordert Max seinen Freund Tim vor einem Geschäft auf, kurz nachdem ihre Schulklasse in Kleinruppin angekommen ist. In dieser Szene zeigt sich ein Stilmittel, dem sich Kleinruppin forever vor allem zu Beginn immer wieder bedient: Es wird auf klischeehafte DDR-Bilder rekurriert, die durch ihre Überzeichnung ironisch gewendet werden. Es geht dabei weniger um die Konstruktion von historischer Authentizität, als vielmehr um das Spiel mit verbreiteten Authentizitätsfiktionen, das auch von filmischen Querverweisen und typischem 1980er-Pop (Forever Young von Alphaville, Reality – noch eine La Boum-Referenz – in der Version von Eskobar) lebt. Dieses Spiel gewinnt nicht zuletzt dadurch an Tiefe, dass Tims Entwicklung ein überdrehtes Going-Native-Motiv eingeschrieben ist: Befindet er sich zu Beginn noch auf „DDR-Safari“ und versteht den Grenzer nicht, der ihn dazu auffordert, das „Nikki“ auszuziehen, lebt er später mit Ronnies Adoptivvater Erwin buchstäblich im Wald und sagt auch noch „urst gut“, als er wieder zurück im Westen ist. „In diesem Film steckt die Nostalgie in der Parodie“, urteilte denn auch Hans-Jörg Röther in der FAZ.
Rezeption
Rezensionen
Kleinruppin forever stieß auf ein verhalten positives Medienecho. Seichte Wohlfühl-Teenie-Komödie gepaart mit reichlich Ostalgie – so der allgemeine Tenor. Selbst Andreas Borcholte, der den Film im Spiegel als „reaktionär“ bezeichnete und ihm bescheinigte, in „seiner Verklärung und Verzuckerung realer Probleme und Konflikte“ sogar „noch weiter als Good Bye, Lenin!“ zu gehen, wollte dies der „der kleinen, charmanten Nostalgie-Komödie nicht übelnehmen“. Vergleiche mit Wolfgang Beckers Tragikomödie waren ein wiederkehrendes Motiv in Besprechungen des Films. An den Erfolg von Good Bye, Lenin! konnte Kleinruppin forever indes nicht anknüpfen. Lediglich 119.414 Kinotickets wurden verkauft. Auszeichnungen gab es auf den Festivals in Emden, Siena und Housten. Das Portal filmernst.de des „Kompetenzzentrums für Film – Schule – Kino“ des Filmverbandes Brandenburg stellt pädagogisches Begleitmaterial zum Einsatz des Films im Unterricht zur Verfügung.
Erinnerungsdiskurs
Kleinruppin forever zeichnet ein ambivalentes Bild der DDR, wenn auch aus einer eindeutig westdeutschen Perspektive. Der Film kreist ausschließlich um Tims Erfahrungen im Osten. Wie es umgekehrt Ronnie in der BRD ergeht, spielt keine Rolle. Der Film spielt zu Beginn mit der „Safari“-Perspektive (ein skurriles, fremdes Land). „Ich komm aus Deutschland“, sagt Tim nach seiner Verhaftung. Mit dem Helden wandelt sich auch das DDR-Bild. Aus grau wird bunt, und Kleinruppin wird eine Art märchenhafter Rückzugsort und Gegenentwurf zum grellen und oberflächlichen Leben im Westen. Kein Wunder, dass dem Film immer wieder Ostalgie vorgeworfen und er mit Wolfgang Beckers Good Bye, Lenin! (2003) verglichen wurde. Hier wie dort hat die DDR trotz all ihrer Widersprüche für die Protagonisten etwas von einer Traumwelt, die noch ein sinnerfülltes und behütetes Leben verspricht. „Es war einmal ein Land, in dem war alles kaputt, doch die Menschen hatten ihr Herz am rechten Fleck und keinen Stress“, fasste Birgit Roschy Kleinruppin forever recht treffend für den Stern zusammen.
Empfohlene Zitierweise