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ZDF/Dusan Martincek

Kranke Geschäfte

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Kranke Geschäfte
Erscheinungsjahr
2020
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
104 Minuten

Kurzbeschreibung

Dieser deutsch-tschechische Fernsehfilm erzählt von Medikamententests in der DDR. Über eine dramatische Familiengeschichte wird ein Netzwerk zwischen DDR-Regierung, Kliniken und westlichen Pharmakonzernen beleuchtet.

Schlagworte

Zeit
Genre

Entstehungskontext

Beteiligte

Regie

Urs Egger wurde 1955 in Bern geboren und starb Anfang 2020 in Berlin an Krebs – kurz nach Fertigstellung des Films Kranke Geschäfte. Der mehrfach ausgezeichnete Film- und Fernsehregisseur studierte Filmregie in Los Angeles, bevor er in den frühen 1990er Jahren nach Berlin zog. Seine Produktionen für das öffentlich-rechtliche Fernsehen haben sich mehrfach mit dem Nachkriegsdeutschland beschäftigt. Um die DDR ging es zum Beispiel in seinem Film An die Grenze (2007).

Drehbuch

Johannes Betz wurde 1965 in Bayreuth geboren. Er studierte zunächst Ethnologie, Soziologie und Anglistik und später Regie und Drehbuch an der Filmakademie Baden-Württemberg. Zu seiner Filmografie gehören Das Boot (2018), Die Spiegel Affäre (2014) und (mit DDR-Bezug) Der Tunnel (2001). Die Idee für Kranke Geschäfte kam von Produzentin Franziska An der Gassen.

Produktion

Der Fernsehfilm ist eine Auftragsproduktion der Rat Pack Filmproduktion in Koproduktion mit An der Gassen FILM für das ZDF. Franziska An der Gassen gilt als „Quoten-Ossi“. Sie wuchs in Berlin auf, besuchte die Filmschule Zelig in Italien und studierte an der Hochschule für Fernsehen und Film München Medienwirtschaft und Filmproduktion. Seit 2014 ist sie Produzentin, unter anderem für Rat Pack.

Folgt man dem ZDF-Presseportal, dann beginnt die Geschichte von Kranke Geschäfte mit einer Zeitungsüberschrift: „Westdeutsche Pharmafirmen testen Medikamente an ostdeutschen Bürgern“. An der Gassen sagt, dass sie überrascht gewesen sei. „Auch mein familiäres Umfeld, Freunde und Bekannte aus der ehemaligen DDR und BRD, teilten meine Verwunderung. Niemand von ihnen hatte je von diesen Tests gehört. Und so begann ich selbst zu diesem Thema zu recherchieren“.

Die tschechische Firma Wilma Film, die die Produktion unterstützte, hat sich auf deutsche Drehs in ihrem Heimatland spezialisiert und war zum Beispiel an Zuckersand (2017), Preis der Freiheit (2019) oder Tannbach (2015, 2018) beteiligt.

Finanzierung

Kranke Geschäfte ist eine ZDF-Auftragsproduktion in Zusammenarbeit mit Arte. Das Budget lag bei rund 2,6 Millionen Euro. Der tschechische Filmfunds hat davon 300.000 Euro beigesteuert. Dazu kamen 100.000 Euro für die internationalen Rechte von Beta Film und Constantin Film.

Werbung

Kranke Geschäfte erschien zum 30. Jubiläum der Wiedervereinigung und erhielt dadurch große mediale Aufmerksamkeit. Auf dem Filmplakat sind zwei Spritzen zu sehen – Symbol für die Doppelblind-Studie, um die es im Film geht. Es gibt einen Trailer, ein Hintergrundinterview, in dem Felicitias Woll, Lena Urzendowsky und Matthias Matschke über den Film sprechen, sowie eine Pressemappe (auch auf dem ZDF-Presseportal) mit einem Statement der Produzentin, einem Nachruf auf den Regisseur und Interviews (Florian Stetter, Felicitas Woll, Lena Urzendowsky).

Filminhalt

Handlung

Karl-Marx-Stadt 1988: Westdeutsche Pharmaunternehmen führen Medikamentenversuche in der DDR durch. Held der fiktionalen Geschichte ist Stasioberleutnant Armin Glaser. Seine Tochter Kati ist schwer krank. Dadurch lernt er, wie Regierung, Kliniken und BRD-Konzerne zusammenarbeiten. Der deutsch-deutsche Deal: Devisen für Patienten als (unwissende) „Versuchskaninchen“. Tochter Kati ist mit Multipler Sklerose mittendrin. Ihre Eltern hoffen auf eine neuartige Behandlung und geben sie in die Obhut von Dr. Sigurd im Stadtkrankenhaus. Nachdem es zu Ungereimtheiten kommt, nutzt Armin seine Position, um an Informationen zu gelangen, und gerät dabei selbst ins Visier seiner Genossen. Kati findet in ihrer Zimmergenossin Niki eine Freundin.

Zentrale Figuren

Armin Glaser (Florian Stetter) – ein Stasi-Oberleutnant, der hinter dem Sozialismus und der DDR steht. Die Diagnose seiner Tochter bringt sein Leben durcheinander. Als er die Wahrheit erkennt (BRD und DDR arbeiten zusammen), fühlt er sich von der Regierung betrogen, wird zum Systemkritiker und verändert auch die Beziehung zu seiner Familie: Er tauscht Status und Sicherheit gegen Liebe.

Marie Glaser (Felicitas Woll) – eine berufstätige Mutter, für die die Familie an erster Stelle steht. Im Gegensatz zu Armin vertraut sie den Ärzten und sieht die Studie als Chance auf Heilung.

Kati Glaser (Lena Urzendowsky) – ein 14-jähriges Mädchen, das unerwartet schwer krank und dadurch aus ihrem Alltag gerissen wird. Anfänglich gehorsam und brav. Spürt aber immer mehr das Bedürfnis nach Unabhängigkeit und Selbstfindung. Zu den Eltern: „Ständig hockt ihr stundenlang rum, den Teddy könnt ihr auch gleich mitnehmen“. Zimmernachbarin Niki wird ihre Freundin und motiviert sie, Dinge auszuprobieren (Rauchen, Haare färben) und sich zum Beispiel für westliche Musik zu öffnen. Kati möchte ein normales Leben führen, ist aber in einem kranken Körper gefangen.

Niki (Amber Bongard) – ein Mädchen in Katis Alter, das ebenfalls an Multipler Sklerose leidet. Zunächst das Gegenstück zu Kati. Unkonventionell, wild, frech. Je „lauter“ aber Kati wird, desto ruhiger wird Niki. Dies liegt zum Teil auch daran, dass sie das Medikament und nicht das Placebo erhält und es ihr körperlich immer besser geht.

Dr. Sigurd (Corinna Harfouch) – die Ärztin im Stadtkrankenhaus, die für Niki und Kati zuständig ist. Sie weiß von der geheimen Doppelblind-Studie (eine bekommt ein Placebo, die andere das Medikament). Die Patientinnen wachsen ihr ans Herz (sie schenkt Kati einen Walkman) und sie fühlt sich schuldig, weil sie nicht mit offenen Karten spielen darf. Dieses Unbehagen wird durch den Druck von Armin Glaser größer. Am Ende gibt sie Kati das Medikament und nicht mehr das Placebo.  

Gesellschaftsbild

Kranke Geschäfte zeigt eine DDR, die ihre Bürger belügt und dadurch auch das Vertrauen der Menschen verspielt, die den Staat eigentlich tragen. Diese DDR ist so sehr auf Devisen angewiesen, dass sie dafür sogar ihre Kinder verkauft. Der Geheimdienst ist in diesem Land ein Staat im Staate. Selbst ein Oberleutnant wie Armin Glaser ist in der Lage, einen Deal zu enttarnen, den die Regierung im Geheimen mit westdeutschen Konzernen abwickelt.

Der Film zeigt zugleich, dass es schon genügt, einen Apparat wie die Staatssicherheit zu unterhalten, um die Menschen und die Gesellschaft zu zerstören. Armin Glaser: „Du denkst von jedem, dass er ein Geheimnis hat“. Oder: „Das bist nicht du, das ist dein Beruf.“ Wie bei Ulrich Mühe in Das Leben der Anderen (2006) steckt aber auch in diesem Stasi-Mann eine gute Seele, die sich verändern kann und am Ende in den eigenen Reihen als „Krankheitserreger“ gilt.

Katis Krankheit kann man als Metapher lesen. Ihr Körper rebelliert gegen einen Geist, der bereit ist, einen sozialistischen Lebensweg einzuschlagen. Hilfe verspricht nur das Medikament aus dem Westen. Katis Krankheit hilft auch ihrem Vater, gegen die DDR und ihre Ideologie zu rebellieren. Die Bundesrepublik ist in Kranke Geschäfte haushoch überlegen. Nur hier gibt es Spitzentechnologien und die richtige Medizin. Der Film transportiert dabei auch den Machbarkeitsdiskurs (egal welches Problem wir haben: unsere Forschung wird es lösen) sowie den Glauben an die Schulmedizin. Selbst die (ethisch mehr als fragwürdige) Studie erscheint in einem günstigen Licht. Wer heilt, hat recht. Man kann den Film aber auch als Kritik an der Kommerzialisierung der Medizin lesen und damit als Kritik an der Bundesrepublik. Für Profit ist die Pharmaindustrie bereit, alle ethisch-moralischen Standards über Bord zu werfen.

Verlassen können sich die Menschen in dieser Film-DDR nicht auf gesellschaftliche Strukturen oder vermeintliche Freunde (der Nachbar wird zum Verräter, genau wie in Wir wollten aufs Meer, 2012), sondern nur auf die Familie. Auch oder gerade in schweren Zeiten (das Kind wird krank) hält man zusammen. Mann und Frau sind dabei gleichberechtigt. Katis Mutter arbeitet und muss sich selbst dann nicht unterordnen, wenn sie in einer existenziellen Frage eine andere Meinung hat.

Die Kooperation zwischen den deutschen Staaten ändert nichts an der grundsätzlichen Konstellation. Die DDR sieht die BRD als Gegner. Ein DDR-Politiker: „Der Klassenfeind steht da draußen. Das Einzige, was uns trennt, ist der Schutzwall. Und wir, das Politbüro, die Regierung. Die warten doch nur darauf, dass wir straucheln. Dann werden sie über unsere Republik herfallen wie die Heuschrecken“. Geschenke aus dem Westen sind in der Klinik trotzdem willkommen (Cognac, Zigaretten, Walkman).

Ästhetik und Gestaltung

In der Einleitung werden Original-Verschlussakten mit dokumentarischen Audio- und Fernsehaufnahmen kombiniert. Wir blicken hier gewissermaßen einem Stasioffiziers über die Schulter – Armin Glaser, der die Machenschaften aufdeckt. Kamerachef Lukas Strebel blickt den Menschen dann teilweise buchstäblich ins Gesicht. Die Farben sind häufig dunkel und gedeckt. In der Klinik sind die Vorhänge braun, die Fließen beige. Der weiße Kittel von Dr. Sigurd sticht regelrecht hervor. Kati färbt sich die Haare (von blond zu schwarz), ein Symbol für ihren Sinneswandel. In Kranke Geschäfte spielt die Musik eine wichtige Rolle. Niki bringt Songs von Depeche Mode mit, die Kati sowohl innerlich (wird revolutionärer und frecher) als auch äußerlich verändern (Mode, Haare). Daheim hätte solche Westmusik den Ansichten des Vaters widersprochen.

Einen Erzähler gibt es in diesem Film nicht. Erzählt wird aus der Perspektive der Familie Glaser und aus Sicht des Pharmaunternehmens und seines Managers, dem eine feindliche Übernahme durch einen Schweizer Konzerns droht. Die Sprache steht jeweils für die Herkunft der Protagonisten: der schweizerische Dialekt (im Pharma-Kontext), das „Na jut“ für Ostdeutsche oder das „fetzig“ für die Jugend.

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

„Eine fiktionale Geschichte vor wahrem Hintergrund“, sagt das ZDF. Urs Egger möchte trotzdem die historische Wahrheit erzählen. Er beginnt mit dokumentarischen Sequenzen und blendet diesen Satz ein: „Von 1964 bis 1990 fanden in der DDR über 900 Medikamenten-Studien an mindestens 50.000 Bürgern statt. Die DDR erhielt für die Vermittlung ihrer kranken Bürger Devisen in Millionenhöhe“.

Produzentin Franziska An der Gassen schreibt in einem Statement zum Film: „Ich nahm Kontakt zu verschiedenen Bundesministerien, dem Stasiarchiv, dem Bundesarchiv, Medizinhistorikern und Experten auf. Mit einem Team bestehend aus Journalisten, Fachberatern und Rechercheuren trugen wir über 600 Originalakten, Stasidokumente, Patientenakten, Aufklärungsbogen, Verträge, historische Gesetzestexte und vieles mehr als Primärquellen zusammen“.

Der Drehort in der Umgebung von Prag soll Realismus erzeugen, genau wie etwa beim DDR-Film Zuckersand (2017). Dabei helfen auch Gesichter wie das von Florian Stetter, der in der Serie Weissensee (2010-2018) dabei war, oder von Felicitas Woll, bekannt aus Dresden (2006). Lena Urzendowsky hat familiäre Berührungspunkte mit der DDR. Alle drei erwähnen in Interviews, dass sie sich vorab mit Menschen unterhalten haben, die einen Bezug zur deutsch-deutschen Geschichte haben. Genannt werden zum Beispiel der Journalist Carsten Opitz, der eine Dokumentation über die Medikamententests in der DDR gedreht hat, sowie Carl-Ludwig Paeschke vom ZDF.

Rezeption

Reichweite

Kranke Geschäfte wurde zum 30. Jahrestag der deutschen Einheit am 25. September 2020 auf Arte und drei Tage später im ZDF gezeigt (Publikum: 3,78 Millionen, Marktanteil: 12,2 Prozent).

Rezensionen

Die Reaktionen der Presse sind gemischt ausgefallen. „Kranke Geschäfte spielt in den 1980er Jahren und setzt sich kritisch mit dem brisanten Thema deutsch-deutscher Geschichte auseinander“, schrieb zum Beispiel die Augsburger Allgemeine und betonte dabei die Relevanz des Themas. Allerdings verwies nicht nur Eric Leimann (Prisma) auf das vom Bund geförderte Forschungsprojekt Klinische Arzneimittelforschung in der DDR aus dem Jahr 2016. Die Befunde in Kurzform: Die DDR hat die Standards beim Patientenschutz zwar nicht immer komplett bedient, von „Menschenversuchen“ könne aber keine Rede sein. Simon Doering in der Tagespost: Es „wurden keine Hinweise gefunden, dass systematisch ungefragt Arzneiversuche durchgeführt wurden. Vielmehr wurde die Aufklärung des Patienten in den Versuchsfragebögen regelhaft abgefragt“. Auch Jan Freitag bemängelte im Neuen Deutschland das „Historytainment“ (die „Skrupellosigkeit der Ärzte, Pharmakologen und Politiker“). Für Freitag ist dies jedoch „der einzige Haken eines glaubhaften Films über ein Kapitel deutsch-deutscher Geschichte, das absolut erzählenswert ist“. Er verweist wie Doering auf den „Dreieckshandel“ zwischen westlichen Pharmakonzernen, DDR und Patienten, die auf Heilung hofften.

Positiv sahen viele Rezensenten, dass Kranke Geschäfte auf jede Skandalisierung verzichtet. „Egger zeigte Menschen, und das wirkungsvoll“, schrieb Heike Hupertz in der FAZ. „Das ist bei seiner letzten Arbeit (…) nicht anders. Am Ende ist Kranke Geschäfte mehr Familiengeschichte als Skandaltrompete. Er zeigt eine wichtige Facette klandestiner deutsch-deutscher Beziehungen“. Eric Leimann fällt ein ähnliches Urteil: „Wie verwerflich die Kranken Geschäfte nun waren (…), spielt für diesen Film nicht die allergrößte Rolle. Dafür orientiert sich das manchmal etwas formelhaft angelegte, aber ordentlich gespielte Drama zu sehr an persönlichen Geschichten“. Bernd Haasis schrieb in der Stuttgarter Zeitung: „Helden gibt es keine in dieser Geschichte (…) – nur fehlbare Menschen, die tun, was sie jeweils für richtig halten. Viele Ebenen tun sich dabei auf in Urs Eggers Fernsehfilm“. Auch Simon Doering (Die Tagespost) meinte, dass man sich „nicht auf einen Schuldigen festlegen“ wolle.

Die Figur des Armin Glaser wurde als Kämpfer „gegen die eigenen Kollegen, für mehr Menschlichkeit in der Medizin“ beschrieben (Goldene Kamera TV-Tipp). Eric Leimann (Prisma): „Armin geht es dann längst nicht mehr nur um seine Tochter, sondern auch um die eigene bröckelnde Ideologie und um zwei Staaten, die scheinbar den Handel mit kranken Menschen billigen“. Dadurch gelinge den Filmemachern eine differenzierte Perspektive, denn die „politische Botschaft ist geschickt in fesselnde Unterhaltung verpackt. Schicht für Schicht und höchst differenziert werden die Dimensionen dieses Politskandals offengelegt“ (Goldene Kamera TV-Tipp). So sieht das auch Jan Freitag (Neues Deutschland): „Wer gut ist und wer böse ist, wem es ums finanzielle Überleben geht, wem ums individuelle, wie der hippokratische Eid mit kommunistischem Kollektivismus und kapitalistischer Profitsucht beiderseits der Mauer kollidiert – all dies tariert das Drehbuch von Johannes Betz mit viel Gespür für die Sollbruchstellen totalitärer Systeme und ihrer demokratischen Klassenfeinde aus“.

Jens Müller fand dagegen in der taz, dass der Film „keinen Raum für differenzierte Betrachtungen“ lasse und fand für Kranke Geschäfte das Adjektiv „defätistisch“. Auch die Kritiker von Quotenmeter fällten ein negatives Urteil: „Diese schematische, generische Kleinteiligkeit verstellt leider konsequent den Blick zum großen Ganzen: Auch Alltagsmonster in einem Unrechtsregime haben legitime menschliche Sorgen und ein komplexes Seelenleben. Ein solcher Stoff hätte jedoch eine psychologischere Betrachtung verdient, anstatt um ein beliebiges Medizindrama mit realen Anklängen herumgeschrieben zu werden“.

Zum Abschluss sei das Fazit von Rainer Tittelbach zitiert, der den Film auf den Punkt brachte: „Die Narration ist dicht, nicht sonderlich kompliziert, dafür hat der Autor sie mit einer unterschwelligen metaphorischen Ebene ausstaffiert. Bei der Autoimmunkrankheit Multiple Sklerose rebelliert der Körper gegen sich selbst. Auch der Held rebelliert – am Ende sogar gegen seine Überzeugung, die er in seinem Staat repräsentiert sah“.

Erinnerungsdiskurs

30 Jahre Wiedervereinigung, Primetime, ZDF: Kranke Geschäfte bedient auf den ersten Blick das hegemoniale Narrativ, das die DDR als Verbrecherstaat sieht, und ignoriert dafür auch Befunde der medizinhistorischen Forschung. Das Diktaturgedächtnis ist so fest verankert, dass der Film auf jede Skandalisierung verzichten (alle wissen längst, was von der DDR zu halten ist) und selbst ethisch höchst fragwürdige Versuche am Menschen als willkommene Hilfe aus dem Westen verkaufen kann. Die DDR nutzt die Devisen, um Defibrillatoren und Kernspintomografen zu kaufen (immerhin keinen Schmuck für Margot Honecker), und bietet schwerkranken Menschen wie Kati eine Chance auf Heilung (wenn auch mit Medikamenten, die nicht zugelassen sind).

Allerdings kommt auch die Bundesrepublik in diesem Film nicht gut weg. Die Pharmakonzerne verdrängen für den Profit alle ideologischen und ethischen Bedenken und nutzen das zentral gelenkte Gesundheitswesen als Testlabor. Auch die Stasi wird nicht nur verteufelt. Urs Egger greift auf das Motiv „Vom Stasi-Mitarbeiter zum Gutmenschen“ zurück, das Das Leben der Anderen (2006) auf den Oscar-Gipfel geführt hat. Dabei gelingt ihm „die Antipathie-Sympathie-Gratwanderung seiner Figur sehr überzeugend“, meinte Rainer Tittelbach. „Der Film schließt Grautöne ein, ohne die DDR per se zu verteufeln und Medikamententests zu skandalisieren“, schrieb Daria Gordeeva. Nicht vergessen werden sollte hier die Corona-Debatte, die zum Zeitpunkt der Ausstrahlung gerade einen neuen Höhepunkt erreichte. Die FAZ: Während „alle Welt auf einen Covid-19-Impfstoff wartet, halten manche klinisch überwachte Tests für überflüssigen Luxus. Corona-Impfung – koste es, was es wolle?“

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Wer einen spannenden DDR-Film sucht, der nicht die Mauer oder die Staatssicherheit ins Zentrum rückt, ist bei Kranke Geschäfte genau richtig. Ein packendes Drama vor dem Hintergrund der Medikamentenstudien von westlichen Pharmafirmen mit DDR-Bürgern. Der Deal: Probanden gegen Devisen.

Literatur

Martin Sabrow: Die DDR erinnern. In: Martin Sabrow (Hrsg.): Erinnerungsorte der DDR. München: C.H. Beck 2009, S. 11-27

Empfohlene Zitierweise

Kranke Geschäfte. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2024, https://ddr-im-film.de/de/film/kranke-geschaefte