Das Leben der Anderen
Inhalt
- Kurzinformationen
- Filmdaten
- Kurzbeschreibung
- Schlagworte
- Entstehungskontext
- Beteiligte
- Filminhalt
- Handlung
- Figuren
- Gesellschaftsbild
- Ästhetik und Gestaltung
- Strategien der Authentizitätskonstruktion
- Rezeption
- Reichweite
- Rezensionen
- Auszeichnungen
- Wissenschaftliche Aufarbeitung
- Einordnung in den Erinnerungsdiskurs
-
Empfehlung der Autorin
- Literatur
Entstehungskontext
Beteiligte
Florian Henckel von Donnersmarck ist Regisseur und Drehbuchautor. Das Leben der Anderen war seine Abschlussarbeit an der Filmhochschule München. Henckel von Donnersmarck kam 1973 in Köln auf die Welt und verbrachte Kindheit und Jugend in New York, Berlin, Frankfurt am Main sowie in Brüssel. Er hatte Verwandte in der DDR und so früh Berührung mit dem Thema. Das Leben der Anderen bedient die „Vision von einem Mann, der einen Krieg mit seiner eigenen Menschlichkeit führt” (Die Welt).
Henckel von Donnersmarck hat später einen weiteren Film mit DDR-Bezug gedreht: Werk ohne Autor (2018).
Die Produzenten Max Wiedemann und Quirin Berg gründeten 2003 die Wiedemann und Berg Filmproduktion. Das Leben der Anderen war ihr erster Kinofilm. Koproduzenten waren die Creado Film AG sowie der Bayerische Rundfunk und Arte. Mit Henckel von Donnersmarck haben Wiedemann und Berg auch Werk ohne Autor (2018) produziert. Zu ihrer Filmografie gehören weitere Produktionen mit DDR-Bezug: Preis der Freiheit (2019), Tannbach – Schicksal eines Dorfes (2015, 2018) und Walpurgisnacht (2019).
Das Leben der Anderen gilt mit rund zwei Millionen Euro als Low-Budget-Produktion (IMDb, Archiv der Bundesregierung). Trotzdem gab es eine ganze Reihe von Förderzusagen.
Produktionsförderung |
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FilmFernsehFonds Bayern, 2003 |
300.000 EUR (Nachwuchsförderung Abschlussfilm) |
Filmförderungsanstalt, 2006 |
250.000 EUR (Projektfilmförderung) |
Filmförderungsanstalt, 2006 |
125.000 EUR (Darlehen) |
Medienboard Berlin-Brandenburg, 2004 |
200.000 EUR |
Verleihförderung |
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FilmFernsehFonds Bayern, 2006 |
150.000 EUR |
Filmförderungsanstalt, 2006
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125.000 EUR (Projektabsatzförderung) |
Medienboard Berlin-Brandenburg, 2006 |
60.000 EUR |
Drehbuch |
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Filmförderungsanstalt, 2001 |
25.565 EUR |
Weitere Förderentscheidungen |
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Filmförderungsanstalt, 2006 |
400.000 EUR (Medialeistungen) |
Filmförderungsanstalt, 2006 |
6.000 EUR (Referenzfilmförderung) |
Verleihfirma ist die Buena Vista International in München. PR-Agentur: Just Publicity. Auf dem Filmplakat sieht man Stasi-Mann Wiesler bei der Observation des Künstlerpaares Dreyman und Sieland sowie seine Stasi-Signatur mit Fingerabdruck. Auf YouTube gibt es einen offiziellen Trailer.
Der Film wurde für die Berlinale vorgeschlagen, aber abgelehnt. Vor dem regulären deutschen Kinostart gab es am 23. März 2006 eine Sondervorführung für die Bundestagsmitglieder. Auf Initiative von Helmut Kohl lud Vision Kino im Juni 2006 Schülerinnen und Lehrer zu einer Filmvorführung ins Haus der Geschichte in Bonn ein.
Das Leben der Anderen gilt als einer DER deutschen Erinnerungsfilme. Folglich gibt es viel Unterrichts- und pädagogisches Begleitmaterial. Die Bundeszentrale für politische Bildung publizierte ein Filmheft für den Schulkontext. Dazu kommen deutsch- und englischsprachige Materialien von Film Education sowie ein Film Tipp von Vision Kino. Die Arbeitsmaterialien vom Goethe-Institut Brüssel umfassen zum Beispiel inhaltliche sowie grammatikalische Aufgaben zum Film. Außerdem sagt das FBW-Prädikat (Deutsche Film- und Medienbewertung), dass der Film besonders wertvoll sei. Empfohlen wird er für die 9. und 10. Klasse in Fächern wie Politik, Sozialkunde, Geschichte oder Deutsch.
Filminhalt
Handlung
1984 in Berlin: Theaterschriftsteller Georg Dreyman gerät ins Visier der Stasi. Seine Freundin, Schauspielerin Christa-Maria Sieland, hat eine Affäre mit Kulturminister Bruno Hempf. Ein Freund von Dreyman bringt sich um, da ihm ein Berufsverbot auferlegt wurde. Der Wandel vom regimetreuen zum systemkritischen Protagonisten beginnt: Für den Spiegel schreibt Dreyman auf einer illegalen Schreibmaschine einen Artikel zur Suizid-Rate in der DDR. Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler, der ihn beobachten soll, wechselt langsam auf die Seite der Künstler. Georg Dreyman erfährt erst nach 1989, dass er von der Stasi überbewacht wurde, Christa eine inoffizielle Mitarbeiterin war und Wiesler ihn geschützt hat. Dreyman schreibt das Buch Die Sonate vom guten Menschen mit einer Widmung für den Ex-Hauptmann.
Zentrale Figuren
Georg Dreyman (Sebastian Koch) ist ein 40-jähriger Schriftsteller, der mit Christa-Maria Sieland in einer Beziehung lebt und von der Stasi überwacht wird. Dreyman entwickelt sich vom linientreuen Akteur zum Systemkritiker.
Stasi-Hauptmann Gerd Wiesler (Ulrich Mühe) ist zuständig für den „Fall“ Dreyman. Zunächst ein gewissenhafter Arbeiter. Beginnt dann aber, Informationen zurückzuhalten – und wird zum Beschützer.
Christa-Maria Sieland (Martina Gedeck) ist Schauspielerin und steht für die Herausforderungen und Zugeständnisse, mit denen Künstler in der DDR konfrontiert wurden. Eine labile Frau, die dem Druck der Stasi nicht gewachsen ist.
Anton Grubitz (Ulrich Tukur) Stasi-Oberstleutnant und Karrieremensch. Leitet die Abteilung XX/7 und ist für die Überwachung der Kulturszene zuständig.
Kulturminister Bruno Hempf (Thomas Thieme) nutzt sein Amt, um einen Rivalen (Dreyman) im Kampf um eine Frau zu beseitigen.
Gesellschaftsbild
Das Leben der Anderen zeigt eine DDR in den Fängen des Geheimdienstes. Die Stasi weiß alles – auch und gerade das, was sich im ganz Privaten abspielt. Hauptmann Wiesler ist dabei in jeder Hinsicht einsam. Er lebt allein in einer kargen Wohnung und muss sich jedes Stück Menschlichkeit kaufen. Selbst im Beruf hat er kaum Kontakte – abgesehen von Grubitz, mit dem er studiert hat und der jetzt sein Chef ist. Sein Leben besteht aus Arbeit und aus sonst nichts. Auch die Beziehung des Künstlerpaares ist vergiftet, und das nicht nur durch die Beobachtung, von der die beiden nichts wissen. Um als Schauspielerin Erfolg zu haben, lässt sich Christa-Maria Sieland erst auf eine Affäre mit dem Kulturminister ein, dann auf die Zusammenarbeit mit der Stasi.
Selbst in diesem rigiden Kontext scheint aber Entwicklung möglich – wenn man sich denn von der DDR und ihren Organen abwendet. Dreyman wird durch den Suizid eines Freundes zum Oppositionellen und Systemkritiker, der sogar dem Klassenfeind zuarbeiten will (über einen Artikel für den Spiegel), und Wiesler wandelt sich zum Gutmenschen. Diesen beiden Figuren stehen Grubitz und Sieland gegenüber, denen ihre Karriere wichtiger ist als alles andere.
Ästhetik und Gestaltung
Die Kamera von Hagen Bogdanski ist ruhig und sorgfältig. Nahaufnahmen zeigen die Innenwelt der Figuren. Auf die Totale wird weitgehend verzichtet, der Fokus ist bei den Akteuren. Die Kamera schafft es auch, Angst, Bedrohung, Macht oder Konfrontation zu filmen (von unten).
Parallelmontagen (Wieslers Beobachtungsposten und Dreymans Wohnung) fördern die Spannung und stehen für die geheime Überwachung. Verantwortlich für den Schnitt war Patricia Rommel, die auch beim Kinofilm Als Hitler das rosa Kaninchen stahl (2019) mitwirkte.
In Das Leben der Anderen gibt es keinen Erzähler. Jede Figur spricht für sich selbst. Schwerpunkte sind der Schriftsteller Dreyman und Hauptmann Wiesler. Florian Henckel von Donnersmarck erzählt linear und chronologisch, er orientiert sich an der dramaturgischen Dreiteilung (Exposition, Konfrontation, Konfliktlösung). Schrifteinblendungen weisen auf Orts- oder Zeitwechsel hin.
Die DDR wird trist, dunkel und in reduzierten Farbtönen dargestellt. Kontraste gibt es bei Wohnungen und Kleidungsstilen. Während Dreyman und seine Freundin von warmen, braun-beigen Farbtönen umgeben sind, stehen die Farben Grau und Grün für Wiesler und die Stasi.
Die für den Film von Gabriel Yared komponierte Sonate vom guten Menschen hat eine zentrale Rolle. Dreyman bekommt die Partitur von seinem Freund Jerska zum Geburtstag. Jerska begeht kurz danach Suizid. Dreyman spielt das Stück auf dem Klavier und erreicht Wiesler auf einer emotionalen Ebene. Ergänzend ist erstens auf das Lied der DDR-Gruppe Bayon zu verweisen, da der Text von Wolfgang Borchert die Zeile „und versuche, gut zu sein” enthält. Zweitens verwendet der Regisseur Musik des DDR-Labels Amiga. Und drittens hören wir immer wieder Geräusche aus Dreymans Wohnung sowie aus Wieslers Kopfhörern – und können so die Stasi nicht vergessen.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Der Film Das Leben der Anderen wird von Medien und Politik für seine vermeintliche Authentizität gefeiert und zugleich wegen historischer Ungenauigkeiten und vor allem wegen seiner Einseitigkeit kritisiert. Dabei ist wichtig: Es handelt sich um einen Spielfilm und nicht um eine Dokumentation. Der Regisseur schafft Authentizität durch Original-Schauplätze (wie die Zentrale der Staatssicherheit), Requisiten (wie die Abhörgeräte der Stasi) sowie typische DDR-Musik.
Florian Henckel von Donnersmarck hat sein Projekt schon zum Drehstart in „ostdeutschen“ Medien präsentiert und begründet, warum er auch ohne persönliche Erfahrungen einen DDR-Film machen könne – aufgrund seiner frühen Auseinandersetzung mit DDR und Sozialismus sowie durch Besuche bei der Verwandtschaft (Seegers 2008: 29-30).
Auch die Wahl der Schauspieler wird als Teil der Authentizitätsstrategie verstanden (Seegers 2008: 27-28). Die Westdeutschen Sebastian Koch (geboren 1962 in Karlsruhe) und Ulrich Tukur (geboren 1957 in Viernheim) sind Stars. Von besonderer strategischer Bedeutung war Ulrich Mühe (geboren 1953 in Grimma, verstorben 2007), der den Stasi-Hauptmann spielt und durch seine Beliebtheit in der DDR als authentische Marke galt. Henckel von Donnersmarck hat außerdem Berater wie den DDR-Forscher und Zeithistoriker Manfred Wilke oder Stasi-Offiziere hinzugezogen.
Rezeption
Reichweite
Das Leben der Anderen startete am 23. März 2006 in den deutschen Kinos und kam dort auf rund 2,3 Millionen verkaufte Tickets (davon bereits über 1,6 Millionen Zuschauer bis Ende des Jahres). Es gab 201 Kopien. In den Kinocharts 2006 stand der Film auf Platz elf. Free-TV-Premiere war am 29. September 2008 um 21 Uhr auf Arte (Reichweite: 1,1 Millionen).
Es gibt eine DVD und eine Blu-ray. Das Werk kann gestreamt werden. Der Soundtrack wurde von Oscar-Preisträger Gabriel Yared mit Unterstützung von Stéphane Moucha komponiert und ist als CD erhältlich. 2006 erschien bei Suhrkamp ein Filmbuch mit Fotos, Originaldrehbuch, Hintergrundberichten und Interviews. Um dieses Buch gab es einen Rechtsstreit zwischen Ulrich Mühe und seiner Ex--Frau Jenny Gröllmann, bei dem es um eine inoffizielle Stasi-Mitarbeit ging. Die entsprechenden Passagen wurden entfernt. Auch die DVD wurde angepasst (im Audiokommentar).
Rezensionen
Der Film wurde breit besprochen. Anke Westphal betonte in der Berliner Zeitung, dass Das Leben der Anderen nicht der erste Kinofilm sei, der die Stasi ins Zentrum rücke. Westphal verwies hier auf die Dokumentation Aus Liebe zum Volk von Eyal Sivan (2004) oder den Spielfilm Wie Feuer und Flamme von Connie Walther (2001). Reinhard Mohr hat dem Film im Spiegel dagegen sofort Einflusspotenzial auf den Erinnerungsdiskurs zugeschrieben und hier eine Wende gesehen, die dann auch tatsächlich eintrat: „Nach Sonnenallee, Good Bye, Lenin!, NVA und Der rote Kakadu ist Das Leben der Anderen der erste deutsche Spielfilm, der sich durchgehend ernsthaft, ohne Trabi-Nostalgie, Spreewaldgurken-Romantik und anderen folkloristischen Klamauk mit dem Kern der 1989 untergegangenen Deutschen Demokratischen Republik auseinandersetzt – der systematischen Einschüchterung, Drangsalierung und Unterdrückung ihrer Bürger im Namen der Staatssicherheit“. Kulturstaatsminister Bernd Neumann sagte im Deutschlandfunk, dass der Film als „Motivation für kleinere und unabhängigere Filmemacher“ dienen könne, da Florian Henckel von Donnermarck auch mit einem vergleichsweise kleinen Filmbudget sehr erfolgreich geworden sei.
Nachdem der Film mit Preisen überschüttet wurde, gab es weitere Besprechungen. Die Frankfurter Allgemein Zeitung beschrieb Das Leben der Anderen als großen Gewinner des 56. Deutschen Filmpreises in Berlin. Der Spiegel titelte „Wir sind Oscar“ und zitierte Angela Merkel: „Der Oscar ist eine fantastische Bestätigung für diesen eindrucksvollen Film mit einer authentischen deutschen Erzählung“. Werner Schulz (Die Welt) wählte dagegen die Überschrift „Das Leben der Anderen hat keinen Titel verdient“. Der Film verfehle die Wirklichkeit und stelle den DDR-Alltag falsch dar. Ähnlich sah das Margit Voss im Neuen Deutschland: „Ja, wie konnte man das nur aushalten. Weil es so nicht war. ‚Das Leben war anders‘, um mit einem Wortspiel zu antworten”.
Reinhard Wengierek verteidigte Florian Henckel von Donnersmarck in der Welt. Das Drehbuch orientiere sich an der Frage: „Wie verhält man sich als Eingesperrter, von Lüge Ummauerter, zur Wahrheit und Freiheit?“ Der Regisseur habe keinen Anspruch auf reale Abbildung der Vergangenheit erhoben.
Viele Jahre später loderte dieser Konflikt noch einmal auf – jetzt zwischen Florian Henckel von Donnersmarck und Christoph Hein. Der Schriftsteller sagte 2019 in der Süddeutschen Zeitung: „2002 bat mich Donnersmarck, ihm aus meinem Leben als Dramatiker in der DDR zu erzählen. Der Film, den er daraus machte, ist bunt durcheinandergemischter Unsinn.“ Der Regisseur hatte mit Hein über sein Leben in der DDR gesprochen und ihm im Abspann gedankt. Nach der Premiere verlangte Hein die Löschung seines Namens, denn mein „Leben war anders als in Das Leben der Anderen dargestellt“. Hein ging noch einen Schritt weiter: „Nein, Das Leben der Anderen beschreibt nicht die Achtzigerjahre in der DDR, der Film ist ein Gruselmärchen, das in einem sagenhaften Land spielt, vergleichbar mit Tolkiens Mittelerde“.
Auszeichnungen
Auszeichnungen
César 2008 |
Bester ausländischer Film |
Academy Awards 2007 |
Oscar, Bester fremdsprachiger Film |
Preis der deutschen Filmkritik 2007 |
Bester Schnitt, beste Kamera, bestes Spielfilmdebüt, bester Darsteller |
IFF Rotterdam 2007 |
Publikumspreis |
Europäischer Filmpreis 2006 |
Bestes Drehbuch, bester Film, bester Darsteller |
Verband der Filmkritiker aus Los Angeles 2006 |
Bester fremdsprachiger Film |
Bambi 2006 |
Bester Darsteller national |
IFF Warschau 2006 |
Publikumspreis |
Filmfestival Kopenhagen 2006 |
Darstellerpreis Publikumspreis |
Gilde der deutschen Filmkunsttheater 2006 |
Gilde-Filmpreis |
Filmfest München 2006 |
Bernhard Wicki Filmpreis - Die Brücke - Friedenspreis des Deutschen Films |
Deutscher Filmpreis 2006 |
Lola in Gold, Bester Spielfilm Lola: bestes Szenenbild, beste Regie, bester Darsteller, bestes Drehbuch, beste Kamera, bester Nebendarsteller |
Bayerischer Filmpreis 2006 |
Bestes Drehbuch, beste Nachwuchsregie, bester Darsteller VGF-Preis |
FBW 2006 |
Prädikat: besonders wertvoll |
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Das Leben der Anderen wird in der wissenschaftlichen Literatur umfassend behandelt. Es gibt Film- oder Drehbuchanalysen (Mersiowsky 2010, Cooke 2013, Nagel 2008, Wilke 2012) sowie Detailstudien.
Martina Kolb (2014) untersucht beispielsweise die Rolle Bertolt Brechts im Film. Durch seine Texte soll „eine Auseinandersetzung mit Lesen und Freundschaft (angesprochen werden), die den Film an der Grenze von Menschlichkeit und Literatur, am Scheideweg von Ethik und Ästhetik, verortet“ (Kolb 2014: 314). Die Mehrdeutigkeit von Figuren und Filmhandlung durch Verweise auf Brecht wird auch vom Mary Beth Stein (2008) thematisiert. Außerdem verweist sie auf den doppeldeutigen Protagonisten Wiesler, der Opfer und Täter zugleich sei.
Den Opfer-Täter-Ansatz greift auch Annette Simon (2007) auf. Für sie ist der Wandel des Stasi-Hauptmanns kein reales Bild der DDR. Simon kritisiert auch das Künstlerpaar. Das Leben der Anderen präsentiere politische Verfolgung als rein privat motiviert (zur Beseitigung des Rivalen) und verharmlose sie so.
Johanna Henriette Lehmann (2019: 52f.) fragt nach „Fakt und Fiktion“ im Film Das Leben der Anderen und meint, dass sowohl der direkte „Vergleich von geschriebener Geschichte und Geschichte im Film, als auch die Anwendung geschichtswissenschaftlicher Maßstäbe auf einen historischen Film schwierig“ seien. Ein historischer Film erhebe meist nicht den Anspruch auf Realitätsabbildung. Zudem würden Regisseure wie Florian Henckel von Donnersmarck nicht die Intention verfolgen, die Vergangenheit historisch genau aufzuarbeiten. Dennoch werden ihre Werke oft wegen historischer Ungenauigkeiten kritisiert.
Lu Seegers (2008) fragt, wie Das Leben der Anderen zu einem wichtigen „Erinnerungsfilm“ werden konnte. Sie verweist hier auf umfangreiche Marketing- und Authentifizierungsstrategien sowie auf eine Erinnerungspolitik, der der Film in die Karten gespielt hat.
Erinnerungsdiskurs
Das Leben der Anderen gilt als historischer Erinnerungsfilm. Der Regisseur erhebt zwar keinen Anspruch auf eine historische detailgetreue Abbildung, versucht aber mit allen Mitteln, den Wahrheitsgehalt zu beglaubigen. Deshalb mag es nicht verwundern, dass der Film in Politik und Didaktik einen zentralen Platz bei der Aufarbeitung des DDR-Gedächtnisses hat.
Der Konflikt zwischen Christoph Hein und Florian Henckel von Donnersmarck ist wichtig für die Einordnung: Der DDR-Schriftsteller greift die Authentizität des Drehbuchs und somit die Legimitation als Erinnerungsfilms an. Hein sagt, dass er das Vorbild für die Figur Dreyman war. Henckel von Donnersmarck spricht dagegen von Wolf Biermann als Inspiration. Um die Position des Films im Diskurs zu verteidigen, hat Andreas Platthaus in der Frankfurter Allgemeine Zeitung auf Unstimmigkeiten bei der Darstellung von Hein verwiesen.
Im Gegensatz zu Komödien Good Bye, Lenin! (2003) oder Sonnenallee (1999) positioniert sich Das Leben der Anderen als ein Anti-Ostalgie-Politdrama. Der Film bedient ganz klar das Diktaturgedächtnis. Der Film rückt die „böse“ Stasi ins Zentrum der Erinnerung, betont den Unterdrückungscharakter der SED-Herrschaft, konstruiert zwischen Geheimdienst und Bürgerschaft einen Täter-Opfer-Gegensatz und lässt das Ende der DDR als Befreiung erscheinen (vgl. Wilke 2012, Sabrow 2009).
Literatur
Paul Cooke: ‚The lives of others‘ and contemporary German film: a companion. Berlin: De Gruyter 2013
Johanna Henriette Lehmann: Fakt und Fiktion im historischen Film Das Leben der Anderen. In: Literatura e Autoritarismo 2019
Martina Kolb: ‚Immerhin Brecht’: Literacy and Theatricality in Das Leben der Anderen. In: Oxford German Studies 43. Jg. (2014), S. 314-333
Christine Mersiowsky: Florian Henckel von Donnersmarck. Das Leben der Anderen. Filmanalyse. Paderborn: Schöningh 2010
Daniela Nagel: Das Drehbuch – ein Drama für die Leinwand? Drehbuchanalyse am Beispiel von Florian Henckel von Donnersmarcks Das Leben der Anderen. Marburg: Tectum 2008
Thomas Neumann: Das Recht der Filmförderung in Deutschland. Köln: Herbert von Halem 2017
Martin Sabrow: Die DDR erinnern. In: Martin Sabrow (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR. München: C. H. Beck 2009, S. 11-27
Lu Seegers: Das Leben der Anderen oder die ‚richtige‘ Erinnerung an die DDR. In: Astrid Erll, Ansgar Nünning (Hrsg.): Medien und kulturelle Erinnerungen. Berlin, New York: Walter de Gruyter 2008, S. 21-52
Annette Simon: Das Leben und die anderen. In: Forum der Psychoanalyse 23. Jg. (2007), S. 174-180
Mary Beth Stein: Stasi with a Human Face? Ambiguity in Das Leben der Anderen. In: German Studies Review 31. Jg. (2008), S. 567-579
Manfred Wilke: Das Leben der Anderen – Wieslers Verweigerung. In: Bundeszentrale für politische Bildung 2012
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