Die Mauer – Berlin '61
Inhalt
- Kurzinformationen
- Filmdaten
- Kurzbeschreibung
- Schlagworte
- Entstehungskontext
- Beteiligte
- Filminhalt
- Handlung
- Figuren
- Gesellschaftsbild
- Ästhetik und Gestaltung
- Strategien der Authentizitätskonstruktion
- Rezeption
- Reichweite
- Rezensionen
- Auszeichnungen
- Wissenschaftliche Aufarbeitung
- Einordnung in den Erinnerungsdiskurs
-
Empfehlung der Autorin
- Literatur
Entstehungskontext
Beteiligte
Hartmut Schoen ist 1951 geboren und im Schwarzwald aufgewachsen. Während seines Studiums (Politikwissenschaft, Publizistik, öffentliches Recht) drehte er seine ersten Dokumentarfilme. Später war er vor allem an Produktionen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen beteiligt. Die Mauer – Berlin '61 ist Schoens erster Spielfilm mit DDR-Bezug. Er sagte der taz, dass er zwar in Süddeutschland aufgewachsen sei, sein Vater aber lange in der Nähe von Berlin gelebt habe und dort Verwandte hatte. Der Tag des Mauerbaus sei für ihn als Kindheitsbild präsent, da sein sonst so dominanter Vater zum ersten Mal verunsichert gewesen sei. Außerdem sei es egal, „ob man nun Wessi war oder Ossi“. Die Mauer sei „einfach unerträglich gewesen“. Bei seinem Film habe er die Fehler anderer Großproduktionen unbedingt vermeiden wollen und weder eine Heldengeschichte erzählen, die sich in „Nebenhandlungen und Nebenschauplätzen“ verliere“, noch eine Komödie, die den Menschen keinen Respekt zolle.
Produziert wurde der Film von Ariane Krampe, stellvertretende Geschäftsführerin der teamWorx Television & Film (heute Teil der UFA Fiction). teamWorx wurde vor allem durch TV-Eventproduktionen bekannt (häufig historische Mehrteiler). Zum Portfolio der Firma gehören Der Tunnel (2001), Zwei Tage Hoffnung (2003), eine Geschichte über zwei Brüder im Juni 1953, Das Wunder von Berlin (2008) und Der Turm (2012). Der Film wurde in Ko-Produktion mit dem WDR, Arte und dem RBB realisiert.
Die Mauer – Berlin '61 hatte ein Budget von rund vier Millionen Euro und wurde mit öffentlichen Mitteln gefördert. Die Fördersumme lag bei rund 1,4 Millionen Euro.
Produktionsförderung |
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Film und Medienstiftung NRW (2005) |
1.220.000 Euro |
Medienboard Berlin-Brandenburg (2005) |
200.000 Euro |
Das DVD-Cover zeigt Familie Kuhlke und eine Berlin-Szene mit Stacheldrahtzaun aus dem August 1961. Es gibt weder einen Trailer noch Begleitmaterial. Der Film ist jedoch im Projekt Chronik der Mauer gelistet. Das Projekt wurde vom Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) mit der Bundeszentrale für politische Bildung und dem Deutschlandradio initiiert, um die Geschichte der Berliner Mauer multimedial aufzuarbeiten.
Filminhalt
Handlung
Hans und Katharina Kuhlke leben im Osten Berlins. Am Vorabend des 13. August 1961 sind sie bei einem befreundeten Ehepaar in Westberlin eingeladen. Sohn Paul übernachtet bei einem Freund im Ostteil der Stadt. Die Grenzschließung trennt Eltern und Kind. Vater Hans, der Kupfer geschmuggelt hat, kann nicht mehr in den Osten zurück. Auch bei den Freunden kann das Paar nicht bleiben, weil sich ihre Werte- und Moralvorstellungen grundlegend unterscheiden. Alle Versuche, den Sohn in den Westen zu holen, scheitern. Paul kommt zunächst in ein Heim und wird dann von seiner Klavierlehrerin aufgenommen, die eine Flucht plant. In letzter Minute werden die beiden von der Grenzpolizei gestoppt. Familie Kuhlke bleibt bis zum Mauerfall getrennt.
Zentrale Figuren
Hans Kuhlke (Heino Ferch) – ein Ostberliner „Plastefuger“, der meist aus dem Bauch heraus entscheidet und dabei weder zu sich noch zu seiner Frau ganz ehrlich ist. Ein Vater, dessen Familiensinn zwar an erster Stelle steht, den der Kampf zwischen Ost und West und damit auch um seinen Sohn jedoch so zermürbt, dass er resigniert.
Katharina Kuhlke (Inka Friedrich) – eine Kämpfer-natur, die ihren Sohn nicht aufgeben will. Eine Frau, die ihren Stolz hintanstellt, als sie mit Erwin Sawatzke Zärtlichkeiten austauscht, um Kontakt zu einem Anwalt für Familienrecht zu bekommen. Aber auch eine Mutter, die von Sorge getrieben den Mut aufbringt, sich mit Grenzpolizisten anzulegen.
Paul Kuhlke (Frederick Lau) – ein Junge, der über Nacht auf sich allein gestellt ist. Die Zeitung stellt die „Rabeneltern“ wegen ihrer angeblichen Flucht an den Pranger. Immer präsent ist dabei Pauls Frage nach dem „Warum?“ Haben ihn seine Eltern bewusst im Osten zurückgelassen? Ein Sohn, der zerrieben wird vom Konflikt zwischen der Loyalität zur Partei und der Bindung an seine Familie.
Weitere wichtige Figuren sind die Eheleute Sawatzke, die den Kuhlkes zunächst Obhut gewähren, bis Hans und Katharina feststellen, dass eine gemeinsame Werte- und Moralbasis fehlt. Renate Sawatzke (Johanna Gastdorf) wird von Konkurrenzdenken und Eifersucht getrieben. Erwin Sawatzke (Axel Prahl) nutzt die Notsituation der Kuhlkes für seine Zwecke (sexuell) aus. Eine weitere zentrale Figur ist Pauls Klavierlehrerin Lavinia Kellermann (Iris Berben), eine alkoholsüchtige Künstlerin mit unerfülltem Kinderwunsch, die Paul aufnimmt und mit ihm das Risiko eingeht, in den Westen zu fliehen – jedoch erfolglos.
Gesellschaftsbild
Die Mauer – Berlin '61 zeigt eine Gesellschaft im Umbruch und ein Deutschland, in dem sich zwei Systeme gerade neu ordnen und in Konkurrenz zueinander treten. Dieser Umbruch spiegelt sich in der Figurenkonstellation. Sowohl die DDR als auch die BRD bekommen ihr Fett weg. So fragt eine Nachbarin der Kuhlkes im Osten, „wo das denn noch alles hingehen soll, wenn der Westen systematisch alle Fachkräfte“ abwerbe. Die ostdeutsche Presse nutzt das Schicksal der Kuhlkes dagegen für Propaganda. Weder hier noch dort glauben die Menschen, dass die Mauer lange Bestand haben wird.
Familie Kuhlke steht für das traditionelle Arbeitermilieu, das sich mit der DDR arrangiert hat, das Leben zu schätzen weiß und Geselligkeit den eigenen bescheidenen Konsumansprüchen vorzieht (vgl. Hofmann 2020). Der Mauerbau reißt die Kuhlkes aus ihrer Idylle. Das heißt auch: Es gibt in dieser DDR keinen Alltag ohne Politik. Sohn Paul merkt das spätestens im Kinderheim, wo er mit Funktionären zu tun hat, für die Disziplin und soziales Engagement an oberster Stelle stehen. Die Sawatzkes verkörpern das Überlegenheitsgefühl der Westberliner. Dem Wunsch nach Wohlstand werden hier soziale Beziehungen kompromisslos geopfert.
Ästhetik und Gestaltung
Die Abgrenzung zwischen Ost und West spiegelt sich in der Inneneinrichtung. Die Ost-Wohnung der Kuhlkes ist einfach und mit dem Nötigsten ausgestattet. Es dominieren schlichte Grün-, Grau- und Beigetöne. Die Sawatzkes in Westberlin haben dagegen ein eigenes Haus und eine moderne, farbenfrohe Einrichtung. Ähnlich verhält es sich mit dem Kleidungsstil. Im Westen sind die „schicke Dame“ und das „gute Westhemd“ gefragt. Regisseur Schoen sagte der taz, dass er bewusst mit unserem Wunsch nach einem versöhnlichen Ende gearbeitet habe, damit der Schock umso größer werde. Den Schluss begreife er als Spiegel für die Politik und Zeitumstände.
Authentizität
Strategien der Authentizitätskonstruktion
Der Film erhebt zwar nicht den Anspruch, auf einer wahren Begebenheit zu beruhen, dennoch sagte Regisseur Schoen, es sei ihm wichtig gewesen, nah an der Realität zu sein. Geschichte eins zu eins zu erzählen, sei allerdings schon deshalb nicht möglich gewesen, weil sich die Handlung in nur fünf Tagen abwickle. Trotzdem heißt es am Ende des Films: „Sie (die Kuhlkes) warteten wie so viele 28 Jahre 2 Monate und 28 Tage, dann fiel die Mauer und als sie sich wiedersahen, waren sie sich fremd.“
Schoen hat seine Stars nicht nach den gängigen Mustern besetzt: Heino Ferch ist kein klassischer Held, sondern ein verzweifelter Bauarbeiter, Iris Berben eine alkoholsüchtige Künstlerin und Axel Prahl kein Sympathieträger, sondern ein „großspuriger Angeber“ (Blickpunkt). Beraten wurde Schoen von der Soziologin Maria Nooke, die damals wissenschaftliche Leiterin der Gedenkstätte Berliner Mauer war.
Rezeption
Reichweite
Die Uraufführung fand am 4. September 2006 auf dem Filmfest in Oldenburg statt. Die TV-Premiere folgte am 29. September 2006 auf Arte. Im Ersten war der Film zur Primetime am 4. Oktober 2006 zu sehen (Marktanteil 19,3 Prozent bei rund sechs Millionen Zuschauern). Die DVD gibt es seit Oktober 2006.
Rezensionen
Die wenigen Pressestimmen waren positiv. Der Spiegel lobte die Figuren-Psychologie und hob hervor, dass Regisseur Schoen bewusst auf „nostalgisches Flair“, „drollige Ostkuriosität“ und „schicken Westkonsum“ verzichtet habe und so Ambivalenzen und Widersprüche erlaube. Die Berliner Morgenpost sah den Film als ein „Kabinettsstückchen“, das durch das Fehlen von Helden und Happy End realitätsnah sei und zeithistorische Inhalte angemessen verarbeite.
Rainer Tittelbach (tittelbach.tv) lobte wie der Spiegel Figuren, Psyche und soziales Umfeld, freute sich aber noch mehr darüber, dass der Film auf eine Opfer-Täter-Dramaturgie verzichte und sich so von anderen historischen Event-Zweiteilern absetze. Tittelbach wies darauf hin, dass der Film ein Baustein für das Gesamtkonzept für die Erinnerung an die Berliner Mauer werden könne, das der Berliner Senat nach jahrelanger Debatte gerade vorgelegt hatte. Auf der DVD sagt SPD-Politiker Egon Bahr: Der Film ist „die künstlerisch gelungene und ehrliche Gestaltung eines Dramas, dessen Ende damals niemand ahnen konnte.“
Auszeichnungen
Der Film konnte folgende Preise gewinnen:
Jahr |
Preis |
Kategorie |
2007 |
Prix Europa |
TV-Fiction |
2007 |
Deutscher Kamerapreis (für Thomas Erhart) |
Kamera |
2008 |
International Television Broadcasting Award |
World Medal |
2008 |
Jupiter-Filmpreis (für Heino Ferch) |
Bester TV-Darsteller |
Produzentin Ariane Krampe wertete den Prix Europa als Zeichen dafür, dass „die filmische Umsetzung deutscher Geschichte auch über die Grenzen hinaus Relevanz“ habe.
Wissenschaftliche Aufarbeitung
Die Mauer – Berlin '61 erfuhr kaum wissenschaftliche Aufmerksamkeit. Der Filmhistoriker Matthias Steinle (2015: 89) begreift den Film als eines der wenigen Werke über die DDR, das sich der Tendenz zum „kitschigen Happyend“ widersetze. Im Gegenteil: Der Film sei keine westdeutsche Heilserzählung, sondern thematisiere schmerzhafte Fremdheitserfahrung und nehme so auch eine westkritische Perspektive ein, indem er unfreiwillige Flüchtlinge in Westdeutschland zeige, die „Gefangene ihrer beschränkten Mittel“ sind.
Erinnerungsdiskurs
Im Zentrum des Films stehen der Mauerbau und seine Folgen. Die politische Entscheidung reicht dabei bis in die Familien. Regisseur Schoen habe zeigen wollen, wie „die Politik plötzlich und unerwartet in das private Leben einfacher Menschen einfallen“ könne. Die Mauer – Berlin '61 kritisiert sowohl die DDR als auch die BRD. Es geht nicht um Gut oder Böse, Schwarz oder Weiß, sondern um die Konsequenzen, die politische Entscheidungen für den Einzelnen mit sich bringen. Im Osten arrangieren sich die Menschen mit der Idee des Sozialismus, machen sich stark für das Miteinander und äußern Skepsis gegenüber der kapitalistischen Denkweise in Westdeutschland. Trotzdem steht es Paul nicht frei, zu seiner Familie in den Westen zu gehen. Dieses Spannungsfeld passt zum Erinnerungsmuster Arrangementgedächtnis, da die Machtsphäre mit der Lebenswelt verknüpft und Kritik an beiden politischen Systemen geäußert wird (Sabrow 2009: 19).
Literatur
Michael Hofman: Soziale Strukturen in Ostdeutschland. In: Bundeszentrale für politische Bildung 2020
Martin Sabrow: Die DDR erinnern. In: Martin Sabrow (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR. München: C. H. Beck 2009, S. 11-27
Matthias Steinle: Drei Krisen und das Wunder ihres Endes: Die DDR im deutschen Dokudrama. In: Hans-Joachim Veen (Hrsg.): Das Bild der DDR in Literatur, Film & Internet. 25 Jahren Erinnerung und Deutung. Köln: Böhlau 2015, S. 81-100
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