Traumfabrik
Entstehungskontext
Beteiligte
Martin Schreier, geboren 1980 im Taunus, studierte in Ludwigsburg an der Filmakademie und absolvierte die „Hollywood Masterclass“ an der University of California in Los Angeles. Schreiers persönliche Vorliebe für Hollywood-Filme merkt man auch der Traumfabrik-Inszenierung an. Er sieht sich als ein Geschichtenerzähler, der Menschen bewegen und berühren möchte (Arrimedia). Bei Traumfabrik war es ihm ein Anliegen, persönliche Begeisterung und Enthusiasmus auf die Leinwand zu übertragen: „Es ist ein Film, der dir zeigt, wie das Leben sein könnte, wenn du einfach nur diesen einen Schritt mehr machst“ (Bonusinterview). Mit Produzent Tom Zickler, Producer Sebastian Fruner und Drehbuchautor Arend Remmers arbeitete Schreier bereits beim Film Unsere Zeit ist jetzt (2016) zusammen.
Arend Remmers, geboren 1981, ist Autodidakt. Produzent Tom Zickler kannte ihn aus der Zusammenarbeit bei Unsere Zeit ist jetzt (2016). Für Remmers war das Projekt Traumfabrik ein Wagnis, weil es Märchen und Unterhaltungsfilmen bei den Kritikern schwer haben (Podcast Stichwort Drehbuch).
Traumfabrik ist der erste Film der Produktionsfirma Traumfabrik Babelsberg und die erste Eigenproduktion von Studio Babelsberg nach mehr als 20 Jahren. Deshalb funktioniert der Film über weite Teile auch wie ein Imagefilm, der die Marke „Traumfabrik Babelsberg“ etablieren soll (Philipp Schwarz, Spiegel Online). Verleih und Vertrieb übernahm Tobis Film in Zusammenarbeit mit Telepool. Die Koproduzenten: Arrimedia Production, herbX Film- und Fernsehproduktion, Pantaleon Films, Samfilm, Funkhaus Berlin Events und Tobis Filmproduktion.
Produzent Tom Zickler (1964 bis 2019) war Gründer der Produktionsfirma Traumfabrik Babelsberg und produzierte vorher Kinoerfolge wie Keinohrhasen (2007), Knockin‘ on Heaven’s Door (1997) und Barfuss (2005). Nach seinem Militärdienst begann der farbenblinde Filmenthusiast als Aufnahmeleiter-Gehilfe im Studio Babelsberg, schlief in Ermangelung einer Bleibe in den Filmkulissen und hütete Gänse während der Dreharbeiten zum Film Die Gänsemagd (1988). Seine erste große Liebe musste die DDR verlassen. Fünf Motive, die auch in Traumfabrik verarbeitet wurden. Der Film war ihm eine Herzensangelegenheit und sollte auch eine Hommage an die DEFA-Zeit in Babelsberg sein: „Das ist für mich eine wichtige Sache“ (Potsdamer Neueste Nachrichten). Im DFEA-Studio hatte Zickler mit großem Aufwand und vielen Komparsen hauptsächlich Märchenfilme gedreht – eine weitere Parallele zu Traumfabrik (Bonusinterview).
Für Studio-Chef Carl L. Woebecken war Traumfabrik ein starkes Signal nach außen, um die Bedeutung von Babelsberg als Filmstandort wieder ins Gedächtnis zu rufen (Potsdamer Neueste Nachrichten). Ausführende Produzenten waren Sebastian Fruner und Sophie Heim.
Deutscher Filmförderfonds |
1,6 Millionen Euro (Förderzusagen 2018) |
FFA Filmförderungsanstalt |
1,2 Millionen Euro (Förderzusagen 2018) |
Medienboard Berlin-Brandenburg |
820.000 Euro (Förderentscheidungen 2018) |
MfG Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg |
120.000 Euro (MFG-geförderte Projekte) |
Filmfernsehfonds Bayern |
40.000 Euro Erfolgsdarlehen (Jahresrückblick 2018) |
Insgesamt |
8,05 Millionen Euro |
Die Produzenten veröffentlichten im Vorfeld des Kinostarts eine Filmvorschau, Trailer und Clips. Das Filmplakat zeigt das Liebespaar, hell angestrahlt von einem Scheinwerfer, aus dem Dunkel missbilligend beäugt vom DEFA-Generaldirektor. Damit vermittelt das Plakat die Konzeption des Films als Romanze mit geschichtlichem Hintergrund. Universal Music veröffentlichte zeitgleich zum Kinostart ein Soundtrack-Album, das unter anderem den Titelsong See you again von Helene Fischer enthält. Die Mitwirkung des Popstars sorgte für eine erhöhte Aufmerksamkeit der Medien.
Der Film ist auf DVD und als Streaming-Angebot erhältlich, jeweils mit umfangreichem Bonusmaterial (Premierenclip, Featurette und Interviews mit fast allen Beteiligten). Vision Kino, eine gemeinnützige Gesellschaft zur Förderung der Film- und Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen, bietet außerdem eine 15-seitige Richtschnur für den Einsatz des Films im Unterricht an. Dort heißt es, dass Traumfabrik in den Fächern Ethik, Kunst, Darstellendes Spiel oder Berufsorientierung hilfreich sein könne – jedoch nicht im Geschichtsunterricht, da es dem Film „nicht vorrangig um historische Genauigkeit“ gehe. Er eigne sich jedoch gut für die beispielhafte Betrachtung der genretypischen Aspekte des Melodrams (Vision Kino Begleitmaterial).
Filminhalt
Handlung
In der Rahmenhandlung im Val de Loire erzählt der gealterte Emil seinem Enkel eine Geschichte über die Liebe. 1961 ergattert sein junges Ich einen Job als Kleindarsteller im DEFA-Studio Babelsberg. Beim Dreh einer deutsch-französischen Koproduktion verliebt er sich Hals über Kopf in das Tanzdouble der Hauptdarstellerin, Milou. Nach einer Kulissenzerstörung wird Emil zum Gänsehirten degradiert und schließlich von Generaldirektor Beck ganz vom Studiogelände geworfen. Bei einem improvisierten Abendessen kommen sich Emil und Milou näher, doch der Mauerbau am nächsten Tag verhindert ein Wiedersehen, da Milou in Westberlin wohnt und nun nicht mehr über die Grenze darf – sie fliegt zurück nach Paris.
Berlin ist fortan im Ausnahmezustand. Panzer fahren auf, die Grenzsoldaten erhalten Schießbefehl und dem DEFA-Studio Babelsberg fehlen Hunderte Leute. Emil nutzt die Gunst der Stunde und erschummelt sich ein Büro als „Produktionsleiter“ unter dem Künstlernamen Karl Boborkmann. Mit Unterstützung seiner Freunde lockt „Regisseur Karl Boborkmann“ ein Jahr später den Weltstar Béatrice Morée – samt Tanzdouble Milou – mittels des Filmprojekts Kleopatra zurück in die DDR. Die Nachricht sickert schnell in den Westen durch und die Bild-Zeitung titelt: „Kleopatra-Kommunisten drehen Monumentalfilm in Babelsberg!“ SED-Funktionär Grothe ist hocherfreut über das „Prestigeprojekt des Sozialismus“ und sichert Emil, alias Karl Boborkmann, die volle Unterstützung der Partei zu. Trotz Sabotage durch die Handlanger von Generaldirektor Beck mogelt sich Emil beim Dreh durch – und kann am Ende sogar Milou für sich gewinnen. Auf der Glienicker Brücke fasst sie sich im letzten Moment ein Herz, läuft zurück in die DDR und auf eine Zukunft mit Emil zu. Jahre später reisen beide nach Paris aus.
Zentrale Figuren
Emil Hellwerk (Dennis Mojen), 24 Jahre alt und frisch entlassen aus der Nationalen Volksarmee (NVA) arbeitet als Kleindarsteller auf dem DEFA-Studiogelände und ist auf der Suche nach seinem Platz. In Hans-Guck-in-die-Luft-Manier denkt er wenig über die Konsequenzen seiner Handlungen nach. Seine politische Einstellung wird nicht ersichtlich, ein Patriot ist er jedoch nicht („Ich habe noch nie einen Soldaten gesehen, der seine Uniform mit weniger Stolz trägt als du“, Milou).
Milou (Emilia Schüle) ist das Tanzdouble der französischen Diva Béatrice Morée, träumt aber von einer Karriere auf den großen Bühnen. Als Schatten ihrer launischen Chefin und Verlobte des cholerischen Omar „verbiegt“ sie sich auf der Suche nach Anerkennung und Sicherheit, bis sie „fast zerbricht“ (Emil).
Gesellschaftsbild
Zusammenhalt und Solidarität zeichnen die Enklave Babelsberg aus. Um ein Projekt wie Kleopatra umsetzen, braucht es laut Maskenbildnerin Christa „Vertrauen, Herz und Leidenschaft!“ Traumfabrik zeigt „ein Kino der Handwerker, in dem Kunst aus dem gemeinsamen Tun entsteht“ (Bert Rebhandl, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Die Babelsberg-Angestellten sind deshalb weniger dem Künstlermilieu zuzuordnen, sondern eher dem traditionellen Arbeitermilieu. Beim kreativen Prozess wird jeder gebraucht, selbst ein farbenblinder Kameramann, und jeder trägt zum großen Ganzen bei (Michael Meyen, Medienerbe). Die „Unterschätzten und Verschmähten“ (Hanns-Georg Rodek, Welt) der Studiowelt gewähren sich gegenseitig Loyalität und Solidarität: Als Emil im Gefängnis landet und ein neuer Regisseur Kleopatra übernehmen soll, verlassen beinahe alle die Produktion. Der Aufstieg von unten ist Normalität. So übernimmt Emil selbstbewusst Drehbuch und Regie, ohne davon auch nur die geringste Ahnung zu haben. Das Projekt kann nur durch absolutes Vertrauen in seine Unterstützer und einen antiautoritären Führungsstil gelingen („Ich vertrau dir da blind!“). Mangelwirtschaft scheint es im Mikrokosmos Babelsberg nicht zu geben. Die exotischen Produktionsmittel jedenfalls sind offenbar problemlos zu beschaffen.
Jenseits des Studios sind die Straßen der DDR dunkel, leer und verregnet. In Babelsberg jedoch wird ausgelassen gefeiert, selbst mit den Russen – man weiß zwar um Kontrolleure und Beobachter, schert sich aber im Alltag nicht groß um sie (Michael Meyen, Medienerbe). Trotzdem wird die Macht von Partei und Staat auch in Traumfabrik deutlich. Die Studiohoheit liegt nicht bei Generaldirektor Beck, sondern beim SED-Zentralkomitee und beim Kulturministerium. Die Politik mischt sich in die „idyllische, exterritoriale Babelsberg-Welt“ ein (Daria Gordeeva, Medienerbe) und beansprucht auch beim Projekt Kleopatra die Führung: „Wir erwarten das Drehbuch morgen in der Hauptverwaltung!“ Sowohl Parteifunktionär Grothe als auch der stets hämisch mit Notizblock und Stift im Hintergrund wartende Stasi-Gehilfe wirken wie Karikaturen, niemand nimmt sie wirklich ernst. Auch Generaldirektor Becks Androhung, er werde Emil „das Leben zur Hölle machen“, verpufft.
Das Kompetenzgerangel zwischen Politik und Staat ist drollig und bietet Findigen wie Emil Möglichkeiten, das Chaos für sich auszunutzen (Michael Meyen, Medienerbe). Die Gier der SED-Funktionäre nach Weststars wie Béatrice Morée und die Konkurrenz mit dem Westen („Das Erdbeben! Die Effekte! Da werden die drüben staunen!“, Grothe) sichern Emil die Unterstützung der Partei. Um dem „Klassenfeind“ mit dem neuen Prestigeprojekt des Sozialismus zu zeigen, „dass wir hier keine Däumchen drehen“ (Grothe), werden alle Hebel in Bewegung gesetzt. Generaldirektor Beck ist derweil Beispiel für einen Aufsteiger im sozialistischen Establishment, der „vollstes Vertrauen in die Entscheidungen unserer Partei“ hat und Regisseur „Boborkmann“ als „erstklassiges Produkt der hiesigen Filmschaffendenausbildung“ bezeichnet. Der Stolz auf die Filmindustrie beschränkt sich aber nicht nur auf Funktionäre: Auch Alex berichtet leidenschaftlich vom Erfolg des DEFA-Studios: „Wir drehen gerade acht Filme gleichzeitig!“
Der Mauerbau verwandelt die DDR in ein Gefängnis. Die Abkapselung vom Rest der Welt gefährdet nicht nur die Liebe zwischen Emil und Milou, sondern auch Karrieren und Träume. Wie der Schmetterling in Emils Gefängniszelle passt auch Milou nicht wirklich in das „eingemauerte Land“, in dem statt Lebensfreude Polizeikontrollen und Gewalt an der Tagesordnung sind. Die mit Schlagstöcken auf Emil einprügelnden Polizisten, die Militärpräsenz sowie der Schießbefehl an der Grenze evozieren ein Gefühl von Bedrohung („Ich will weg, bevor hier ein Krieg ausbricht!“, Béatrice) und Unwägbarkeit. So lautet die Flugzeugdurchsage auf Milous Reise nach Frankreich: „Wir verlassen jetzt den Luftraum der DDR, Sie sind jetzt wieder in Sicherheit.“ Sicherheit und Freiheit sind Werte, die Emil Milou in der DDR nicht bieten kann, Omar in Paris allerdings durchaus: „Du hast ihr nichts zu bieten in diesem eingemauerten Land!“ Und obwohl Milou eine Stelle als Primaballerina beim Fernsehballett und Emil den Kunstpreis für Kleopatraerhält, bleiben sie nicht in der DDR: Nach fünf Jahren Berufsverbot reisen sie aus, in die „Freiheit“, nach Paris.
Ästhetik und Gestaltung
Bei Traumfabrik handelt es sich um einen bewusst stilisierten Film vor dem fotogenen Hintergrund der 1960er Jahre, dessen visuelle Verspieltheit bereits ganz zu Beginn offenbar wird, als sich eine Panoramaaufnahme der DEFA-Studios als Hintergrundgemälde herausstellt. Die Kamerafahrten spiegeln die Dynamik der Filmschaffenden (Kamera: Martin Schlecht, Schnitt: Tobias Haas). Die Farben, das gleißende Licht sowie die pompöse Musik (Philipp Noll) passen zu den großen Gefühlen der Protagonisten und der überhöhten Geschichte. Der Film hat laut Philipp Schwarz (Spiegel Online) viele Merkmale des opulenten Unterhaltungskinos Hollywoodscher Prägung: große Schauspielgesten, empathische Emotionalität, feierliches Umherschweifen durch ständige Kranfahrten, ästhetisierte Lichtgestaltung, und das alles im breiten Cinemascope-Format. Im Gegensatz zur farbenprächtigen und fantasievollen Welt des DEFA-Studios werden die DDR-Straßen dunkel, leer und verregnet dargestellt. In der Außenwelt trotzt lediglich Milous rotes Kleid den grau-grünen Grenzsoldaten. Der Farbreigen erklärt sich auch dadurch, dass der Film die DDR durch die Augen des kleinen Jungen zeigt, dem in der Rahmenhandlung ein verklärtes Märchen erzählt wird.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Durch den Dreh am Originalschauplatz Babelsberg, die zeitgenössischen Autos und Kleider sowie die Wahl des Künstlernamens „Boborkmann“ (sowohl basierend auf dem Kräuterlikör Borgmann als auch angelehnt an DEFA-Kameramann Eberhard Borkmann) wirkt Traumfabrik oberflächlich authentisch. Der Film bemüht sich darüber hinaus eher wenig um Authentizität, die Realität sei laut Drehbuchautor Arend Remmers zwar Inspiration und Background gewesen, sollte jedoch bewusst nicht eins zu eins abgebildet werden und auch nicht Dreh- und Angelpunkt der Geschichte sein. „Wir wollten uns absetzen von dem, was man kennt. So etwas wie Good Bye, Lenin! und Filme über den Mauerbau auf eine realistische Art hat man in Deutschland schon oft gesehen. Wir wollten etwas Fantastisches“ (Podcast Stichwort Drehbuch). Sinn und Zweck der Rahmenhandlung sei, das Märchenhafte des Films über Bilder zu erklären, die im Kopf eines kleinen Jungen entstehen. Zudem ist die Handlung letztlich eine Geschichte aus der (vermutlich) nostalgisch verklärten Sicht des Großvaters. Als der Junge den Wahrheitsgehalt der Geschichte infrage stellt („Aber das stimmt doch alles gar nicht!“), antwortet dieser deshalb augenzwinkernd: „Vielleicht, vielleicht auch nicht.“
Trotzdem sei der Studioalltag laut Produzent Tom Zickler realitätsnah abgebildet worden: „So war das damals eben. Parallel fanden 15 Produktionen statt. In der Kantine des Komparsen-Gebäudes tranken KZ-Häftlinge mit römischen Soldaten und Bauarbeitern Kaffee“ (Arrimedia). Medienforscher Michael Meyen bestätigt den realen Hintergrund des Kompetenzgerangels zwischen SED und Staat, das man wie Emil für eigene Zwecke ausnutzen konnte: „So mächtig dieser Heiner Lauterbach als DEFA-Boss auch sein mag, irgendwo sitzt jemand, der noch mächtiger ist und der vor allem Angst hat, in der Westpresse negativ aufzufallen“ (Medienerbe). Hanns-Georg Rodek (Welt) beschreibt darüber hinaus, weshalb die Ausgangssituation von Traumfabrik nicht aus der Luft gegriffen sei. Es habe viele Koproduktionen der DEFA mit dem kapitalistischen Ausland gegeben: Till Eulenspiegel (1957), Die Elenden (1958), Die Hexen von Salem (1957), Les Misérables (1958), Dreigroschenoper (1963). Die DEFA habe in diese Koproduktionen viele Devisen gesteckt (Frank Arnold, EPD Film). Außerdem sei es nicht abwegig, dass die DDR mit dem Westen in puncto Filmproduktionen hätte gleichziehen können, da die US-Alliierten wegen Hollywood nie einen zentralen Filmstandort in Westdeutschland entstehen ließen. Allerdings habe „die Starhörigkeit der Nomenklatura“ in der DDR-Realität ihre Grenzen gehabt: „Die Koproduktionen der DEFA mit französischen Firmen wurden stets von ideologischem Grummeln seitens der Funktionäre begleitet. Das Franzosenkapitel war 1961 bereits abgeschlossen – und nach dem Mauerbau hätte sich sowieso kein Star aus dem Westen mehr nach Babelsberg begeben“ (Hanns-Georg Rodek, Welt).
Rezeption
Reichweite
Am 4. Juli 2019 kam Traumfabrik in die deutschen und am darauffolgenden Tag in die österreichischen Kinos. Der Erfolg an den Kinokassen fiel eher mäßig aus, in Deutschland wurden 129.496 Tickets in 429 Kinos abgegeben (Inside Kino). Darüber hinaus konnte Traumfabrik in mehr als 30 Länder verkauft werden (Blickpunkt:Film). Der Film ist als DVD und Streaming-Angebot erhältlich. Das Soundtrack-Album von Universal Music ist seit Juli 2019 bei Amazon und als Audio-CD erwerbbar.
Rezensionen
Die meisten Feuilletonisten bewerteten den Film eher negativ. Emils Liebeserklärung an Milou („Dass du wunderschön bist, ist für mich eine reine Nebensächlichkeit.“) könnte sich glatt auf die vorherrschende Kritikermeinung zu Traumfabrik übertragen lassen. Eher selten wird der Film als „schön, bunt und voller romantischer Momente“ (Daria Gordeeva, Medienerbe), „warmherzig“ (Sidney Schering, Quotenmeter) und „eine große cineastische Freude“ (Martin Schwickert, Augsburger Allgemeine) mit „viel Liebe zum Detail“ (Björn Schneider, Spielfilm.de) bezeichnet. Stattdessen titulieren ihn die Kritiker als „melodramatisch“ (Fritz Göttler, Süddeutsche Zeitung), „Schmachtfetzen“ (Janick Nolting, Radio Mephisto) und „überzuckert“ (Diemuth Schmidt, Weser Kurier). Die Naivität der Erzählung erinnere an das biedere Wirtschaftswunderkino der 1950er Jahre (Cinema). Und insbesondere die Rahmenhandlung mit Großvater und Enkel sei „schwer erträglich, weil über Gebühr kitschig“ (Bert Rebhandl, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Vereinzelt wird die Kritik abgeschwächt, indem der „große deutsche Liebesfilm ohne Angst vor Kitsch“ (Diemuth Schmidt, Weser Kurier) für seinen Mut zu großen Gefühlen gelobt wird.
Dass der Film Liebe zum Kino vermitteln und eine Hommage an die DEFA-Zeit in Babelsberg darstellen soll, sahen die Kritiker größtenteils nicht. Laut Philipp Schwarz (Spiegel Online) bleibe die Wirkungsmacht des Kinos bloß „eine leere Geste“, das Kino selbst sei „ein zu strategischen Zwecken hervorgezerrtes Stück Staffage“. Die „Filmpleite“ versuche, Hollywood nachzueifern, ohne es zu verstehen, wobei jeder Funke an Eigenständigkeit ausgelöscht würde. Martin Schreier habe mit seinem „versuchten Hollywood-Kompromiss“ wohl „nichts weniger als ein deutsches Titanic“ im Sinn gehabt und dabei versucht, die historische Faktizität durch Romantik aufzuheben (Bert Rebhandl, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Laut Hanns-Georg Rodek (Welt) hätte der Stoff dabei durchaus „Zeug für eine Satire über die Realitäten des Filmemachens in einem ideologiesteuerten Staat“ in sich getragen – das sei aber nicht der Zweck der Übung gewesen und durch „historische Fantasy“ ersetzt worden. Auch Björn Schneider (Spielfilm.de) wünschte sich mehr Biss, Vehemenz und Ironie bei der Darstellung der Eigenheiten des DDR-Filmbetriebs – der Film sei „zu harmlos, pathetisch und gefällig“. Für Ingrid Beerbaum (Kunst und Film) laviert er „unentschlossen zwischen einem sentimentalen Melodram und einer schlitzohrigen Film-im-Film-Komödie“. Und Janick Nolting (Radio Mephisto) fand Traumfabrik mit seiner „sterilen Werbeclipästhetik“ schlicht „filmhistorisch erschreckend wertlos“, da jegliche „politischen Untertöne über die Zensur des Kinos und die völlige politische Durchdringung der Filmbranche im Keim erstickt“ würden. Man solle „das Hirn vorher besser an der Kinokasse abgeben“.
Einige wenige Kritiker erkennen an, dass Traumfabrik „die Ansprüche des Realismus gezielt über Bord wirft“ und man von einer Romanze keine akkurate Wiedergabe geschichtlicher Ereignisse erwarten dürfe: „Hanebüchen ist die Story – und das darf sie auch sein“ (Martin, Schwickert, Augsburger Allgemeine). Der Film befinde sich durch den zeithistorischen Kontext in einem „Dilemma, weil nicht ernsthaft von der DDR die Rede sein darf, die eben nicht nur komisch war, sondern auch todernst“ (Bert Rebhandl, Frankfurter Allgemeine Zeitung). Laut Sidney Schering (Quotenmeter) seien viele Vorwürfe darauf zurückzuführen, dass sich Traumfabrik erdreiste, „die deutsch-deutsche Trennung inhaltlich anzureißen, sie aber nicht mit ausreichender Schwere zu behandeln“. Schering vergleicht Traumfabrik mit dem Kritikerliebling Grand Budapest Hotel (2014) – ein Film mit ähnlichem Plot, bei dem historische Referenzen auf dunkle Geschichtskapitel ebenfalls als atmosphärisches Beiwerk dienen. Der Unterschied sei, dass Schreier und Remmers Vorschusslorbeeren fehlten. Für Schering ist Traumfabrik eine willkommene Abwechslung zu den „ewig gleichen Bildern von der Ost-West-Trennung, die uns das deutsche Historienkino sowieso alle paar Monate auftischt“.
Erinnerungsdiskurs
Laut Bert Rebhandl (Frankfurter Allgemeine Zeitung) wechselt die DDR in Traumfabrik im Jahr 1961 das Genre, sie wird lächerlich, weil sie sich einmauert. Damit beziehe der Film, wie so viele andere davor, klar Stellung zu dem Moment, in dem die DDR aufhörte, ein Staat zu sein, „um stattdessen als komische Veranstaltung weiterzumachen“. In der Art, wie die SED-Funktionäre unverhohlen nach West-Stars und Anerkennung vom Klassenfeind gieren, werde die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit deutlich. Und ironischerweise reklamiert ein volkseigener Betrieb das Etikett „Studio für Spielfilme“ für sich – wo doch dem Filmemachen ein tiefkapitalistisches Konzept zugrunde liegt (Welt).
Durch Milous Dilemma, ihrem Schwanken „zwischen zwei Männern, zwei Lebensmodellen, zwei Zukunftsaussichten“ (Daria Gordeeva, Medienerbe), wird außerdem die Diskrepanz zwischen der „freien“ westlichen Welt und dem „eingemauerten Land“ deutlich. In Paris wäre sie von einer launischen Chefin und einem cholerischen Mann abhängig und hätte keine Zukunftsaussichten, obwohl sie sich die Füße wundtanzt. In der DDR dagegen ist sie von Stacheldraht umgeben. Dabei verspricht dieses Leben auch etwas, das ihr das kapitalistische System nicht bieten kann: die Chance, alles zu werden, was sie sich erträumt. Laut Michael Meyen (Medienerbe) könnte dieses neue Narrativ, nämlich die Zerrissenheit zwischen Ost und West, ein neues Spiel auf dem Kampfplatz der Erinnerungen eröffnen (Sabrow 2009: 16). Der Film wirkt dem Aussterben des Fortschrittsgedächtnisses (Michael Meyen, Medienerbe; nach Sabrow 2009: 16-20) insofern entgegen, als dass Milou sich letztendlich für die „Unfreiheit“ des DDR-Staates entscheidet: „Milous Augen werden riesig sein und strahlen, wenn sie in den Osten zurückläuft. Man kennt dieses Bild, aber nur für die andere Laufrichtung.“ Dass auch im DDR-„Unrechtsstaat“ gelacht wurde, getanzt und geliebt – das vermittelt der Film. Obwohl die Geschichte ein Märchen ist, erzählt von einem alten Mann in einer geschichtslosen Landschaft (Heidi Strobel, Filmdienst): Die junge Generation weiß nichts mehr von der DDR.
Empfehlung
Empfehlung der Autorin
Ein in jeder Hinsicht liebevoll gezeichneter Wohlfühl-Film für Romantiker. Ebenso wie die SED-Funktionäre mit Kleopatra verbissen beweisen möchten, dass DEFA-Filme westlichen Produktionen in nichts nachstehen, scheint das Traumfabrik-Team durch pure Opulenz und dramatische Emotionalität angestrengt Hollywood-Standards nachzueifern. Wer Realismus erwartet (sowohl in der Darstellung der einzig wahren Liebe als auch der DDR), ist hier fehl am Platz. Dennoch erfrischend, im deutschen Film einen Fokus auf Zusammenhalt, Enthusiasmus und Schönheit in der DDR (statt auf Stasi-Repression) zu sehen!
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