Good Bye, Lenin!
Inhalt
Entstehungskontext
Beteiligte
Wolfgang Becker (geboren in 1954 im nordrhein-westfälischen Hemer) ist ein Absolvent der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin, der sich auch als Schauspieler, Kameramann und Produzent betätigt. Bevor er mit Das Leben ist eine Baustelle 1997 einen ersten Kinoerfolg verzeichnete, hatte er unter anderem in einer Tatort-Folge (Blutwurstwalzer, 1991) und in dem Fernsehdrama Kinderspiele (1992), der den Preis der deutschen Filmkritik als bester Spielfilm erhielt, Regie geführt. 1994 gründete Becker zusammen mit Tom Tykwer, Dani Levi und Stefan Arndt die Firma X Filme, die die Produktion von Good Bye Lenin! übernahm. 2003 war er Gründungsmitglied der Deutschen Filmakademie in Berlin. Zwei seiner weiteren Regiearbeiten waren ein Beitrag zum Episodenfilm Deutschland 09 (2009) und der Kinofilm Ich und Kaminski nach dem gleichnamigen Roman von Daniel Kehlmann (2015). Thematisch ist Becker nicht auf DDR- bzw. Ost-West-Themen festgelegt. Good Bye Lenin! bildet in dieser Hinsicht eine Ausnahme.
Eine literarische Vorlage für das Drehbuch gab es nicht. Eine russische Autorin, die einen sehr ähnlichen Plot für einen Roman entwickelt hatte, erwog eine Plagiatsklage. Da zum Zeitpunkt der Veröffentlichung ihres Buchs Lichtenbergs Drehbuch nachweislich fast fertig war, sah sie jedoch von einer Klage ab. Bevor die Dreharbeiten begannen, wurden die Charaktere und ihre Rollen (vor allem die des jungen Türken Denis) mehrfach verändert, und auch während der Dreharbeiten wurden noch Nachjustierungen vorgenommen.
Good Bye, Lenin! wurde von Stefan Arndt, Katja De Bock und Andreas Schreitmüller für die Firma X Filme produziert, die Wolfgang Becker 2003 mitgegründet hatte.
Gefördert wurde die Produktion durch die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, den Filmboard Berlin-Brandenburg, die Filmförderungsanstalt, die Bundesbeauftragte für Kultur und Medien sowie im Verleih durch den Filmfernsehfonds Bayern. Das Budget von Good Bye, Lenin! wird von der Internet Movie Database (IMDB) auf 4,8 Millionen Euro geschätzt, der Gesamtgewinn auf 79,3 Millionen US-Dollar; gut die Hälfte davon wurde in Deutschland erzielt. Finanziell war der Film damit erfolgreicher als Das Leben der Anderen, der 2006 rund 77,4 Millionen US-Dollar einspielte.
Beworben wurde der Film unter anderem von der Agentur Just Publicity, die Fördermitglied der Deutschen Filmakademie ist. Die Bundeszentrale für politische Bildung brachte ein Filmheft heraus (vgl. Kaupp 2003). Außerdem gab es ein Buch zum Film (vgl. Töteberg 2003).
Filminhalt
Handlung
Am 40. Jahrestag der Gründung der DDR am 7. Oktober 1989 gerät die Ostberliner Familie Kerner aus den Fugen: Mutter Christiane macht sich auf den Weg zur offiziellen Feier im Palast der Republik, doch auf dem Weg dorthin wird sie Zeugin der Verhaftung ihres gegen die SED-Führung demonstrierenden Sohns Alexander durch die Volkspolizei. Christiane, die seit der Übersiedlung ihres Ehemanns Robert in die Bundesrepublik alleinerziehend ist, erleidet einen Herzinfarkt und fällt ins Koma, aus dem sie erst im Sommer 1990 wieder erwacht. Nach der Entlassung in das häusliche Krankenbett versuchen ihre beiden Kinder, Alexander und seine Schwester Ariane, den Fall der Mauer vor ihr zu verheimlichen. Sie holen die bereits entsorgte Inneneinrichtung aus DDR-Zeiten vom Sperrmüll und treiben in der Nachbarschaft Spreewaldgurken auf. Mit Hilfe eines Freundes simulieren sie in einem improvisierten Studio eine Ausgabe der Aktuellen Kamera, die vom Videorecorder im Nachbarzimmer aus auf den Fernseher übertragen wird. Dass am Nachbarhaus eine großflächige Coca-Cola-Reklame angebracht wird, erklärt Alexander damit, dass die Urheberschaft der DDR am dem als imperialistisch klassifizierten Getränk nun amtlich sei – die US-Amerikaner hätten das Erfolgsmodell nur abgekupfert. Der Abtransport eines Lenin-Denkmals vor ihrem Fenster entgeht Christiane in der titelgebenden Szene nur knapp.
Während Alexander und – zunehmend widerwillig – Ariane ihrer Mutter weiter ein DDR-Theater vorspielen, beichtet diese, dass die Flucht ihres Mannes in den Westen mit ihr abgesprochen war und dass sie mit den Kindern hätte folgen sollen. Ihren Wunsch, Robert noch einmal wiederzusehen, erfüllen die Kinder prompt. Ariane macht seine Adresse in Westberlin ausfindig und Alexander lotst ihn zu Christiane, die nach einem zweiten Herzinfarkt in der Charité liegt. Nicht wissend, dass seine Freundin Lara, die dort als Krankenschwester arbeitet, die Mutter über den Untergang der DDR informiert hat, hält er an seiner Version der Dinge fest: Das Feuerwerk zur Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990 verkauft er ihr als Feier des 41. Jahrestags einer DDR, die ihre Grenzen für massenhaft anstürmende Westdeutsche geöffnet habe. Die Festrede lässt er von einem Taxifahrer halten, der vorgibt, der Kosmonaut Siegmund Jähn und Nachfolger von Erich Honecker im Amt des Staatsratsvorsitzenden zu sein. Der Film endet wenige Tage später mit Christianes Tod. Ihre Asche schießen die Kinder mit einer Rakete in den Himmel. Dass Alexanders Freundin Lara sie über das Ende der DDR aufgeklärt hat, hat sie ihrem Sohn bis zuletzt verschwiegen.
Zentrale Figuren
Für Christiane Kerner (Katrin Sass) ist die Tätigkeit als Grundschullehrerin ein Dienst für die sozialistische Gesellschaft. Dass das nicht immer so war, erfährt der Zuschauer erst, als sie über die Flucht ihres Ehemanns Robert in den Westen berichtet. Abgesprochen war, dass sie mit den Kindern folgen sollte, doch als Christiane nach Roberts Flucht eine Depression überwunden hat, entschließt sie sich, in der DDR zu bleiben. Sie verschreibt sich fortan der Idee des Sozialismus und versucht, diesen durch Eingaben an die Regierung zu verbessern.
Alexander Kerner (Daniel Brühl), Christianes Sohn, ist Fernsehtechniker und glühender Verehrer von Sigmund Jähn, erster deutscher Kosmonaut und Symbolfigur sozialistischen Fortschrittsglaubens. Dennoch schließt sich Alexander im Oktober 1989 einer Demonstration gegen die Regierung an, bei der er verhaftet wird – dieses Ereignis wird als Ursache für den Herzinfarkt seiner Mutter inszeniert. Bereitwillig lässt er anschließend die DDR wieder auferstehen.
Ariane Kerner (Maria Simon), Christianes Tochter, beteiligt sich zwar an dem Theater, das Alexander aufführt, äußert aber immer wieder Zweifel, ob das sinnvoll sei, und fragt sich, wie lange sich dieses Ablenkungsmanöver durchhalten lässt. Außer im Zimmer der Mutter trägt sie westliche Jeans und T-Shirts und jobbt bei Burger King. Schnell beginnt sie eine Beziehung mit ihrem Vorgesetzten Rainer, dem gegenüber sie sich sehr emanzipiert zeigt. Während Alexander eine Illusion inszeniert, ist sie die Pragmatikerin der Familie.
Lara (Tschulpan Chamatowa) arbeitet als Krankenschwester in der Charité, wo sie Christiane pflegt und Alexander kennenlernt. Als sie ihn im Sommer 1990 zum ersten Mal küsst, erwacht Christiane aus dem Koma. Lara versucht, ihren Freund zu einer Aufgabe des DDR-Theaters zu bewegen und klärt Christiane schließlich eigenmächtig über den Mauerfall auf, weil sie Lügen für unmoralisch hält.
Alexanders neuer West-Kollege Denis (Florian Lukas) beteiligt sich mit Freude an der Produktion simulierter Folgen der Aktuellen Kamera. Als Hobbyfilmer konzentriert er sich auf die technisch-ästhetischen Aspekte der DDR-Reanimation und hegt dabei keinerlei Ressentiments gegen den Sozialismus.
Arianes Freund und Vorgesetzter Rainer (Alexander Beyer), leitender Mitarbeiter bei Burger King, zieht bei den Kerners ein, während Christiane im Koma liegt. Er steht unter Arianes Pantoffel und kümmert sich ein wenig widerwillig auch um deren Tochter Paula. Das DDR-Theater beobachtet er mit distanzierter Verwunderung.
Robert Kerner (Burghart Klaußner) hat die Trennung von seiner Familie nur schwer verwunden, dann aber im Westen eine zweite (und der ersten recht ähnliche) Familie gegründet. Wirtschaftlich erfolgreich, ist er zu einem unauffälligen Westbürger mit Eigenheim im Berliner Südwesten geworden. Von sich aus nimmt er keinen Kontakt zu Christiane und ihren gemeinsamen Kindern auf – er ist der angepasste Vermeidertyp.
Gesellschaftsbild
Die DDR-Gesellschaft oder den Mauerfall historisch akkurat darzustellen, ist nicht das Ziel des Films. Vielmehr dienen beide als Folie für eine Tragikomödie, in der es um familiäre Beziehungen im geteilten Deutschland bzw. im Prozess der Wiedervereinigung geht. Die Handlung wird vordergründig durch die Frage bestimmt, wie Christianes Leben (weiter) verlaufen wäre, wenn es den Mauerfall nicht gegeben hätte. Tatsächlich aber wird durch das von Alexander inszenierte Theater eine Absurdität des Alltags in der DDR kurz vor dem Mauerfall herausgestellt, die nur retrospektiv und im Wissen um das baldige Ende erkennbar ist. Ein Leben ohne Coca-Cola, Burger King und Ikea-Möbel scheint nun ebenso absurd wie die Präsenz einer Leninstatue, die kurzerhand abgetragen wird. Kritik an der über den Osten hereinbrechenden westlichen Konsumwelt klingt vorsichtig an, bleibt aber ebenso auf der Ebene der Komik wie die Kritik am realen Sozialismus.
Die Angehörigen der Familie Kerner sind sympathisch, empathisch und einander stets zugewandt. Das gilt für die an den guten Sozialismus glaubende Christiane ebenso wie für den eher skeptischen Alexander und die pragmatische Ariane. Die Westdeutschen sind weder besonders materialistisch eingestellt noch begegnen sie den Kerners mit der Arroganz der Besser-Wessis. Auf ihre Weise wollen alle für die jeweils anderen „nur das Beste“ – was immer das auch sein mag. Nach dem Mauerfall dauert es deshalb auch nicht lange, bis Freundschaften, Liebesbeziehungen und kollegiales Miteinander Ost- und Westdeutsche verbinden.
Hierarchisch strukturierte Beziehungen gibt es im Film weder zwischen Kindern und Eltern noch zwischen Mann und Frau oder Ost und West. Für alle steht das Wohl der Familie ganz oben auf der Werteskala – das gilt auch für den in den Westen übergesiedelten Robert Kerner, der von allen freundlich wieder aufgenommen wird. Streit gibt es allenfalls um den besten Weg zur Herstellung familiärer Harmonie. Im Zentrum des Gesellschaftsdramas stehen also weniger die Systemfrage und der Kalte Krieg, sondern zwischenmenschliche Probleme unter den Bedingungen der Wiedervereinigung.
Ästhetik und Gestaltung
Der Film ist von Helligkeit, bunter Farbigkeit und heiterer Leichtigkeit geprägt. Eine Rückblende in das Jahr 1979 Jahre im Medium von Super 8-Filmen weist den zeittypischen Gelbstich auf.
Die materielle Kultur der DDR wird von ihrer besten Seite gezeigt, wobei eine gewisse Ironie nicht zu verkennen ist. Die Spreewaldgurke wird zur Ikone des kulinarischen Angebots. Westliches Fast Food dagegen fungiert als Platzhalter für eine kapitalistische Lebensmittelwirtschaft, die auch nichts Besseres hervorbringt als das, was die DDR zu bieten hatte. Eine im Sperrmüll entsorgte Spanplattenkommode entpuppt sich als Goldgrube, weil Christiane dort ihr Bargeld deponiert hat (das sich dann aber nicht mehr in Westgeld umtauschen lässt).
Eine im Voiceover eingesprochene Stimme klärt das Publikum über das Rahmengeschehen auf. Dramaturgisch dient sie der Beschleunigung des Filmgeschehens, das sich insgesamt über mehr als ein Jahr erstreckt. Die eigens von Yann Tiersen komponierte Filmmusik ist überwiegend heiter gestimmt und unterstreicht den ironischen Grundton des Films.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Der Versuch, durch die Verwendung dokumentarischen Materials Authentizität herzustellen, erscheint vor dem Hintergrund der Filmerzählung besonders doppelbödig, denn die Handlung basiert gerade auf dem Versuch, entgegen aller Faktizität eine „authentische“ DDR für die Mutter zu bewahren. Elemente wie gelbstichige Super 8-Filme und Konservendosen aus DDR-Produktion erfahren vor diesem Hintergrund eine doppelte Brechung: Sie stehen sinnbildlich für die Erinnerungen an die „echte“ DDR-Vergangenheit, gleichzeitig aber für den Versuch, eine Gegenwart zu authentifizieren, die reine Konstruktion ist.
Sowohl der Drehbuchautor als auch der Regisseur sind Westdeutsche. Hauptdarstellerin Katrin Sass betonte jedoch, dass Wolfgang Becker sich ein erstaunliches Detailwissen zur Geschichte der DDR angeeignet habe, also nicht als unwissender ‚Besser-Wessi’ agierte, sondern großes Interesse für das Leben in Ostdeutschland an den Tag legte. Bei der Besetzung fällt auf, dass Alexanders Rolle von dem westdeutschen Daniel Brühl und die des westdeutschen Fernsehtechnikers von dem ostdeutschen Florian Lukas gespielt wird. Die Option der Herstellung von Authentizität durch ein herkunftsorientiertes Casting wird also explizit konterkariert.
Rezeption
Reichweite
Die Uraufführung von Good Bye, Lenin! fand am 9. Februar 2003 im Rahmen des Wettbewerbs der Berlinale statt, bei dem der Film mit einem Blauen Engel für den besten europäischen Film ausgezeichnet wurde. Am 13. Februar 2003 startete der Film in den deutschen Kinos. In der ersten Woche wurden gut einer halben Million Kinotickets verkauft. Der Film hielt sich anschließend vier Wochen auf Platz eins der Charts, kam insgesamt auf mehr als sechs Millionen Tickets und gehört damit zu den zehn erfolgreichsten deutschen Kinofilmen (Stand: Sommer 2021). Im April 2003 gab es eine Sondervorführung im Berliner Kino International, die laut Tagesspiegel von 250 Bundestagsabgeordneten besucht wurde. Der Film lief in 64 Ländern, unter anderem in Russland oder auf Kuba. TV-Premiere war am 6. März 2006 (arte).
Rezensionen
Die deutsche Presse besprach Good Bye, Lenin! zunächst sehr kritisch. Jana Hensel monierte in der Welt, es werde viel Energie auf den wahrheitsgetreuen Nachbau der DDR „bis hinein in die letzte Streichholzschachtel“ verschwendet, während die Möglichkeit einer Selbstreflektion der Charaktere verschenkt werde.
Jan Schulz-Ojala kritisierte im Tagesspiegel den „drehbuch-papierenen“ Charakter der Christiane Kerner, einen Plot, der „gespenstisch leer läuft“, und vor allem das Ende mit dem Tod der Hauptfigur. Der Regisseur habe an eine gute Komödie, „womöglich um dem Witzvorwurf zu begegnen“, ein „halbes Melodram“ angehängt und dadurch den Film „verbogen“. Er habe nicht den „absonderlichen Staat namens DDR“ demontiert, sondern die „individuelle Würde jener, die sich in ihm und gegen ihn zu behaupten suchten.“ Ganz ähnlich schrieb Evelyn Finger in der Zeit von einer filmischen „Verdrängungsleistung“, die Geschichte der Christiane Kerner werde „am Ende ins Unglaubwürdige verbogen.“
Verrissen wurde der Film auch in der New York Times in einem unambitionierten Text, der vor allem das Unverständnis des Kritikers offenbart: „Good Bye, Lenin! is rated R (under 17 requires accompanying parent or adult guardian). It has Communist rioting and violence and post-Communist nudity, strong language and alcohol consumption.“ Von der links-alternativen New Yorker Village Voice wurde der Film für überlang und ermüdend befunden – „but it’s actually about something—not so much ostalgie as the conditions that create it. That Communism itself was a fake facade makes Alex’s imaginary motherland the simulation of a simulation“.
Eine positive Bilanz zog dagegen das Neue Deutschland. Gunnar Decker schrieb mit Verweis auf Heiner Müller: „Vergangenheit, falsch beerdigt, (...) gespenstert ewig untot herum. Nehmen wir uns also Zeit, sie richtig, mit Würde, zu begraben. Das Wunder gelingt: Wolfgang Becker, der Westler, macht einen vielschichtigen Film über die Psychologie des Ostens. Über unsere falschen Vorstellungen und echten Träume. (...) Endlich ein gesamtdeutscher Ost-Film, der frei atmet.“ Das in West-Berlin erscheinende Boulevardblatt BZ rühmte Good Bye, Lenin! als eine „hinreißende Wende-Komödie, über die Ost und West vereint lachen können“. Dem Film „wäre ein Bären-Tanz ohne Ende zu gönnen!“ (hier zitiert nach einer Zusammenfassung im Tagesspiegel).
Eine Besonderheit in der Rezeption des Films liegt sicher darin, dass sich die Filmkritik vom Massenerfolg anstecken und umstimmen ließ. Bereits Ende Februar versuchte sich die Redaktion der Welt an einer Rekapitulation der negativen Einschätzung von Jana Hensel und veröffentlichte drei weitere und durchgehend positive Kurzrezensionen. Ein Jahr nach der Premiere räumte Jan Schulz-Ojala im Tagesspiegel ein: „Was haben wir klug rumgekrittelt, aber das Riesen-Potenzial des Filmes nicht erkannt.“
Auch den großen Erfolg des Films außerhalb Deutschlands galt es nachträglich zu überdenken. Für Frankreich erklärte Jürg Altwegg in der FAZ im September 2003 den Zuspruch mit der im Nachbarland grassierenden Nostalgie für den Kommunismus im Allgemeinen und die DDR im Besonderen: „Nicht nur die Kommunisten und ihre Organisationen, auch Mitterrand und der Schriftsteller Michel Tournier unterhielten zur DDR eine romantische Beziehung. Den eigenen Marxismus haben die Franzosen längst abgewickelt. Aber noch ist die Trauerarbeit über die untergegangene ‚Kultur der Genossen‘ nicht abgeschlossen.“
Auszeichnungen
Bernd Lichtenberg wurde mit dem Deutschen Drehbuchpreis und dem Europäischen Filmpreis ausgezeichnet. Becker erhielt den Deutschen Filmpreis (beste Regie). Auch in anderen Kategorien war der Film hier außerordentlich erfolgreich. International gab es den Europäischen Filmpreis (bester Film, bester Darsteller: Daniel Brühl, bestes Drehbuch, mehrere Publikumspreise), den César (bester ausländischer Film), den Goya (bester europäischer Film) und den London Critics‘ Circle Award (bester fremdsprachiger Film).
Erinnerungsdiskurs
Good Bye, Lenin! zeigt die DDR in der Phase der Auflösung. Die Handlung beginnt wenige Tage vor dem Mauerfall 1989 und endet mit der Wiedervereinigung am 3. Oktober 1990. Der Film ist also kein DDR-Film im engeren Sinn, wenngleich die DDR-Gesellschaft im Mittelpunkt des Interesses steht. Vielmehr geht es um die Gestaltung eines Wandels, der von einigen abgelehnt, von anderen achselzuckend hingenommen und von wieder anderen als Chance wahrgenommen wird. Das Familiendrama, das mit der Übersiedlung von Alexanders Vater in den Westen eine lange Vorgeschichte hat, dient dabei als Aufhänger für die Verhandlung von Themen, die zum Teil mit der deutsch-deutschen Geschichte verknüpft sind, zum Teil aber auch nicht. Da geht es um den Umgang der Generationen miteinander, um Beziehungen zwischen Geschwistern und Lebenspartnern sowie um Krankheit und Tod. Diese Themen werden überlagert von Ereignissen wie dem Fall der Mauer und dem Einzug westlicher Konsumgüter, von der Eröffnung neuer Bewegungsfreiheiten, aber auch der Notwendigkeit, wirtschaftlich zu überleben.
Die Präsenz der untergehenden DDR wird durch Objekte der materiellen Kultur (Spreewaldgurken), durch mediale Formate (Aktuelle Kamera), politische Praktiken (Teilnahme an Demonstrationen, Verfassen von Eingaben) und Objekte der Erinnerungskultur (Lenin-Statue) gesichert. Entscheidend für den Erfolg des Films dürfte sein, dass er die Siegerpose des Westens nicht übernommen hat. Einem Publikum mit westlicher Perspektive wird ein Deutungsangebot gemacht, in dem nicht alles schlecht war, was aus der DDR kam. Für die östliche Perspektive gibt es ein Deutungsangebot, das einen respektvollen Abschied von der Vergangenheit ermöglicht und eine freundliche, wenn auch illusionsarme Perspektive auf den Westen eröffnet. Es wird weder mit der einen noch mit der anderen Seite „abgerechnet“, sondern es werden versöhnliche Perspektiven im Umgang mit der Geschichte der DDR eingenommen.
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