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Jedes Jahr im Juni

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Jedes Jahr im Juni
Erscheinungsjahr
2013
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
88 Minuten

Kurzbeschreibung

Elke aus Bayern lernt bei einem Verwandtenbesuch in der DDR den Tischler Gregor kennen. Die beiden beginnen eine Ost-West-Affäre – und halten diese trotz großer Hürden über 25 Jahre lang aufrecht.

Schlagworte

Zeit
Genre

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Marcus Otto Rosenmüller wurde 1963 in Duisburg geboren. Er wuchs am Tegernsee auf und studierte an der Ludwig-Maximilians-Universität Kommunikationswissenschaft. Die deutsche Geschichte ist präsent in seiner Filmografie: Gottes mächtige Dienerin (2011), Wunderkinder (2011), Die Holzbaronin (2012), Die Affäre Borgward (2018). Das Ost-West-Thema hat er schon im Film Stilles Tal (2011) mit Wolfgang Stumph angeschnitten.

Drehbuch

Silke Zertz wurde 1966 in Lemgo geboren, studierte Geschichte und fing dann an, Drehbücher für Historienfilme zu schreiben. 2008 bekam sie den deutschen Fernsehpreis für Wir sind das Volk – Liebe kennt keine Grenzen (2008). Außerdem schrieb sie die zweite Staffel von Tannbach (2018).

Produktion

Jedes Jahr im Juni wurde von Dagmar Rosenbauer und Gloria Burkert produziert. Rosenbauer ist Geschäftsführerin der CineCentrum-Gruppe, die den Film im Auftrag von MDR und Arte produziert hat. Sie studierte Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften und produziert vor allem Serien und Fernsehfilme für die öffentlich-rechtlichen Anstalten – unter anderem Der Sturz – Honeckers Ende (2012). Auch Gloria Burkert hat Filme mit DDR-Bezug produziert: Ich wollte nicht töten (2006) oder Brecht – die Kunst zu leben (2005/2006).

Finanzierung

Das Budget wurde nicht veröffentlicht.

Werbung

Es gibt eine Programmvorschau mit Trailer. Auf dem DVD-Cover sehen wir Elke Richter und die Datsche, in der das Paar sich jedes Jahr trifft.

Filminhalt

Handlung

Elke aus Bayern trifft bei einem Verwandtenbesuch in der DDR den Tischler Gregor. Beide sind verheiratet und haben Familien. Trotzdem verlieben sie sich. Der Filmtitel Jedes Jahr im Juni steht für die wenigen Tage im Sommer, die die beiden im Geheimen miteinander verbringen. Trotz zahlreicher Hindernisse schaffen sie es mehr als 25 Jahre lang, die Affäre aufrechtzuerhalten – über den Fall der Mauer hinaus. Ein Ehepaar werden sie allerdings nicht.

Zentrale Figuren

Elke Richter (Katharina Wackernagel) – eine 26-jährige bayerische Hausfrau. Westdeutsch, konservativ, wohlhabend. Emanzipiert und politisiert sich mit der Zeit (sie engagiert sich bei den Grünen). Träumt von einer Karriere als Übersetzerin, arbeitet aber Jahre später 20 Stunden in der Woche als Köchin im Kindergarten. Hält die Beziehung zu Gregor aufrecht, obwohl sie ein klassisches Familienleben führt: drei Kinder, Ehemann, Haus und Hund, mit denen sie gute wie auch schlechte Zeiten durchlebt. Als die Kinder erwachsen werden, denkt sie über eine Scheidung nach, bleibt aber bis zu seinem Tod bei ihrem Mann.

Gregor Pohl (Peter Schneider) – ein 26-jähriger Familienvater und Tischler aus Dessau, der einen Meisterbetrieb führt. Gregor verliebt sich in Elke und beginnt ein Liebesspiel. Für ihn ist diese Beziehung etwas Besonderes – und dennoch verlässt er seine Familie nicht, obwohl die Verhältnisse mehr als angespannt werden. Sein Sohn positioniert sich gegen die DDR und „das Holz wird knapp“. Mit seiner Frau reist er nach dem Fall der Mauer in die weite Welt und leistet sich ein Blockhaus in den Rocky Mountains. Gregor liebt seine Heimat – auch weil dort seine Kinder sind. Die BRD sieht er neutral, auch wenn er manchmal neidisch ist und um die Grenzen seiner DDR-Welt weiß. Elke: „Seit wann sind wir denn dein Klassenfeind?“ Gregor: „Beim Fußball hört die Toleranz auf“.

Gesellschaftsbild

Jedes Jahr im Juni zeigt zwei deutsche Staaten, in denen sich die Menschen mit ihrer Heimat und ihrer Familie identifizieren und selbst für die große Liebe nicht bereit sind, ihre Wurzeln einfach zu kappen. Schwierigkeiten gibt es auf beiden Seiten. Im Westen wird Elkes Ehemann entlassen und im Osten hat ein selbständiger Handwerker wie Gregor in den 1980ern nicht nur Materialprobleme. Die BRD ist dabei materiell überlegen. In Kurzform: Mercedes versus Trabi. Politisch nehmen sich beide Staaten nicht viel. Die BRD boykottiert die Olympischen Sommerspiele in Moskau und in der DDR bekommt man Schwierigkeiten, wenn man bei der Jugendweihe das Gelöbnis nicht mitspricht.

Die DDR ist in diesem Film ein graues Land, geprägt von Mangel und Enge. Die Menschen nehmen das aber mit Humor. Gregor zu Elke: „Dass du freiwillig was anziehst, das aussieht wie aus volkseigener Produktion“. Auch über die Stasi wird gelacht. Gregor nach dem Mauerfall im Westen: „Gibt es hier auch die Stasi?“ Elke: „Ja, Nachbarn!“

Die „Wessis“ fahren nicht gerne in diese DDR – allerdings wäre es unchristlich, die Beziehung zu den Verwandten abzubrechen. Die BRD ist hier zwar bunter und ein Land mit mehr Urlaubsmöglichkeiten, zugleich aber auch konservativ(er) und auf gewisse Weise ebenfalls beschränkt. Die Hausfrau darf Mann und Kinder bei Strafe des Reputationsverlustes nicht verlassen und muss ihre eigenen beruflichen Träume der Familie opfern. Auch Abtreibung ist hier keine Option. Die schwangere Elke zu Gregor: „Ich lebe in Bayern. Was du da sagst, darf ich nicht mal denken“. Interessant: Der ostdeutsche Gregor öffnet der westdeutschen Elke neue Welten und führt sie auf den Weg der Selbstbehauptung. Ebenfalls interessant: Selbst da, wo Liebe ist, kommen Ost und West nach 1989 nicht zusammen – zumindest nicht anders als in der Zeit der Teilung.

Ästhetik und Gestaltung

Zentraler Schauplatz ist die Datsche, in der sich das Paar regelmäßig trifft – ein Ort, der sich mit der Zeit verändert.

Wir sehen viele Naheinstellungen (es geht um das Innenleben und um Beziehungen) sowie Schmalfilm-Aufnahmen aus den Archiven der fiktiven Familien, die die Pausen zwischen Juni und Juni überbrücken. Das Leben geht jenseits der Affäre weiter. Die Datsche ist spartanisch eingerichtet – typisch (Film-)DDR. Es gibt aber viele braun-grüne Naturaufnahmen und bunte Kleidung. Rainer Tittelbach: Filmästhetisch „hätte man sich Jedes Jahr im Juni schon ein bisschen raffinierter, phantasievoller, schwebender vorstellen können – und vor allem mit etwas weniger Kammerorchester, das allzu romantisierend den Liebesweg der beiden begleitet”. Die Musik ist von Gary Marlowe.

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Gedreht wurde in Ostdeutschland und in Prag. Die Besetzung ist mehr als glaubwürdig: Katharina Wackernagel (preisgekrönt) und der Leipziger Peter Schneider, der zum Beispiel auch im DDR-Film Der Rote Kakadu (2006) zu sehen ist. Die Frankfurter Neue Presse: „Im Gegensatz zum Rahmen ist die Liebesgeschichte allerdings scharf gezeichnet. Sie schafft es, den Zuschauer zu berühren und mit auf die lange Zeitreise zu nehmen. Katharina Wackernagel ist jederzeit glaubhaft: ob mit Mitte 20 oder später, Jahre nach der Wende, als reife Frau. Und Peter Schneider (…) ist als zupackender Tischler aus dem Osten eine Sensation”.

Regisseur Rosenmüller konnte Original-TV-Material nutzen, etwa zur Fußball-WM 1974, zum Mauerfall oder im Epilog in den frühen 1990ern und bleibt so nah an der deutsch-deutschen Chronologie.

Rezeption

Reichweite

Jedes Jahr im Juni wurde am 9. August 2013 auf Arte ausgestrahlt (890.000 Zuschauer, Marktanteil: 3,3 Prozent). Im Ersten kam der Film am 2. Oktober 2013 (Vorabend des Nationalfeiertages) um 20:15 Uhr auf etwas höhere Werte (3,71 Millionen, 12,5 Prozent). Zwei Tage später kam die DVD in den Handel.

Rezensionen

Die meisten Leitmedien haben Jedes Jahr im Juni genauso ignoriert wie die wichtigsten ostdeutschen Zeitungen. Tobias Sunderdiek sprach in der Neuen Osnabrücker Zeitung von einer „vorhersehbaren Arte-Romanze” – „klischeebeladen und nicht den geringsten Zwischenton wagend“. Wer „einen neuen, spannenden Blick auf die DDR oder eine knisternde Romanze erwartet, wird von diesem Film enttäuscht sein“. Und weiter: „Schade auch, dass die beiden gewohnt guten Hauptdarsteller Katharina Wackernagel und Peter Schneider da verschwendet wirken – in einem insgesamt nach Schablone gedrehten, zudem arg dialoglastigen und vorhersehbaren Fernsehfilm”.

Harald Keller (Frankfurter Rundschau) sah ein „sprödes Gefüge von Drehbuchideen, die auf allzu bemühte Weise in eine Liebesgeschichte mit schmonzettenhaften Zügen gekleidet wurden”. Barbara Sichtermann sprach dagegen im Tagesspiegel von einer „ungewöhnlichen Lovestory“, die „einiges über die DDR und die BRD und die 70er, die 80er bis in die 90er“ erzähle, „ohne irgendwo draufzudrücken“. Noch positiver war die TV-Kolumne von Joachim Hirzel im Focus. Das begann schon bei der Überschrift: „Der wohl schönste Film zum Tag der Deutschen Einheit”. Hirzel: „Dieser kluge Film ist daher klug genug, das Happy End so anzulegen, dass es ein stimmiges Happy End ist. Elke und Gregor machen weiter wie gehabt. Sie trennen sich erneut für viele Monate – um sich im nächsten Juni für einige Tage wiederzusehen. ‚Du liebst‘, sagt Elke am Schluss zu Gregor, ‚die Sehnsucht genau wie ich‘“.

Rainer Tittelbach: „Jedes Jahr im Juni ist ein schöner, dramaturgisch ungewöhnlicher Liebesfilm, der bald Zeitgeist und Nostalgie hinter sich lässt, um die Phasen der Liebe zu beschwören. Wackernagel strahlt wundervoll, Schneider empfiehlt sich für weitere Aufgaben in der ersten Reihe. Der Film hat in den besten Momenten etwas von Linklaters ‚Before...‘-Trilogie“.

Erinnerungsdiskurs

Jedes Jahr im Juni verweigert sich vielen Klischees, die seit 1990 das DDR-Gedächtnis prägen. Die DDR ist in diesem Film zwar das ärmere Land und keineswegs frei von Überwachung oder politischer Gängelung, die Bundesrepublik ist aber selbst dann kein Traumziel, wenn man dort die große Liebe gefunden hat. Im Gegenteil: Die DDR erlaubt nicht nur berufliches und familiäres Glück (und sogar einen privaten Handwerker) sowie soziale Sicherheit, sondern weist der westdeutschen Hausfrau den Weg zur Emanzipation.

Der Mauerfall steht in diesem Film nicht für ein Happy End nach langer, schmerzlicher Trennung, sondern für einen Neuanfang – auf beiden Seiten. Gregor steht die Welt jetzt zwar offen, aber in Kanada verzweifelt er am Überfluss („Viel zu viel Holz!“) und auch sonst: „Alles ist so groß in Kanada und so weit. Die Menschen überall verstreut. Mein Englisch ist zu schlecht, ich war einfach einsam“.

Die Westdeutschen akzeptieren diese Film-DDR – eher selten abwertend, dafür mehr vergleichend. Dieses Land ist für sie ein Parallelstaat mit „gemeinsamer Grenze, aber begrenzter Gemeinsamkeit“ (Sabrow 2009: 17). Ohne Mauer, auch das widerspricht dem hegemonialen Erinnerungsdiskurs, kann es die Liebe zwischen Elke und Gregor gar nicht geben.

Dass die Leitmedien Jedes Jahr im Juni übergehen und damit weitgehend aus dem kulturellen Gedächtnis fernhalten konnten, hat vielleicht auch mit Genre und Stoff zu tun. Ein Liebesfilm, in dem die Stasi zwar mitspielt, aber das Paar nicht auseinanderbringen kann: Dafür war die Zeit 2013 nicht reif.

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Ein leichter Liebes- und Familienfilm vor dem Hintergrund der deutsch-deutschen Geschichte. Produktionen wie Good Bye, Lenin! (2003) oder Tannbach (2015-2018) zeigen vielschichtigere Beziehungskonstellationen und mehr historische Details

Literatur

Martin Sabrow: Die DDR erinnern. In: Martin Sabrow (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR. München: C.H. Beck 2009, S. 11-27

Empfohlene Zitierweise

Jedes Jahr im Juni. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2024, https://ddr-im-film.de/de/film/jedes-jahr-im-juni