Die Frau vom Checkpoint Charlie
Inhalt
Entstehungskontext
Beteiligte
Miguel Alexandre wurde 1968 in Portugal geboren, ist jedoch in Lübeck aufgewachsen. Schon früh hat er sich für das Medium Film interessiert und von 1989 bis 1994 Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen in München studiert. Die Frau vom Checkpoint Charlie war der erste Film des Regisseurs, der in der DDR spielt. Anschließend hat er sich häufiger mit diesem Thema beschäftigt – etwa in Der Mordanschlag (2018) oder in Schicksalsjahre (2011).
Die 1967 in Hannover geborene Schriftstellerin und Drehbuchautorin Annette Hess steht spätestens seit ihrer Arbeit für die Serie Weissensee für Deutschlands Nachkriegsgeschichte und deren Aufarbeitung. Ihre Mehrteiler Ku’damm 56 und Ku’damm 59 thematisieren ebenfalls zum Teil die DDR. Annette Hess selbst hat kaum biografische Berührungspunkte mit der DDR, allerdings bewegt sie die deutsche Geschichte (Goethe Institut).
Die Frau vom Checkpoint Charlie erzählt die Geschichte von Jutta Fleck (ehemals Gallus). Als Vorlage dient das gleichnamige Buch von Ines Veith (2006). Der Name der Protagonistin wurde im Film verändert (medienkorrespondenz) – auch weil manches dramatisiert worden ist. So wurden beispielsweise die Kinder in der Schule oder im Sport nicht benachteiligt. Peter Koch (ein Verehrer, der für die Stasi arbeitet) gab es in Wirklichkeit nicht. Auch die Wohnung wurde nicht von der Stasi verwanzt. Im Film werden die Kinder zwangsadoptiert. In Wirklichkeit haben sie nach einem kurzen Aufenthalt im Heim bei ihrem Vater gelebt. Außerdem gab es keinen Mordanschlag auf die Mutter. Hauptdarstellerin Veronica Ferres im Focus: „Der Film ist eine Verknüpfung von Juttas Leben und dem Schicksal zweier anderer Frauen. Zwangsadoption war in der DDR ein kalkuliertes Foltermittel. Familientrennung wurde eingesetzt, um Menschen zu brechen. (…) Der Film soll ja auch gar nicht eine faktische Aneinanderreihung von Details aus Juttas Leben sein. Es geht um die Wahrheit. Und Jutta sagt, der Film ist die Wahrheit“.
Produziert wurde der Film bei der UFA von Norbert Sauer und Cornelia Wecker, die ein Jahr später auch die Produktion des DDR-Fernsehfilms 12 heißt: Ich liebe dich (2007) übernahmen.
Neben der UFA waren MDR, Bayerischen Rundfunk, RBB, die ARD-Tochter Degeto und arte an der Produktion beteiligt. Von der Mitteldeutschen Medienförderung bekam der Film 650.000 Euro.
Der Fernsehfilm hatte am 12. September 2007 im Kino International in Berlin Premiere mit über 500 geladenen Gästen, darunter Hans-Dietrich Genscher, Walter Momper und Bernd Neumann, damals Staatsminister für Kultur und Medien.
Filminhalt
Handlung
1982 möchte Sara Bender ihren Kollegen Peter Koch heiraten. Sie lebt mit ihren Töchtern Silvia (11) und Bine (9) in Erfurt. Ihr im Westen lebender Vater möchte an der Trauung teilnehmen, hat jedoch einen Unfall. Die Hochzeit wird deshalb abgesagt. Sara möchte ihren Vater im Krankenhaus besuchen, bekommt allerdings keine Ausreiseerlaubnis. Als der Vater stirbt, wächst ihr Wunsch, die DDR für immer zu verlassen. Sie überredet ihren Verlobten, einen Ausreiseantrag zu stellen. Schnell wird klar: Dies hat persönliche Folgen. Sara wird degradiert und die Kinder werden in der Schule benachteiligt. Nachdem ein Fluchtversuch scheitert, wird die Familie getrennt. Sara kommt in das Frauengefängnis Hoheneck, wird nach zwei Jahren freigekauft und fängt an, um ihre Kinder zu kämpfen, die inzwischen in einer Pflegefamilie leben.
Zentrale Figuren
Sara Bender (Veronica Ferres) – Mutter zweier Kinder in Erfurt. Schon vor ihrem Ausreiseantrag eckt sie an. Sie fühlt sich eingeengt und möchte in den Westen.
Silvia Bender (Maria Ehrich) – ältere Tochter von Sara Bender. Tanzt gern. Im Gegensatz zu ihrer Schwester glaubt sie nicht, dass ihre Mutter sie in den Westen holen möchte. Sie wächst schneller in die Pflegefamilie hinein und ist dankbar für das Angebot, eine Ballett-Schule besuchen zu dürfen.
Sabine Bender (Elisa Schlott) – jüngere Tochter von Sara Bender. Möchte Ärztin werden, glaubt an die Mutter und tut sich deshalb mit der Pflegefamilie schwerer. Die DDR sieht Sabine eher kritisch. Als der Pflegevater einen Hausarrest ausspricht, sagt sie: „Ist doch völlig egal, ob wir nun hier im Haus oder in der DDR eingesperrt sind“
Peter Koch (Peter Kremer) – Verlobter von Sara und längst nicht so systemkritisch wie sie. Später wird bekannt, dass er für die Stasi arbeitet und Sara verraten hat. Auch nach der Trennung bleibt Peter wichtig, weil die Kinder nichts von seinem Verrat wissen.
Richard Panter (Filip Peeters) – Journalist aus dem Westen. Trifft Sara schon bei ihrem Fluchtversuch und später dann wieder am Checkpoint Charlie. Die beiden verlieben sich, obwohl Sara ihm zunächst misstraut.
Gesellschaftsbild
Die Frau vom Checkpoint Charlie sieht die DDR sehr kritisch. Die Protagonistin will in den Westen. Wer in der Film-DDR Erfolg haben will, muss die Regeln akzeptieren und sich mit dem System arrangieren. Das lernen die Kleinen schon in der Schule und die Großen dann im Beruf, immer vermittelt über Repressionen. Der Staat interessiert sich kaum für die Belange der Menschen. Das gilt hier für die Protagonistin allerdings auch in der Bundesrepublik, wo die deutsch-deutschen Beziehungen wichtiger sind als ein Einzelschicksal. In der DDR zerstört der Staat dann sogar die Familie, die für die Hauptfigur das Allerwichtgste ist. Wir sehen zu Beginn, dass die Töchter in behüteter Atmosphäre bei einer liebenden Mutter aufwachsen und lernen dann, wie die allgegenwärtige Angst vor der Stasi und ein übergriffiger Apparat diese Beziehung torpedieren.
Ästhetik und Gestaltung
Die Stimmung ist überwiegend düster, mit dunklen und grauen Farben. Die Musik unterstützt diese Wahrnehmung noch. Ost und West unterscheiden sich dabei nicht.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Der Zweiteiler wirbt mit dem Hinweis, eine „wahre“ Geschichte zu erzählen, obwohl die Geschichte von Jutta Gallus erheblich dramatisiert worden ist (vgl. Vieth 2006). Für die Erstausstrahlung haben der MDR und arte eine Dokumentation produziert (Drehbuch und Regie: Peter Adler). Hier berichten Mutter und Kinder erstmals über die gescheiterte Flucht, ihre Odyssee durch Heime und Gefängnisse und ihren Kampf für eine gemeinsame Zukunft. Die Dokumentation zeigt Bilder von den Originalschauplätzen, Interviews mit Angehörigen und ein Gespräch mit dem DDR-Anwalt Vogel, der die Familie zusammengeführt hat.
Die Dreharbeiten für den TV-Film fanden in Leipzig, Berlin, Bukarest, Helsinki und Brașov statt. Drehorte und Requisiten garantieren eine authentische Atmosphäre. Eine IL-62, die einst der DDR-Fluggesellschaft Interflug gehörte, diente beispielsweise als Kulisse für den Rückflug der Heldin nach ihrem Fluchtversuch. Gedreht wurde außerdem im Funkhaus Nalepastraße in Berlin-Oberschönweide, um DDR-Atmosphäre zu simulieren.
Rezeption
Reichweite
Nach der Premiere vor über 500 geladenen Gästen aus Politik und Kultur am 12. September 2007 im Berliner Kino International gab es zweieinhalb Wochen später TV-Sendetermine auf arte (28. September) und im Ersten (30. September, 1. Oktober), wobei der Marktanteil am Ende bei gut 28 Prozent lag. Teil 2 erreichte ein größeres Publikum als Teil 1 (8,35 und 9,12 Millionen). Die Dokumentation sahen 7,38 Millionen Zuschauer (26,7 Prozent).
Rezensionen
In den Leitmedien war das Echo durchwachsen. „Das demokratische Superweib“ titelte zum Beispiel Christian Buß im Spiegel. „Mit Veronica Ferres in der Titelrolle verkommt das Mauerdrama jedoch zu einer Mischung aus Spionageschocker und Polit-Schmonzette“. Buß kritisierte vor allem den zweiten Teil, weil es dort mit immer neuen Sensationen nur noch um Aufmerksamkeit gehe. Das Leben der realen Jutta Gallus habe, so Buß, genug Theatralik. Der erste Teil bekam von ihm dagegen Lob – wegen der Ausstattung und der phobischen Grundstimmung. „Es verhält sich hier also wie so oft, wenn sich die öffentlich-rechtlichen Ereignisfilmer an der jüngeren deutschen Geschichte vergreifen: Man beruft sich auf eine wahre Begebenheit und dichtet diese dann so lange um, bis sie zur Polit-Schmonzette gerinnt“.
Auch der Tagesspiegel kritisierte die Dramatisierung und hier vor allem den Mordanschlag in Helsinki: „Die Staatssicherheit versucht laut Drehbuch, diese inzwischen schon einigermaßen prominente Frau ausgerechnet in Helsinki bei der KSZE-Konferenz umzubringen! Sollte man sich da nicht ernsthaft Sorgen machen um das Zuschauerbild der großen Fernsehanstalten?“ Die Welt sagte dagegen, dass die Wahrheit viel schlimmer gewesen sei als im Film dargestellt. So habe sich die Protagonistin im Film von ihren Töchtern verabschieden können, bevor sie ins Gefängnis musste – in Wirklichkeit jedoch nicht. Peter Zander kritisierte hier dagegen die Beziehung zum West-Journalisten: „So bleibt jedenfalls eine historische Aufbereitung im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einmal mehr auf das Grundmuster Frau zwischen zwei Männern reduziert“. Das Neue Deutschland lobte zwar das Szenenbild, sprach aber ansonsten von einer „groben Schwarzweißzeichnung“.
Auszeichnungen
2008 bekam Veronica Ferres für die Darstellung der Sara Bender den Deutschen Fernsehpreis als beste Schauspielerin.
Erinnerungsdiskurs
Die Frau vom Checkpoint Charlie erscheint ein Jahr nach dem Oscar-Gewinner Das Leben der Anderen (2006), der die filmische Aufarbeitung der DDR für lange Zeit verändern sollte. Der TV-Zweiteiler, ausgestrahlt am Wochenende vor dem Nationalfeiertag zur Primetime im Ersten, transportiert keinerlei (N)Ostalgie, sondern bedient eindeutig das Diktaturgedächtnis. Im Vordergrund stehen der Unterdrückungscharakter der SED-Herrschaft, die Stasi und ein Täter-Opfer-Narrativ. Die Protagonistin darf ihren sterbenden Vater nicht besuchen, verliert ihre Kinder und fast auch ihr Leben, als der Geheimdienst in Helsinki einen Mordanschlag auf sie verübt.
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