Charité

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Charité
Erscheinungsjahr
2021
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
300 Minuten

Kurzbeschreibung

Die dritte Staffel der Krankenhausserie Charité befasst sich mit den Ereignissen rund um den Mauerbau im August 1961, der das Berliner Krankenhaus zum unmittelbaren Grenzgebiet macht. Weil der „goldene Westen“ lockt, haben die Ärzte nicht nur mit den Widrigkeiten der Planwirtschaft zu kämpfen, sondern auch mit massivem Personalmangel. Von der Politik weitgehend unbehelligt setzen drei Koryphäen der Medizin – der Gerichtsmediziner Otto Prokop, die Kinderärztin Inge Rapoport und der Gynäkologe Helmut Kraatz – Meilensteine auf ihren Fachgebieten. Durch die Handlung führt die fiktive Internistin Ella Wendt.

Schlagworte

Zeit
Schauplatz
Genre
Ereignisse

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Christine Hartmann, 1968 in Landshut geboren, studierte Theaterwissenschaft und ist eine feste Größe in der deutschen TV-Landschaft. Besonders bewandert ist sie im Krimigenre (Tatort, Polizeiruf 110). Auch einige erfolgreiche (Tragi-)Komödien entstanden unter ihrer Regie: Hanni & Nanni (2010), Frisch gepresst (2012), Club der einsamen Herzen (2019). Auch mit historischen Stoffen kennt sie sich aus: 2014 erschien ihr Biopic Elly Beinhorn – Alleinflug. 2021 widmet sie sich dem Thema Ost-West erneut in Form einer Miniserie über Sigmund Jähn, den ersten Deutschen im Orbit, und seinen Westkollegen Ulf Merbold (Abendzeitung). Zu den Dreharbeiten für die dritte Charité-Staffel sagte sie, es sei ihr ein großes Anliegen gewesen, die Geschichte nicht mit einem arroganten Blick und dem Wissen von heute zu erzählen, sondern „der damaligen Zeit und ihren Menschen gerecht zu werden“ (ARD). Durch die Figur von Dr. Ingeborg Rapoport habe sie beispielsweise versucht, dem Sozialismus näherzukommen und seine Grundgedanken zu erklären: „Warum gab es denn damals auch Anhänger dieser Idee? Dieses Miteinander, dieses Gemeinsame beim Staatsaufbau. Andererseits versuche ich natürlich auch, das unter sehr kritischen Aspekten zu sehen. Es ist eine Gratwanderung.“ (Abendzeitung) Den lebenden Zeitzeugen gegenüber empfand sie außerdem „eine große Verantwortung“: „Ich wollte nicht werten oder die Figuren vorführen, das steht mir nicht zu.“ (Blickpunkt:Film)

Drehbuch

Die Drehbücher zu den ersten beiden Folgen stammen von Stefan Dähnert, 1961 in Bonn geboren und hauptsächlich im Krimigenre zu Hause. Regine Bielefeldt (geboren 1974 in Geilenkirchen) schrieb die Skripte für die Folgen 3 und 4. Mit Aenne Burda – Die Wirtschaftswunderfrau hat sie ihr Talent für Biopics bereits 2018 unter Beweis gestellt. Die Bücher der letzten beiden Folgen stammen aus der Feder von John-Hendrik Karsten, 1987 in Hamburg geboren und vorwiegend auf Krimis und Thriller spezialisiert. Die Konzeption der Drehbücher verantworteten die erfahrene TV-Autorin Christine Otto, die promovierte Medizinerin und Medizinjournalistin Sabine Thor-Wiedemann und Jakob Hein, ehemaliger Oberarzt in der Charité für Psychiatrie und Psychotherapie.

Produktion

Die dritte Staffel der Serie Charité ist eine Produktion der UFA Fiction, in Co-Produktion mit Mia Film, im Auftrag der ARD und ARD Degeto mit dem federführenden MDR. Die Redaktion übernahmen Jana Brandt und Johanna Kraus (beide MDR), Produzenten waren Benjamin Benedict, Markus Brunnemann und Henriette Lippold. Jana Brandt wurde als Tochter des DEFA-Regisseurs Horst E. Brandt 1965 in Potsdam-Babelsberg geboren und begann ihre berufliche Karriere beim Fernsehen der DDR. Sie zeichnet auch für die Erfolgsserie Weißensee (2010-2018) und viele Fernseh- und Kinofilme mit DDR-Bezug verantwortlich: Die Stille nach dem Schuss (2000), Die Frau vom Checkpoint Charlie (2008), Jenseits der Mauer (2009), Bornholmer Straße (2014), Kruso (2018) und In den Gängen (2018). An der Serie Charité hat ihr besonders die stets weibliche Erzählperspektive gefallen: „Wir zeigen Medizinerinnen in der jungen DDR, die selbstbewusst alte Zöpfe abschneiden und in Forschung wie Heilung neue Wege gehen“ (ARD). Auch Benjamin Benedict (UFA Fiction) und Johanna Kraus (MDR) betonen diesen „emanzipierten Blick“ (ARD) auf die Rolle der Frauen in der Medizin.

Finanzierung

Charité, Staffel 3, wurde gefördert vom tschechischen Staatsfonds der Kinematographie, der allgemein mindestens 20 Prozent der in Tschechien anfallenden Herstellungskosten an die Filmemacher zurückzahlt (Süddeutsche Zeitung). Freundliche Unterstützung gewährte außerdem die Charité – Universitätsmedizin Berlin. Fördersummen und das Budget wurden nicht veröffentlicht.

Werbung

Die ARD betrieb umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit während der Produktion: Zunächst wurde der Drehstart der dritten Staffel in einer Pressemitteilung angekündigt. Während der Dreharbeiten beantworteten die Programmverantwortlichen von ARD und MRD, die Redakteurinnen, Produzenten und Schauspieler im Rahmen eines Pressetermins am Set die Fragen der Medien, die daraufhin zahlreiche Artikel zum Fortschritt der Produktion veröffentlichten (zum Beispiel: RP Online, Bild). Ebenfalls beim Pressetermin anwesend waren Heyo K. Kroemer, Vorstandsvorsitzender der Charité, und Thomas Schnalke, Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums. Die Charité – Universitätsmedizin Berlin warb nicht nur auf ihrer Website und auf Facebook für die neue Staffel, sondern veröffentlichte auch eine umfangreiche Broschüre mit Informationen über die Hauptcharaktere und ihre historischen Vorbilder, den historischen Kontext („Berlin als Vier-Sektoren-Stadt“) und die kommende Prokop-Ausstellung „Sezierte Wahrheiten“ inklusive einer Umgebungskarte von 1961 und einem Interview mit Thomas Schnalke. Die neue Staffel diente außerdem als Impulsgeber für zwei Dokumentationen: „Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg“ und „Der Tod war sein Leben: DDR-Gerichtsmediziner Otto Prokop“. Dafür wurde unter anderem im MDR-Pod-
cast „Die Spur der Täter“ geworben. Das Zusatzmaterial in der ARD-Mediathek reicht darüber hinaus von einem Making-of über vier Extras (Die Darsteller über ihre Rollen, Über die dritte Staffel, Die visuelle Umsetzung, Charité-Alltag 1961) bis zu einer eigenen Landingpage zur Serie, einem sogenannten
Webspecial. Zum Auftakt der Staffel wurde dann wieder eine Pressemitteilung veröffentlicht: „Mehr als drei Millionen sahen die neuen Folgen schon online first!“ ARD-Programmdirektor Volker Herres freut sich dort, „dass die Charité ihre große Strahlkraft erneut entfaltet“, und MDR-Fernsehfilmchefin Jana Brandt bejubelt den „großartigen Erfolg der Charité“. Zum Bekanntheitsgrad der Serie trägt sicherlich auch bei, dass sich Netflix die Rechte an den ersten beiden Staffeln gesichert hat.

Filminhalt

Handlung

Achtung: Der Text enthält Details, die die Spannung verringern könnten.

Folge 1: Eiserne Lunge

Im August 1961 wird die Internistin Ella Wendt „zur Aufrechterhaltung der medizinischen Grundversorgung“ von Senftenberg an die Charité beordert. Sie hofft, ihre Forschung zur Krebsfrüherkennung anhand von Blutgruppenmerkmalen bei Otto Prokop vorantreiben zu können. Allerdings bleibt dafür nicht viel Zeit, weil die Klinik durch den Weggang vieler Ärzte gen Westen an ihre Kapazitätsgrenzen stößt. Ella lernt den Chirurgen Curt Bruncken kennen, der bald Gefallen an ihrem kreativen Umgang mit den Widrigkeiten der Planwirtschaft findet. Derweil behandelt die Kinderärztin Ingeborg Rapoport einen Westberliner Jungen mit Kinderlähmung. Im Westen wütet eine Epidemie, während man in der DDR auf einen sowjetischen Impfstoff vertraut. Bei einer weiteren Patientin wird ein Magenkarzinom diagnostiziert. Ihr Fall berührt Ella in besonderer Weise, da sie ihre Mutter an Magenkrebs verlor.

Folge 2: Blutsauger

Nachdem sich Oberarzt Senkbeil in den Westen abgesetzt hat, wird in der Nacht zum 13. August 1961 die Sektorengrenze geschlossen. Gleichzeitig kommen sich Curt und Ella auf dem Dach näher. In einer Nebenhandlung ist Prof. Prokop mit den Opfern eines Serienmörders beschäftigt, den Kommissar Hertweck auf den Namen „der Beißer“ tauft.

Folge 3: Grenzwerte

Parteisekretär Lehmann fordert die Ärzteschaft auf, den Mauerbau durch Unterschriften gutzuheißen. Währenddessen kehrt Prof. Prokop zur allgemeinen Erleichterung mit großer Selbstverständlichkeit von seiner Österreich-Reise an die Charité zurück und gewährt Ella einen festen Arbeitsplatz in seinem Labor. Der Gynäkologe Helmut Kraatz nimmt sich einer intersexuellen Frau an und stellt ihr eine Operation in Aussicht. Kinderärztin Rapoport hilft zudem einer Familie, die durch den Mauerbau auseinandergerissen wurde.

Folge 4: Atemstillstand

Der erste Mauertote aus dem Humboldthafen liegt auf Prokops Tisch. Der Obduktionsbericht wird sofort von den Mitarbeitern der Staatssicherheit beschlagnahmt – was Prokop nicht davon abhält, ein Gedächtnisprotokoll anzufertigen. Derweil wird der Internist Alexander Nowack von Parteisekretär Lehmann mit der Aussicht auf den Chefarztposten geködert und zum Parteieintritt überredet. Seine erste Amtshandlung besteht zu Ellas Entsetzen in der Verschleierung der Todesursache eines Wismut-Bergmanns, der beim Uranabbau die Schneeberger Krankheit bekommen hatte (eine bestimmte Krebsart). Schließlich hängt Curt seinen Kittel an den Nagel und geht in den Westen.

Folge 5: Sepsis

Ein Baby trägt auf dem Transport von der Frauen- zur Kinderklinik Nervenschäden davon. Rapoport konfrontiert den Gynäkologen Kraatz mit der Problematik, doch der will zunächst nichts davon wissen. Außerdem wird ein Landwirt mit Mangelernährung eingeliefert. Gleichzeitig erleidet der Hausmeister Fritz „Pflaster“ eine Blutvergiftung. Beide brauchen Penicillin, doch die Lieferung aus Bulgarien ist nicht angekommen. Ella trifft in dieser Triage-Situation eine Entscheidung.

Folge 6: Herzflimmern

Rapoport kann gleich zwei Erfolge verbuchen: Sie diagnostiziert bei einer Leistungssportlerin mit Ohnmachtsanfällen deutsch-deutschen Trennungsschmerz und kann Kraatz endlich davon überzeugen, Frauen- und Kinderklinik zusammenzulegen, was die Säuglingssterblichkeit signifikant senken wird. „Der Beißer“ wird gefasst. Und Ella kehrt von einem Forschungskongress aus Westberlin zurück. Sie hat sich gegen eine Zukunft im „goldenen Westen“ entschieden, trotz Curts Avancen und einem einmaligen Karriereangebot.

Zentrale Figuren

Die Internistin Ella Wendt (Nina Gummich) wird aus Senftenberg an die Charité versetzt. Sie forscht, angetrieben durch den Krebstod ihrer Mutter, an Blutgruppenmerkmalen und erhält bald einen festen Arbeitsplatz in Prof. Prokops Labor. Ihr Mentor beschreibt sie als „jung, innovativ, offen für Neues“, als klug und „frech wie die Nacht“. Sie arrangiert sich mit den Versorgungsengpässen, ihrem halben Zimmer im Schwesterntrakt und den zahlreichen Doppelschichten. Die Vertuschung von Todesursachen (Schneeberger Krankheit, Mangelernährung), die das Ansehen der Staatsmacht gefährden könnten, widerstrebt ihr allerdings zutiefst.

Otto Prokop (Philipp Hochmair), Serologe und Gerichtsmediziner, ist das Aushängeschild der Charité. Er trägt zur Klärung von Kriminalfällen bei, legt mit seinem Atlas der Gerichtsmedizin den Grundstein der modernen Forensik und obduziert die ersten Maueropfer, während ihm die Stasi auf die Finger schaut. Obwohl er stets behauptet, sich nicht für Politik zu interessieren, bewahrt er Gedächtnisprotokolle von Obduktionen auf und lässt sich auch nicht für Propaganda einspannen. Aktiver Widerstand kommt allerdings für ihn nicht infrage, die Zeit wird es schon richten: „Politische Systeme kommen und gehen und sie bringen Grenzen hervor, über die nicht wir, sondern die Zeit entscheiden wird, ob sie von Dauer sind oder nicht.“ Für ihn als gebürtigen Österreicher ist die Mauer ohnehin durchlässig, der „Beau und Sportwagenfahrer“ (Tagesspiegel) unternimmt regelmäßig Ausflüge in den Westen – auch um dringend benötigte Medikamente zu beschaffen. Bei seinen gut besuchten Vorträgen wirft er selbstverliebt mit lateinischen Phrasen um sich. Unermüdlich in seiner Arbeitswut und kompromisslos bei seiner Kleiderwahl steht er Tag und Nacht im Sektionssaal, immer mit Fliege und Anspruch.

Für die Kinderärztin Ingeborg Rapoport (Nina Kunzendorf) bringt die DDR einen Neubeginn. Aufgrund ihrer jüdischen Abstammung wanderte sie in die USA aus, heiratete dort den
Biochemiker Mitja Rapoport und kehrte während der McCarthy-Ära mit ihm und vier Kindern nach Deutschland zurück. Sie ist Anhängerin der sozialistischen Ideale: „Ich mag den Ansatz. Den Gedanken, das Miteinander, das Füreinander, dass wir alle gemeinsam einen Staat aufbauen, der für uns alle da ist.“ Ihre Arbeit verrichtet sie aber „ganz und gar unideologisch“ (
tittelbach.tv), behandelt Patienten aus dem Westen selbstverständlich gleich und setzt sich für die Ausreise einer jungen Mutter ein, deren Mann als Tagesspiegel-Journalist auf der schwarzen Liste der DDR steht. Ihr Partner hingegen ist politischer Hardliner und zeigt für den als „Schädling“ eingestuften Mann wenig Verständnis: „Selber schuld, wenn man Handlanger der Westberliner Monopolkapitalisten ist.“ Trotz dieser Differenzen wird der Zuschauer Zeuge einer glücklichen Ehe – das Haus der Rapoports ist auch der einzige Ort, in dem Familienleben abseits des Klinikalltags gezeigt wird. Bei ihrer Arbeit kämpft Inge Rapoport gegen patriarchale Strukturen und schafft es schließlich, den konservativen Gynäkologen Helmut Kraatz von einer Zusammenarbeit zwischen beiden Stationen zu überzeugen, um die Säuglingssterblichkeit zu senken.

Der Gynäkologe Helmut Kraatz (Uwe Ochsenknecht) ist als geläuterter NS-Mitläufer äußerst vorsichtig, was die politische Positionierung angeht: „Man darf bloß nicht den Fehler machen, dass man Medizin mit Politik vermischt.“ Den Mauerbau kommentiert er dementsprechend lediglich mit den Worten „Quatsch“ und „Unfug“. Geradlinig, ja beinahe halsstarrig, kommandiert er seine Untergebenen im Kasernenhofton – und stellt sich bei der Behandlung einer intersexuellen Frau dann doch plötzlich als ungeahnt einfühlsam heraus. Ein „eitler Gockel“ in Rapoports Augen, tut er ihre Versuche, Frauen- und Kinderklinik miteinander zu verzahnen, zunächst respektlos ab – lässt sich aber im Laufe der Zeit überzeugen.

Gesellschaftsbild

1961 ist ein Jahr des Umbruchs und der Improvisation im Klinikalltag. Handschuhe werden ausgewaschen statt entsorgt, Curt Bruncken muss ohne Röntgenaufnahmen und Assistenten operieren und die Penicillinlieferungen aus Bulgarien kommen nur unregelmäßig. Das führt zu einer Triagesituation, in der Ella entscheiden muss, welcher von zwei Patienten die letzte Dosis des lebensrettenden Medikaments erhält. Im üblichen Wahnsinn der „geliebten Mangelwirtschaft“ ist jeden Tag aufs Neue kreativer Umgang mit den Ressourcen angesagt. Außerdem herrscht Personalmangel, da es viele Ärzte und Pfleger in den Westen zieht. In dieser angespannten Situation scheint Selbstverwirklichung zunächst nicht möglich zu sein – Ella findet kaum Zeit für ihre Forschung, weil sie rund um die Uhr mit der „Aufrechterhaltung der medizinischen Grundversorgung“ beschäftigt ist.

„Dass hier noch nicht alles zusammengebrochen ist, ist einzig und allein dem Umstand geschuldet, dass wir improvisieren können. Flickwerk? Darauf lässt sich doch keine gesunde medizinische Versorgung aufbauen, geschweige denn ein Leben!“ (Curt zu Ella)

An der medizinischen Versorgung der Patienten wird aber trotz aller Widrigkeiten nicht gespart. Die Ärzteschaft setzt sich mit Leidenschaft für die Patienten ein. So lässt Kraatz seiner intersexuellen Patientin eine umfangreiche Behandlung angedeihen und Rapoport verspricht den Eltern eines nervengeschädigten Babys, „jeden medizinischen Weg“ mit ihnen zu gehen. Das Fundament der Charité bilden Barmherzigkeit, Humanismus und medizinische Spitzenforschung. Die Politik hat nur begrenzt Zutritt. Vor allem Prokop bringt diese Grundhaltung zum Ausdruck: „Wissenschaft ist unbestechlich. Vielleicht, gerade in Zeiten wie diesen, die einzig verlässliche Konstante.“ Auch wenn die Weltanschauungen dem Wohle der Patienten untergeordnet werden, führen sie häufig zu Reibereien. Auf der einen Seite stehen die Rapoports mit ihrem Glauben an den Kommunismus und Kinder, die im Ferienlager die Vorzüge der Sozialpolitik genießen. Außerdem ist da noch die Krankenschwester Arianna aus Kuba, die sich über all die Gestaltungsmöglichkeiten im Sozialismus freut. Sonst sind an der Charité nur die wenigsten „neue Menschen im Sinne des Sozialismus“ (FAZ). Und einen Unterschied zwischen Freund und Klassenfeind macht, abgesehen von Parteisekretär Lehmann, sowieso niemand. Einen rebellischen Geist gibt es in Gestalt von Curt Bruncken, der sich vom Staat bevormundet und eingesperrt fühlt – und schließlich nach Westberlin geht. Auch Prokops Assistent Wittenberg sieht den Mauerbau kritisch, er fühlt sich nicht als Teil einer „eingeschworenen Gemeinschaft“ (Mitja Rapoport), sondern einer „Schicksalsgemeinschaft“: „Diese Mauer sperrt diejenigen ein, die treudoof hiergeblieben sind!“ Die übrigen begegnen dem Mauerbau mit Unglauben: „Eine Grenze durch Deutschland, das ist absurd. Völliger Quatsch. Unfug“ (Kraatz). Ella und Nowack gehören ebenfalls zu dieser Gruppe:

Ella: „Das ist jetzt einfach ein Denkzettel. Ein Schuss vor den Bug des Westberliner Senats.“

Nowack: „In ein, zwei Wochen sind die Zäune wieder weg. Das ist doch gar nicht durchzuhalten, 1400 Kilometer Staatsgrenze.“

Nowack, zu Beginn mit systemkritischen Scherzen auf den Lippen, wandelt sich unter dem Einfluss von Parteisekretär Lehmann vom Freund Ellas zum Parteimitglied und damit zum Oberarzt. Die Entwicklung macht ihn sichtlich unglücklich und einsam. An seinem Beispiel sieht der Zuschauer, dass Parteizugehörigkeit selbst in der scheinbar unabhängigen Ärzteschaft zur Voraussetzung für beruflichen Aufstieg wird. Doch eine solche Anpassung an die politischen Gegebenheiten sät Misstrauen und vergiftet Freundschaften. Irgendwann verdächtigt Ella selbst Arianna der Spionage, weil sie sich mit Lehmann unterhalten hat. Dabei ging es um ihre Rückreise nach Kuba. „Schon irgendwie ungerecht. Die einen wollen unbedingt weg. Die anderen müssen.“

Die Gesellschaft außerhalb des Mikrokosmos Charité wird über die medizinischen Fälle abgebildet, laut MDR-Redakteurin Johanna Kraus bilden diese ein „Kaleidoskop der Gesellschaft und der Themen der Zeit“ (ARD). Ein Fallbeispiel beleuchtet die verheerenden Folgen fehlenden Arbeitsschutzes beim Uranabbau in den Wismut-Minen: Der Patient ist ein echter Held der Arbeit, der stets die Norm übererfüllt, niemals krank war und sich mit seiner Brigade jeden Monat Extrarationen verdient, immer nach dem Motto „Einer für alle und alle für einen“. Letztlich stirbt er an der Schneeberger Krankheit, einer speziellen Form von Lungenkrebs. So wie ihm erging es Tausenden: „Die lassen in den Stollen ihr Leben, damit die Russen mit dem Uran ihre Atomsprengköpfe stopfen können. Und das heißt jetzt: Erz für den Frieden.“ Oder, wie es Parteimitglied Nowack ausdrückt: „Die Solidarität des Volkes steht über dem Wohl des Einzelnen.“ Auch im Fall des unterernährten Landarbeiters heiligt der sozialistische Zweck offenbar die Mittel. Um die Quote zu erfüllen, aß er wochenlang nur Mais: „So sieht er aus, der sozialistische Frühling auf dem Lande.“ Die politischen Spannungen zwischen Ost und West werden ebenfalls durch Fallbeispiele verdeutlicht. So misstrauen die westdeutschen Eltern eines an Polio erkrankten Jungen der sowjetischen Impfung, die in der DDR Standard ist:

Rapoport: „Wir haben in der DDR sehr gute Erfahrungen gemacht mit einem zuverlässigen Impfstoff.“

Vater: „Warum gibt’s den in der BRD nicht?“

Rapoport: „Unser Minister Willi Stoph hat angeboten, den Impfstoff nach Westberlin zu liefern, aber das wurde abgelehnt.“

Vater: „Er ist wahrscheinlich noch nicht mal getestet.“

               Rapoport: „Oh doch, er ist sehr gut getestet.“

               Vater: „Das ist doch Propaganda. Es war ein Fehler, in die Charité zu kommen.“

Der Fall einer westdeutschen Leistungssportlerin symbolisiert darüber hinaus die Trennungen von Familien und Freunden durch den Mauerbau. Die Kleine hat psychische Probleme, weil der gesamtdeutsche Olympiakader durch Konrad Adenauer aufgeteilt wurde und der deutsch-deutsche Austausch zwischen den Sportverbänden seither unterbunden wird. So hat die Politik aus Freundinnen Gegnerinnen gemacht.

Der Zuschauer darf auch einen Blick nach Westberlin werfen, weil Ellas dort an einer Fachkonferenz teilnimmt: Das Hotel Central wirkt mit elegant gekleideten Bewohnern, bunten Werbetafeln und glänzenden Autos vor der Tür wie eine Kontrastfolie zum farblosen Klinikalltag. Natürlich ist diese Diskrepanz auch der Tatsache geschuldet, dass sich die Szenen in Ostberlin nie im öffentlichen Leben abspielen. Auch im Westen ist, jedenfalls laut Curt, „nicht alles Gold, was glänzt. Aber immerhin kann man sagen, was man denkt“. Manche machen von diesem Recht zu ausgiebig Gebrauch und überschütten Ella mit geheucheltem Mitgefühl und Arroganz:

Westdeutsche: „Da hat man Sie doch einfach eingesperrt!“

Ella: „Ich fühle mich nicht eingesperrt.“

Westdeutsche: „Na hören Sie mal, Sie können ja nicht mal mehr in die Lüneburger Heide.“

Von solch unangenehmen Gesprächen abgesehen wird Ella von der Westberliner Fachwelt respektvoll angehört – ihr fehlendes Wissen durch die schwierige Beschaffung von Fachliteratur in der DDR fällt dabei kaum auf. Und obwohl ihr nun „die Tür zur Welt offensteht“ (Curt), entscheidet sie sich für die Rückkehr an die Charité.

Ästhetik und Gestaltung

Die Serienmacher ließen die Charité in einem Kloster in Tschechien auferstehen. Alles spielt auf vier Stationen (innere Medizin, Kinderklinik, Gynäkologie, Pathologie) – wobei jede Station eine bestimmte Grundfarbe aufweist – in Krankenzimmern und auf Fluren. Ausstattung und Szenenbild wirken allgemein sparsamer als in den ersten beiden Staffeln, was nicht unbedingt gegen die Authentizität des Krankenhausalltags sprechen muss (tittelbach.tv). Ebenfalls im Unterschied zu den ersten beiden Staffeln sind die in dezenter Vintage-Optik gehaltenen Flure und Zimmer sonnendurchflutet, alles wirkt hell und weit (Szenenbild: Petra Albert). Die Kleidung mutet etwas altmodisch an, vom modischen Aufbruch der 1960er-Jahre ist noch nichts zu spüren (Kostümbild: Heike Hütt). Holly Finks Kameraführung und Bildgestaltung wechseln zwischen intimen Naheinstellungen, die die Klinikmitarbeiter mit Leidenschaft bei der Arbeit zeigen, und breiteren Halbtotalen, in denen der Zeitkontext zur Geltung kommt (FAZ). Die Bilder sind ruhig und dicht, von Zeitlupe in Schlüsselmomenten wird sparsam Gebrauch gemacht (Schnitt: Andreas Althoff, Cosima Schnell). Und „beharrlich singen dazu die Geigen“ (Redaktionsnetzwerk Deutschland; Musik: Fabian Römer, Matthias Hillebrand-Gonzales).

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Um einen Eindruck der politischen Situation zu vermitteln, werden in der dritten Staffel Charité regelmäßig Nachrichtensendungen, Radioschnipsel und Zeitungsseiten eingeblendet. Prokop liest die Bild am Sonntag mit einer Schlagzeile über Republikflüchtlinge („Sie kommen – Hals über Kopf“) sowie B. Z. Berlin mit einem Aufmacher zum ersten Maueropfer („Ulbrichts Menschenjäger wurden zu Mördern!“). In Mitja Rapoports Händen kann der Zuschauer auch einen Blick in die SED-Zeitung Neues Deutschland werfen: „Wir sind Bonn weit überlegen, weil wir mit dem Frieden verbündet sind“. Ansonsten wird über Requisiten und Gespräche ein gewisses Zeitgefühl vermittelt: Walter Ulbricht lächelt von Litfaßsäulen, die Eiserne Lunge wird aus dem Keller geholt, die Schwestern tratschen über laufmaschenfreie Strümpfe aus feinstem Chinchilla sowie einen kussechten Lippenstift aus dem KaDeWe und der Wismut-Bergmann erzählt von den Extrarationen Kumpeltod, die sich seine Brigade regelmäßig verdient. Am Ende der letzten Folge wird die Geschichte schließlich von Ella aus dem Off weitererzählt – vor Originalfotos der drei Koryphäen Prokop, Rapoport und Kraatz. Sogar ein Video von Rapoport bei der Verleihung des Doktortitels wird gezeigt. Im Abspann erklären die Serienmacher das Konzept der Serie:

Die Charité ist eine fiktionale Serie. Ingeborg Rapoport, Samuel Mitja Rapoport, Otto Prokop sowie Helmut Kraatz arbeiteten zur Zeit des Mauerbaus an der Charité. Die Darstellung dieser realen Ärzte beruht auf ausführlicher Recherche, entspricht aber nicht in allen Details den historischen Vorbildern.

Außerdem werden im Abspann fünf medizinisch-historische Fachberater aufgezählt:

  • Prof. Thomas Schnalke (Medizinhistoriker, Leiter des Berliner Medizinhistorischen Museums)
  • Dr. Sven Hartwig (Abteilungsleiter Forensische Toxikologie der Charité, Oberarzt)
  • Dr. Rainer Herrn (Mitarbeiter am Institut für Geschichte der Medizin und Ethik der Charité)
  • Prof. Dr. Michael Tsokos (Leiter des Instituts für Rechtsmedizin der Charité)
  • Dr. Mark Benecke

Die Fachberater waren laut Thomas Schnalke dafür zuständig, „dass keine Soap entsteht“ (Deutschlandfunk Kultur). Schnalke sieht die Serie als „Gate-Opener“, um die Menschen für Medizingeschichte zu interessieren. Und er ist sich sicher, dass viele Zeitzeugen sagen werden: „So war es nicht, es war ganz anders. Da werde ich sagen, natürlich, es war immer ganz anders. Das ist im historischen Rückblick so.“ Auch Regisseurin Christine Hartmann sieht die größte Herausforderung bei der dritten Staffel „in der Nähe zur Gegenwart“. Dadurch habe man authentischer erzählen müssen (Goldene Kamera). Eine große Verantwortung gegenüber den Zeitzeugen und den Angehörigen der historischen Ärzte empfindet auch Produzentin Henriette Lippold (ARD). Deshalb habe man sich bewusst dafür entschieden, „keine 1:1-Dokumentation des Lebens der drei zu erzählen, sondern die verbürgten Fakten mit fiktionalisierten, aber authentischen Handlungen anzureichern“. Die Familien seien zu diesem Zweck in die Recherchen eingebunden gewesen. Zu den realen Ereignissen zählen beispielsweise der Brief der Ärzteschaft, die Obduktion der Mauertoten sowie Prokops Gedächtnisprotokolle (Johanna Kraus, ARD). Bei Inszenierung, Kameraführung, Ausstattung und Kostüm versuchte Regisseurin Hartmann dann Authentizität zu erreichen, indem mit großer Genauigkeit gearbeitet wurde, nichts sollte „aufgesetzt“ wirken: „Das Büro von Kraatz kommt dem wirklichen ziemlich nahe. Auch das Aussehen des Geburtsraums.“ (Abendzeitung, ARD) Den Wismut-Fall habe man sich ebenfalls „nicht aus den Fingern gesaugt, damals haben wirklich sehr viele Arbeiter den Bergbau mit ihrem Leben bezahlt“ (ebd.).

Eine weitere wichtige Strategie besteht in der Bereitstellung umfangreichen Zusatzmaterials in der ARD-Mediathek. Im Making-of erfährt der Zuschauer zum Beispiel, dass sich das Haus der Rapoports im Bauhaus-Stil bei den Dreharbeiten noch beinahe im Originalzustand befand. Außerdem orientierten sich die Serienmacher an Privatfotos des Klinikpersonals, die Charité-Archivare in einem Vortrag gezeigt hatten. Kostümbildnerin Heike Hütt nutzte Kataloge von Otto und Neckermann als Inspirationsquelle. Kameramann Holly Fink orientierte sich bei der Bildgestaltung an historischem Material, an Fotografien von „Menschen, die ungläubig dort stehen, während die Mauer gebaut wird“. Auch bei den Aufnahmen des Humboldthafens habe man laut Regisseurin Hartmann „nicht wild rumfantasieren“ können, da gebe es Bildmaterial. Philipp Hochmair besuchte zur Vorbereitung auf die Prokop-Rolle die Pathologie der Charité – das sei ein lebensveränderndes Erlebnis für ihn gewesen.

Neben dem Making-of bietet die Dokumentation „Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg“ von Dagmar Wittmers viele Hintergrundinformationen: Ehemaliges Klinikpersonal bestätigt das „harmonische Miteinander“, das in den 1960er-Jahren in der Charité geherrscht habe, aber auch ein gewisses Misstrauen wegen der zahlreichen Republikfluchten. Jede Schwester sei erst einmal „scheel angesehen“ worden: „Na, wie lange bleibt sie?“ Laut Kinderärztin Ingrid Reisinger stand die Medizin aber stets im Vordergrund, die politische Situation habe sie in der Kinderklinik nur am Rande empfunden. Man habe allerdings schon den Eindruck gewinnen können, dass Parteizugehörigkeit vorteilhaft für die Karriere sei. Auch Inge Rapoport selbst kommt zu Wort: „Für mich war diese Zeit ein Rausch des Aufbaus.“ Als SED-Mitglied habe sie in der größtenteils politisch neutralen Ärzteschaft einen schweren Stand gehabt. Auch Originalbildmaterial wird gezeigt, unter anderem der Brief der Ärzteschaft, den auch Prokop unterschrieb – anders als in der Serie suggeriert wird. Auch die BStU-Akte von Helmut Weitmann, alias IM 2020, wird in der Dokumentation eingeblendet. Er war Mitte der 1970er-Jahre als Beauftragter für Sicherheit und Geheimnisschutz fest im Charité-Alltag verankert. Ein Rechtsmediziner, der in den 1960er-Jahren an der Charité beschäftigt war, bestätigt außerdem, dass „zu allen Mauertoten Mitarbeiter der Staatssicherheit“ in den Obduktionssaal kamen und sämtliche Belege einkassierten.

Die Charité hat eine Broschüre zur Serie herausgegeben. Sie enthält detaillierte Informationen zum historischen Kontext, eine Umgebungskarte und Originalfotos der OP-Säle. Außerdem gibt es dort ein Interview mit Thomas Schnalke, der die Darstellung des Klinikpersonals in der Serie beschreibt und bestätigt:

In der Grundhaltung fand sich seinerzeit unter der Belegschaft sicherlich die gesamte Spannbreite von Einstellungen hinsichtlich der damaligen Gesellschaft und dem politischen System. Auffällig ist jedoch nach meiner Beobachtung, dass viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, auch wenn Sie den Verhältnissen loyal gegenüberstanden, einen kühlen Kopf bewahrten und eine eigene Meinung behalten haben. Zeitzeugen berichten bis heute von gewissen Freiheiten an der Charité hinsichtlich der beruflichen Entwicklung, Reisetätigkeit und Meinungsäußerung. Allerdings achteten eine ausgebaute politisch dirigierte Kaderstruktur und zunehmend auch das System der Staatssicherheit stets auch höchst rigide auf die Einhaltung entsprechender Konformitäten und Grenzen.

Auch die Medien tragen mit Titeln wie „So viel Wahrheit steckt in der Serie“ (Liebenswert-Magazin) oder „So bespitzelte die Stasi Charité-Ärzte“ (B. Z. Berlin) ihren Teil zur Authentizitätskonstruktion der Serie bei. Im ersten Beitrag heißt es, die Serie spiegele die damalige Zeit „sehr authentisch“ wider, im zweiten steht: „Es war tatsächlich wie in der TV-Serie. Auch im wahren Leben wurde Prokop von der Stasi begleitet.“ Die Autorin stützt sich dabei auf das Buch „Staatssicherheit an der Charité“ von Jutta Begenau. In diesem wird beschrieben, wie die Stasi Anfang der 1960er-Jahre begann, das Krankenhaus zu unterwandern. Charlotte Misselwitz (Berliner Zeitung) wiederum nimmt für ein Porträt über Ingeborg Rapoport die Serie als Aufhänger. Für die Kommunistin sei es eine „Freude“ gewesen, in einem Gesundheitssystem „für alle“ zu arbeiten. Misselwitz schreibt: „Die meisten Interviewer verbuchten solche Aussagen als ostalgisch, überholt oder gar politisch inkorrekt. Nur wenige wussten, Ingeborg Rapoport war schon vor der DDR-Staatsgründung links gewesen und ist es bis zu ihrem Tod 2017 geblieben.“

Rezeption

Reichweite

Datum

Folgen

Reichweite

Marktanteile

12. Januar 2021

Eiserne Lunge und Blutsauger

5,84 und 5,75 Millionen

17,2% und 17,6%

19. Januar 2021

Grenzwerte und Atemstillstand

4,94 und 5,03 Millionen

14,1% und 15,2%

26. Januar 2021

Sepsis und Herzflimmern

5,24 und 5,38 Millionen

15,6% und 16,9%

Quelle: Quotenmeter Folge 1 und 2, Folge 3 und 4, Folge 5 und 6

Die dritte Charité-Staffel ist in der ARD-Mediathek verfügbar, wahlweise mit Audiodeskription. Außerdem kann sie über Prime Video (Stand Februar 2021) sowie als DVD oder Blu-ray erworben werden.

Bis Ende Januar 2021 verzeichnete die dritte Staffel in der ARD-Mediathek mehr als acht Millionen Aufrufe. Henriette Lippold, Produzentin UFA Fiction, sagt dazu: „Wir freuen uns sehr, dass wir in diesen so außergewöhnlichen und schweren Zeiten gerade mit einer Serie, die in einem Krankenhaus spielt, ein so breites Publikum erreichen konnten. Besonders die großartigen Abrufzahlen in der ARD-Mediathek begeistern uns dabei sehr.“ (UFA)

Die im Anschluss an die ersten beiden Folgen ausgestrahlte Dokumentation „Die Charité – Ein Krankenhaus im Kalten Krieg“ wurde von 4,28 Millionen Zuschauern gesehen, dies entspricht einem Marktanteil von 15,5 Prozent.

Rezensionen

Bei der Presse kam die dritte Charité-Staffel nicht so gut an wie beim Publikum. Bild ahnt die hervorragenden Einschaltquoten bereits beim Setbesuch voraus und titelt: „Diese Operation wird ein Erfolg“. Als „die spannendste TV-Klinik Deutschlands“ schließlich auf den Bildschirmen ihre Tore öffnet, spendiert Bild den Zuschauern dann auch gleich ein „Who is Who“ der Darsteller. Laut Jens Müller von der taz bringt Charité „Seelenheil“ wegen einer Heilungsquote, die so gut ist wie seinerzeit die Wahlergebnisse der SED. Sie sei mit Themen wie Impfen und Triage auch in Corona-Zeiten aktuell. Die „frohe Botschaft der unermüdlichen Wissensanstrengung im Dienste der Gesundheit“ erscheint auch Heike Hupertz von der FAZ zurzeit „tröstlich“. Dabei gelinge der MDR-Produktion die „Balance der zeithistorischen Bewertung“ – mal abgesehen vom melodramatischen, oft kitschigen Pathos der einzelnen verhandelten Krankheitsfälle. Außerdem behandle die Serie ihre drei Koryphäen „mit manchmal übergroßem Respekt“. Gerade durch die Darstellung der Kommunistin Rapoport wirke Charité „wie ein Akzeptanzpflaster für Skeptiker der Relevanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks aus den östlichen Bundesländern“.

Auch Thomas Gehringer fragt sich in seiner Rezension (tittelbach.tv), ob die Staffel vielleicht zu unkritisch sei, da sie sich im Grunde auf eine einzige Arzt-Figur beschränke, die aus Karrieregründen auf die Parteilinie einschwenke. Abgesehen von der generell etwas weltfremden Vorstellung der Charité als „unberührte Insel“ innerhalb der Zeitgeschichte, könne die Serie aber filmisch mit US-Premium-Dramaserien mithalten und gleite trotz reichlich emotionalem Stoff nicht in ein kitschiges Melodram ab. Die lebendigen Figuren innerhalb der locker verzahnten Subplots sorgten außerdem dafür, „dass das sozialistische Einheitsgrau nicht die Geschichte überschattet“. Auch Gehringer betont die Relevanz und Aktualität der Serie gerade während der Corona-Pandemie – Sätze wie „Kontroversen sind das A und O der Wissenschaft“ bekämen dadurch einen besonderen Klang.

Nikolaus von Festenberg nimmt im Tagesspiegel ebenfalls auf Corona Bezug. Die „Hochglanz-Saga“ sei „ein historischer Piks fürs Gemüt“, „garantiert ohne Inzidenzwert, AHA-Ermahnung und Lauterbach“. Die Reden von Prokop seien zwar mitunter etwas pathetisch, aber letztlich blieben die Macher auf dem Boden, es werde mit dem „Leuchten von Barmherzigkeit und Humanismus nichts Strahlendes. Es geht um die ideologische Bevormundung, die das DDR-Regime besonders in der Mauerbauzeit auf die renommierte Klinik ausübte“. Die „interessanten medizinhistorischen Geschichten“ dürften laut Eric Leimann von Prisma vielen Laien unbekannt sein. Ästhetisch könne man die Serie dabei irgendwo zwischen klassischer Familiensoap und anspruchsvollem Geschichtsfernsehen einordnen.

Das sieht die Stuttgarter Zeitung anders. Charité sei wirklich nicht Babylon Berlin und könne weder mit einer vielschichtigen Story noch mit einem konsequenten Spannungsaufbau punkten. Jan Freitag vom Redaktionsnetzwerk Deutschland ist derselben Ansicht. Bei aller Kulissenschieberei sei Charité oft künstlich und klischeehaft – da wünsche man sich dann doch in medizinische Realfiktionen wie Freud oder The Knick. Noch härter geht Oliver Alexander von Quotenmeter mit der Serie ins Gericht: Die neue Staffel verliere den Blick fürs Wesentliche, der politische Hintergrund sei lediglich „ein mühseliger Anker“, um ihr „etwas Besonderes zu verleihen“. Weil der Fokus auf möglichst spektakulären medizinischen Fällen und den Anbandelungen des Klinikpersonals liege, fühle man sich bisweilen wie beim Trivialfernsehen von In aller Freundschaft. Das „hier und dort klischeeverdächtige Zeitkolorit“ – etwa die kichernden Krankenschwestern, die trotz Doppelschichten Zeit finden, sich über laufmaschenfreie Nylon-Strumpfhosen aus dem KaDeWe zu unterhalten – fällt auch Pete Smith von der Ärztezeitung auf, ansonsten seien die auf persönliche Schicksale heruntergebrochenen historischen Pioniertaten aber spannend. Die Nennung historischer Fortschritte der DDR-Medizin hebt Verena Nees von WSWS ebenfalls positiv hervor. Davon abgesehen sei die Serie aber „auffallend unpolitisch“: „Der für das Verständnis der DDR so wichtigen Feststellung, dass die Unterdrückung durch das SED-Regime im Gegensatz zu sozialistischen Prinzipien stand, weichen die Filmemacher aus und passen sich damit an die gängige Propaganda an, die Stalinismus und Sozialismus gleichsetzt.“

Erinnerungsdiskurs

Zwei narrative Bedeutungsmuster sind in der dritten Staffel von Charité besonders dominant: Republikflucht als Verrat an der sozialistischen Volksgemeinschaft sowie das Scheitern privaten Glücks durch die Mauer. Sowohl Prokop als auch Ella entscheiden sich dagegen, die Charité zu verlassen. Ellas Verantwortungsbewusstsein ist so groß, dass sie glänzende Karriereaussichten im Westen und eine Zukunft an Curts Seite in den Wind schlägt. Der Weggang von Oberarzt Senkbeil und Curt wird derweil vom Klinikpersonal als egoistischer und feiger Verrat bewertet, die Zurückgebliebenen fühlen sich im Stich gelassen. „Ja, schön bei uns die Ausbildung genießen und dann sich dünne machen“, sagt der Hausmeister. Das Ausnutzen der sozialistischen Volksgemeinschaft wird ebenfalls sehr negativ bewertet – Oberschwester Gerda hat beispielsweise für ihren Bekannten, der im Westen arbeitet und im Osten für seine Wohnung „‘n Appel und ‘n Ei“ bezahlt, nur Geringschätzung übrig. Für die meisten kommt eine Flucht gar nicht infrage. Im Westen werde schließlich „auch nur mit Wasser gekocht“ (Gerda), und „es ist nicht alles Gold, was glänzt“ (Curt). Der Mauerbau reißt allerdings Paare auseinander – zum einen natürlich Ella und Curt, aber auch zwei Freundinnen aus dem gesamtdeutschen Turnkader und ein weiteres junges Paar. Weitere typische Narrative sind die politisch entschärfte Mitmenschlichkeit des Klinikpersonals, die Angst vor Spionage und Infiltration und nicht zuletzt der Sonderstatus von Nischen und Rückzugsorten – denn nichts anderes ist die Charité im Grunde. 

Als Erinnerungsort lässt sich die dritte Staffel von Charité nach Sabrow (2009) einerseits im Diktaturgedächtnis verorten, da die DDR im Kontext des Mauerbaus als negatives Kontrastbild westdeutscher Freiheitsnormen dargestellt wird. Die Bürger werden „eingesperrt“, bevormundet und über politische Vorgänge im Dunkeln gelassen – das DDR-Radio sendet am 13. August 1961 lieber Tanzmusik als Nachrichten. Es besteht zudem ein Täter-Opfer-Gegensatz zwischen dem Regime und seinen Bürgern. Der Staat verursacht Leid beim Uranabbau oder mit Quotendruck im Zuge des sozialistischen Frühlings und schafft es nicht, genügend Penicillin oder Röntgenfilme zu besorgen. So entsteht der Eindruck, die Solidarität des Volkes stehe über dem Wohl des Einzelnen. Außerdem wird durch die Omnipräsenz von Parteisekretär Lehmann die allmähliche Infiltration der Charité durch die Stasi angedeutet. Beruflicher Aufstieg scheint, wie im Fall von Nowack, Parteizugehörigkeit vorauszusetzen. Andererseits zahlt die dritte Staffel auch zu großen Teilen auf das Konto des Arrangementgedächtnisses ein: Die Ärzte haben sich mit dem Fachkräfteexodus und den Versorgungsdefiziten arrangiert und behaupten sich täglich gegen die Widrigkeiten der Mangelwirtschaft. Dabei ist das Miteinander von Zusammenhalt, Verantwortungsbewusstsein und Respekt geprägt. Das Klinikpersonal nimmt sich als Gemeinschaft wahr – und wer darüber hinaus an den sozialistischen Zukunftsentwurf glaubt, findet im Aufbau einer besseren Gesellschaft eine starke Motivation. Schließlich leistet Charité auch einen Beitrag zum Fortschrittsgedächtnis, weil in Sachen Medizin eine gewisse Gleichrangigkeit der beiden deutschen Staaten besteht. Im Vordergrund der Handlung steht ganz klar die Spitzenforschung – und nicht der politische Kontext. In Schwester Gerdas Worten: „Die Charité bleibt die Charité – egal, was vor der Tür passiert.“ Aus diesem Grund werfen einige Kritiker der dritten Staffel vor, unpolitisch zu sein. Dem aufmerksamen Zuschauer bietet sie aber mehrere Perspektiven an. Besonders poetisch: Rapoport diagnostiziert bei einem Mädchen deutsch-deutschen Trennungsschmerz als Krankheitsursache – und prophezeit dessen Verschwinden. 

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Die dritte Staffel der Krankenhausserie Charité gewährt einen interessanten Einblick in den chaotischen Klinikalltag zur Zeit des Mauerbaus. Der Zuschauer lernt etwas über medizinische Spitzenforschung und drei Koryphäen der Wissenschaft. Die Krankheitsfälle sind zwar berührend, aber teilweise kitschig und auf einen Link zu politischen Ereignissen getrimmt. Insgesamt handelt es sich aber um ein kurzweiliges, abwechslungsreiches Sehvergnügen für Fans von episodischen Erzählstrukturen.

Empfohlene Zitierweise

Charité. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2023, https://ddr-im-film.de/de/film/charite