Romeo und Jutta
Inhalt
- Kurzinformationen
- Filmdaten
- Kurzbeschreibung
- Schlagworte
- Entstehungskontext
- Beteiligte
- Filminhalt
- Handlung
- Figuren
- Gesellschaftsbild
- Ästhetik und Gestaltung
- Strategien der Authentizitätskonstruktion
- Rezeption
- Reichweite
- Rezensionen
- Wissenschaftliche Aufarbeitung
- Einordnung in den Erinnerungsdiskurs
-
Empfehlung der Autorin
- Literatur
Entstehungskontext
Beteiligte
Jörg Grünler wurde 1945 in Apolda geboren. Studiert hat er in München – zunächst Politik und Journalismus und nach einem Redaktions-Volontariat auch an der Hochschule für Fernsehen und Film. In seiner Filmografie stehen TV-Krimis (Die Kommissarin, Tatort, Inspektor Barbarotti) und die Serie Liebe am Fjord. Im Film Krücke (1992) blickt Jörg Grünler auf das Nachkriegsdeutschland. Romeo und Jutta ist sein erster Film zur Ost-West-Thematik.
Wolfgang Limmer wurde 1946 in Augsburg geboren. Er studierte Amerikanistik sowie Psychologie und arbeitet seit 1984 als freier Autor. Wie Regisseur Grünler steht er vor allem für TV-Krimis (Polizeiruf 110, Pfarrer Braun, Die Straßen von Berlin). Außerdem schrieb er das Drehbuch für den Film Habermann (2010), der sich mit dem Nachkriegsdeutschland auseinandersetzt. Romeo und Jutta war auch für ihn der erste DDR-Film.
Romeo und Jutta wurde im Auftrag des MDR durch die Polyphon in Berlin produziert. Auch hier fallen die vielen TV-Serien auf: Das Traumschiff, Pfarrer Braun, Die Schwarzwaldklinik, Doctor’s Diary oder Stubbe – von Fall zu Fall – mit Wolfgang Stumph, der den Romeo spielt.
Angaben zum Budget wurden nicht veröffentlicht.
Der Verleih Kinowelt hat 2009 eine DVD in den Verkauf gebracht. Dort gibt es ein Interview mit Wolfgang Stumph. Auf dem Cover sieht man die beiden Hauptfiguren und im Hintergrund eine angedeutete DDR-Nationalflagge.
Filminhalt
Handlung
Der Klavierstimmer Jürgen Stoll ist Heiratsschwindler und kommt deshalb vor Gericht. Er hat die Wahl – ins Gefängnis oder als Romeo-Agent in die BRD. Stoll entscheidet sich für den Westen, entwickelt dort aber echte Gefühle für seine Zielperson. Jutta Seeland ist Sekretärin in einem Bonner Ministerium. Sie glaubt, dass der Geliebte für den Frieden kämpft, und gibt ihm deshalb geheime Informationen. Als die Stasi die Sache beenden will, versuchen die beiden zu fliehen, werden aber an der Grenze geschnappt und ins Gefängnis gesteckt, weil der BND schon Bescheid weiß. Zehn Jahre nach der Wende treffen sie sich im „neuen“ Berlin und schmieden einen Racheplan an den Stasi-Mitarbeitern von einst.
Zentrale Figuren
Jürgen Stoll (Wolfgang Stumph) – Klavierstimmer, Lebenskünstler und Filou. Einer, der es versteht, die Frauen um den Finger zu wickeln, und dabei ins Visier der Stasi gerät. Als Romeo wird er unter dem Decknamen Dr. Oktavio Gröbius in die BRD geschickt. Dieser Stoll ist anders als die typischen Stasi-Mitarbeiter. Er sieht die Romeo-Rolle als Chance, dem Gefängnis zu entkommen und will niemandem schaden. Seine Zielperson Jutta möchte er sogar heiraten. Der Job hilft ihm dabei nur, die Beziehung aufrechtzuerhalten.
Jutta Seeland (Katja Riemann) – arbeitet in einem Bonner Ministerium. Diese Jutta, eine bayerische Version der „Julia“ (von Shakespeare), ist wild. Ein Hippie mit Helfersyndrom. Eine, die sich politisch engagiert und gegen die NATO demonstriert. Zugleich hilfsbereit – das ideale Persönlichkeitsprofil für die Hauptverwaltung Aufklärung. Jutta gibt Oktavio freiwillig Informationen, da sie annimmt, dass ihr Freund für die gleiche Seite kämpft. „Ob ich illegal blockiere oder illegal kopiere, ist auch schon egal“. Jutta ist einerseits starke Frau („In deinen Machoohren hört sich das grausam an“) und andererseits naiv. Der fremde Mann zieht schon nach einem Monat bei ihr ein und sie tut alles dafür, um ihn nicht zu verlieren.
Gesellschaftsbild
Der Film Romeo und Jutta blickt mit historischem und geografischem Abstand auf die DDR. Große Teile der Handlung spielen in der Bundesrepublik sowie nach dem Fall der Mauer. Für die DDR steht hier vor allem die Stasi, die über ihre Romeo-Agenten auch im Westen präsent ist. Die Führungsoffiziere wirken dabei mächtig und dümmlich zugleich. Sie suggerieren einerseits Allgegenwart („Keine Angst, wir lassen dich nicht allein“), sind aber andererseits nicht in der Lage, sinnvoll zu helfen. So sieht der Held bei seiner Einweisung lediglich „Fußgänger, Fußgänger, (und) Fußgänger im Fußgängerbereich“.
Das hegemoniale Bild der beiden deutschen Staaten wird in diesem Film gegen den Strich gebürstet. In der DDR gibt es einen Heiratsschwindler und Lebenskünstler, der nicht viel mit der Ideologie am Hut hat, und in der Bundesrepublik eine Friedenskämpferin im Staatsdienst, die sich bereitwillig auf den Spion aus dem Osten einlässt. Viel Freiraum gibt es auf beiden Seiten aber schon deshalb nicht, weil die Geheimdienste überall präsent sind. Die deutsche Einheit wirkt hier wie eine Katharsis: Jetzt müssen sich zumindest die Stasileute ihren Taten und ihren Opfern stellen.
Ästhetik und Gestaltung
Musik ist in diesem Film wichtig. Der Klavierstimmer Jürgen Stoll hat ein absolutes Gehör und beherrscht Stücke wie den Liebestraum von Franz Liszt, mit dem er die Frauen verführt. Auch das Kinderlied Suse liebe Suse ist zu hören. Die dokumentarischen Szenen zum Mauerfall werden mit einer Klavierversion der Deutschlandhymne untermalt. Nicht zuletzt spielt der Deckname Oktavio auf die Musik an.
Romeo und Jutta wird aus der Perspektive von Jürgen Stoll erzählt. Wir hören seine Stimme als Voice-Over im gesamten Film. Die Kameraführung unterstützt diese Perspektive durch totale oder halbnahe Einstellungen. Die DDR ist braun oder anders gedeckt und der Westen bunt (Faschingskostüme!). Besonders deutlich wird der Unterschied, als Jürgen Stoll neu eingekleidet wird. Nach der Wende dominiert Businesskleidung – ein Symbol für die Veränderungen in Deutschland.
Dialekt (Wolfgang Stumph: sächsisch) spricht Jürgen Stoll nur in der DDR. Im Westen muss er seine Herkunft verstecken. Nach dem Fall der Berliner Mauer gibt es plötzlich Anglizismen (vor allem bei einer jungen Mitarbeiterin im Ministerium: „Range“, „I love it“, „Coaching Room“, „Game over“).
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Jörg Grünler erhebt nicht den Anspruch, deutsch-deutsche Geschichte abzubilden, auch wenn er Original-TV-Material einbaut. Katja Riemann in der Welt: Romeo und Jutta ist „kein politischer Film und man sollte es auch nicht erwarten oder ihn damit überfrachten“. Und Wolfgang Stumph an gleicher Stelle: „Es ist eine Mischform zwischen einer Liebesgeschichte und einer Komödie, mit Zeitgeist durchdrungen, aber auch mit einer souveränen Haltung zu geschichtlichen Prozessen, zu denen man sich vielleicht auch lachend und weinend verabschieden will“.
Wolfgang Stumph hat in einigen DDR-Werken wie Go Trabi Go – Die Sachsen kommen (1991) oder Heimweh nach drüben (2007) mitgespielt und gilt als ein „Publikumsliebling, wie er im Buche stehe“ (ZDF). In Romeo und Jutta bleibt er seiner Paraderolle treu und spielt erneut einen Ostdeutschen, dessen Figur mit einem „St“ (Stoll) beginnt. Weststar Katja Riemann hat schon in der Der Job seines Lebens (2003) an der Seite von Stumph gespielt.
Rezeption
Reichweite
Die Erstausstrahlung von Romeo und Jutta erfolgte am Mittwoch, den 2. September 2009 im ARD. Der Fernsehfilm gilt als Reichweiten-Tagessieger: 4,93 Millionen Zuschauer*innen sahen sich Grünlers Werk an, was einem Marktanteil von 17,1 Prozent entsprach (Quotenmeter). Der Film kann via der Videoplattform YouTube gestreamt werden, zudem ist Romeo und Jutta als DVD erhältlich.
Rezensionen
Die Leitmedien haben Romeo und Jutta weitgehend ignoriert. Die wenigen Besprechungen fallen unterschiedlich aus. Für Prisma war der Fernsehfilm eine „überzogene, aber dennoch witzige deutsch-deutsche Geschichte um einen armen Tropf in den Fängen der Staatsgewalten“. Betont wurde hier das „gekonnt aufspielende Hauptdarsteller-Duo Stumph/Riemann“. Kino.de schrieb: „Wie schon in ,Heimweh nach drüben‘ trägt der große Wolfgang Stumph mit seiner unverwechselbaren Art dazu bei, ein düsteres Kapitel deutsch-deutscher Geschichte auf heitere Art aufzuarbeiten“.
Auf der Seite Quotenmeter wurde die Besetzung dagegen kritisiert. Wolfgang Stumph spiele erneut „den kleinen Mann aus Sachsen, der mit seinem Leben überfordert ist. Jede Punchline betont er auf ausufernde Weise, während er mit einem Pathos spricht, dass es nicht mehr schön ist. Und auch bei Katja Riemann kann von Authentizität nicht die Rede sein“. Josef Seitz im Focus: „Niemand sollte den EX-DDR-Schauspieler-Komiker-Kabarettisten Wolfgang Stumph unterschätzen. Er kann auch den Hengst. Er ist der Begatter. Der Beglücker. Der Vereiniger, der deutsch-deutsch kann, und das in allen Variationen.“ Und Rainer Tittelbach: „Wolfgang Stumph macht auf Verkleidungsposse und verfällt immer wieder ins Kabarettistische, allein Katja Riemann streift souverän alle Tonlagen und erweist sich als eine wahre Komödiantin“. Die Liebesbeziehung hielt Tittelbach trotzdem für „problematisch“.
Die Romantik lege „sich zwar als eine Art emotionales Band über die konfuse Chronologie der Ereignisse und hält den Zuschauer bei der Stange, sie verschenkt aber auch das spielerische Potenzial, das dem Helden innewohnt“. Noch einmal Quotenmeter: „Zu sehr konzentriert man sich hier auf die beiden äußerst stereotypen Hauptfiguren, nämlich den rücksichtslosen Heiratsschwindler Jürgen und seine große Liebe Jutta, eine gutgläubige und beschränkte Tippse“. Weiter in diesem Text: Der „Film hat keinerlei Substanz und auch der endlose Klamauk kann über dieses geballte Nichts nicht hinwegtäuschen“
Bei Josef Seitz (Focus) kam auch die Bundesrepublik nicht besonders gut weg: „Neben dieser beklemmenden Fröhlichkeit der alten DDR verspottet der Film auch die West-Friedensbewegung, die erst die Welt retten will, später dann doch nur mehr die Buckelwale. Ost-Romeo und West-Friedenstaube fliegen aufeinander. Und als der Spion auffliegt, erkennt die bespitzelte, reife Pflaume‘: „Du bist so was wie Guillaume? Und ich bin Willy Brandt?‘“ Und noch so ein feiner Satz von Seitz: „Tatsächlich lächelt die DDR in dieser Komödie viel, und doch lächelt sie, vertreten durch ihre Stasi-Fürsten, allzeit allenfalls freudlos“.
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Jakob Hein (2009) und Joanna Wolowska (2015) haben sich genauso mit dem Romeo-Prinzip beschäftigt wie Elisabeth Pfister (1999) oder Hubertus Knabe (1999). Der Film Romeo und Jutta spielt dabei keine größere Rolle.
Erinnerungsdiskurs
Romeo und Jutta blickt mit einem „Augenzwinkern“ auf die deutsch-deutsche Geschichte (Die Welt). Über eine Liebesgeschichte wird an die Romeo-Agenten der Stasi erinnert. Wolfgang Stumph: „Politsatire, Komödie, Drama – Romeo und Jutta ist von allem ein bisschen. Im 20. Jahr nach der Einheit kommt hier ein deutsch-deutscher Film, der sich zwar kritisch mit den Stasi-Methoden der DDR auseinandersetzt, das Thema jedoch in humorvoller, bisweilen satirischer Art aufarbeitet“.
Der Fokus ist dabei keineswegs neu. Zu nennen ist hier zum Beispiel der ZDF-Spielfilm Romeo (2001) von Hermine Huntgeburth. Das Thema kommt später wieder: etwa in den Serien Deutschland 83 (2015) und Der gleiche Himmel (2017). Grünlers Werk fällt dagegen etwas ab, da er die Liebesgeschichte ins Zentrum setzt und auch auf Klamauk setzt. Die DDR ist in Romeo und Jutta trotzdem eine Diktatur, die von der Stasi gestützt wird und gegen die es sich zu rebellieren lohnt (Sabrow 2009: 17f.).
Literatur
Elisabeth Pfister: Unternehmen Romeo. Berlin: Aufbau Taschenbuch 1999
Hubertus Knabe: Die unterwanderte Republik: Stasi im Westen. Berlin: Propyläen 1999
Jakob Hein: Antrag auf ständige Ausreise: und andere Mythen der DDR. München: Piper 2009
Johanna Wolowska: Die Aufklärung des Verbrechens liegt in der „Geschichte“ der DDR. In: Eva Brylla, Wolfgang Parra-Membrives (Hrsg.): Facetten des Kriminalromans. Books on Demand 2015
Martin Sabrow: Die DDR erinnern. In: Martin Sabrow (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR. München: C.H. Beck 2009, S. 11-27
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