Mrs. Ratcliffe’s Revolution
Inhalt
- Kurzinformationen
- Filmdaten
- Kurzbeschreibung
- Schlagworte
- Entstehungskontext
- Beteiligte
- Filminhalt
- Handlung
- Figuren
- Gesellschaftsbild
- Ästhetik und Gestaltung
- Strategien der Authentizitätskonstruktion
- Rezeption
- Reichweite
- Rezensionen
- Auszeichnungen
- Wissenschaftliche Aufarbeitung
- Einordnung in den Erinnerungsdiskurs
-
Empfehlung der Autorin
- Literatur
Entstehungskontext
Beteiligte
Bille Eltringham (Jahrgang 1967) ist eine britische Regisseurin für Film und Fernsehen. Sie studierte an der Bournemouth Film School und beendete ihr dortiges Studium mit dem Kurzfilm Lune (1993) über eine Liebesgeschichte zwischen einem Mädchen und einer älteren Frau. Nach dem Studium arbeitete sie für die BBC und produzierte mehrere Kurzfilme und Fernsehdramen. Mrs. Ratcliffe’s Revolution ist ihr erster und bisher einziger Film über die DDR. Einen persönlichen Bezug zur DDR hat Bille Eltringham nicht.
Das Drehbuch für Mrs. Ratcliffe’s Revolution stammt von dem britischen Autorenehepaar Bridget O’Connor (Jahrgang 1961) und Peter Straughan (Jahrgang 1968). Bekannt sind sie insbesondere für das Drehbuch der mehrfach ausgezeichneten Romanverfilmung von Dame, König, As, Spion (2011). Wie auch Regisseurin Bille Eltringham, haben weder Bridget O’Connor noch Peter Straughan eine Verbindung zur DDR. Die Idee für den Film wurde von Maggie Norris, der jüngsten Tochter, auf deren Geschichte der Film basiert, an Peter Straughan herangetragen und mit ihr zusammen ausgearbeitet (The Guardian).
Hugo Heppell ist ein erfolgreicher Filmproduzent. Er wirkte bei der Produktion zahlreicher Filme, Dokumentationen und Serien wie beispielsweise dem Spielfilm Wer wir sind und wer wir waren (2019) oder der Netflix-Serie Peaky Blinders (2013) mit.
Im Abspann des Films werden folgende Institutionen als Förderer und Unterstützer genannt:
· Bank of Ireland
· Screen Yorkshire Production Fund
· Media Programme of The European Community
· UK Film Council’s Development Fund
· Media Plus Programme of the European Community
· UK Film Council’s New Cinema Fund
Die Höhe der einzelnen Fördersummen ist nicht bekannt.
Seit den 3. September 2008 ist der Film auf DVD erhältlich (Cinema). Das Bonusmaterial der DVD enthält Ausschnitte aus dem Produktionsprozess, nicht verwendete Szenen, Outtakes und den Originaltrailer.
Filminhalt
Handlung
Achtung: Der folgende Text enthält Details, die Ihnen die Spannung am beschriebenen Film verderben könnten!
Handlung
Bingley, 1968: Als dem britischen Familienvater und überzeugten Kommunisten Frank Ratcliffe eine Stelle als Oberschullehrer in der DDR angeboten wird, wandert er mit seiner Frau Dorothy, ihren beiden Töchtern Alex und Mary sowie Dorothys Bruder Philipp kurzerhand in den fiktiven Ort Asche nahe der deutsch-deutschen Grenze aus. Während Frank und Mary zunächst voller Begeisterung über den Umzug und das neue Leben in einem sozialistischen Land sind und sich schnell integrieren, tun sich Dorothy und Alex schwer mit der Umstellung.
Vor allem Dorothy, die sich bis dahin in ihre Rolle als Hausfrau und Mutter gefügt hat, kommen Zweifel in Bezug auf sich selbst und das neue Leben ihrer Familie in der DDR. Nachdem sie in einer Kurzschlusshandlung dem Sohn des Oberschuldirektors zur Flucht verhilft, spitzt sich die Lage immer weiter zu. Nachbarn werden verhaftet, Philipp wird von der Polizei zu einem Verhör mitgenommen und überall scheinen Spitzel zu lauern. Als Dorothy herausfindet, dass ihre Wohnung verwanzt wurde, bringt das das Fass zum Überlaufen und sie beschließt, mit ihrer Familie zu fliehen.
Zentrale Figuren
Dorothy Ratcliffe (Catherine Tate) – Mutter und Hausfrau, wirkt wenig überzeugt hinsichtlich des Umzugs, will ihrem Mann aber eine Freude machen und willigt ein. Unzufrieden mit dem neuen Leben in der DDR, plant sie die Flucht ihrer Familie in den Westen und wächst dabei über sich selbst hinaus.
Frank Ratcliffe (Iain Glen) – Lehrer für englische Literatur und ein überzeugter Kommunist. Seine anfängliche Begeisterung für den Umzug in die DDR weicht nach einer Weile der Ernüchterung im Angesicht der Realität.
Alex Ratcliffe (Brittany Ashworth) – künstlerisch begabt, steht der DDR und dem Umzug von Beginn an ablehnend gegenüber. Ihre Haltung zeigt sie auch in Asche weiterhin deutlich, indem sie Westmedien konsumiert und sich weigert, sich in das neue Umfeld einzufügen.
Mary Ratcliffe (Jessica Barden) – teilt die politischen Überzeugungen ihres Vaters und integriert sich schnell in das neue Leben in der DDR. Auf Drängen von Frau Unger beginnt sie, ihre Familie auf unsozialistisches Verhalten zu beobachten.
Ingrid Unger (Heike Makatsch) – behauptet, für das internationale Freundschaftskomitee zu arbeiten, ist in Wirklichkeit jedoch eine Mitarbeiterin der Staatssicherheit. Sie hilft der Familie Ratcliffe bei der Integration in das Leben in Asche und nähert sich dabei vor allem Frank und Mary.
Gesellschaftsbild
In Mrs. Ratcliffe’s Revolution wird ein negatives Bild der DDR gezeichnet, das sich sowohl im individuellen Umgang der Menschen miteinander als auch in der Darstellung der staatlichen Organe spiegelt.
Hinter der sozialistischen Fassade des Landes zeigt sich im gesellschaftlichen Zusammenleben recht wenig vom sozialistischen Geist: Wie auch überall sonst, sind die Menschen der DDR auf den eigenen Vorteil bedacht und im Herzen kapitalistisch geblieben. Dies zeigt sich etwa am Beispiel der Nachbarin Anna Koplik, die zwar durchaus bereit ist, den Ratcliffes zu helfen, dies aber stets nur im Gegenzug für eine finanzielle Vergütung tut – in Deutscher Mark, nicht in Ostmark, wie sie dabei betont.
Staatliche Institutionen wie beispielsweise die Schule und die Staatssicherheit dienen allen voran der Kontrolle. Im Falle der Schule von Alex geht es hierbei um die Unterdrückung von Individualität und persönlicher Freiheit. Alex‘ Versuche, sich nicht dem vorgegebenen Konformitätssinn zu beugen, beispielsweise indem sie im Klassenzimmer laut Westmusik hört, werden als Abweichung von der Norm bestraft. „Widerstand ist hier ein Verbrechen“, mahnt der Direktor von Alex‘ Schule im Gespräch mit ihren Eltern.
Die Staatssicherheit hingegen tritt als Repräsentant für Spionage und staatliche Willkür auf. Sie verwanzt Wohnungen, führt scheinbar ungerechtfertigte Verhöre durch, verhaftet friedliebende Nachbarn und stachelt zum gegenseitigen Bespitzeln innerhalb des sozialen Umfelds an.
Darüber hinaus wird in Mrs. Ratcliffe’s Revolution der Eindruck vermittelt, dass niemand ernsthaft in der DDR leben möchte. Neben Otto, dem Sohn des Oberschuldirektors, will zu aller Ironie ausgerechnet ein Mitarbeiter der Staatssicherheit unbedingt in den Westen fliehen, weil er es in der DDR schlicht nicht länger aushält. Er versucht dabei Dorothy zu erpressen, damit sie ihm bei seinem Fluchtvorhaben hilft.
All diese Aspekte wirken im Film allerdings weniger düster. Stattdessen liegt der Fokus hier viel eher auf der Ironie bis hin zu Absurdität einzelner Situationen. Somit ist klar, dass es sich nicht um eine möglichst realitätsnahe Darstellung des Lebens in der DDR handelt, sondern viel eher um eine komödiantische Übertreibung.
Ästhetik und Gestaltung
Ebenso klischeehaft wie das Gesellschaftsbild der DDR ist auch die ästhetische Gestaltung. Zu Beginn des Films zeigt Vater Frank seiner Familie eine Art „Vorstellungsfilm“ über die DDR, damit sie sich einen Eindruck von ihrer neuen Heimat machen kann. Begleitet von deutschem Chorgesang werden im Film vor allem Bilder von zahlreichen Statuen und grauen Plattenbauten gezeigt. In der DDR angekommen, zieht sich diese Darstellung weiter. Das Haus, in dem sich die neue Wohnung der Ratcliffes befindet, ist düster und heruntergekommen, auf dem Dorfplatz von Asche steht eine mahnende Leninstatue und in den Klassenzimmern der Schule hängen Bilder von Marx, Lenin und Engels.
Trotz allem wirkt die DDR in Mrs. Ratcliffe’s Revolution nicht unbedingt trostlos, sondern – auch hier wohl zugunsten des Genres – farbenfroher und schnelllebiger als in manch anderem Film.
Die musikalische Untermalung ist meist weitgehend unauffällig und dient der Unterstützung der szenischen Atmosphäre. In einigen Szenen werden jedoch bewusst einzelne Lieder – passend zum Genre der Komödie – auf ironische Weise eingesetzt. Während einer Fluchtszene wird so beispielsweise die DDR-Hymne unterlegt und in einer Szene gegen Ende des Films, in der Mary während einer Feier zu Ehren eines Besuchs von Walter Ulbricht aus dem Stadion rennt, läuft im Hintergrund das Lied Keep on Running von The Spencer Davis Group. Gleichzeitig zu Marys Sprint bereiten Dorothy und Alex die bevorstehende Flucht vor, die Familie ist sozusagen bereits „on the run“, wodurch das Lied doppelt an Bedeutung gewinnt.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Die Komödie beruht auf der wahren Geschichte der englischen Familie Norris, die in die DDR auswanderte und diese kurz darauf per Flucht wieder verließ. Gleich zu Beginn des Films wird dies mit dem Schriftzug „Based on a true story“ unter dem Titel verdeutlicht. Im weiteren Filmverlauf tauchen historische Zeitbezüge, wie beispielsweise der Prager Frühling, auf und es werden teilweise authentische Requisiten, wie etwa ein Wartburg des Oberschuldirektors verwendet. Die Auswahl der Schauspieler ist ebenfalls zu großen Teilen authentisch. Die Darsteller der Familie Ratcliffe sind bis auf den Schotten Iain Glen allesamt Engländer und Katharina Thalbach und Alexander Scheer sind beide aus Ost-Berlin, lediglich Heike Makatsch stammt auf Seiten der deutschen Schauspieler nicht aus der ehemaligen DDR.
Darüber hinaus entsteht jedoch nicht der Eindruck, dass bei der Produktion besonderer Wert auf Authentizität gelegt wurde. Gedreht wurde der Film nicht an Originalschauplätzen im ehemaligen DDR-Gebiet, sondern in Budapest, und einige Anfangsszenen wurden in England aufgenommen. Am Ende des Abspanns wird zudem darauf hingewiesen, dass der Film zwar auf einer wahren Geschichte beruht, alle dargestellten Personen und Ereignisse jedoch fiktionalisiert wurden.
Rezeption
Reichweite
Mrs. Ratcliffe’s Revolution feierte seine Premiere am 7. Juli 2007 auf dem Cambridge Film Festival und war ab dem 28. September 2007 in insgesamt 49 Kinos im Vereinigten Königreich zu sehen. Darüber hinaus lief der Film in Kinos in Belgien, Griechenland, Ungarn, Neuseeland, Südafrika und Taiwan auf den Kinoleinwänden. In Großbritannien spielte der Film an den Kinokassen rund 67.000 US-Dollar ein, weltweit waren es etwa 178.000 US-Dollar, womit der Film sowohl in seinem Produktionsland aus als auch international eher erfolglos blieb (Box Office Mojo).
In Deutschland schaffte es der Mrs. Ratcliffe’s Revolution nicht auf die Kinoleinwand, lief aber seit 2014 wiederholt im Nachmittags- bis Spätabendprogramm auf Tele5.
Auf DVD ist der Film seit dem 3. September 2008 erhältlich (Cinema).
Rezensionen
Da Mrs. Ratcliffe’s Revolution nicht in den deutschen Kinos zu sehen war, blieb der Film auch von Seiten der deutschen Leitmedien unbeachtet. Auch in den britischen Medien erfuhr die Produktion nur wenig Aufmerksamkeit. Zwar gibt es einen längeren Artikel von The Guardian, dieser konzentriert sich allerdings mehr auf die wahre Geschichte der Familie Norris hinter dem Film und die Schauspielleistung der in Großbritannien gefeierten Komikerin Catherine Tate in ihrer Rolle als Dorothy Ratcliffe.
In kürzeren Rezensionen des Magazins Empire und von der BBC wird der Film trotz einiger Schwächen als überwiegend positiv aufgefasst. Stella Papamichael von der BBC schreibt beispielsweise, dass es dem Film an Fokus mangele, er insgesamt jedoch erfreulich anarchisch sei. In der Rezension von Helen O’Hara für Empire wird darüber hinaus insbesondere die gelungene Gratwanderung zwischen einer humoristischen Darstellung der DDR, ohne dabei die dunkle Seite des SED-Regimes und deren Opfer ins Lächerliche zu ziehen, gelobt.
Auszeichnungen
Mrs. Ratcliffe’s Revolution gewann den Publikumspreis beim Internationalen Filmwochenende in Würzburg 2008.
Wissenschaftliche Aufarbeitung
In einem Paper von Margaret Montgomerie und Anne-Kathrin Reck (2011) wird die Darstellung der DDR in Mrs. Ratcliffe’s Revolution untersucht und mit der Darstellung in Das Leben der Anderen (2006) und Good bye, Lenin! (2003) verglichen.
Erinnerungsdiskurs
Mrs. Ratcliffe’s Revolution lässt sich mit seinem Fokus auf Motiven wie Flucht, Spionage und Stasi am ehesten in den Typus des Diktaturgedächtnisses einordnen (Sabrow 2009). Trotz der grundsätzlich negativen Darstellung der DDR und obwohl die Handlung auf der tatsächlichen Geschichte der Familie Norris basiert, wirkt der Film jedoch nicht wie Abrechnung mit der realen DDR. Viel eher erhält man als Zuschauer*in den Eindruck, dass die Beteiligten vor allem die – Maggie Norris‘ eigenen Worten nach – „bizarre“ Erfahrung der Familie auf humoristische Weise für die Kinoleinwand erzählen wollten (The Guardian). Durch die komödiantisch-überspitzte Darstellung des Lebens in der DDR wird deutlich, dass es sich hierbei nicht um eine authentische Abbildung der DDR handelt.
Empfehlung
Empfehlung der Autorin
Für Kenner und Fans von Catherine Tate eignet sich Mrs. Ratcliffe’s Revolution sicher als leichte Abendunterhaltung, für alle anderen dürfte er eher eine Enttäuschung darstellen. Spannung und Humor sind bis auf einige absurde Szenen mit Situationskomik eher Mangelware. Wer Ostalgie möchte, ist mit Good bye, Lenin! (2003) oder Sonnenallee (1999) besser bedient.
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