Es ist nicht vorbei 1
SWR/Gordon Muehle

Es ist nicht vorbei

Kurzinformationen

Filmdaten

Titel
Es ist nicht vorbei
Erscheinungsjahr
2011
Produktionsland
Originalsprachen
Länge
90 Minuten

Kurzbeschreibung

Im ARD-Psychodrama Es ist nicht vorbei wird Carola Weber von ihrer Vergangenheit als politischer Häftling im DDR-Frauengefängnis Hoheneck eingeholt, als sie ihren Peiniger wiedererkennt. Der Film thematisiert die von Zwangsmedikation, psychischer Folter sowie Zwangsarbeit geprägten Haftbedingungen und die Traumata der Opfer.

Schlagworte

Zeit
Schauplatz
Genre

Entstehungskontext

Der reichweitenstarke fiktionale Fernsehfilm Es ist nicht vorbei erhebt nicht nur den Anspruch, auf wahren Begebenheiten zu beruhen, sondern setzte bei seiner Ausstrahlung am 22. Jahrestag des Mauerfalls einen neuen Themenschwerpunkt im öffentlichen Diskurs: die Haftbedingungen im DDR-Frauengefängnis Hoheneck. Man wolle so einen Beitrag zur Aufarbeitung der „Wunden der Vergangenheit“ leisten (ARD-Programmdirektor Volker Herres, Bild) und „den Opfern der SED-Diktatur eine Stimme verleihen“ (Kristin Derfler, DVD-Bonusinterview).

Beteiligte

Regie

Regisseurin Franziska Meletzky, 1973 in Leipzig geboren, studierte Germanistik, Kultur- und Medienwissenschaft in ihrer Heimatstadt sowie Regie an der Hochschule für Film und Fernsehen Konrad Wolf in Potsdam-Babelsberg und erhielt 2005 den Preis zur Förderung des künstlerischen Nachwuchses der DEFA-Stiftung. Neben Es ist nicht vorbei drehte sie zwei weitere filmische DDR-Aufarbeitungen. Der Thriller Verräter – Tod am Meer (2017) befasst sich mit RAF-Verstrickungen und die Kinokomödie Vorwärts immer! (2017) nimmt Erich Honecker auf die Schippe. Ihre persönliche Haltung zur DDR sei eindeutig, sagt Meletzky: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“ Sie habe zwar in der „Dunsthaube der Sicherheit“ glückliche Momente erlebt und ehrliche Freundschaften erfahren, auch weil ihr Familienumfeld liberal und parteilos war, dunkle DDR-Kapitel wie die Hoheneck-Haftbedingungen seien aber trotzdem „unbedingt erzählenswert“ (A.M.O.R. Schwerin Magazin). Meletzky widmet sich in ihren Filmen Themen von gesellschaftlicher Relevanz – etwa im Tatort-Zweiteiler Wegwerfmädchen (2012) und Das goldene Band (2012) oder in Nur eine Handvoll Leben (2016) und Nachbarinnen (2004). Häufig stehen dabei starke Frauenfiguren in männlich dominierten Umfeldern im Zentrum: Vertraue mir (2015), Aenne Burda – Die Wirtschaftswunderfrau (2018). Auch Es ist nicht vorbei passt in dieses Muster.

Drehbuch

Kristin Derfler, Jahrgang 1965, ist gebürtige Österreicherin und ehemalige Schauspielerin. Sie hat drei Jahre lang für Es ist nicht vorbei und die anschließende Dokumentation Die Frauen von Hoheneck (2011) recherchiert. Zur Motivation sagt sie im DVD-Bonusinterview: „Wir haben eine gesamtdeutsche Geschichte und eine gemeinsame Verantwortung dafür, Punkt.“ Der Osten habe die DDR schließlich nicht „für sich gepachtet“. Die DDR sei eine „sozialistische Diktatur“ gewesen. Eine gesellschaftliche Debatte über deren Nachwirkungen („das Gestern im Heute“) habe bis heute nicht stattgefunden – auch weil nur die Opfer an einer Aufarbeitung interessiert seien, nicht die Täter:

"Es gibt seltsamerweise wenig Empathie in unserer Gesellschaft für die Opfer der SED-Diktatur. Der Westen interessiert sich nicht dafür, nach dem Motto: Jetzt ist doch alles gut – und im Osten gibt es die Haltung: Selbst schuld. Warum haben die nicht einfach den Mund gehalten und sich angepasst? Warum mussten die denn unbedingt flüchten, ausreisen oder sich mit den Staatsorganen anlegen? Es lebte sich doch ganz gut in der DDR… " (Kristin Derfler, DVD-Bonusinterview)

Derfler möchte verstehen, „wo der Riss heute in diesem Land verläuft“, und mediale Aufmerksamkeit auf die Schicksale der Opfer lenken. Es ist nicht vorbei widersetze sich deshalb dem Trend, die „wohl interessanteren“ Täter in den Mittelpunkt einer Filmhandlung zu stellen (Tagesspiegel). Die Erzählweise aus heutiger Sicht hebe außerdem die historische Distanz auf.

Co-Drehbuchautor Clemens Murath hat bereits bei der Serie Weissensee (2010-2018) Erfahrungen mit der filmischen Aufarbeitung der DDR gesammelt. Außerdem ist er bekannt für Krimi-Drehbücher von Tatort über Polizeiruf 110 bis Der Kriminalist.

Regie und Drehbuch


 

Produktion

Es ist nicht vorbei ist eine Produktion der Studio Hamburg Filmproduktion GmbH im Auftrag von RBB und SWR. Produzent ist Michael Lehmann, Producerin Heike Streich. Die Redaktion beim SWR oblag Michael Schmidl und Manfred Hattendorf, beim RBB Daria Moheb Zandi und Rosemarie Wintgen.

Vor der Ausstrahlung diskutierte man in der ARD über eine kurzfristige Absetzung des Films, da die Besetzung bei Opfer-Vertretern und in Pressekreisen für Unmut sorgte (Peter Zander, Berliner Morgenpost). Ernst-Georg Schwill, der den Stasi-Führungsoffizier Horst Weihe spielt, war selbst als Stasi-IM geführt worden. Während Bild von einem „ARD-Skandal“ sprach, sah der Förderverein in Hoheneck eher den RBB in der Verantwortung: „Wir erwarten eine solide und konsequente Prüfung der Vorgänge und Abläufe im Sender, damit in Zukunft derartige Pannen nicht mehr passieren.“ Einen ehemaligen Stasi-Mitarbeiter als Tatort-Kommissar zu besetzen, sei „schon schlimm genug“, „nicht hinnehmbar“ sei dagegen die Besetzung in einem derart wichtigen Film (Hoheneck Blog). Anita Gossler, Vorstandsmitglied der Union der Opferverbände kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG), sprach von „unnötiger Taktlosigkeit“, obwohl man der ARD grundsätzlich dankbar für den Film sei. Rainer Wagner, ehemaliger Bundesvorsitzender des Dachverbands der SED-Opfer, fand, dass „Handlanger des MfS“ in der Aufarbeitung der DDR-Verbrechen „nichts zu suchen“ hätten (UOKG). Für Hubertus Knabe, damals Direktor der Gedenkstätte Hohenschönhausen, zeugte die Besetzung von „wenig Fingerspitzengefühl“, und Inge Naumann, früher Vorsitzende des Frauenkreises der ehemaligen Hoheneckerinnen, zeigte sich „erschüttert“ und „fassungslos“ (Bild).

Bei den Produktionsverantwortlichen will man größtenteils nichts von Schwills DDR-Vergangenheit gewusst haben: Michael Lehmann, Geschäftsführer der Studio Berlin Filmproduktion, hätte ihn „ansonsten nicht besetzt“, und SWR-Intendant Peter Boudgoust sprach von einer „schwer verdaulichen Nachricht“. ARD-Programmdirektor Volker Herres „bedauert den Vorfall sehr“, „gleichwohl geben wir zu bedenken, dass seine Stasi-Vergangenheit fast 40 Jahre zurückliegt und einer humanistisch geprägten Gesellschaft wie der unsrigen auch christliche Werte wie Vergebung innewohnen“ (Berliner Morgenpost). Außerdem sei laut ARD-Sprecherin Annette Gilcher bei der Besetzung der Schauspieler „einzig die Qualität das ausschlaggebende Kriterium gewesen“ (Bild). Drehbuchautorin Kristin Derfler ist dagegen überrascht, dass sich solch eine Diskussion „an einem kleinen Fisch wie Schwill“ entzünde – es gebe doch ganz andere Kaliber, „an die sich aber keiner heranwage“ (Berliner Morgenpost). Schwill spielte bereits in vielen Filmen mit DDR-Bezug mit, unter anderen in Berlin – Ecke Schönhauser… (1957) und Good Bye, Lenin! (2003). Nach Bekanntwerden der Vorwürfe sagte er: „Jetzt beginnt die Hexenjagd. Ich bekomme wohl keine Arbeit mehr.“ (Hoheneck Blog)

Finanzierung

Wie viele Geschichtsfilme in Deutschland wurde Es ist nicht vorbei aus Fernsehetats kofinanziert. Es handelt sich um eine Produktion der Studio Berlin Filmproduktion, unterstützt von Hopp Entertainment, im Auftrag von SWR und RBB. Details wurden nicht veröffentlicht.

Werbung

Neben einer Pressemappe inklusive eines Interviews mit Drehbuchautorin Kristin Derfler, einer Pressemitteilung der ARD und den üblichen ARD-Teasern im Vorfeld der Ausstrahlung gab es keine nennenswerte Werbekampagne.

Filminhalt

Handlung

Achtung: Der Text enthält Details, die die Spannung verringern könnten.

Die Klavierlehrerin Carola Weber erkennt im Chefneurologen der Karden-Klinik, Wolfgang Limberg, ihren Arzt aus der Frauenhaftanstalt Hoheneck. Dort war sie 1988 wegen versuchter Republikflucht psychischer Folter und Zwangsmedikation ausgesetzt. Carolas Mann Jochen, Personalreferent des Karden-Klinikums, erfährt nach zehn Jahren Ehe von der Vergangenheit seiner Frau. Es beginnt ein perfides Spiel, bei dem Carola versucht, Limbergs Vergangenheit ans Licht zu holen, während dieser sie in die Rolle einer psychisch kranken Frau drängt. Carola reist ins Archiv und nach Hoheneck. Während Limberg weiter alles abstreitet, verlässt Jochen seine vermeintlich geistesgestörte Frau. Da Limberg das Jugendamt über einen Psychiatrieaufenthalt von Carola Anfang der 1990er-Jahre informiert hat, liegt die Adoption eines Babys auf Eis. Daraufhin zeigt Carola Limberg bei der Ärztekammer an, die ihn aber von allen Vorwürfen freispricht. Eines Morgens erwacht Carola mit einer Einstichstelle in der Armbeuge und stellt fest, dass ihre Strafvollzugsakte entwendet wurde. Von der Stasiunterlagenbehörde kommt schließlich ein handfester Beweis (ein Gesprächsmitschnitt). Derart in die Enge getrieben beschließt Limberg, Carola zu beseitigen. Auf der nächtlichen Heimfahrt drängt er sie von der Straße und versucht anschließend im Krankenhaus, ihr eine tödliche Dosis Kaliumchlorid zu verabreichen. Jochen, dem mittlerweile Zweifel an Limbergs Integrität gekommen sind, verhindert den Mord in letzter Sekunde. Limberg wird widerstandslos abgeführt und des Mordes angeklagt. Seine Verbrechen in Hoheneck sind allerdings längst verjährt.

Zentrale Figuren

Es ist nicht vorbei 1
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Carola Weber (Anja Kling)

Carola Weber (Anja Kling), ehemalige Pianistin aus Leipzig, gibt seit dem Verlust zweier Finger bei der Zwangsarbeit in Hoheneck Musikunterricht. Im Frauengefängnis war sie 1988 wegen versuchter Republikflucht. Aufgrund der Zwangsmedikation mit Psychopharmaka leidet sie an Unfruchtbarkeit und einem Trauma, das sich immer wieder in Flashbacks Bahn bricht. Ein adoptiertes Baby soll die Familie von Carola komplettieren, als sie ihren Gefängnisarzt Wolfgang Limberg an der Stimme wiedererkennt. Carola ist nicht getrieben von dem Wunsch nach Rache, sondern will ein Bekenntnis Limbergs: „Ich will mich nicht rächen. Ich will, dass er es zugibt. Er soll zugeben, dass er wissentlich als Arzt unschuldige Menschen kaputtgemacht hat. Das soll er zugeben.“ (Carola)

Bild
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Jochen Weber (Tobias Oertel, l.), 
Wolfgang Limberg (Ulrich Noethen, r.)

Wolfgang Limberg (Ulrich Noethen), alias IM Tim, ehemaliger Gefängnisarzt in Hoheneck im Dienst der Staatssicherheit, ist Chefarzt der neurologischen Abteilung des Karden-Klinikums. Seine Tochter ist eine Klavierschülerin Carolas. Durch deren Anschuldigungen droht alles, was er sich aufgebaut hat, zusammenzustürzen: „Meine Reputation, meine Familie, mein Leben“ (Limberg). Er nutzt seine Machtposition aus, um die Kontrahentin als psychisch krank zu stigmatisieren. In letzter Verzweiflung und angestachelt von seinem ehemaligen Führungsoffizier Horst Weihe schreckt er auch vor Mord nicht zurück.

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Carola Weber, Jochen Weber

Jochen Weber (Tobias Oertel), Personalreferent des Karden-Klinikums in Koblenz, ist Carolas Ehemann und betrachtet es als eklatanten Vertrauensmissbrauch, dass seine Frau ihm nie von ihrer Hoheneck-Vergangenheit erzählt hat. Er schenkt ihr weder Glauben noch Verständnis. In seiner Ahnungslosigkeit repräsentiert er die Mehrheit der Deutschen, die noch nie von den Haftbedingungen in Hoheneck gehört haben.

Tobias Oertel über seine Rolle: „Jochen kann sich als Wessi-Ehemann nicht vorstellen, welche Tragweite die Lebensstation Gefängnis für seine Frau hat. Insofern ist das ein ganz wichtiger Film. Sehen sie, ich wohne seit zehn Jahren in Berlin und kannte das Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen. Man weiß, dass dort gefoltert wurde, dass Unrecht geschah. Vom Frauengefängnis Hoheneck hat der Durchschnittsbürger bisher wenig mitbekommen.“ (Weser Kurier)

Gesellschaftsbild

Bild
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Die DDR ist in Es ist nicht vorbei der Mikrokosmos der Hoheneck-Haftanstalt in Stollberg im Erzgebirge, in der 1989 rund 8.000 Frauen inhaftiert waren. Isolationsfolter war dort an der Tagesordnung: „Verdunkelung, Einzelhaft, Redeverbot – bis ich nicht mehr wusste, wer ich bin oder wie ich heiße“ (Carola). Über Hoheneck hinaus wird auch die DDR als Ganzes als großes Gefängnis dargestellt, da ein Ausreiseantrag mitnichten in die „Freiheit“ im Westen führte, sondern hinter Gitter – und das für Jahre, wenn einen der Westen nicht freikaufte: „Sie wollten mich nicht gehen lassen“ (Carola). In Hoheneck wurden die Häftlinge – nach Darstellung des Films keineswegs ausschließlich Oppositionelle, sondern hauptsächlich Frauen mit Ausreisewunsch – mit Psychopharmaka gefügig gemacht und leisteten Zwangsarbeit.

Bespitzelung war dabei allgegenwärtig: „Selbst im Gefängnis haben sich die Stasi-Ärzte gegenseitig ausspioniert und Bericht erstattet“ (Renate Förster). Dabei wurden persönlichen Grenzen missachtet: „Woher wissen Sie, dass ich 1991 in psychiatrischer Behandlung war? Schiebt ihr mal wieder vertrauliche Unterlagen hin und her, für operative Zwecke?“ (Carola). Die Strukturen und Methoden reichen über die Figur Limberg bis in die Gegenwart. Limberg war als Stasi-Arzt Angehöriger des sozialistischen Establishments, ein „kultureller Aufsteiger“: diszipliniert, pflichtbewusst, mit viel Familiensinn. So beschreibt der Arzt seine Tätigkeit für die Stasi als notwendiges Übel: „Es hat keinen Spaß gemacht in Hoheneck. Aber Sie wissen ja, wie es war. (…) Man muss Kompromisse machen. Damals wie heute. Ich trage Verantwortung, wissen Sie.“ Im Film heißt das „Flexibilität“: „Was soll ich denn jetzt machen?“ (Limberg) „Früher waren Sie doch auch flexibel. Denken Sie sich was aus!“ (Weihe). Es ist nicht vorbei macht Beschönigung und Verschleierung zu Merkmalen der DDR. Von den Vorgängen in Hoheneck wusste im Film niemand.

Limberg spiegelt außerdem eine männliche Elite in patriarchalen Machtstrukturen. Damit wird ein klassisches Psychothriller-Motiv bedient: Die weibliche Hauptperson wird in Machtspielen aufgerieben und muss einen Parcours der psychischen Demütigungen und sozialen Demontagen überstehen (Christian Buß, Der Spiegel). So befinden acht Männer über die psychische Verfassung Carolas und rücken sie auch noch in eine Täterposition: „Was Sie Ihrem Mann antun, ist unverantwortlich“ (Limberg). Dennoch wird die Integrität der Elite (damals wie heute) nicht infrage gestellt: „Fast alle glauben ihm. Glauben seiner professionellen Freundlichkeit, glauben dem weißen Kittel, der immer Zutrauen weckt.“ (Christina Tilmann, Der Tagesspiegel)

Es ist nicht vorbei klagt eine Ärzteschaft an, die sich „Aufklärung und Aufarbeitung“ verweigert (Christina Tilmann, Der Tagesspiegel), um keine schlafenden Hunde zu wecken: Habe man früher „aufmüpfige Charaktere auf Linie gespritzt“, so therapiere man heute „unbequeme Opfer mundtot“ (Christian Buß, Der Spiegel). Der Film stellt aber auch klar, dass nicht alle DDR-Eliten Unrecht begingen: „Die meisten Ärzte haben nicht für die Stasi gearbeitet. Aber Sie haben‘s getan“ (Carola). „Nein, nein, nein. Ich will da gar nicht groß drüber reden“ (Limberg). Die Verdrängung von Straftaten und „Carolas Einsamkeit in einer Gesellschaft, die vergessen hat und die Ruhe will“ (Christina Tilmann, Der Tagesspiegel) stehen im Fokus der Handlung. Damit bleibt am Ende des Films eine große gesellschaftliche Frage zurück: Wurden DDR-Eliten zu leicht in die heutige Gesellschaft integriert? „Behalten Sie Ihre Wahrheit. Ich behalte meine. Und damit ist uns beiden gedient.“ (Limberg) – dass mit kollektivem Vergessen eben nicht allen gedient ist, ist die Aussage des Films.

Ästhetik und Gestaltung

Obwohl Es ist nicht vorbei in der Gegenwart spielt, ist die Vergangenheit in Form blitzlichtartiger Rückblenden (Schnitt: Jürgen Winkelblech) zum Hoheneck-Alltag ständig präsent. Diese Erinnerungsschübe lassen „den Film immer wieder für kurze Momente zum Thriller werden“ und sorgen dafür, „dass sich Carolas Geschichte als Puzzle zusammensetzt“ (kino.de). Besonders auffällig sind die auf Carolas Gehör abgestimmten auditiven Elemente, etwa der Marsch im Gleichschritt zur Arbeit oder die lauten Stimmen der „Wachteln“, also der Wärterinnen. Carolas Tätigkeit als Musiklehrerin und ehemalige Pianistin symbolisiert die klassische Musik, die weite Strecken des Films untermalt (Musik: Johannes Kobilke). Die Farbgebung insbesondere der Rückblenden ist, wie in DDR-Filmen meist üblich, hauptsächlich grau-beige. Die Kamera (Eeva Fleig) bleibt zuweilen respektvoll auf Abstand, etwa als Carola bei ihrer Rückkehr nach Hoheneck zusammenbricht, „und weidet sich nicht in Nahaufnahme am Leiden“ (kino.de).

Authentizität

Strategien der Authentizitätskonstruktion

Der Dreh in der Haftanstalt trägt viel zum Erscheinungsbild des Filmes bei – laut Anja Kling werde innerhalb der einstigen Gefängnismauern „das Grausame dieses Ortes spürbar und kriecht in einen hinein“ (B.Z. Berlin). Auch die Kameraperspektiven bei den zahlreichen Vier-Augen-Gesprächen erwecken den Eindruck, es handele sich um eine Dokumentation und nicht um einen Spielfilm. Zu Beginn des Abspanns wird neben dem Hinweis, dass der Film den Frauen von Hoheneck gewidmet ist, ein Text in Maschinenschrift im Stil einer Stasi-Akte eingeblendet:

 „Ende 1989 wurden die letzten 126 politischen Häftlinge der DDR amnestiert. Die Zahl der Frauen, die noch heute traumatisiert, arbeitsunfähig und in psychologischer Behandlung sind, wird auf mehrere Tausend geschätzt. Sämtliche Klagen der ehemaligen Strafgefangenen gegen ihre Haftärzte verliefen im Sand. Viele der damaligen Medizinier praktizieren noch heute.“

Im Anschluss an die Fernsehausstrahlung von Es ist nicht vorbei wurde am Jahrestag des Mauerfalls die Dokumentation Die Frauen von Hoheneck gesendet, die auch als Bonusmaterial auf der DVD ist. Es handelt sich um eine von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur geförderte Produktion im Auftrag des SWR, das Drehbuch stammt auch hier aus der Feder von Kristin Derfler. Viele Motive aus dem Spielfilm werden in der Dokumentation von Hoheneck-Insassinnen legitimiert: So sei es ein „offenes Geheimnis“ gewesen, „dass die Häftlinge mit Psychopharmaka vollgestopft“ und Beruhigungsmittel „wie Bonbons verteilt“ oder unters Essen gemischt wurden. Außerdem seien „selbst die Vertragsärzte Teil des Bespitzelungssystems“ gewesen (Gisela Schmidt). Auch die Verdrängung der Straftaten wird bestätigt: „Die ehemaligen Ärzte wollen damit nicht konfrontiert werden, machen gar nicht auf. Sie wollen die Vergangenheit verdrängen“ (Gisela Schmidt). Einen zusätzlichen Fokus legt die Dokumentation auf einen Aspekt, der im Film durch die bröckelnde Ehe von Carola und Jochen dargestellt wird: die Vergangenheit als „Fluch über der Familie“. Durch Ausreiseanträge seien Familien auseinandergerissen worden, die Kinder kamen in Heime und die Eltern in Haft. Zudem seien schwangeren Häftlingen die Kinder entzogen und von SED-treuen Familien zwangsadoptiert worden. Durch solch eine Vergangenheit blieben emotionale Mauern zurück, wie unter anderen Anita Gossler berichtet.

Drehbuchautorin Kristin Derfler betont im DVD-Bonusinterview zwar ausdrücklich, dass Es ist nicht vorbei kein Biopic und die Geschichte frei erfunden sei, ergänzt jedoch: „Es hätte aber genauso stattfinden können.“ Den Authentizitätsanspruch ihres Films begründet sie mit umfangreichen Recherchen, etwa dem Studium „grotesker Stasi-Akten“, regelmäßigen Besuchen der Jahrestreffen der Hoheneckerinnen sowie Gesprächen mit Zeitzeuginnen. Sie habe sich besonders auf die Verstrickungen zwischen dem Ministerium für Staatssicherheit und dem Ministerium des Inneren konzentriert, „ein Fass ohne Boden“. Ohne solch eine gründliche Recherche sei „wahrhaftiges Erzählen nicht möglich“.

Zahlreiche Zeitzeuginnen und Zeitzeugen, die größtenteils in Opfervereinen organisiert sind oder waren, untermauern in Interviews die filmische Darstellung der Hoheneck-Haftbedingungen mit eigenen Erfahrungen. Für Helga Riede beispielsweise stellt Es ist nicht vorbei ihre „Qualen, Scham und Wut absolut authentisch dar“ (Deutschlandfunk Kultur). Bei der Presse-Präsentation waren sowohl sie als auch Ellen Thiemann „tief erschüttert“ und hatten Mühe, dem Film zu folgen: „Die ganze Zeit von damals kam wieder, als sei alles erst gestern gewesen“ (Helga Riede, Stern). Laut Roland Jahn, seit 2011 Leiter der Stasiunterlagenbehörde BStU, beruhe der Film auf Fakten, die in den Stasi-Akten nachzulesen seien: „dass es politische Gefangene gab, dass Psychopharmaka in der Haft eingesetzt wurden und Ärzte im Dienste der Stasi arbeiteten“ (Roland Jahn, N-TV).

Anja Kling, die in der DDR aufgewachsen ist, bestätigt die bis in die Gegenwart hineinreichende Verschleierung und Verdrängung von Unrecht: „Ich wusste nicht, dass in Hoheneck politische Gefangene saßen – das ahnte keiner. Es war ja das Perfide an der DDR, dass man von diesen schlimmen Dingen nichts wusste“ (Bild). Als letzte Zeitzeugin sei hier Tatjana Sterneberg genannt, heute Gründerin und Vorsitzende des Fördervereins Begegnungs- und Gedenkstätte Hoheneck, deren Erlebnisse in das Drehbuch von Es ist nicht vorbei einflossen. Sie verbüßte 1974 wegen „staatsfeindlicher Verbindungsaufnahme und Vorbereitung zum ungesetzlichen Grenzübertritt“ eine Haftstrafe in Hoheneck, bevor sie 1976 von der Bundesrepublik freigekauft wurde. Sie musste Zwangsarbeit bei „Arbeitseinsatz bis an die Belastungsgrenze“ verrichten.

„Vieles, was der Frau im Film widerfährt, habe ich erlitten. Mir wurden gegen meinen Willen und ohne mein Wissen Psychopharmaka verabreicht. Ich leide bis heute an den Folgen der Haft. Und der Arzt, der mir das im Auftrag der Stasi angetan hat, betreibt heute als angesehener Mann eine Praxis als Allgemeinmediziner. Ich habe selbst eine Frau gesehen, die festgekettet war – die misshandelt worden war, die um ihr Leben schrie.“ (Tatjana Sterneberg, Bild)

Rezeption

Reichweite

Es ist nicht vorbei war mit einer Reichweite von 5,58 Millionen und einem Marktanteil von 18,3 Prozent die meistgesehene TV-Sendung am 9. November 2011. Auch die anschließend gesendete Dokumentation Die Frauen von Hoheneck hatte eine ähnlich hohe Sehbeteiligung (5,01 Millionen und 17,3 Prozent).

Die Uraufführung fand bereits am 30. September 2011 auf dem Filmfest Hamburg statt. Außerdem wurde der Film im Rahmen des „Herbstkinos am Matthäikirchhof“ des Arbeitskreises „Forum für Freiheit und Bürgerrechte“ Leipzig vom 3. bis 8. Oktober 2018 als Beitrag des Archivs Bürgerbewegung Leipzig gezeigt. Ausgewählt wurde der Film aufgrund der Bestandsübernahme des Nachlasses der 2018 verstorbenen Ellen Thiemann in das Archiv Bürgerbewegung Leipzig.

Es ist nicht vorbei und die Dokumentation Die Frauen von Hoheneck (als Bonusmaterial) sind auf DVD erhältlich.

Rezensionen

Es ist nicht vorbei wurde von der Presse überwiegend positiv aufgenommen. Es handele sich um einen „starken, konsequenten Psychothriller mit teils hitchcockscher Perfidie“ (Christian Buß, Der Spiegel), eine „aufrüttelnde, hochspannende und erschütternde Lektion DDR-Geschichte“ (TV Spielfilm) sowie ein „wichtiges Stück Fernsehen“ (Sven Felix Kellerhoff, Welt). Immer wieder wird der Film als „herausragend“ beschrieben (Berliner Morgenpost, kino.de, Welt).

Das positive Medienecho wurde allerdings von einer öffentlichen Debatte um die Besetzung getrübt (siehe: Entstehungskontext: Produktion). Durchweg negativ wahrgenommen wurden auch „dramaturgische Ungereimtheiten im Schlussdrittel“ (tittelbach.tv) sowie das „aufgesetzt wirkende, kräftig nach einem schlechten Tatort schmeckende Ende“ (Stern). Dass Limberg sich rasch noch eines Mordversuchs schuldig mache, um dann trotz Verjährung seiner alten Schuld in Handschellen abgeführt werden zu können (Stern), gefiel selbst Drehbuchautorin Kristin Derfler und Ulrich Noethen nicht (Stern, taz). Die Entscheidungsträger bei den Sendern hätten jedoch für ein eindeutiges Ende votiert, „im Wunsch, zumindest im Film einmal Gerechtigkeit walten zu lassen“ (Der Tagesspiegel). Es handele sich deshalb um „ein Beispiel für ein Drehbuch, das in die Mühlen des Produktionssystems Fernsehen geriet“ (Christina Tilmann, Der Tagesspiegel).

Das Ziel, ein vergessenes Kapitel DDR-Geschichte einem breiten Publikum zugänglich zu machen, wurde von den meisten Medien gelobt. Der Film gebe „den seelisch gefolterten Frauen eine Stimme“ (tittelbach.tv) und arbeite „die Wunden der Vergangenheit“ auf (Peter Zander, Berliner Morgenpost), ohne „mit Volkspädagogik zu langweilen“ (Christian Buß, Spiegel) Viele Kritiker attestieren dem Film einen über den Mikrokosmos Hoheneck hinausreichenden Bedeutungshorizont: Es ist nicht vorbei vermittle „die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit“ in der DDR (Sven Felix Kellerhoff, Welt) und den „brutalen Paternalismus des realen Sozialismus“: „Väterchen Staat und Väterchen Arzt, sie meinen es doch nur gut mit dir, wenn sie die Spritze setzen“ (Christian Buß, Der Spiegel). Sven Felix Kellerhoff zieht in der Welt einen Vergleich zum Film Das Leben der Anderen (2006), da der eigentliche Plot auch hier frei erfunden sei, sich jedoch „problemlos in die Realität einfüge“. Allerdings wäre der Film im Kino fehl am Platz gewesen: „Anja Kling ist eben doch kein Ulrich Mühe, Tobias Oertel kein Ulrich Tukur.“ Anderen Fernsehfilmen habe Es ist nicht vorbei jedoch einiges voraus: Massive Schwächen im Drehbuch wie bei Der Mauerschütze (2010) existierten nicht – und durch die Ansiedlung in der Gegenwart könne man, anders als in An die Grenze (2007), „das Problem des heutigen Umgangs mit dem Unrechtsstaat“ behandeln.

Auszeichnungen

Vor der TV-Premiere erhielt Es ist nicht vorbei bei den Biberacher Filmfestspielen den Fernseh-Biber als bester Fernsehfilm.

Erinnerungsdiskurs

Im Film Es ist nicht vorbei lassen sich drei dominante narrative Bedeutungsmuster identifizieren, die auch andere filmische Aufarbeitungen der DDR verwenden. Erstens wird ein klarer Täter-Opfer-Gegensatz zwischen Ärzten im Dienst der Staatssicherheit und Opfern der Justiz konstruiert. Zweitens reicht der Stasi-Apparat selbst in die Gefängnisse: „Die haben vertrauliche Daten an die Stasi verraten, ganze Familien haben sie damit kaputtgemacht!“ (Carola). Drittens wird die DDR als großes Gefängnis gesehen, da Ausreiseanträge mitnichten nach Westen, sondern hinter Gitter führen. Mittels Medikamentierung, psychischer Folter und Zwangsarbeit werden dort Linientreue oder zumindest Ruhigstellung forciert.

Es ist nicht vorbei lässt sich so im Diktaturgedächtnis verorten. Allerdings konzentriert sich der Film bewusst auf einen bestimmten Teilaspekt der DDR-Geschichte, der sich ausschließlich hinter Gefängnismauern abspielte und erhebt nicht den Anspruch, ein ganzheitliches Bild zu vermitteln. Roland Jahn, Leiter der BStU: „Wir brauchen Filme mit ganz verschiedenen Erzähl- und Sichtweisen, denn es gibt keine absolute Wahrheit über die DDR.“ (N-TV)

Dass der Filmtitel programmatisch zu verstehen und der Kampf der Opfer um Schuldeingeständnisse und Reue ihrer Peiniger nicht vorbei ist, zeigt Carolas abschließender Ratschlag an eine Klavierschülerin: „Du darfst nie aufhören, Fragen zu stellen.“ Auch die Hoheneck-Insassin Ellen Thiemann strebt einen offenen Diskurs, Aufklärung und Aufarbeitung an: „Ich finde es unverschämt, dass uns immer wieder gesagt wird: Man muss auch mal vergessen und verzeihen können“ (Dokumentation Die Frauen von Hoheneck). Das kollektive Verdrängen und hartnäckige Leugnen der persönlichen Verantwortung vieler Täter („Das System hat mir keine Wahl gelassen“) verhindern laut Drehbuchautorin Kristin Derfler eine Versöhnung der beiden Lager (DVD-Bonusinterview). Deshalb fragt der Film laut ARD-Programmdirektor Volker Herres, „ob es mit unserem Rechtsempfinden (…) vereinbar ist, die in etlichen Fällen frei herumlaufenden Täter ungestraft davonkommen zu lassen“ (TV Wunschliste). Die Integration der DDR-Eliten und die Übernahme sämtlicher Approbationen (bei Nichtvorliegen eines konkreten Anfangsverdachts) ist eine Anklage, die der Film gegen den deutschen Rechtsstaat erhebt.

Empfehlung

Empfehlung der Autorin

Eher eine Lehrstunde als eine filmische Meisterleistung: Der Psychothriller Es ist nicht vorbei veranschaulicht auf eindringliche Weise, dass Opfer der DDR-Justiz noch heute mit Traumata zu kämpfen haben, während DDR-Eliten integriert wurden und nun unerkannt in hochrangigen Positionen walten. Damit beleuchtet der Film einen blinden Fleck hinter DDR-Gefängnismauern. Allerdings bleibt bei all dem geballten guten Willen des Filmteams die Dramaturgie vor allem im letzten Drittel auf der Strecke.

Empfohlene Zitierweise

Es ist nicht vorbei. In: Daria Gordeeva, Michael Meyen (Hrsg.): DDR im Film 2024, https://ddr-im-film.de/de/film/es-ist-nicht-vorbei